Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei einer chronischen Schmerzkrankheit
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch
(
SGB VI) zusteht.
Die 59-jährige Klägerin ist türkische Staatsangehörige. In der Türkei besuchte sie fünf Jahre lang die Volksschule. Einen
Beruf erlernte sie nicht. Seit 1969 befindet sie sich in der Bundesrepublik Deutschland. Über lange Jahre hinweg bis März
2006 arbeitete die Klägerin als Montiererin, zuletzt als Prüferin für Spulengruppen bei der Firma B ... Zwischenzeitlich war
sie in den 1970er Jahren vorübergehend für drei Jahre in einer Strumpffabrik tätig. Mit Ablauf des 31.03.2006 wurde das Arbeitsverhältnis
zur Firma B. beendet.
Die Klägerin leidet unter anderem an einem seit etwa 1990 bekannten und seit 2003 insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ
2. Zudem hat sie eine angeborene "Mittelmeeranämie". Neben Wirbelsäulenbeschwerden werden auch psychische Probleme geltend
gemacht. Der aktuelle Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht beträgt 40.
Am 19.04.2005 beantragte die Klägerin zum ersten Mal eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im Verwaltungsverfahren erstellte
der Allgemein- und Sozialmediziner Dr. L. ein Gutachten nach persönlicher Untersuchung (Gutachten vom 03.06.2005). Er kam
zum Ergebnis, die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten täglich noch sechs Stunden und mehr unter den Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Einen zunächst eingelegten
Widerspruch nahm die Klägerin zurück.
Am 30.04.2007 beantragte die Klägerin erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ ein Gutachten durch den
Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. G. erstellen (Gutachten vom 03.07.2007). Der Arzt sah eine depressive
Verstimmung mit teilweise körperlichen Ausgestaltungen im Vordergrund. Er stellte eine weiterführende kardiologische Diagnostik
in den Raum (Koronarangiographie). Dennoch kam er zum Ergebnis, die Klägerin sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich
leichte Arbeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.
Vom 12. bis 15.06.2007 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Klinik A-Stadt (Bericht vom 14.06.2007).
Die Agentur für Arbeit K. erstellte am 06.07.2006 ein medizinisches Gutachten nach persönlicher Untersuchung. Danach sei die
Klägerin in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten in Tagesschicht und ohne besondere Anforderungen an die nervliche
Belastbarkeit auszuüben, wobei die Arbeitspositionen jeweils überwiegend gehend, stehend oder sitzend sein könnten.
Mit Bescheid vom 17.07.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder eine Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit
vorliege. Dagegen legte die Klägerin am 30.07.2007 Widerspruch ein. Die Beklagte holte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
verschiedene Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Weiter forderte sie Auskünfte vom ehemaligen Arbeitgeber an. Die Firma
B. teilte im September 2007 mit, es habe sich um eine ungelernte Tätigkeit gehandelt, für die nur eine betriebliche Einarbeitung
von circa drei bis vier Tagen notwendig gewesen sei. Die letzte Tätigkeit der Klägerin sei sehr einfach gewesen.
Ein weiterer stationärer Aufenthalt schloss sich vom 12. bis 14.09.2007 an. Dieser hatte den Zweck, die von Dr. G. angesprochene
Koronarangiographie, eine röntgenographische Darstellung von Blutgefäßen mit Hilfe injizierter Kontrastmittel, durchzuführen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 14.03.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben.
Vom 29.04. bis 03.05.2008 hat sich die Klägerin zur stationären Behandlung im Krankenhaus L. aufgehalten, wo wegen chronischer
Rückenschmerzen eine Infiltrationsbehandlung mit einem Schmerzmittel durchgeführt worden ist. Vom 05. bis 19.05.2008 hat sie
sich in stationärer Behandlung im Diabetes Zentrum Bad M. befunden.
