Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs- Weiterentwicklungsgesetz – UV-Weiterentwicklungsgesetz)

22.03.2024 opener

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. (DSGT) dankt für die die Gelegenheit, sich im Rahmen der Anhörung zum Gesetzesvorhaben zu beteiligen.

Wir regen zunächst an, zukünftigen Gesetzesvorhaben eine Synopse oder ähnliche Übersicht der Änderungen beizufügen, um die inhaltliche Erfassung und Bewertung der geplanten Änderungen zu erleichtern.

Im Einzelnen nehmen wir wie folgt Stellung:

I.Zusammenfassung

Der DSGT befürwortet im Grundsatz die geplanten Änderungen. Er regt jedoch einige Änderungen und Ergänzungen der in Aussicht genommenen Regelungen gemäß Artikel 1 des Referentenentwurfs an. Im Interesse einer auf das Wesentliche konzentrierten Stellungnahme nehmen wir nur zu diesen Passagen des Referentenentwurfs Stellung.

II.Einzelregelungen

1. Abschnitt 2. a. bb. aaa.: Änderung des § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. c. SGB VII-RefE (Studierende)

Das im Referentenentwurf verwendete Tatbestandsmerkmal der „Tätigkeiten, die für die Erstellung der vorgeschriebenen Studien- und Prüfungsleistungen erforderlich“ sollte im Interesse einer hinreichend deutlichen Abgrenzung des Versicherungsschutzes zumindest auf den Begriff der „Prüfungsleistungen“ beschränkt werden.

Soweit die Begründung zum Referentenentwurf ausführt, die Erstellung der Studienarbeiten in der häuslichen Umgebung bleibe wie bisher vom Versicherungsschutz ausgenommen, erscheint diese Konsequenz keineswegs zwingend. Versicherungsschutz bestünde nach dem Referentenentwurf auch für „Studienleistungen“, die „wegen ihrer Eigenart außerhalb der Hochschule auszuführen sind“. Nach dem Wortsinn ist eine „Studienleistung“ jedoch jede Leistung, die im Rahmen eines Studiums erbracht wird. Damit könnte das häusliche oder sonst außerhalb des Organisationsbereichs der Hochschule – etwa in selbst organisierten Arbeitsgruppen - stattfindende Lernen und Studieren durchaus unter diesen Begriff gefasst werden. Als „Prüfungsleistungen“ werden in Prüfungsordnungen verschiedener Hochschulstudiengänge auch Hausarbeiten, schriftliche Referate und Projekt- oder Praktikumsberichte genannt. In aller Regel können schriftliche Ausarbeitungen gerade nicht in den Räumen der Hochschule angefertigt werden, weil die Hochschulen hierfür im Allgemeinen weder Räumlichkeiten noch die technische Ausstattung zur Verfügung stellen (können). Durch die Verwendung des Begriffs der „Studien- und Prüfungsleistungen“ wird damit – entgegen der in der Begründung des Referentenentwurfs formulierten Absicht – ein weiter, nicht hinreichend abgegrenzter Bereich des Versicherungsschutzes eröffnet. Um Unklarheiten um das Bestehen des Versicherungsschutzes der Studierenden zu vermeiden, sollte insbesondere durch die Herausnahme des Begriffs der „Studienleistungen“ klar gestellt werden, dass das häusliche oder sonst außerhalb des Organisationsbereichs der Hochschule stattfindende Lernen und Studieren einschließlich der Anfertigung von Qualifizierungs-, Haus- und Seminararbeiten auch dann nicht unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hochschule die jeweiligen Aktivitäten bekannt sind und sie diese billigen.

2. Abschnitt 2. a. cc.: Änderung des § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII-RefE (Pflegepersonen)

Der DSGT begrüßt die Änderung, gibt jedoch zu bedenken, dass sie sehr weitreichende Konsequenzen hat, die möglicherweise in diesem Umfang vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sind. Durch den Verzicht auf den Hinweis auf § 19 Satz 2 SGB XI wird jede, auch noch so geringe einem Pflegebedürftigen dienende Handlung unter Versicherungsschutz gestellt. Zwar ist der Begründung des Referentenentwurfs zuzustimmen, dass dem SGB VII auch sonst zeitliche Untergrenzen fremd sind. Allerdings werden bei der sog. Wie-Beschäftigung (§ 2 Abs 2 SGB VII) geringfügige Tätigkeiten vom Versicherungsschutz ausgenommen. § 2 Abs 1 Nr. 17 SGB VII würde auf diese Geringfügigkeitsschwelle für den Bereich der Pflege, die nach dem in Bezug genommenen § 14 SGB XI auch die Verrichtungen im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung umfasst, komplett verzichten.

