Anfechtung eines Prozessvergleichs im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit beim Sozialgericht Landshut (SG) mit dem Az. S 2 R 1351/05 A durch den am 27. Juni 2007 vor dem SG geschlossenen Vergleich beendet wurde.
Der 1948 geborene Kläger, kroatischer Staatsangehöriger, hat keinen Beruf erlernt. Er war zunächst von März 1964 bis Dezember
1970 in Kroatien u.a. als Arbeiter in der Holzindustrie, Bauarbeiter/Hilfsarbeiter tätig. Nach seinem Zuzug in das Bundesgebiet
war er von Juli 1971 bis Juni 1984 als Metallarbeiter und Schweißer versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss an seine
Rückkehr nach Kroatien war er von August 1985 bis Dezember 1997 als Lagerarbeiter beschäftigt.
Der Kläger begehrte mit Antrag vom 5. Juni 2000 die Gewährung von Rente wegen Erwerbs-/Berufsunfähigkeit von der Beklagten.
Die Beklagte holte diverse Befundberichte aus Kroatien sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. R. vom 20.
Mai 2003 ein, die dem Kläger noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigte.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Januar 2005 den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Beim Kläger
liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vor. Der hiergegen erhobene Widerspruch
wurde nach Beiziehung weiterer Befundberichte mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2005 zurückgewiesen.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage zum SG verwies der Kläger insbesondere darauf, die Begutachtung durch die kroatische Invalidenkommission in Z. habe volle Erwerbsminderung
bestätigt. Er legte mit Schreiben vom 27. März 2007 eine Bescheinigung der kroatischen Anstalt für Arbeitsbeschaffung vor,
wonach der Kläger seit 16. Dezember 1997 und weiterhin in der Evidenz der Arbeitslosen geführt werde. In der Bescheinigung
werden vom Kläger bezogene Geldleistungen für die Jahre 2004 und 2005 aufgeführt.
Das SG Landshut erhob Beweis durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens von Dr. B. und eines sozialmedizinischen Gutachtens
von Dr. T. jeweils vom 25. Juni 2007. Dr. B. stellte beim Kläger ein organisches Psychosyndrom, eine Angst- und depressive
Störung, gemischt, HWS- und LWS-abhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle, einen Diabetes mellitus sowie
eine arterielle Hypertonie fest. Der Kläger könne seit Rentenantragstellung noch leichte Arbeiten ohne besondere Anforderungen
an die nervliche Belastbarkeit, besonderen Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht, schweres Heben und Tragen von Lasten sowie
ohne Zwangshaltungen vollschichtig verrichten. Mit Zunahme der psychischen Gesundheitsstörungen sei das Leistungsvermögen
des Klägers allmählich abgesunken. Seit spätestens Januar 2007 könne der Kläger täglich nur mehr weniger als 3 Stunden arbeiten.
Auch Dr. T. attestiert dem Kläger ab Januar 2007 nur noch ein Leistungsvermögen von weniger als 3 Stunden.
In der anschließenden mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27. Juni 2007 schlossen die Beteiligten nach Erörterung der Sach- und Rechtslage folgenden Vergleich:
I. Die Beklagte erklärt sich bereit, bei dem Kläger den Eintritt der vollen Erwerbsminderung im Januar 2007 anzuerkennen.
II. Rente wegen voller Erwerbsminderung wird ab 1. Februar 2007 geleistet, soweit der Kläger der Beklagten eine Bescheinigung
des Arbeitsamtes vorlegt, aus der ersichtlich ist, dass der Kläger ab 1. Januar 1998 Leistungen vom Arbeitsamt bezieht.
III. Die Beteiligten gehen davon aus, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist.
Dieser Vergleich wurde ausweislich der Niederschrift vorgelesen, von der anwesenden Dolmetscherin übersetzt und von den Beteiligten
genehmigt.
Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 machte der Kläger geltend, er habe eine Bescheinigung des Arbeitsamtes, aus der ein Leistungsbezug
ab 1. Januar 1998 ersichtlich sei, bereits im Februar 2005 übermittelt. Auf das Schreiben an das SG vom 27. März 2007 werde hingewiesen. Anfang Juli 2007 habe der Kläger dessen ungeachtet der Beklagten Bescheinigungen des
Arbeitsamtes vom 18. Februar 2004, 6. Dezember 2005 und 28. Juni 2007 übermittelt. Der Kläger habe jedoch immer noch keinen
Rentenbescheid erhalten. Unter diesen Umständen halte sich der Kläger nicht mehr an den Vergleich vom 27. Juni 2007 gebunden,
weil er durch den Gerichtsvergleich betrogen worden sei. Der Kläger verfüge als Hilfsarbeiter über keine Sach-, Sprach- und
Rechtskenntnisse. Die Gerichtssachverständigen hätten festgestellt, dass er minderbegabt, von äußerst niedriger Intelligenz
und und psychisch krank sei. Obwohl der Kläger im Rechtstreit erfolgreich gewesen sei, fehle eine Kostenentscheidung dem Grunde
nach. Es werde beantragt, das Verfahren vor dem SG fortzusetzen und dem Kläger ab Antragstellung bis 28. Februar 2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und ab 1. März
2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2008 erhielt der Kläger in Ausführung des Vergleichs vom 27. Juni 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung
ab 1. Februar 2007. In der Folge verwies der Kläger darauf, der Bescheid sei für ihn unakzeptabel, rechtswidrig sowie medizinisch
und rechtlich unhaltbar. Das Verfahren sei bereits seit acht Jahren anhängig. Er erwarte die Fortsetzung des Verfahrens und
ein Urteil des Gerichts. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, den Inhalt und die Folgen eines Gerichtsvergleichs zu verstehen,
obwohl der gesundheitliche Zustand des Klägers aufgrund der Gutachten dem Gericht bekannt sein musste. Die Niederschrift der
Verhandlung vom 27. Juni 2007, in welcher stehe, dass dem Kläger in etwa 10 min mehr als 50 Seiten der medizinischen Gutachten
übersetzt worden seien, sei gefälscht worden. Die Beklagte habe sich bereit erklärt, den Eintritt der vollen Erwerbsminderung
im Januar 2007 anzuerkennen, obwohl die gerichtlichen Sachverständigen den Eintritt der vollen Erwerbsminderung spätestens
ab 1. Januar 2007 bestätigt hätten. Nicht verständlich sei, dass die Rente ab 1. Februar 2007 geleistet werde sowie das Fehlen
einer Kostenentscheidung. Auch der Umstand, dass der Kläger eine Bescheinigung des Arbeitsamtes vorlegen sollte, obwohl eine
solche der Beklagten bereits vorlag, sei nicht nachvollziehbar.
Im Tenor des Gerichtsbescheids vom 20. August 2008 stellte das SG fest, dass der Rechtsstreit durch den am 27. Februar 2007 geschlossenen Vergleich beendet wurde. Zur Begründung ist ausgeführt,
die Klage sei unzulässig. Das Streitverfahren sei durch den gerichtlichen Vergleich vom 27. Juni 2007 wirksam beendet worden.
Anhaltspunkte, dass der Kläger nicht prozessfähig sei, ergäben sich nicht. Der Kläger sei weder durch einen Betreuer noch
durch einen Pfleger vertreten. In der mündlichen Verhandlung habe der Zustand einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit
nicht festgestellt werden können. Er sei auch in der Lage gewesen, alleine von seiner Heimatstadt in Kroatien nach Landshut
zu fahren. In der mündlichen Verhandlung hätten sich keine Hinweise auf eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers ergeben. Anfechtungsgründe
lägen nicht vor. Auch sei die Anfechtung nicht unverzüglich nach Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erfolgt.
Mit der hiergegen erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Kläger sei nicht im Stande, Inhalt und
Folgen des Gerichtsvergleichs zu verstehen.
