Anerkennung der Pflegestufe III in der sozialen Pflegeversicherung; grundpflegerischer Zeitaufwand
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III.
Die 1956 geborene Klägerin erhält seit April 1995 Leistungen nach Pflegestufe II. Am 23.08.2006 stellte sie einen Höherstufungsantrag.
In einem Gutachten zur Beurteilung des aktuell neurologischen Status als Ergänzung zum Pflegegutachten vom 05.12.2006 kam
Dr. D. zur Auffassung, eine durch eine langjährig bekannte Encephalomyelitis disseminata begründete Behinderung bestehe. Außerdem
sei eine hirnorganische Wesensänderung mit mangelnder Einsichtsfähigkeit und Fixierung auf "Ödembildung im Bauch und Oberschenkeln"
vorhanden. Seit der letzten fachärztlichen Behandlung im Jahre 2004 in den USA sei die Klägerin nicht mehr fachärztlich untersucht
worden. Im Vergleich zu den Vorbefunden ergäben sich keine wesentlichen Änderungen. Die angebliche Wasseransammlung habe weder
durch deutsche Fachärzte noch durch amerikanische nachgewiesen werden können. Im Vergleich zu den Vorbefunden sei eine relevante
Zunahme der neurologischen Symptomatik nicht festzustellen.
In seinem Gutachten vom 04.01.2007 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) nach Hausbesuch zum Ergebnis,
dass im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von 123 Minuten bestehe. Pflegestufe II werde weiterhin empfohlen. Pflegebegründend
sei eine seit 1986 bekannte Multiple Sklerose mit chonisch progredientem Verlauf und einer Rollstuhlpflichtigkeit außerhalb
des Wohnbereiches. Darüber hinaus bestünden eine hirnorganische Wesensänderung, eine Adipositas und ein Zustand nach Fraktur
des linken Oberarmes.
Mit Bescheid vom 01.03.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Pflegestufe III ab.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. In einem nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 17.04.2007 gelangte der MDK erneut
zum Ergebnis, im Bereich der Grundpflege bestehe ein täglicher Bedarf von 123 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft von
60 Minuten. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2007 wies die Beklagte den Rechtsbehelf zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 31.08.2007 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG). Ein gerichtliches Sachverständigengutachten werde ergeben, dass der erforderliche grundpflegerische Hilfebedarf mindestens
240 Minuten betrage. Eine weitere Begründung erfolgte nicht.
Das SG zog Krankenunterlagen des Krankenhauses Z. und des behandelnden Hausarztes Dr. K. sowie die Akten des Zentrums Bayern Familie
und Soziales bei und ernannte die Internistin und Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen Dr. L. zur ärztlichen Sachverständigen.
Diese kam in ihrem Gutachten vom 10.10.2008 nach Hausbesuch zur Auffassung, im Bereich der Grundpflege bestehe ein täglicher
Bedarf von 123 Minuten. Die Klägerin habe beim Hausbesuch einen sehr selbstständigen Eindruck gemacht und auch ihre Selbstständigkeit
bei der Ganzkörperwäsche, beim Bekleiden und bei der Blasen- und Darmentleerung geschildert. Daraus ergebe sich ein wesentlich
niedrigerer Bedarf im Bereich der Grundpflege als 123 Minuten am Tag. Ausschlaggebend sei aber der tatsächlich notwendige
Hilfebedarf aufgrund der Gesundheitsstörung. Bei der Multiplen Sklerose der Klägerin handle es sich um eine Erkrankung, bei
der es zu Schwankungen im Allgemeinzustand komme und daher trotz der bewundernswerten Selbstdisziplin und Energie der Klägerin
aufgrund der objektiv nachweislichen Beeinträchtigung regelmäßig unterstützende Hilfe erforderlich sei. Insoweit könne der
vom MDK im Gutachten vom Januar 2007 ermittelte Hilfebedarf bestätigt werden. Sowohl die Atemnot als auch die Wasseransammlungen
in den Beinen und im Bauchraum seien berücksichtigt worden, obwohl dies in den Krankenunterlagen nicht eindeutig nachgewiesen
werden konnte. Weder bei den Begutachtungen durch den MDK noch bei der Begutachtung durch Dr. L. sei eine Pflegeperson anwesend
gewesen. Die Klägerin sei nach ihren eigenen Angaben tagsüber alleine zuhause, da der Ehemann in Vollzeit berufstätig sei.
Die Klägerin werde durch ein optimal behindertengerechtes Wohnumfeld unterstützt.
Das SG Landshut wies die Klage mit Urteil vom 13.11.2008 ab. Die Voraussetzungen für Pflegestufe II seien nach dem Gutachten
der gerichtlichen Sachverständigen gerade noch erfüllt. Ein weitergehender grundpflegerischer Bedarf von mindestens 240 Minuten
am Tag als Voraussetzung für die Pflegestufe III werde jedoch unter Berücksichtigung der Gutachten des MDK und des Gutachtens
der gerichtlichen Sachverständigen in keiner Weise erfüllt.
Hiergegen legte die Klägerin am 26.02.2009 Berufung ein. Als Begründung gibt sie an, dass sie in Pflegestufe III einzustufen
sei. Die vorliegenden Gutachten überzeugten nicht.