Unter dem Datum 20.09.2008 hat die Neurologin und Psychiaterin Dr. A. J. für das Sozialgericht ein Gutachten nach persönlicher
Untersuchung erstellt. Die Sachverständige hat auf neurologischem Fachgebiet eine leichtgradige Polyneuropathie als Folge
der Zuckererkrankung festgestellt; spezifische Beschwerden seien von der Klägerin aber nicht geäußert worden. Bei dem nachgewiesenen
Bandscheibenvorfall hätten sich keine Hinweise auf Nervenwurzelbeteiligung ergeben. Psychiatrisch hat die Sachverständige
eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende depressive Störung mit wiederkehrender depressiver Verstimmung,
Antriebsminderung, Rückzugsverhalten und Schlafstörungen diagnostiziert; überlagernd bestünden Symptome einer Angststörung.
Das Schmerzsyndrom und die Depression samt begleitender Angstsymptomatik würden aber als solche keine Erwerbsminderung begründen.
Die therapeutischen Möglichkeiten, so Dr. J., seien nicht ausgeschöpft. Eine medikamentöse Behandlung sei der Klägerin zumutbar.
Eine psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinn habe noch nicht stattgefunden, könne aber bei einem Türkisch sprechenden
Therapeuten von Nutzen sein. Körperlich leichte Tätigkeiten könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden unter den Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben. Die üblichen Arbeitspausen würden ausreichen, auch für die Insulintherapie.
Sodann hat das Sozialgericht nach §
109 SGG ein "psychotherapeutisches-psychosomatisches" Gutachten von Dr. M. S. eingeholt (Gutachten vom 14.12.2008). Dr. S. ist zum
Ergebnis gekommen, angesichts ihrer Schmerzen, die sie genauso empfinde wie bei einer organpathologisch bedingten Schmerzstörung,
sei die Klägerin nur noch eingeschränkt in der Lage, die für den Alltag notwendigen körperlichen Anstrengungen durchzuführen.
Die Klägerin könne nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten; dieses Leistungsbild bestehe sicher schon seit ein- bis eineinhalb
Jahren.
Vom 14. bis 16.01.2009 hat sich die Klägerin erneut in stationärer Behandlung befunden (Klinik A-Stadt). Die stationäre Aufnahme
war wegen Stechens in der Brust erfolgt. Nach verschiedenen Untersuchungen hat das Krankenhaus einen Herzinfarkt ausschließen
können.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.03.2009 abgewiesen. Es hat sich dem Gutachten von Dr. J. angeschlossen.
Anders als die Klägerin meine, müsse ihr, so das Sozialgericht zur Begründung, keine zumutbare Verweisungstätigkeit benannt
werden.
Am 27.03.2009 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hat vorgetragen, zutreffend sei nicht das Gutachten der Dr. J., sondern
das des Dr. S ... Zudem liege keine Wegefähigkeit vor.
Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte hat der Senat eine psychiatrische Begutachtung durch Dr. C. veranlasst.
In ihrem Gutachten vom 18.12.2009 hat die Sachverständige unter anderem ausgeführt, für eine tiefer gehende Depressivität
hätten sich keine Hinweise gefunden. Sie hat unter anderem folgende Diagnosen gestellt: - Somatoforme Schmerzstörung - Angst-
und depressive Störung, gemischt - Insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit leichtgradiger sensibler Polyneuropathie - HWS-abhängige
Beschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne Nervenwurzelreizerscheinungen - LWS-abhängige Beschwerden bei degenerativen
Veränderungen und kernspintomografisch nachgewiesenem Bandscheibenvorfall L5/S1 ohne Nervenwurzelreizerscheinungen - Schlafapnoe-Syndrom.