3. Abschnitt 3. a.: Ergänzung der § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6, Satz 2 SGB VII-RefE (Auslandsbeschäftigte)

Die Ausweitung des Versicherungsschutzes bei Ausübung versicherter Tätigkeiten im Ausland im Hinblick auf die zunehmend fragile Sicherheitslage in einigen Regionen wird begrüßt.

Die vorgesehene Regelung in § 8 Absatz 2 Satz 1 Nummer 6 SGB VII enthält mehrere Abgrenzungskriterien, die die Ausweitung des Versicherungsschutzes über den zu Recht verfolgten Zweck – Schutz bei vom Inland abweichender Sicherheitslage - begrenzen sollen (innerer sowie zeitlicher und räumlicher Zusammenhang der privaten Verrichtungen mit der versicherten Tätigkeit; wesentlich vom Inland abweichende Verhältnisse; Ausschluss bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit).

Es sollte allerdings geprüft werden, ob diese Abgrenzungskriterien weiter geschärft und ergänzt werden können, um die Ausweitung des Versicherungsschutzes zu präzisieren sowie absehbare Auslegungsprobleme zu reduzieren.

Die Einführung des Ausschlusstatbestands der „groben Fahrlässigkeit“ dürfte nicht nur in Einzelfällen zu erheblichen tatsächlichen Problemen führen. Fraglich erscheint bereits, welcher Maßstab anzuwenden ist: ist das individuelle Einsichtsvermögen der/des Versicherten („subjektive Fahrlässigkeit“) maßgeblich oder ein typisierter „objektiver“ Fahrlässigkeitsmaßstab? Der DSGT regt deshalb an, anstelle des Begriffs der groben Fahrlässigkeit den Begriff der „Leichtfertigkeit“ zu wählen. Entsprechendes gilt für § 2 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 und Satz 3 Teilsatz 2 SGB VII.

Zudem werden nicht selten während eines privat veranlassten Auslandsaufenthalts versicherte Tätigkeiten verrichtet (z. B. ein berufliches Telefonat führen, berufliche Tätigkeiten an einem mobilen Arbeitsgerät verrichten u. v. m.). In diesem Fall setzen sich die Betroffenen den besonderen Gefahren im Ausland allerdings nicht aus beruflichen, sondern primär und vorrangig aus privaten Gründen aus. Es besteht daher kein Anlass für die Ausweitung des Versicherungsschutzes für diesen Personenkreis. Dem könnte durch Einfügen der Worte „bei einem durch die versicherte Tätigkeit bedingtem Aufenthalt im Ausland “ Rechnung getragen werden. Vor diesem Hintergrund schlägt der DSGT folgende Fassung vor:

„6. die mit versicherter Tätigkeit zusammenhängenden privaten Verrichtungen bei einem durch die versicherte Tätigkeit bedingtem Aufenthalt in Ausland, sofern die Ursache des Unfalls auf vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse zurückzuführen ist, die versicherte Person sich nicht vorsätzlich oder leichtfertig der Gefährdung ausgesetzt hat und die privaten Verrichtungen in einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit im Ausland stehen.“

4. Abschnitt 7. und 8. a.: Streichung des Wortes „Unterhaltsgeld“ in § 45 Abs. 1 Nr. 2 und § 47 Abs. 2 SGB VII-RefE

Die Änderung wird begrüßt, da es sich auch aus Sicht des DSGT um eine gegenstandslose Bezugnahme auf die §§ 153 ff. SGB III a. F. handelt (vgl. Westermann in jurisPK-SGB VII,

§ 47, Rn. 74; Schur in: Hauck/Noftz, SGB VII, 2. ErgLfg. 2024, § 45 Rn. 13 und § 47 Rn. 48). Zugleich regt der DSGT an, die praktisch ebenfalls gegenstandslose Regelung der § 47 Abs. 1a SGB VII zu streichen (vgl. Schur in: Hauck/Noftz, SGB VII, 2. ErgLfg. 2024, § 47 Rn. 57).

5. Abschnitt 8. b.: Neufassung des § 47 Abs. 8 SGB VII-RefE

Der Änderung wird zugestimmt.

Der DSGT regt an, zugleich auch das Redaktionsversehen im Zusammenhang mit dem JAV zu beseitigen, dass die Neuregelungen über den JAV im Rahmen des 7. SGB IV- Änderungsgesetz in § 8 FRG bislang unberücksichtigt geblieben sind (vgl. Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, 2. ErgLfg. 2024, § 90 Rn. 12).

