Bundesverband der Rentenberater e.V. und Deutscher Sozialgerichtstag e.V. fordern gemeinsam eine gerechtere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten

26.08.2018 opener

Zum 1. Januar 2019 soll das neue Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz für die Rentenversicherung in Kraft treten. In dem Gesetzentwurf wurden Anfang August u.a. Änderungen für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten vorgestellt.

Der Bundesverband der Rentenberater e.V. und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. begrüßen grundsätzlich alle Bemühungen, die Altersversorgung von Erziehenden zu verbessern. Die nun vorgelegten Änderungen enthalten allerdings gravierende konzeptionelle Fehler, durch die der eigentliche Zweck verfehlt wird.

Der Bundesverband der Rentenberater e.V. und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. schlagen im Übrigen vor, den unpassenden Begriff „Mütterrente“ künftig zu vermeiden und stattdessen von „Rente für Erziehungszeit (REZ)“ zu sprechen.

Darüber hinaus halten wir den Gesetzentwurf für verfassungsrechtlich bedenklich.

Eltern „1. und 2. Klasse“

Laut Entwurf sollen Erziehende mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden, bei der Bewertung der Erziehungszeiten mit Eltern gleichgestellt werden, deren Kinder ab 1992 geboren wurden. Die Gleichstellung erfolgt allerdings nur, wenn mehr als zwei Kinder erzogen wurden. Bei der Rente sollen dann für jedes Kind drei Jahre Kindererziehungszeit berücksichtigt werden, anstatt bisher zwei Jahre.

Aus Sicht des Bundesverbandes der Rentenberater e.V. und des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. ist nicht nachvollziehbar, warum das nicht auch gilt, wenn nur ein oder zwei Kinder erzogen wurden. Hierzu die Präsidentin des Bundesverbandes der Rentenberater e.V. Anke Voss: „Der Eindruck, es gäbe Kindererziehung 1. und 2. Klasse mit unterschiedlicher rentenrechtlicher Wertigkeit darf nicht entstehen.“ Die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstages e.V. Monika Paulat bemängelt: „Dass die Verbesserung auf Erziehende mit drei und mehr Kindern beschränkt wird, schafft eine gravierende Gerechtigkeitslücke.“

Die gegenwärtige Entwurfsfassung bedeutet z. B. konkret, dass erziehende Elternteile mit drei Kindern künftig insgesamt neun Kindererziehungsjahre und Eltern mit zwei vor 1992 geborenen Kindern nur vier Jahre erhalten werden. Ein derartig gravierender Unterschied dürfte weder vermittelbar noch tatsächlich begründbar sein.

Gerechter: Etwas für alle, statt viel für wenige!

Wenn dem Gesetzgeber die Kosten für ein ganzes Anrechnungsjahr für alle zu hoch sind, sollten wenigstens alle Erziehende ein weiteres halbes Jahr mehr bekommen. Diesen Vorschlag haben der Bundesverband der Rentenberater e.V. und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. bereits in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf gemacht. Laut Gesetzentwurf wären die Kosten dafür in etwa genauso hoch, wie die Kosten für das geplante ganze Jahr für Mehrkindfamilien.

Bei gleichen Kosten würden also alle profitieren, die Kinder erziehen und nicht nur die Eltern von drei und mehr Kindern. Der verantwortliche Bundesminister Hubertus Heil selbst hat öffentlich Bedenken geäußert und ebenfalls die Erhöhung um ein weiteres halbes Jahr ins Gespräch gebracht. Es ist zu hoffen, dass sich der Minister mit dieser Haltung in der Koalition durchsetzen kann.

Der Entwurf ist verfassungsrechtlich bedenklich

Nach dem Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG darf die Wertschätzung der Erziehungsleistung nicht unterschiedlich ausfallen. Insofern bezweifeln der Bundesverband der Rentenberater e.V. und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V., dass die geplante Differenzierung nach der Anzahl der Kinder mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Weitere Ungerechtigkeitsdiskussionen um Mehrkindfamilien sind zu erwarten.