Die Klägerin, so Dr. C., sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
erwerbstätig zu sein. Sie könne noch leichte Tätigkeiten abwechselnd im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Vermieden werden
müssten Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die psychische und nervliche Belastbarkeit, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck
und Arbeiten in Nacht- und Wechselschicht. Es könnten keine besonderen Anforderungen an Gleichgewichtssinn, Ausdauer, nervliche
Belastbarkeit, Stresstoleranz, Konzentrations- und Reaktionsvermögen (geistige Beweglichkeit) gestellt werden. Merkfähigkeit
und Auffassungsgabe seien altersentsprechend normal. Vermieden werden müssten Tätigkeiten mit Zwangshaltungen, Heben und Tragen
schwerer Lasten sowie Arbeiten, die mit Absturzgefahr verbunden seien. Wegen des vordiagnostizierten Asthmas könne die Klägerin
keine Tätigkeiten verrichten, die verbunden seien mit starken Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch,
Reizstoffen. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Zusätzliche Arbeitspausen seien nicht erforderlich. Für das Insulinspritzen würden
die üblichen Arbeitspausen ausreichen.
Dr. C. hat unter dem Datum 22.02.2010 ergänzend zu einem Bericht des Schlaflabors H. vom 29.12.2009 Stellung genommen. Der
Bericht des Schlaflabors, so Dr. C., führe nicht zu einer Änderung der Leistungsbeurteilung abgesehen davon, dass die Klägerin
keine Tätigkeiten verrichten könne, die das Bedienen von Maschinen mit sich brächten. Die Klägerin hat auf die Stellungnahme
der Dr. C. erwidert, Dr. M., der die Schlaflaboruntersuchung durchgeführt habe, sei der Ansicht, dass bezüglich der Arbeitsfähigkeit
erst dann entschieden werden könne, wenn die Therapie abgeschlossen sei. Weiter hat die Klägerin zunächst einen als "Fachgutachten"
bezeichneten Befundbericht des Dr. S. vom 06.04.2010 nachgereicht, dann dessen handschriftliche Äußerung vom 11.04.2010, seit
zwei Jahren liege das quantitative Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei unter drei Stunden täglich.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar
2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere der genannten Stellungnahmen, Befundberichte und Gutachten,
wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts
verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch
auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung liegen nicht vor. Folgende
materiell-rechtliche Regelungen sind maßgebend:
Nach §
43 Abs.
1 Satz 1
SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebens- jahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind und die im Gesetz genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert
sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI).
Gemäß §
43 Abs.
2 Satz 1
SGB VI haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie neben
der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen voll erwerbsgemindert sind. Das ist nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI dann der Fall, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein kann (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Der Senat ist davon überzeugt, dass bei der Klägerin - trotz aller gesundheitlichen Beeinträchtigungen - im gesamten streitbefangenen
Zeitraum weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung gegeben ist oder war. Die Klägerin ist vielmehr in der Lage,
unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen -noch mindestens sechs Stunden
täglich erwerbstätig zu sein. Der Senat folgt insoweit den übereinstimmenden medizinischen Gutachten von Dr. J. und Dr. C
... Betrachtet man diese Gutachten in einer Zusammenschau, so sind allein in den gerichtlichen Verfahren überaus sorgfältig
Befunde erhoben und einfühlsam bewertet worden. Keines der Gutachten lässt fachliche oder methodische Schwächen erkennen,
die sich negativ auf die Überzeugungskraft auswirken könnten. Nimmt man die in den Verwaltungsverfahren erstellten medizinischen
Gutachten von Dr. L. und Dr. G. hinzu, ergibt sich ein Gesamtbild vom medizinischen Sachverhalt, das keine Zweifel offen lässt.
Nur der Diabetes mellitus verkörpert eine schwerer wiegende internistische Erkrankung. Dieser besteht bereits langjährig und
zeichnet sich durch schlechte Einstellung aus. Gleichwohl manifestiert sich die Krankheit nur in einer leichten Polyneuropathie
(leichte Empfindungsstörungen); diese hat Dr. J. in ihrem Gutachten beschrieben. Im Rahmen des stationären Aufenthalts im
Diabetes Zentrum Bad M. ist festgestellt worden (Entlassungsbericht vom 07.07.2008), dass weder die Augen noch die Nieren
geschädigt sind. Der Diabetes mellitus bereitet der Klägerin offenkundig keine nennenswerten Beschwerden. Das schließt der
Senat einerseits aus dem Gutachten von Dr. J., wo festgehalten ist, spezifische Beschwerden seien nicht geäußert worden. Andererseits
spricht dafür der Umstand, dass die Klägerin nicht bemüht ist, die Zuckerkrankheit wirksam zu bekämpfen. So hat der behandelnde
Diabetologe Dr. E. in einem Befundbericht vom 13.11.2007 geäußert, der Klägerin fehle es an der erforderlichen Compliance.
