Gründe:
Mit ihrer Klage auf Gewährung von Verletztenrente hatte die Klägerin in erster Instanz keinen Erfolg. Das klageabweisende
Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 15. März 2002 wurde ihrem Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Das von ihm unterschriebene Empfangsbekenntnis
trägt das handschriftlich eingesetzte Datum "24.04.2002". Die Klägerin hat mit einem am Montag, den 27. Mai 2002, beim SG eingegangenen Telefax gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Rechtsmittel durch Urteil
vom 25. Mai 2004 als unzulässig, weil verspätet, verworfen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig. Die Klägerin ist der Meinung, die Berufung sei nicht verspätet,
denn das LSG habe einen falschen Zustellungszeitpunkt zu Grunde gelegt. Das Datum auf dem Empfangsbekenntnis gebe diesen Zeitpunkt
nicht zutreffend wieder. Die Büroangestellte ihres Bevollmächtigten habe auf dem von diesem blanko unterschriebenen Formular
irrtümlich das Datum des Urteilseingangs in der Kanzlei eingetragen. Tatsächlich habe ihr Bevollmächtigter das Urteil jedoch
erst zwei Tage später, am 26. April 2002, zur Bearbeitung entgegengenommen. Dieser Zeitpunkt und nicht derjenige des Eingangs
in der Kanzlei sei für die Zustellung rechtlich maßgebend, wie auch das Bundessozialgericht (BSG) entschieden habe. Mit diesen
Ausführungen rügt die Klägerin sinngemäß, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft statt des beantragten Sachurteils
ein Prozessurteil erlassen und damit gegen §
158 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) verstoßen. Das reicht für die in §
160a Abs
2 Satz 3
SGG geforderte Bezeichnung eines Verfahrensmangels aus, auch wenn in der Beschwerdebegründung weder die verletzte Vorschrift
genannt noch der Verfahrensverstoß korrekt bezeichnet, sondern stattdessen der Versuch unternommen wird, das Ziel einer Revision
der prozessualen Entscheidung des LSG auf dem Umweg über verschiedene Grundsatz-, Divergenz- und Sachaufklärungsrügen zu erreichen.
Die zulässige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das LSG hat die Berufung zu Recht als verspätet angesehen.
Die Berufungsfrist hat am 24. April 2002 zu laufen begonnen, weil das erstinstanzliche Urteil der Klägerin an diesem Tag zugestellt
worden ist. Durch das Empfangsbekenntnis ist bewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Urteil am 24. April
2002 entgegengenommen hat. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des auf dem Empfangsbekenntnis angebrachten Datums ist nicht
erbracht. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes erbringt das datierte und unterschriebene
Empfangsbekenntnis Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt
dieser Entgegennahme. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig; er ist
jedoch nur geführt, wenn die von dem Empfangsbekenntnis ausgehende Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit
ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sind (BSG SozR 3-1500 §
164 Nr 13; BGH LM
ZPO § 212a Nr 29 = NJW 1996, 2514, jeweils mwN; siehe auch BVerfG NJW 2001, 1563). Der Gegenbeweis ist nicht schon dann erbracht, wenn die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben
also nur erschüttert ist.
Der Vortrag der Klägerin ist nicht geeignet, die Unrichtigkeit des auf dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustellungsdatums
zu beweisen. Ihr Bevollmächtigter beruft sich darauf, er habe die Angelegenheit wegen eines auswärtigen Termins am 24. April
2002 und der dadurch aufgelaufenen Rückstände erst zwei Tage später bearbeitet. In der Kanzlei habe die allgemeine Arbeitsanweisung
bestanden, als Zustellungsdatum den Zeitpunkt der erstmaligen Sachbearbeitung in das Empfangsbekenntnis einzutragen, was im
konkreten Fall wegen eines Büroversehens nicht befolgt worden sei. Das ändere aber nichts daran, dass er das Urteil erst am
26. April 2002 mit Empfangswillen entgegengenommen habe. Diesen Ausführungen liegt die rechtlich zutreffende Überlegung zu
Grunde, dass der Rechtsanwalt grundsätzlich selbst den Zeitpunkt bestimmt, zu dem er das mit Empfangsbekenntnis übersandte
Schriftstück als zugestellt annimmt, und dass die Zustellung erst bewirkt ist, wenn der Zustellungsempfänger das Schriftstück
mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt zu behandeln.