Für die Benachteiligung der Erziehenden mit einem oder zwei Kindern gibt es keine gewichtigen sachlichen Gründe. Finanzielle Erwägungen rechtfertigen jedenfalls in der Regel eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Personengruppen nicht.

Weniger Rente wegen Kindererziehung? Unfair, aber rechtens

Der Bundesverband der Rentenberater e.V. und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. erkennen einen weiteren gravierenden Fehler im System, der besonders Frauen mit lückenhafter Erwerbsbiografie und geringen Verdiensten finanziell schlechter stellen könnte. Wer im Laufe seines Arbeitslebens wenig verdient hat, hat bei der Rente ggf. Anspruch auf zusätzliche Mindestentgeltpunkte. Das soll eine Art Mindestrente garantieren und Geringverdiener vor Altersarmut schützen.

Erhält nun ein Elternteil aufgrund der Neuregelung zusätzlich Entgeltpunkte für Erziehungszeiten, fallen die Mindestentgeltpunkte unter Umständen weg und die Rente kann dann insgesamt sogar geringer ausfallen.

Der Bundesverband der Rentenberater e.V. und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. fordern deshalb, eine regulierende Formulierung in den Entwurf aufzunehmen. Wer Kinder großgezogen hat, darf keinesfalls mit Erziehungszeiten weniger Rente erhalten als ohne. Eine Änderung ist hier zwingend erforderlich und wäre durch eine Vergleichsberechnung in der Praxis leicht umzusetzen.

Die Finanzierung der sogenannten Mütterrente

Grundsätzlich ist es notwendig, sinnvoll und gesellschaftlich gewollt, dass Erziehungszeiten stärker und gerechter anerkannt werden. Wer Kinder großzieht, leistet einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, der unbedingt in der Altersversorgung berücksichtigt werden soll.

Aber sowohl die Ausgestaltung als auch die Finanzierung zeigen, wie wenig zeitgemäß diese Regelungen gedacht und organisiert sind. Die rentenrechtliche Leistung ist es ja nicht, ein Kind zur Welt gebracht zu haben, sondern Zeit für die Erziehung der Kinder aufzuwenden.

Die Arbeit, die Erziehende leisten, kommt der gesamten Gesellschaft zu Gute. Trotzdem wird zur Finanzierung hauptsächlich die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten herangezogen. Diesen Ausgaben stehen aber keine Beitragsmittel gegenüber, denn für die Erziehungszeit wird ja kein Gehalt gezahlt. Auch wenn es einen durch Steuern finanzierten Bundeszuschuss gibt, ist die direkte Anbindung an das Rentensystem ein Fehler, der korrigiert werden muss. Erziehungsleistung muss gesamtgesellschaftlich wertgeschätzt, also aus Steuermitteln finanziert werden.

Autor: Pressestelle des DSGT e.V. (Jörg Neunaber) und Pressestelle des Bundesverbandes der Rentenberater e.V.

Laut Gesetzentwurf sollen Erziehende mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden, bei der Bewertung der Erziehungszeiten mit Eltern gleichgestellt werden, deren Kinder ab 1992 geboren wurden; jedoch nur, wenn mehr als zwei Kinder erzogen wurden. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es Eltern "1. und 2. Klasse" gibt. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Differenzierung nach der Anzahl der Kinder mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ferner könnten besonders Frauen mit lückenhafter Erwerbsbiografie und geringen Verdiensten finanziell schlechter gestellt werden. Zur Finanzierung der Mütterrente sollte nicht hauptsächlich die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten herangezogen werden, vielmehr müssen Erziehungsleistungen gesamtgesellschaftlich wertgeschätzt und aus Steuermitteln finanziert werden.

Rubrik:

Schlagwörter: Pressemitteilung des DSGT e.V., Kindererziehungszeiten, Mütterrente, Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz (Entwurf) für die GRV