Im Diabetes Zentrum Bad M. sind die Zuckerwerte schnell und gut beherrscht worden. Nach dem Klinikaufenthalt sind diese aber
wieder deutlich schlechter geworden, weil die erforderliche Mitarbeit der Klägerin ausgeblieben ist. Das Ausmaß der Diabetes
mellitus-Erkrankung ist daher nicht geeignet, deren quantitatives Leistungsvermögen zu beeinträchtigen.
Sonstige nennenswerte Gesundheitsstörungen auf internistischem Gebiet bestehen nicht. Bei der Mittelmeeranämie handelt es
sich um eine harmlose Krankheit. Kardiologisch liegen keine signifikanten pathologischen Befunde vor. Zwar scheint die Klägerin
immer wieder befürchtet zu haben, herzkrank zu sein. Das wird durch diverse Klinikaufenthalte wegen des Auftretens verdächtiger
Symptome belegt. Bislang haben sich die Ängste der Klägerin aber stets als unbegründet erwiesen.
Die den Stütz- und Bewegungsapparat betreffenden Gesundheitsstörungen sind nicht gravierend und begründen - auch in Zusammenschau
mit anderen gesundheitlichen Beschwerden - keine Erwerbsminderung. Zwar ist ein Bandscheibenvorfall LW5/SW1 gesichert. Dessen
funktionale Auswirkungen halten sich jedoch sehr in Grenzen. Bereits der medizinische Dienst der Agentur für Arbeit K. hatte
im Gutachten vom 06.07.2006 konstatiert, bei Aufbrauchveränderungen an der Wirbelsäule sei deren Beweglichkeit recht gut.
Bandscheibenvorfallbedingte Nervenwurzelreizsymptome lägen nicht vor. Dieses positive Bild hat sich im Gutachten des Dr. G.
fortgesetzt. Auch aus dem Gutachten von Dr. J. ergibt sich, dass keine Hinweise auf eine Beteiligung der Nervenwurzeln existieren.
Die Klägerin ist in ihrer Beweglichkeit nur gering beeinträchtigt. So hat Dr. C. in ihrem Gutachten festgehalten, beim An-
und Auskleiden habe sich die Klägerin flink gezeigt. Die erschwerten Gang- und Standarten waren problemlos ausführbar. Die
Schmerzen, an denen die Klägerin leidet, sind vielmehr psychogen. Es handelt sich, wie Dr. C. festgestellt hat, um eine somatoforme
Schmerzstörung. Darauf deuten insbesondere der Ganzkörperschmerz sowie die schlechte Beeinflussbarkeit durch Schmerzmedikation
hin.
Die wesentlichen Gesundheitsstörungen der Klägerin liegen damit zweifellos auf psychiatrischem Gebiet. Sie bestehen zum Einen
aus einer depressiven Störung, die mit einer Angststörung kombiniert ist, zum Anderen aus der Schmerzstörung. Eingeschränkt
ist jedoch nur die qualitative Leistungsfähigkeit der Klägerin, nicht dagegen die quantitative.
Eine tiefgreifende depressive Erkrankung liegt nicht vor. Dagegen sprechen die vorhandenen psychischen Befunde. So hat Dr.
C. in ihrem Gutachten ausgeführt, die Angaben zum Beschwerdebild seien klagsam und nicht ganz widerspruchsfrei erfolgt (z.B.