Mit Beschluss vom 20. April 2009 wurde die Berufung dem Berichterstatter übertragen. Der Senat hat ein psychiatrisches Gutachten
nach Aktenlage von Dr. B. vom 3. August 2009 zu der Frage eingeholt, ob der Kläger im Juni 2007 prozessfähig war. Dies wurde
von Dr. B. bejaht.
Mit Schriftsatz vom 30. September 2009 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers, den Gerichtsbescheid des SG vom 20. August 2008 aufzuheben und den Rechtsstreit vor dem SG unter dem Az. S 2 R 1351/05 A fortzusetzen. Der Kläger könne sich auf eine wirksame Anfechtung berufen. Diese sei mit Schreiben vom 8. Oktober 2007 erfolgt.
Zudem werde nochmals eine Anfechtung des Vergleichs im Hinblick auf den Rentenbeginn zum 1. Februar 2007 erklärt. Der Kläger
habe die Vorstellung gehabt, er erhalte mit dem Vergleich einen Anspruch auf eine sofortige Rentenzahlung ohne Erfüllung weiterer
Bedingungen. Außerdem habe er die Formulierung, er erhalte eine Rente ab 1. Februar 2007, dahingehend verstanden, dass er
spätestens im Monat der Verhandlung die laufende Zahlung und die Nachzahlung erhalten werde. Dem Kläger sei nicht verständlich
gewesen, dass die von ihm vorgelegte Bescheinigung des Arbeitsamtes vom 6. Dezember 2005 nicht genügend gewesen sei und deshalb
die Rentenzahlung an die Beibringung einer weiteren Bescheinigung geknüpft worden sei. Der Kläger hätte den Vergleich nicht
abgeschlossen, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass er mit diesem die sofortige Rentenzahlung nicht erreichen konnte. Es sei
ihm primär darum gegangen, nun so schnell wie möglich Zahlungen zu erhalten. Den Inhalt des Vergleichs habe er nicht verstanden.
Auch habe sich der Kläger darüber geirrt, dass er mit Abschluss des Vergleichs eine Rentenzahlung mit Beginn vor dem 1. Februar
2007 nicht mehr erreichen konnte. Er sei der Meinung gewesen, es handele sich bei der angebotenen Leistung um eine vorläufige
Rente. Auch hätte er das Angebot nicht angenommen, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass der Prozessvergleich nicht anfechtbar
ist. Mit der Erledigterklärung habe er ausschließlich die Vorstellung verbunden, hierdurch komme es zu einer schnelleren Leistung
der Beklagten. Es handele sich hierbei um einen ausnahmsweise beachtenswerten Motivirrtum. Der Kläger habe Auffassungsund
Konzentrationsschwierigkeiten. Das Gericht hätte dem Kläger in seiner prozessualen Fürsorgepflicht auch einen Prozessbevollmächtigten
von Amts wegen beiordnen müssen. Nach dem Gutachten sei auch ein früherer Rentenbeginn als der 1. Februar 2007 in Betracht
gekommen.
In der mündlichen Verhandlung am 25. Februar 2010 ist für den Kläger niemand erschienen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20. August 2008 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Fortsetzung des Verfahrens,
S 2 R 1351/05 A an das Sozialgericht Landshut zu verweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die vom Senat beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Senat konnte entscheiden, obwohl für den Kläger in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Der Kläger wurde
in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch in seiner Abwesenheit mündlich verhandelt, Beweis erhoben und entschieden werden
kann.
Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den vor dem Sozialgericht Landshut geschlossenen Vergleich wirksam
beendet worden ist. Es ist nur eine offenbare Unrichtigkeit des Tenors des Gerichtsbescheids des SG zu korrigieren. In diesem liegt ein Schreibfehler vor, da dort festgestellt wird, der Rechtsstreit sei durch den am 27. Februar
2007 geschlossenen Vergleich beendet worden. Der Vergleich ist jedoch am 27. Juni 2007 geschlossen worden. Das Berufungsgericht
ist in entsprechender Anwendung des §
138 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) berechtigt, derartige offenbare Unrichtigkeiten in einem angefochtenen Urteil im Rahmen seiner Entscheidung über das Rechtsmittel
zu berichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2008, Az. 7/12 RAr 73/76, in Juris). Einer vorherigen Anhörung der Beteiligten bedurfte es nicht, da es sich hier um eine reine Formalie handelt und
die Rechte der Beteiligten nicht beeinträchtigt werden können (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl.,§
138 Rdn. 4). Dessen ungeachtet hat der Senat in der mündlichen Verhandlung auf diesen Umstand hingewiesen.
Bei dem von den Beteiligten am 27. Juni 2007 vor dem SG abgeschlossenen Vergleich handelt es sich um einen Prozessvergleich gemäß §
101 Abs.
1 SGG. Hierin ist bestimmt, dass die Beteiligten zur Erledigung des geltend gemachten Anspruchs vor Gericht einen Vergleich schließen
können, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Eine Definition des Vergleichs findet sich nicht im
SGG, jedoch in §
779 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB. Danach handelt sich dabei um einen Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis
im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (§
779 Abs.
1 BGB). Einen derartigen Prozessvergleich haben die Beteiligten am 27. Juni 2007 abgeschlossen. Ein gegenseitiges Nachgeben liegt
einerseits in der Anerkennung des Eintritts des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung im Januar 2007 durch die Beklagte
und andererseits darin, dass der Kläger von seinem Begehren einer Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bereits ab Antragstellung
Abstand genommen hat.
Der gerichtliche Vergleich hat eine Doppelnatur. Er ist einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine
Prozesshandlung der Beteiligten, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet (vgl. §§
185,
195,
199 Abs.
1 Nr.
3 SGG). Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann darauf beruhen, dass entweder zum Abschluss des Vergleichs notwendige
Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen worden sind oder der materiell-rechtliche Vertrag etwa auf Grund einer wirksamen
Anfechtung nichtig ist (vgl. Urteil des BSG vom 17. Mai 1989, Az. 10 R KG 16/88, in juris).
Der abgeschlossene Vergleich ist prozessual wirksam. In der mündlichen Verhandlung sind von den Beteiligten entsprechende
Willenserklärungen zum Abschluss eines Prozessvergleichs abgegeben worden. Der Vergleich wurde zur Niederschrift des Gerichts
geschlossen (§§
101 Abs.
1,
122 SGG i. V. m. §
160 Abs.
3 Nr.
1 Zivilprozessordnung -
ZPO). Der protokollierte Vergleich wurde von der Urkundsbeamtin noch einmal vorgelesen, von der Dolmetscherin in das Kroatische
übersetzt und von den Beteiligten und damit auch vom Kläger genehmigt (vgl. §
162 ZPO). Die Niederschrift wurde sowohl von der Vorsitzenden als auch von der Urkundsbeamtin unterzeichnet.
Der Kläger war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs auch unbeschränkt prozessfähig (§
71 Abs.
1 SGG). Für den Kläger als kroatischer Staatsangehöriger ist gemäß Art. 7 Einführungsgesetz zum
BGB -
EGBGB - insoweit das Heimatrecht maßgebend. Besteht danach Prozessunfähigkeit, wird Prozessfähigkeit gemäß §
71 Abs.
6 SGG in Verbindung mit §
55 Zivilprozessordnung -
ZPO fingiert, soweit der Kläger nach dem deutschen Recht des Prozessgerichts prozessfähig ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
§ 71 Rn. 4). Es kann damit dahinstehen, ob der Kläger nach kroatischem Recht prozessunfähig ist oder nicht. Jedenfalls war
der Kläger zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses nach deutschem Recht prozessfähig, weil er als Volljähriger voll geschäftsfähig
ist (§
2 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB -) und im Rechtsstreit nicht durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten worden ist (§
71 Abs.
6 SGG i.V.m. §
50 ZPO). Eine Prozessunfähigkeit resultiert auch nicht daraus, dass sich der Kläger nicht nur vorübergehend in einem die freie Willensbildung
ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat (§
104 Nr. 2
BGB). Dies ergibt sich aus dem den Senat überzeugenden Gutachten von Dr. B ... Danach bestand beim Kläger nicht ein Zustand krankhafter
Störung der Geistesfähigkeit, der die freie Willensbestimmung ausschließt und seiner Natur nach nicht nur vorübergehend ist.