Der auf Antrag der Klägerin gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. C. erklärte im Gutachten vom 07.12.2009, seit
der letzten Begutachtung im Oktober 2008 durch die Beklagte habe sich eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der
Klägerin ergeben. Der jetzige Zustand sei ab ca. Mai 2009 erreicht. Der Zeitbedarf im Bereich der Körperpflege betrage 100
Minuten, im Bereich der Ernährung 54 Minuten und im Bereich der Mobilität 91 Minuten. Insgesamt bestehe also ein Zeitbedarf
im Bereich der Grundpflege von 245 Minuten. Aufgrund der Unfähigkeit der Klägerin, das Bett alleine zu verlassen, alleine
aufzustehen und auch aufgrund der durch die Spastik ausgelösten erheblichen Problematik sich selbst zu lagern, seien pflegerische
Leistungen auch nachts zu erbringen. Dr. C. wies darauf hin, dass inzwischen auch ein Pflegegutachten des MDK vom 14.10.2009
vorliege. Die dort ebenfalls festgestellten Voraussetzungen zur Anerkennung der Pflegestufe III deckten sich in weiten Teilen
mit denen, die bei der jetzigen Begutachtung festgestellt wurden. Der in dem Gutachten des MDK festgestellte Zeitaufwand von
256 Minuten sei sogar höher, als der Bedarf bei der jetzigen Begutachtung. Diese Abweichungen seien im Rahmen der Schwankungen
der Funktionsstörung bei der Klägerin durchaus zu erklären.
Auf Nachfrage teilte die Beklagte mit, dass der MDK aufgrund eines Verschlechterungsantrages der Klägerin ein weiteres Gutachten
am 16.10.2009 erstellt habe. Hier seien die Voraussetzungen der Pflegestufe III festgestellt worden. Die Beklagte habe deshalb
der Klägerin ab September 2009 Leistungen der Pflegestufe III zur Verfügung gestellt. Dieser Entscheidung lag das Gutachten
des MDK Bayern vom 16.10.2009 zugrunde. Dieser kam für die Körperpflege zu einem Zeitbedarf von 116 Minuten, für die Ernährung
von 35 Minuten und für die Mobilität von 105 Minuten. Der Zeitaufwand für die Grundpflege betrage deshalb 256 Minuten pro
Tag, für die Hauswirtschaft von 60 Minuten pro Tag.
In der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2010 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter
einverstanden.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13.11.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 10.08.2007 aufzuheben und der Klägerin ab 05.09.2006 Leistungen nach Pflegestufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG Landshut die
Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den
Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass die Beklagte aufgrund eines vom MDK Bayern erstatteten Gutachtens vom 16.10.2009
den Anspruch der Klägerin ab August 2009 bereits anerkannt hat. Für den Zeitraum vom 05.09.2006 bis 31.07.2009 ist ein Anspruch
der Klägerin auf Leistungen nach Pflegestufe III nicht nachgewiesen.
Auch das auf Antrag der Klägerin eingeholte Gutachten des Dr. C. vom 07.12.2009 konnte zu keiner anderen Beurteilung der Sach-
und Rechtslage führen. Dr. C. untersuchte die Klägerin im Rahmen eines Hausbesuchs am 05.11.2009. Nach seiner Ansicht entfallen
auf die Grundpflege 245 Minuten. Er geht hierbei von einer kontinuierlichen Verschlimmerung seit dem Gutachten von Dr. L.
vom 10.10.2008 für das Sozialgericht aus. Ohne weitere Begründung nimmt er den jetzigen Stand ab ca. Mai 2009 an. Dieser Zeitpunkt
ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, da insbesondere keine ärztlichen Belege hierfür vorliegen.
Auch die Angaben der Klägerin gegenüber Dr. C. führen nicht weiter. So gab sie bezüglich der Entwicklung befragt an, dass
vor rund einem Jahr die Beweglichkeit wesentlich besser geworden sei. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt auch noch ein weitestgehender
Selbstversorger gewesen. Die Mobilität sei noch deutlich besser gewesen, sie habe jetzt in den letzten Monaten eine deutlich
zunehmende Verschlechterung der Mobilität erlebt.
Hieraus ist zu entnehmen, dass auch die Klägerin selbst ihren Pflegebedarf als kontinuierlich verschlechternd erlebt hat.
Schon Dr. L. wies im Oktober 2008 darauf hin, dass sich im Bereich der Grundpflege nur knapp Pflegestufe II begründen lasse.
Sie ging zu diesem Zeitpunkt von einem Pflegebedarf von 123 Minuten aus. Dies deckt sich mit den Angaben der Klägerin, zum
damaligen Zeitpunkt sei es ihr deutlich besser gegangen.
Die Klägerin kann deshalb nicht beweisen, dass bereits ab Antragstellung (05.09.2006) Pflegestufe III vorgelegen hat. Dagegen
sprechen sämtliche eingeholten Gutachten, insbesondere auch das Gutachten des Dr. C. im Berufungsverfahren. Dieser untersuchte
die Klägerin im November 2009 und bejahte knapp Pflegestufe III. Das Sozialgericht hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG. Die Klägerin hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Zwar hat die Beklagte ab August 2009 den Anspruch der
Klägerin in einem außergerichtlichen Verfahren anerkannt. Dies führt jedoch nicht zur Kostenquotelung. Wenn ein Verwaltungsträger
der Veränderung unverzüglich nach Kenntnis Rechnung trägt, z. B. anerkennt, ist eine Kostenerstattung nicht billig (vgl. Jens
Meyer-Ladewig, §
193 SGG, Rdnr. 12 c m. w. N.).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.