Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Entlassungsentschädigung nach Sozialplan
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt (noch) für den Zeitraum vom 1. Oktober 2002 bis 4. Dezember 2002 Arbeitslosengeld (Alg). Die Beklagte
geht davon aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Alg ab 1. Oktober 2002 wegen des Erhalts einer Abfindung ruht.
Die im Jahre 1944 geborene Klägerin war von 1975 bis zum 30. September 2002 als Mitarbeiterin in der Produktion bei der Firma
L. GmbH & Co in M. beschäftigt. Auf dieses
Beschäftigungsverhältnis fand der "Manteltarifvertrag für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden
Industrie vom 21. Mai 2001" (MTV) Anwendung. Die Kündigungsfrist des Arbeitgebers betrug danach, wenn das Arbeitsverhältnis 20 Jahre bestanden hatte, sieben
Monate zum Quartalsende (§ 2 Nr 4a MTV). Nach § 2 Nr 4e MTV galt ein besonderer Kündigungsschutz, nach dem nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit
von 15 Jahren das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer nur aus wichtigem Grund oder mit Zustimmung des Betriebsrates
gekündigt werden konnte. Dieser Kündigungsschutz galt ua nicht "a) bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG".
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 7. Februar 2002 zum 30. September 2002. Zur
Begründung führt sie dabei ua aus:
"Bekanntlich befindet sich die L. GmbH & Co in einer wirtschaftlich
sehr schwierigen Situation. Insofern haben wir uns zu einer Betriebsänderung entschlossen, die den Ausspruch von diversen
betriebsbedingten Kündigungen zur Folge hat.
Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass auch Ihr Arbeitsverhältnis von dieser Maßnahme betroffen ist.
Hiermit kündigen wir den mit Ihnen bestehenden Anstellungsvertrag unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist betriebsbedingt
mit Wirkung zum 30. September 2002.
Der Betriebsrat wurde gemäß § 102 BetrVG zu dieser Kündigung gehört. Grundlage der betriebsbedingten Kündigung ist der Interessenausgleich und Sozialplan vom 29.
Januar 2002."
Der Interessenausgleich vom 29. Januar 2002 enthält unter anderem eine "Präambel", nach der die GmbH und der Betriebsrat sich
darüber einig waren, dass die beabsichtigten Maßnahmen eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) darstellten. Vor diesem Hintergrund schlossen die GmbH und der Betriebsrat den Interessenausgleich. In dem Sozialplan vom
29. Januar 2002 sind unter Ziffer 5 für die betroffenen Arbeitnehmer Ausgleichsleistungen vorgesehen. Die Klägerin erhielt
hiernach eine Abfindung in Höhe von 42.496,64 EUR. Sie meldete sich am 9. August 2002 mit Wirkung zum 1. Oktober 2002 arbeitslos
und beantragte Alg. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 11. Oktober 2002 das Ruhen des Leistungsanspruchs der Klägerin bis
zum 13. März 2003 fest. Die Beklagte ging davon aus, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber
zeitlich unbefristet ausgeschlossen gewesen sei, sodass eine (fiktive) Kündigungsfrist von 18 Monaten gegolten habe, die nicht
eingehalten worden sei. Im Zeitraum vom 24. Oktober 2002 bis 15. März 2003 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Dementsprechend
bewilligte die Beklagte Alg erst ab 16. März 2003 (Bewilligungsbescheid vom 28. März 2003). Während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit
wurde der Klägerin kein Krankengeld (Krg) durch die Beigeladene gewährt. Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Ruhensbescheid
zurück und stützte sich nunmehr auf § 143a Abs 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (
SGB III), wonach eine Kündigungsfrist von einem Jahr gelte (Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2003).