Nach den Feststellungen von Dr. B. lag beim Kläger keine endogene Psychose, keine Wahnerkrankung mit Verkennung der Realität
und kein Suchtleiden vor. Einschränkungen in der Urteils- und Kritikfähigkeit bestanden nicht. Für den Senat gibt es auch
keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Zustand von Prozessunfähigkeit nach Vergleichsabschluss eingetreten sein könnte. Dies
wird auch nicht von Seiten des Klägers geltend gemacht, sondern vielmehr im Schriftsatz vom 30. September 2009 ein Fortbestand
der Prozess- und Geschäftsfähigkeit geltend gemacht.
Der wirksam abgeschlossene Prozessvergleich ist auch materiell rechtlich wirksam. Der Vergleich ist weder aufgrund einer wirksamen
Anfechtungserklärung von Anfang an nichtig (vgl. §
142 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB) noch ist er aus sonstigen Gründen materiell-rechtlich unwirksam.
Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 hat der Kläger erklärt, er fühle sich nicht mehr durch den Vergleich gebunden, da er durch
diesen betrogen worden sei. Er verwies zur Begründung insbesondere auf die lange Verfahrensdauer und den Umstand, dass der
Vergleich noch nicht ausgeführt worden sei. Er verfüge über keine Sach-, Sprach- und Rechtskenntnisse. Außerdem sei er minderbegabt
und seelisch krank. Dies lässt sich zum einen als Hinweis auf eine eventuell bestehende fehlende Geschäftsfähigkeit des Klägers
und zum anderen als Anfechtungserklärung aufgrund einer arglistigen Täuschung gemäß §
123 BGB interpretieren. Gemäß §
123 Abs.
1 BGB besteht ein Anfechtungsrecht für denjenigen, der zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich
durch Drohung bestimmt worden ist.
An der Geschäftsfähigkeit des Klägers bestehen jedoch aufgrund des Gutachtens von Dr. B. keinerlei Zweifel mehr. Die erfahrene
Gerichtssachverständige hat insoweit auch ausdrücklich klargestellt, dass der Kläger trotz seiner intellektuellen Defizite
grundsätzlich in der Lage war, die rechtlichen Fragestellungen in der mündlichen Verhandlung im Juni 2007 nach Übersetzung
durch die anwesende Dolmetscherin zu verstehen. Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass die Angaben der beteiligten
Dolmetscherin zutreffen, sie habe dem Kläger vor Beginn der mündlichen Verhandlung die Gutachten der ärztlichen Sachverständigen
übersetzt. Die Annahme einer "Fälschung" der Sitzungsniederschrift entbehrt jeglicher Grundlage. Auch für eine arglistige
Täuschung oder widerrechtliche Drohung (durch wen?) gibt es keine Hinweise und Belege.
Eine Anfechtung aus einem der in §
119 Abs.
1,
2 BGB genannten Gründe wird in diesem Schreiben nicht erklärt. Soweit ein Vergleich angefochten wird, muss hinreichend klar sein,
dass der Vergleich gerade aufgerund eines Irrtums im Erklärungsakt, eines Inhaltsirrtums oder eines Irrtums über verkehrswesentliche
Eigenschaften einer Sache oder einer Person nicht mehr gelten soll. Der bloße Unwille über eine in den Augen des Klägers schleppende
Sachbearbeitung durch die Beklagte stellt keinen ein Anfechtungsrecht vermittelnden Irrtum iSd §