6. Abschnitt 9.: Verdoppelung des Sterbegelds gemäß § 64 Abs. 1 SGB VII-RefE

Angesichts des bereits 2004 im gesetzlichen Krankenversicherungsrecht und dem Beihilferecht entfallenen Sterbegelds stellt die Erhöhung des Sterbegelds auf 12.120,- Euro (West), 11.880,- Euro (Ost) eine deutliche, im Grundsatz zu begrüßende Leistungsverbesserung dar. Zwar werden Bestattungsaufwendungen in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung mittelbar durch die dreimonatige Fortzahlung der Lebzeitenrente bzw. der Lebzeitenbezüge berücksichtigt. Das Leistungsniveau reicht in der gesetzlichen Unfallversicherung bereits de lege lata darüber hinaus, weil dort - auch bei einer zu Lebzeiten erfolgten Teilrentenzahlung - eine dreimonatige Zahlung der Vollrente ohne Einkommensanrechnung erfolgt (§ 65 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB VII) und zudem Sterbegeld gezahlt wird.

Die Erhöhung des Sterbegelds trägt im Wesentlichen dem Umstand Rechnung, dass die Kosten für eine Bestattung mit Grabmal und Grabanlage stärker als die Bezugsgröße gestiegen und zudem größeren regionalen Schwankungen unterworfen sein dürften. Der DSGT vermag die in der Begründung des Referentenentwurfs genannten durchschnittliche Höhe der Bestattungskosten von 13.000,- Euro nicht vertieft zu prüfen, da die im Referentenentwurf in Bezug genommene Webseite Todesfall-Checkliste.de keine Datengrundlagen für ihre Angaben benennt. Der DSGT geht jedoch mit dem Referentenentwurf insoweit konform, dass von einem durchschnittlichen Gesamtaufwand für die Bestattung, die mit dem Ableben des/der Versicherten verbundenen Formalitäten, die Kosten der Ausrichtung der Trauerfeier, der Anlage einer Grabstätte und der laufenden Grabpflege von über 10.000,- Euro auszugehen sein dürfte, nachdem die durchschnittlichen Bestattungskosten bereits ohne die spätere Grabpflege heute etwa 6.000,- bis 7.000,- Euro betragen dürften (vgl. zur Höhe der durchschnittlichen Bestattungsausgaben etwa www.aeternitas.de/fuer-betroffene/kosten-und-vorsorge/kostenueberblick).

Der DSGT weist darauf hin, dass der die unmittelbaren Bestattungsaufwendungen übersteigende Teil des Sterbegeldes bei den in § 64 Abs. 1 SGB VII genannten Berechtigten, die laufende Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen, anrechenbares Einkommen i. S. der §§ 11 SGB II, 82 SGB XII ist, weil der Anrechnungsausschluss für zweckbestimmte Leistungen (§§ 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II, 83 Abs. 1 SGB XII) diesen Teil nicht erfasst (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Oktober 2018 - L 1 AS 3306/16 -; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz SGB II, Ergänzungslieferung 2024, § 11a SGB 2, Rn. 222).

Ob und ggf. in welchem Umfang dieser Umstand zu vom Gesetzgeber unerwünschten Fehlanreizen oder einer nicht zweckkonformen Mittelverwendung führen kann, vermag der DSGT nicht abzuschätzen und überlässt diese Frage deshalb der sozialpolitischen Diskussion. Sofern eine Anrechenbarkeit als Einkommen vermieden werden soll,

  • müssten entweder die Regelungen des §§ 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II, 83 Abs. 1 SGB XII insoweit geändert werden, dass das Sterbegeld von der Anrechnung als Einkommen insgesamt ausgenommen wird
  • oder das Sterbegeld müsste auf die tatsächlichen Aufwendungen für die Bestattung, die mit dem Ableben des/der Versicherten verbundenen Formalitäten, die Kosten der Ausrichtung der Trauerfeier und der Anlage einer Grabstätte sowie – ggf. pauschalisiert - der laufenden Grabpflege bis zur Höhe von zwei Siebteln der Bezugsgröße beschränkt werden.

Kassel, den 22. März 2024

gez. Michael Löher

Vizepräsident des Deutschen Sozialgerichtstags e.V.

 

Autor: Michael Löher, Vizepräsident des Deutschen Sozialgerichtstags e.V.

Der DSGT befürwortet im Grundsatz die geplanten Änderungen. Er regt jedoch einige Änderungen und Ergänzungen der in Aussicht genommenen Regelungen gemäß Artikel 1 des Referentenentwurfs an. [...] Das im Referentenentwurf verwendete Tatbestandsmerkmal der „Tätigkeiten, die für die Erstellung der vorgeschriebenen Studien- und Prüfungsleistungen erforderlich“ sollte im Interesse einer hinreichend deutlichen Abgrenzung des Versicherungsschutzes zumindest auf den Begriff der „Prüfungsleistungen“ beschränkt werden.

Rubrik:

Schlagwörter: Unfallversicherung, versicherte Tätigkeit, Sterbegeld, Leistungsniveau, Studienleistung, Pflegeleistung, Pflegeperson, Auslandsbeschäftigte