Verlassen des Hauses einerseits, Betreuung der Enkelkinder andererseits). Die Stimmungslage sei themenabhängig leichtgradig
gedrückt gewesen. Für eine tiefer gehende Depressivität hätten sich keine Hinweise gefunden. Affektiv sei die Klägerin gut
schwingungsfähig gewesen; eine Affektlabilität habe nicht bestanden. Die Fähigkeit, Freude zu empfinden, sei nicht aufgehoben.
Tages- oder jahreszeitabhängige Stimmungsschwankungen hätten sich nicht eruieren lassen. Der formale Denkablauf sei zwar etwas
sprunghaft gewesen, gleichwohl hätte keine Denkzerfahrenheit bestanden. Die Psychomotorik sei normal lebhaft, der Antrieb
ungestört gewesen. Auffassungsstörungen und Störungen des Kurz- oder Langzeitgedächtnisses seien nicht vorhanden. Psychopathologisch
hätten keine kognitiven oder mnestischen Störungen bestanden. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für ein organisches Psychosyndrom,
eine endogene Psychose oder ein Suchtleiden gezeigt. Das soziale Rückzugsverhalten sei nicht sehr ausgeprägt. Die Klägerin
sei durchaus in der Lage, allein das Haus zu verlassen. Sie pflege regelmäßigen Umgang mit ihren Kindern und Enkelkindern
und sei in der Lage, Haushaltstätigkeiten weitgehend selbstständig zu verrichten. Phobische Ängste, welche die Handlungsspielräume
der Klägerin einengen würden, bestünden nicht. Das deckt sich mit den bereits im Jahr 2007 erhobenen Befunden des Dr. G.:
In der psychischen Verfassung habe sich keine wesentliche Herabstimmung feststellen lassen. Die gezeigte Spontaneität, Gewandtheit
und unbeeinträchtigte emotionale Schwingungsfähigkeit widersprächen der geschilderten Erschöpfbarkeit und Passivität.
Nur Dr. S. hat dramatische Befunde geschildert. Dieser Gutachter hat bemerkt, die Klägerin sei bewusstseinsklar und in allen
Qualitäten durchgehend sicher orientiert gewesen. Gedächtnis und Konzentration hätten bei grober klinischer Prüfung keinen
pathologischen Befund ergeben. Im formalen Denken sei die Klägerin manchmal etwas gehemmt, dann wieder zerfahren gewesen.
Affektiv wirke die Klägerin auf eine intakte Fassade bedacht, dahinter sei sie jedoch ängstlich, verzweifelt, affektlabil
bis affektinkontinent. Morgens sei ihre Stimmung schlechter. Der Antrieb sei eher vermindert, die Klägerin wirke trotz einer
gewissen Aktivität eher schwunglos und lahm. Mit dieser Befundschilderung steht Dr. S. allein. Der Senat schließt sich voll
der Kritik von Dr. C. an, die von Dr. S. beschriebene Intensität der Depression stehe in erheblicher Diskrepanz zu den Befundmitteilungen
der Dr. J. und des behandelnden Nervenarztes sowie zu den von Dr. C. erhobenen Befunden. Der Senat zweifelt in keiner Weise
an der Richtigkeit der von Dr. J. und Dr. C. erhobenen Befunde. Gerade Dr. C. zeichnet sich nach den fundierten Erfahrungen
des Senats als äußerst erfahrene Gutachterin in Rentenangelegenheiten aus, der es stets gelingt, die zu untersuchenden Personen
einfühlsam, differenziert und authentisch zu erfassen und zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund kann man sich die Darstellung
desolater Befunde durch Dr. S. nur dadurch erklären, dass die Klägerin just am Tag der Untersuchung in besonders schlechtem
Zustand war oder aber dem Sachverständigen Fehler bei der Befundaufnahme oder der verbalen Befunddarstellung unterlaufen sind.