119 Abs.
1,
2 BGB dar. Nur am Rande sei hier bemerkt, dass eine schleppende Bearbeitung durch die Beklagte nicht vorliegt. Die vom Kläger im
Verwaltungsverfahren bzw. Verfahren vor dem SG eingereichten Bescheinigungen der kroatischen Anstalt für Arbeitsbeschaffung bestätigen nur einen Bezug von Leistungen für
Arbeitslose für die Jahre 2004 und 2005, nicht jedoch bereits ab Januar 1998. Der Nachweis eines Leistungsbezugs ab Januar
1998 war jedoch erforderlich, damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Auch das mit Schreiben vom 8. Oktober 2007 bemängelte Fehlen einer Kostenregelung dem Grunde nach führt nicht zu einer Unwirksamkeit
des Vergleichs. Dies folgt aus §
195 SGG. Wird der Rechtstreit durch gerichtlichen Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen,
so trägt nach dieser Bestimmung jeder Beteiligte seine Kosten. Angesichts des Umstands, dass der Kläger nicht durch einen
Prozessbevollmächtigten vertreten war und ihm die Reisekosten erstattet wurden, ist für den Senat auch nicht ersichtlich,
inwiefern der Kläger durch das Fehlen dieser Kostenentscheidung beschwert sein sollte.
In den Schreiben des Klägers vom 23. Mai 2008 und 20. Juni 2008 sind ebenfalls keine Anfechtungserklärungen enthalten. Aus
ihnen ergibt sich nicht, dass der Kläger aufgrund eines Irrtums nicht mehr an dem Vergleich festhalten will. Vielmehr werden
nur weitere aus der Sicht des Klägers bestehende Mängel des Vergleichs beschrieben (Eintritt der vollen Erwerbsminderung im
Januar 2007, obwohl die gerichtlichen Gutachten den Eintritt der vollen Erwerbsminderung spätestens ab 1. Januar 2007 ausdrücklich
bestätigt hätten, Rentenbeginn ab 1. Februar 2007).
Die Abgabe einer Anfechtungserklärung unter Berufung auf §
119 Abs.
1 und
2 BGB erfolgte jedoch ausdrücklich durch Schreiben der damaligen Bevollmächtigten des Klägers vom 30. September 2009. Hierin wird
erstmals geltend gemacht, der Kläger habe die Vorstellung gehabt, er erhalte mit dem Vergleich einen Anspruch auf eine sofortige
Rentenzahlung ohne Erfüllung weiterer Bedingungen. Auch habe er die Formulierung, er erhalte eine Rente ab 1. Februar 2007
dahingehend verstanden, dass er spätestens im Folgemonat der Verhandlung die laufende Zahlung und die Nachzahlung erhalten
werde.
Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, die Prozessbevollmächtigte sei auch zur Abgabe von Anfechtungserklärungen
bevollmächtigt - in der an das Gericht übersandten Vollmacht fehlen insoweit Ausführungen -, kann hierin eine wirksame Anfechtungserklärung
schon deshalb nicht gesehen werden, weil diese nicht unverzüglich im Sinne des §
121 BGB erfolgt ist. Gemäß §
121 S. 1
BGB muss die Anfechtung in den Fällen des §
119 BGB ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt
hat. Die Geltendmachung dieser angeblichen Irrtümer ist mehr als zwei Jahre nach Abschluss des Vergleichs und mehr als ein
Jahr nach Erlass des Ausführungsbescheids erfolgt. Schon zeitlich deutlich vor Erlass des Ausführungsbescheids muss dem Kläger
klar gewesen sein, dass durch den abgeschlossenen Vergleich eine sofortige Rentenzahlung ohne Erfüllung weiterer Bedingungen
nicht zu erreichen ist. Auch wenn man dem Kläger sicherlich eine gewisse Zeit zur Überlegung und Konsultation von Rechtsbeiständen
einräumen muss, kann bei einem derartigen zeitlichen Ablauf nicht mehr von einer unverzüglichen Anfechtung die Rede sein.
