Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren für ein Verfahren auf Kostenübernahme nach § 23 SGB II
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Gotha streitig
(Az.: S 26 AS 2172/07), in dem die von dem Beschwerdegegner vertretene Klägerin die Übernahme der Kosten für einen Elektroherd durch die ARGE Gotha
nach § 23 Abs. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) begehrt hatte. Auf die Klageerhebung bewilligte ihr das Sozialgericht mit Beschluss vom 16. August 2007 ab 13. Juni 2007
Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung ab 16. Dezember 2005 und ordnete den Beschwerdegegner bei. In dem Erörterungstermin
vom 10. Oktober 2007 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, nach dem die Beklagte Kosten für die Erstanschaffung des Herdes
in Höhe von 199,00 Euro übernahm; die außergerichtlichen Kosten wurden gegeneinander aufgehoben.
In seiner Kostenrechnung vom 18. Oktober 2007 machte der Beschwerdegegner einen Betrag von insgesamt 827,05 Euro geltend.
Er begehrte jeweils die Mittelgebühr der Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr sowie die Pauschalen für Post- und Telekommunikation,
Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld. Unter dem 6. November 2007 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die
Zahlung von 446,25 Euro an und führte u.a. aus, die Gebühren seien nur in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr festzusetzen. Umfang
und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien als unterdurchschnittlich und die Bedeutung der Angelegenheit als leicht
unterdurchschnittlich zu bewerten.
Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2010 die Vergütung auf 827,05
Euro festgesetzt und die Mittelgebühr damit begründet, dass sowohl der zeitliche Umfang der Tätigkeit des Beschwerdegegners
als auch die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin als leicht unterdurchschnittlich anzusehen seien. Trotz des vergleichsweise
geringen strittigen Betrags sei davon auszugehen, dass es sich um existenzsichernde Leistungen gehandelt habe. Der Ansatz
der Mittelgebühr für die Terminsgebühr sei angemessen. Beachtlich sei, dass der Beschwerdegegner beim Zustandekommen des Vergleichs
offensichtlich nicht ganz unbeteiligt war und der Zeitumfang von 25 Minuten die Mittelgebühr gerade noch als vertretbar erscheinen
lasse.
Gegen den ihm am 15. Februar 2010 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 19. Februar 2010 Beschwerde eingelegt
und zur Begründung auf seine Erinnerungserwiderung und die Ausführungen der UKB verwiesen.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 1. Februar 2010 aufzuheben und die Vergütung des Beschwerdegegners auf 446,25 Euro
festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 ER und die Entscheidung der Vorinstanz.
Mit Verfügung vom 10. Mai 2010 hat das Sozialgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem erkennenden Senat vorgelegt.
Mit Beschluss vom 26. Mai 2010 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II. Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 256/08 SF; 16. Januar 2009 - Az.: L 6 B 255/08 SF, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Sie ist zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro und sie ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist
der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden.
Die Beschwerde ist teilweise begründet.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der
Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Klägerin, der PKH gewährt worden war, war kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. §
183 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§
197a Abs.
1 S. 1
SGG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG.
Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten
zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm
nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, aaO. m.w.N.; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. November 2008 - Az.: L
6 B 130/08 SF, 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF und 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage 2008, §
73a Rdnr. 13f). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom
12. September 2006 - Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris). Dann erfolgt - wie hier - eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren. Dem Beschwerdeführer
stehen tatsächlich Gebühren in Höhe von 573,16 Euro zu. Die von ihm geltend gemachten 827,05 Euro übersteigen die Toleranzgrenze
von 20 v.H.
1. Zu erstatten ist eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von zwei Dritteln der Mittelgebühr (= 166,66 Euro). Der "Umfang der Tätigkeit" und die "Einkommens- und Vermögensverhältnisse
der Klägerin" waren deutlich unterdurchschnittlich und werden nicht durch andere über dem Durchschnitt liegende Kriterien
kompensiert.
- Der Umfang der Tätigkeit des Beschwerdegegners war im relevanten Zeitraum (13. Juni bis 10. Oktober 2007) im Vergleich zu
anderen sozialgerichtlichen Verfahren deutlich unterdurchschnittlich. Sein objektiv erforderlicher zeitlicher Aufwand (vgl.
BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, aaO.) war gering. Der Beschwerdegegner fertigte keine Schriftsätze; er hatte lediglich den Erörterungstermin
am 10. Oktober 2007 wahrzunehmen. Weitere Arbeiten (z.B. Literaturrecherchen, Lesen der Verwaltungsentscheidung, Beratung
des Mandanten, Aktenstudium) werden nicht vorgetragen und fielen angesichts des Klageschriftsatzes vom 12. Juni 2007 auch
nicht an.
- Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war im Vergleich zum durchschnittlichen Sozialrechtsfall (vgl. BSG; Urteil vom 1. Juli 2009, aaO.; Senatsbeschluss vom 3. April 2009 - Az.: L 6 B 261/08 SF) allenfalls durchschnittlich. Tatsächliche Probleme lagen nicht vor und die Subsumtion eines Anspruchs auf Leistungen
unter die tatbestandlichen Merkmale des einschlägigen § 23 SGB II ohne umfangreiche Beweiswürdigung und eingehende Auseinandersetzung begründet keine mehr als durchschnittliche Schwierigkeit.
- Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin war durchschnittlich. Eine höhere Einstufung ergibt sich nicht automatisch
aus der Geltendmachung eines Anspruchs nach dem SGB II. Das von dem Beschwerdegegner zitierte Urteil des BSG vom 1. Juli 2009 (aaO.) ist für die vorliegende Fallgestaltung nicht einschlägig; insofern kann dahingestellt bleiben, ob
der Urteilsargumentation zu folgen ist. Im Hauptsacheverfahren ging es hier nicht um laufende Leistungen nach dem SGB II und die Sicherstellung des sog. soziokulturellen Existenzminimums, also des statistisch berechneten Werts, der für die Höhe
der Regelsätze des SGB II maßgebend ist.
- Weit unterdurchschnittlich waren die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin; eine Kompensation durch eine überdurchschnittliche
Bedeutung erfolgt nicht.
- Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.
2. Für die getrennt zu prüfende (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. März 2008 - Az.: L 6 B 198/07 SF und 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 - Az.: L 1 B 320/05 SF SK) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist ebenfalls allenfalls ein Ansatz von zwei Dritteln der Mittelgebühr von 200,00 Euro angemessen (= 133,33 Euro). Der zeitliche
Aufwand des Beschwerdegegners lag deutlich unter dem Durchschnitt (nach der Niederschrift dauerte der Termin 25 Minuten),
gleiches gilt für die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin. Die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens waren
allenfalls durchschnittlich; ein Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich. Die Mitwirkung des Beschwerdegegners an dem abgeschlossenen
Vergleich begründet keine Erhöhung der Terminsgebühr. Sie wird eigenständig über Nr. 1006 VV-RVG vergütet.
3. Die Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV-RVG) beträgt ebenfalls zwei Drittel der Mittelgebühr von 190,00 Euro, hier 126,66 Euro.
4. Zusätzlich zu erstatten sind die Pauschalen für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV
RVG) in Höhe von 20,00 Euro, für die Fahrtkosten (Nr. 7003 VV RVG) in Höhe von 15,00 Euro, für Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) in Höhe von 20,00 Euro 50 und die Umsatzsteuer auf die Vergütung (Nr. 7008 VV RVG) in Höhe von 91,51 Euro (19 v.H. auf 481,65 Euro).
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 S. 3 RVG).