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass der Ruhenszeitraum auf den Zeitraum vom 1. Oktober
2002 bis 7. Februar 2003 festgelegt wurde. Zugleich erklärte sich die Beklagte bereit zu überprüfen, ob der Klägerin für den
Zeitraum vom 8. Februar 2003 bis 15. März 2003 Alg bewilligt werden könne. Die Klage mit dem Ziel, die Beklagte zu verurteilen,
ihr ab 1. Oktober 2002 Alg zu bewilligen hat das SG abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 26. Januar 2005 das Urteil des
SG geändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Beklagte wurde verurteilt, der Klägerin Alg für den Zeitraum vom
1. Oktober 2002 bis 4. Dezember 2002 zu gewähren. Die Beigeladene wurde verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 5. Dezember
2002 bis 15. März 2003 Krg zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Abfindung führe hier
nicht zum Ruhen des Anspruchs nach § 143a Abs 1 Satz 1
SGB III, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten beendet worden
sei. Auch die Voraussetzungen des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III mit der Rechtsfolge einer fiktiven Kündigungsfrist von einem Jahr lägen nicht vor, denn eine ordentliche Kündigung sei hier
nicht nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen. Dies ergebe sich aus § 2 Nr 4e MTV, der zwar einen besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer vorsehe, die, wie die Klägerin, das 55. Lebensjahr vollendet
und 15 Jahre ununterbrochen dem Betrieb zugehört hätten. Dieser besondere Kündigungsschutz gelte nach § 2 Nr 4e MTV jedoch nicht bei Betriebsänderungen iS des § 111 BetrVG. Auf Grund der vorgenommenen Betriebseinschränkungen und Änderungen der Betriebsorganisation sei hier unzweifelhaft, dass
eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr 1 und Nr 4 BetrVG vorgelegen habe und der besondere Kündigungsschutz der Klägerin insoweit entfallen sei. Die damit einhergehende (Wieder-)Ermöglichung
einer ordentlichen Kündigung sei auch unabhängig von der Zahlung einer Abfindung, denn § 2 Nr 4e Buchst a MTV greife bei einer Betriebsänderung ohne weitere Voraussetzungen ein. Wegen dieser tarifvertraglichen Regelung unterscheide
sich der vorliegende Fall auch von den Sachverhalten, über die das Bundessozialgericht (BSG) bisher zu entscheiden gehabt
habe (Hinweis auf BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15 und BSGE 87, 250, 271 = SozR 3-4100 § 117 Nr 22). Dort sei die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung jeweils erst unter Voraussetzungen wieder
eingeräumt worden, die nicht nur vom Verhalten des Arbeitgebers abhingen, nämlich wenn ein Sozialplan abgeschlossen worden
oder eine Zustimmung zur Kündigung durch die Tarifvertragsparteien erfolgt sei. Dann sei nach Auffassung des BSG eine sog
fallbezogene Betrachtungsweise anzustellen. Vorliegend habe zwar auch ein Sozialplan mit einer Abfindungsregelung bestanden.
Die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung der Klägerin sei aber nicht erst durch diesen Sozialplan eingeräumt worden. Vielmehr
sei der Sozialplan hier nur die Folge der sich aus den §§ 111 ff BetrVG ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. Diese bestünden im Übrigen in Betrieben ohne Betriebsrat oder mit einer
Beschäftigtenzahl unterhalb der Schwelle des § 111 BetrVG nicht. Gleichwohl sei die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung an sich nicht mehr ordentlich kündbarer Arbeitnehmer nach
dem MTV auch in diesen Betrieben gegeben. Wegen der erfolgten Betriebsänderung nach § 111 BetrVG habe bereits vor Abschluss des Sozialplanes festgestanden, dass alle Arbeitnehmer - wegen der Regelung in § 2 Nr 4e Buchst a MTV - ordentlich gekündigt hätten werden können. Der hier beschlossene Sozialplan habe die Möglichkeit der ordentlichen - betriebsbedingten
- Kündigung der Arbeitnehmer bereits vorausgesetzt und sei nicht selbst Voraussetzung der Kündbarkeit gewesen. Der Sozialplan
unterscheide konsequenterweise auch nicht zwischen Mitarbeitern, denen bereits ein besonderer Kündigungsschutz nach § 2 Nr 4e MTV zugestanden habe und anderen Mitarbeitern. Vielmehr differenziere er unter Ziffer 5 - der die Berechnung der Abfindung betreffe
- nur allgemein nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit. Wäre die Kündigung der unter § 2 Nr 4e MTV fallenden Arbeitnehmer erst durch den Sozialplan selbst ermöglicht worden, hätte es nahe gelegen, für diese Personengruppe
besondere Regelungen zu schaffen. Aus der Gleichbehandlung der vormals ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer mit allen anderen
folge auch, dass es Ziel der Abfindung nicht gewesen sein könne, neben dem Ausgleich für den Verlust sozialer Besitzstände
auch untergehende Arbeitsentgeltansprüche auszugleichen. Deshalb seien hier für den Arbeitgeber - realisierbare - alternative