Nicht von der Hand zu weisen ist auch die Kritik der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W., die für die Beklagte
zu dem Gutachten des Dr. S. Stellung genommen hat. Dr. W. hat zu Recht moniert, Dr. S. habe nicht angegeben, aus welchen Umständen
er auf eine Affektlabilität oder Affektinkontinenz geschlossen habe. Befunddarstellungen müssen so formuliert sein, dass sie
so weit als möglich objektivierbar sind; das gilt auch für psychische Befunde, auch wenn diesen ein Element der Wertung innewohnt.
Dem ist Dr. S. nicht gerecht geworden.
Auch die Mechanismen, welche die depressiven Störungen auslösen und unterhalten, unterstreichen, dass die psychische Erkrankung
nicht die Intensität hat, um das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu beeinträchtigen.
Die depressiven Störungen sind, wie die medizinischen Ermittlungen ergeben haben, situativ-reaktiver Natur. Dr. C. hat in
ihrem Gutachten ausgeführt, die psychischen Beschwerden der Klägerin seien in Zusammenhang mit dem jahrelangen Partnerkonflikt
aufgetreten. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin durch die Erziehung der Kinder und die langjährige berufliche Tätigkeit
überfordert gewesen sei. Das sieht der Senat genauso. Die Klägerin hat in ihrem Leben viel leisten und aufgrund ihres mitunter
gewalttätigen Ehemanns, Vieles ertragen und erdulden müssen. Dabei hat sie es geschafft, sowohl die Kinder groß zu ziehen
als auch ganz maßgeblich - über zwölf Jahre hinweg nahezu allein - zum wirtschaftlichen Unterhalt der Familie beizutragen.
Hinzu kommen große finanzielle Probleme, die zum großen Teil auf die Spielsucht des Ehemanns zurückgeführt werden. Dass sich
die Klägerin angesichts dieser enormen Belastung leer und ausgebrannt fühlt, verwundert nicht. Aufgrund der psychiatrischen
Ermittlungen kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es insoweit auch zu einer neurotischen Fehlverarbeitung gekommen
ist. Besonders das Gutachten von Dr. C. verdeutlicht aber auch, dass die depressiven Störungen nicht generalisiert sind. Die
"lediglich" reaktiven psychischen Störungen, die bei der Klägerin vorliegen, sind jedoch nicht geeignet, diese von einer leichten,
zustandsangepassten Tätigkeit - d.h. ohne besondere nervliche Belastungen - generell abzuhalten.
Für ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes spricht auch, dass
die Bemühungen der Klägerin, ihre psychischen Störungen therapieren zu lassen, über die Jahre hinweg unzureichend geblieben
sind. Bereits im Gutachten des Dr. L. aus dem Jahr 2005 ist davon die Rede, die Klägerin habe einige Wochen zuvor eine antidepressive
Therapie selbstständig abgesetzt, was er für kontraproduktiv halte. Der behandelnde Psychiater Dr. H. hat in einem Befundbericht
vom 08.08.2007 mitgeteilt, er habe der Klägerin dazu geraten, sich zur stationären Behandlung in das Bezirkskrankenhaus K.
zu begeben. Das aber hat die Klägerin nicht getan. Auch für die Leistungsbeurteilung von Dr. J. sind die bei weitem nicht
ausgeschöpften Therapiemöglichkeiten von maßgebender Bedeutung gewesen. Dr. C. ist zwar der Meinung, die therapeutischen Möglichkeiten,
die eine ambulante nervenärztliche Behandlung biete, seien ausgeschöpft. Jedoch hat auch sie es für aussagekräftig erachtet,
dass die Klägerin die vom Psychiater vorgeschlagene stationäre Behandlung abgelehnt habe. Eine Psychotherapie in türkischer
Sprache sei am besten geeignet, zur Symptomverbesserung beizutragen. Dass die Klägerin Erfolg versprechende Möglichkeiten,
ihr Beschwerdebild zu verbessern, immer wieder ausgeschlagen hat, spricht gegen einen wirklich starken Leidensdruck. Nachdem
also sowohl hinsichtlich der depressiven Störungen als auch hinsichtlich des Diabetes mellitus eine hinreichende Motivation,
gesund zu werden oder eine Verschlimmerung zu verhüten, fehlt, drängt sich doch der Gedanke auf, dass die Klägerin dem - unzweifelhaft
vorliegenden - Krankheitsgeschehen in gewisser Weise auch etwas Positives abgewinnen kann. Der Senat geht davon aus, dass
für sie ein so genannter sekundärer Krankheitsgewinn besteht (z.B. vermehrte Zuwendung durch die Kinder und Enkelkinder).