Im übrigen ist für den Senat auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands des Klägers angesichts des klaren und eindeutigen
Wortlauts des Vergleichs nicht nachvollziehbar, dass der Kläger derartigen Irrtümern unterlegen wäre. Aus dem Vergleichtext
geht unzweideutig und auch für juristische Laien leicht verständlich hervor, dass der Kläger eine Bescheinigung des Arbeitsamtes
vorzulegen hat, aus der der Bezug von Leistungen vom Arbeitsamt seit 1. Januar 1998 hervorgeht. Dass diese einige Zeit in
Anspruch nehmen kann, liegt auf der Hand.
Mit Schriftsatz vom 30. September 2009 wurde ferner die Anfechtung erklärt, weil der Kläger darüber geirrt habe, dass er mit
Abschluss des Vergleichs eine Rentenzahlung mit Beginn vor dem 1. Februar 2007 nicht mehr erreichen konnte. Er sei der Meinung
gewesen, es handele sich bei der angebotenen Leistung um eine vorläufige Rente. Auch insoweit gilt, dass die auf diesen angeblichen
Irrtümer gestützte Anfechtung nicht unverzüglich erklärt wurde. Spätestens ab Zugang des Ausführungsbescheids der Beklagten
im Mai 2008 war offensichtlich, dass die Rente erst ab 1. Februar 2007 bezahlt wird. Eine hierauf basierende Anfechtung im
September 2009 ist nicht mehr unverzüglich. Im Übrigen ist auch insoweit für den Senat nicht nachvollziehbar, dass ein entsprechender
Irrtum des Klägers vorgelegen haben soll. Die behauptete Annahme, es handele sich um eine vorläufige Rente, hat in dem Vergleichstext
keinerlei Anknüpfungspunkte, die diesen Irrtum für den Senat verständlich machen würde.
Im Schriftsatz vom 30. September 2009 hat der Kläger ferner den Irrtum geltend gemacht, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass
der Prozessvergleich im Gegensatz zu einer gerichtlichen Entscheidung nicht anfechtbar sei. Er hätte eine Beendigung des Rechtsstreits
nicht gewollt, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass der Rechtsstreit nicht fortgesetzt werden konnte, um seine weiteren Ansprüche
durchzusetzen. Ein derartiger Irrtum - unterstellt, er hat tatsächlich vorgelegen - berechtigt den Kläger nicht zur Anfechtung.
Denn hierbei handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum über eine nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolge
des abgeschlossenen Vergleichs (vgl. hierzu etwa BGHZ 70, 48, in juris). Darüber hinaus ist auch insoweit die Anfechtungserklärung eindeutig nicht unverzüglich erfolgt. Dieser angebliche
Irrtum wurde erst im Rahmen des Berufungsverfahrens offen gelegt, während des gesamten Anfechtungsverfahrens vor dem SG war hiervon nie die Rede. Gegen das Vorliegen derartiger Fehlvorstellungen des Klägers spricht auch, dass diese erst drei
Jahre nach Vergleichsabschluss vorgetragen werden.
Schließlich ist der Vergleich auch nicht gemäß §
779 Abs.
1 BGB unwirksam. Dies ist dann der Fall, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der
Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würden.
Es handelt sich hierbei um einen Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, der durch einen beiderseitigen Irrtum über
den dem Vergleich zu Grunde gelegten unstrittigen Sachverhalt gekennzeichnet ist. Bei Kenntnis des wirklichen Sachverhalts
wäre der Streit oder die Ungewissheit, die der Vergleich beseitigen wollte, nicht entstanden. Es ist weder vorgetragen noch
für den Senat ersichtlich, dass hier ein beiderseitiger Irrtum über einen unstrittigen Sachverhalt vorgelegen haben sollte.
Nach alledem war die Berufung in der Sache zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§
193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass der Kläger in beiden Rechtszügen erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. §
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.