Ein Geschehensablauf, der eine Zustellung an dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Tag ausschließt und damit die Unrichtigkeit
des Empfangsbekenntnisses beweist, ist indessen weder dem Beschwerdevorbringen noch der Zeugenaussage des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin vor dem LSG zu entnehmen. Die für die Bestimmung des Zustellungszeitpunkts notwendige Willensentschließung des
Zustellungsempfängers ist nicht an bestimmte äußere Merkmale oder Vorgänge, etwa die Entgegennahme des Schriftstücks, seine
erstmalige Lektüre, die Eintragung von Fristen oder den Beginn der Sachbearbeitung, geknüpft. Sie erfordert nicht einmal,
dass der Betreffende sich mit dem Schriftstück überhaupt befasst, es angesehen oder sich Gedanken über seinen Inhalt gemacht
hat. Es ist deshalb unerheblich, dass der Bevollmächtigte der Klägerin als Zeuge ausgesagt hat, er habe die Eingangspost nach
seiner Rückkehr von dem auswärtigen Termin am Nachmittag des 24. April 2002 nicht mehr durchgesehen. Das schließt es nicht
aus, dass er die an diesem Tag in der Kanzlei eingegangene Post gleichwohl auch ungelesen als zugestellt behandelt wissen
wollte. Da der Zeitpunkt der erforderlichen Willensentschließung, soweit er sich nicht nach außen manifestiert, für einen
Außenstehenden nicht feststellbar ist, kann der Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses nicht allein dadurch erbracht
werden, dass der Zustellungsempfänger, sei es auch als Zeuge im Prozess, später einen abweichenden Zeitpunkt behauptet.
Es mag zutreffen, dass eine unrichtige Datierung des Empfangsbekenntnisses wegen der Abhängigkeit des Zustellungszeitpunkts
von einem inneren Willensentschluss des Zustellungsempfängers nur selten zu beweisen sein wird. Gerade das erfordert eine
besondere Sorgfalt bei der Ausfüllung des Empfangsbekenntnisses. Der Rechtsanwalt kann das Fehlerrisiko dadurch gering halten,
dass er das Datum auf dem Vordruck zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt selbst einträgt. Unterschreibt er wie hier das dem Vorgang
beigefügte Formular blanko und überlässt die Datierung seinem Büropersonal, geht es zu seinen Lasten, wenn sich ein abweichender
Zustellungszeitpunkt nicht nachweisen lässt.
Die Versäumung der Berufungsfrist kann auch nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §
67 Abs
1 SGG geheilt werden; denn sie war nicht unverschuldet. Die Klägerin gibt an, es sei für ihren Prozessbevollmächtigten nicht erkennbar
gewesen, dass seine Büroangestellte auf dem an das Gericht zurückgesandten Empfangsbekenntnis ein anderes Datum eingetragen
habe als auf der Urteilsausfertigung in seiner Handakte, wo der 26. April 2002 als Zeitpunkt der erstmaligen Sachbearbeitung
vermerkt worden sei. Da nach bürointerner Arbeitsanweisung für beide Einträge dasselbe Datum zu verwenden gewesen sei, habe
er davon ausgehen können, dass die Berufungsfrist am Montag, den 27. Mai 2002 ende. Die Richtigkeit dieses Vorbringens unterstellt,
beruht die Fristversäumnis jedenfalls auf einem Organisationsverschulden des Bevollmächtigten.
Dieser hat gegenüber dem LSG angegeben, der Fristenkalender werde in der Kanzlei in der Weise geführt, dass aus Sicherheitsgründen
für die Berechnung und Eintragung aller Fristen der Tag des Eingangs der Entscheidung in der Kanzlei zu Grunde gelegt werde,
auch wenn das Empfangsbekenntnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgefüllt sei. Entsprechend sind, wie er durch Vorlage von
Fotokopien belegt hat, im vorliegenden Fall von der zuständigen Kanzleikraft als Vorfrist der 17. Mai und als Hauptfrist der
24. Mai 2002 in den Kalender eingetragen und zusätzlich handschriftlich auf der Urteilsausfertigung vermerkt worden. Die geschilderte
Verfahrensweise hat zur Folge, dass bei einem vom Eingangsdatum abweichenden Zustellungszeitpunkt der tatsächliche Ablauf
der Berufungsfrist aus dem Fristenkalender nicht ersichtlich ist, sondern aus einem weiteren Vermerk auf der Urteilsausfertigung
erschlossen werden muss, einem Vermerk, den zuvor weder der Rechtsanwalt selbst noch die für die Führung des Fristenkalenders
verantwortliche Kanzleiangestellte mit dem Datumseintrag auf dem Originalempfangsbekenntnis abgeglichen haben. Es liegt auf
der Hand, dass der Fristenkalender unter diesen Umständen seinen eigentlichen Zweck nicht erfüllen kann. Da das Empfangsbekenntnis
an das Gericht zurückgesandt wird und für eine spätere Kontrolle nicht mehr zur Verfügung steht, liegt in der ungeprüften
Übernahme des Datums aus dem Bearbeitungsvermerk eine erhebliche Fehlerquelle, die sich durch geeignete organisatorische Vorkehrungen
jederzeit vermeiden ließe. Die Fristversäumnis beruht somit auf einer Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten,
welches der Klägerin zuzurechnen ist.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in entsprechender Anwendung des §
193 SGG.