Auch das stützt das Begutachtungsergebnis von Dr. C ...
Ebenso wenig vermag das zweifellos gestörte Schmerzempfinden der Klägerin - auch in Zusammenschau mit anderen Krankheiten,
insbesondere der depressiven Störung - eine Erwerbsminderung im Sinn von §
43 SGB VI zu begründen. Dr. C. hat in ihrem Gutachten überzeugend festgestellt, der Tagesablauf der Klägerin sei nicht dem Schmerzerleben
untergeordnet; zu Recht hat sie in diesem Zusammenhang auf deren noch zahlreiche Aktivitäten verwiesen. Zu diesem Ergebnis
ist die Sachverständige auf der Basis eingehender Befragungen zu den täglichen Aktivitäten gelangt. Dabei hat Dr. C. beachtet,
dass allein aus dem Bestehen von Ganzkörperschmerzen, wie sie die Klägerin behauptet, keine Schlüsse auf die quantitative
Leistungsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt gezogen werden dürfen. Vielmehr muss das Schmerzempfinden in einem spezifischen
Wirkungszusammenhang mit den körperlichen Verrichtungen stehen, die im Rahmen einer Beschäftigung anfallen. Im Urteil vom
20.05.2009 - L 13 R 361/07 hat der Senat beispielhaft mögliche Wirkungszusammenhänge genannt. Dr. C. hat sich bei ihrer Beurteilung der Leistungsfähigkeit
zutreffend an diesen Kriterien orientiert. Bei Dr. S. vermisst man eine ähnlich differenzierte Betrachtung. Dieser hat aus
dem Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung ohne objektivierbare und verifizierbare Begründung auf ein nahezu aufgehobenes
Leistungsvermögen geschlossen. Dabei hat er versäumt, individuell und konkret festzustellen, inwieweit bestimmte gesundheitliche
Defizite, auch Schmerzen, sich auf das berufliche Leistungsvermögen auswirken. Das führt letztlich dazu, dass seine Einschätzung
der Leistungsfähigkeit nicht überzeugt.
Überdies büßen die gutachterlichen Aussagen des Dr. S. viel an Überzeugungskraft dadurch ein, dass er in dem kurz vor der
mündlichen Verhandlung nachgeschobenen Befundbericht zwar nur eine somatoforme Schmerzstörung und eine Dysthymie diagnostiziert,
gleichwohl aber seine Einschätzung des quantitativen Leistungsvermögens auf unter drei Stunden täglich wiederholt hat. Das
erscheint dem Senat nicht miteinander zu vereinbaren. Höchst widersprüchlich ist auch, dass Dr. S. im Gutachten dramatische
psychische Befunde mitgeteilt, diese aber im aktuellen Befundbericht als bloße Dysthymie deklariert hat.
Auch wenn es letztlich in die Bewertung durch den Senat nicht eingeflossen ist, so erscheint doch irritierend, was Dr. S.
dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Schreiben vom 06.04.2010 (Bl. 162 der LSG-Akte) als Postskriptum hinterlassen
hat: "Ich danke Ihnen für die langjährige gute Zusammenarbeit. Ich bin jederzeit bereit, als Gutachter für Sie und Ihre Klienten
tätig zu werden." Es muss daran erinnert werden, dass auch der Gutachter nach §
109 SGG der Objektivität, Neutralität und der Wahrheitsfindung verpflichtet ist. Nach dem Gesetz gibt es keine "Zusammenarbeit" des
Gutachters - schon gar keine "langjährige" - mit der Klägerseite und kein Tätigwerden "für" den Kläger. Zu Sinn und Zweck
von §
109 SGG scheinen auf Seiten des Dr. S. Missverständnisse zu bestehen.
Auch die Schlafapnoe vermag keine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu bewirken. Dabei bedarf keiner Erörterung,
wie sich eine nicht therapierbare Schlafapnoe auf die Erwerbsfähigkeit auswirken würde. Denn Dr. C. hat in ihrer ergänzenden
Stellungnahme bemerkt, dass der Versuch im Schlaflabor ein Erfolg gewesen ist. Mit der Überdruckmaske könnte dem Problem also
wirksam beigekommen werden. Wie der Bericht des Schlaflabors vom 29.12.2009 dokumentiert, hat diese so genannte CPAP-Therapie
zu einer suffizienten Unterdrückung von Atempausen geführt. Dr. M. hat deshalb empfohlen, die Klägerin solle die Maskentherapie
zu Hause konsequent jede Nacht fortführen. Dr. C. hat mitgeteilt, dass Gewöhnungsprobleme eventuell mit Reha-Maßnahmen überwunden
werden können. Die Prognose ist daher gut, eine entsprechende Compliance der Klägerin vorausgesetzt. Es bestehen keinerlei
Anhaltspunkte, die CPAP-Therapie könnte im vorliegenden Fall scheitern. Bezeichnender Weise hat die Klägerin keinen negativen
Bericht des Dr. M. vorgelegt, obwohl zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die dreimonatige Erprobungsphase (mit nachfolgender
ambulanter Kontrolle der geräteinternen Compliancedaten sowie des Maskensitzes) bereits beendet war. Vor Dr. S. hat die Klägerin
im April 2010 lediglich geäußert, sie störe das Geräusch der Atemmaske. Dieses Problem ist ohne Zweifel überwindbar, und sei
es mit Hilfe von medizinischen Reha-Maßnahmen. Bei dieser Sachlage hat für den Senat keine Veranlassung bestanden, wegen der
Schlafapnoe weiter zu ermitteln.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nicht vor,
so dass man auch auf diesem Weg nicht zu einer Erwerbsminderung im Sinn von §
43 SGB VI gelangt. In diesen Fällen besteht ausnahmsweise eine Benennungspflicht, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich
leistungsgeminderten Versicherten schlechthin keine Arbeitsstelle bereit hält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass
es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte
in einem Betrieb einsetzbar ist (BSGE 80, 24 (34); BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R). Die qualitativen Leistungseinschränkungen, die bei der Klägerin bestehen, bleiben in ihrer Zahl und Qualität hinter dem
zurück, was als Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen einzustufen wäre. Der insulinpflichtige Diabetes mellitus
ist nicht geeignet, eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zu bewirken. Denn die Erkrankung versperrt keineswegs ein
weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten (BSGE 81, 15 (18); BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R). Laut Bericht des Diabetes Zentrums Bad M. erfolgen sowohl die Messungen als auch die Insulingaben dreimal am Tag jeweils
zu den Hauptmahlzeiten. Das bedeutet, dass die arbeitsüblichen Pausen hierfür ausreichen. Das hat auch Dr. C. bestätigt. Unabhängig
davon wäre der Arbeitsmarkt sogar dann, wenn zwei zusätzliche Arbeitspausen mit einer Dauer von jeweils unter 15 Minuten notwendig
wären, nicht verschlossen (Senatsurteil vom 18.02.2009 - L 13 R 558/07).
Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§
240 SGB VI) scheidet aus, weil die Klägerin angesichts ihrer bisherigen Tätigkeit, die dem Bereich der ungelernten Berufe zuzuordnen
ist, keinen Berufsschutz genießt. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der ungelernten Arbeiter ergibt sich aus der im Widerspruchsverfahren
eingeholten Arbeitgeberauskunft.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin auch vor dem Bayerischen Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.