Möglichkeiten der ordentlichen Kündigung auch ohne Abfindung eröffnet gewesen, sodass die Anwendung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III ausgeschlossen sei. Der Anspruch der Klägerin auf Alg bestehe ab 1. Oktober 2002. Er bestehe auch über den 23. Oktober 2002
hinaus bis zum 4. Dezember 2002 für weitere sechs Wochen. Zwar sei die Klägerin ab dem 24. Oktober 2002 bis einschließlich
15. März 2003 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und somit nicht mehr arbeitslos iS der §§
118,
119 SGB III. Gemäß §
126 Abs
1 SGB III stehe der Klägerin ein Anspruch auf Alg jedoch für weitere sechs Wochen zu. Nach dem 4. Dezember 2002 bestehe wegen der fortdauernden
Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch mehr auf Alg. In der Zeit vom 5. Dezember 2002 bis 15. März 2003 habe allerdings ein Anspruch
der Klägerin auf Krg gemäß §
44 Abs
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) gegenüber der Beigeladenen bestanden. Diese habe auch gemäß §
75 Abs
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) verurteilt werden können.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III. Sie geht davon aus, dass durch die Regelung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III auch Fälle erfasst würden, in denen der Arbeitgeber zwar abstrakt betrachtet auch betriebsbedingt ohne Entlassungsentschädigung
hätte kündigen können, er jedoch diese Möglichkeit nicht gewählt, sondern die Betriebsänderung zum Anlass genommen habe, mit
dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan mit Abfindungsregelung zu vereinbaren, um danach erst gegenüber
der Arbeitnehmerin die konkrete Kündigung auf Grund dieser Betriebsvereinbarung auszusprechen. Hier fehle es gerade an einer
konkret realisierbaren Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ohne Zahlung einer Entlassungsentschädigung, weil der Arbeitgeber
sich durch Betriebsvereinbarung anders gebunden habe. § 143a
SGB III erfasse tarifvertragliche Regelungen, in denen die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung erst durch die Zubilligung einer
Abfindung eröffnet werde. Ob die ordentliche Kündigung auch ohne Abfindung möglich sei, hänge nach der Rechtsprechung des
BSG davon ab, ob diese Möglichkeit konkret realisierbar sei. Vorliegend sei nach § 2 Nr 4e MTV die ordentliche Kündigung ausgeschlossen und nur bei Zustimmung des Betriebsrats, bei Vorlage eines wichtigen Grundes und
bei Betriebsänderung iS des § 111 BetrVG wieder möglich gewesen. Im Falle der Klägerin sei die Kündigung auf diese Betriebsänderung nach § 111 BetrVG gestützt worden. Folge der eingetretenen Betriebsänderung nach § 111 BetrVG sei, dass ein Interessenausgleich stattzufinden habe, in dem ein finanzieller Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes
geregelt werde. Die Auffassung des LSG, mit der Betriebsänderung iS des § 111 BetrVG sei nicht notwendigerweise eine Abfindung verbunden, verkenne, dass bei der gegebenen Situation die Kündigung ohne Zahlung
einer Abfindung für den Arbeitgeber keine realisierbare Möglichkeit dargestellt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 2005 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG
Düsseldorf vom 5. April 2004 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Ein Ruhen des Anspruchs auf Alg gemäß § 143a Abs 1 Satz 1
SGB III scheide bereits deshalb aus, weil das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der für sie geltenden (tarifvertraglichen) ordentlichen
Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Quartalsende beendet worden sei. Auch die Voraussetzungen des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III lägen nicht vor, weil die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung nicht nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen
sei. Insofern habe das LSG festgestellt, § 2 Nr 4e MTV ermögliche eine ordentliche Kündigung unabhängig von der Zahlung einer Abfindung, weil eine Betriebsänderung iS des § 111 Nr 1 und Nr 4 BetrVG vorgelegen habe und damit der besondere Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer wieder entfallen gewesen sei. Das LSG habe
zudem festgestellt, dass die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung durch den Tarifvertrag unter Voraussetzungen wiedereingeräumt
worden sei, die nicht nur vom Verhalten des Arbeitgebers abhängig gewesen seien, nämlich zB durch Abschluss eines Sozialplans
oder einer Zustimmung durch die Tarifvertragsparteien. Voraussetzung für die wieder eingeräumte Kündigungsmöglichkeit gegenüber
den "unkündbaren" Arbeitnehmern sei ausschließlich eine Betriebsänderung gewesen. Zu Recht habe das LSG darauf hingewiesen,
dass der Sozialplan vom 29. Januar 2002 keinen Unterschied gemacht habe zwischen Arbeitnehmern, denen bereits ein besonderer
Kündigungsschutz zugestanden habe und anderen Arbeitnehmern. Deshalb seien für den Arbeitgeber realisierbare alternative Möglichkeiten
einer ordentlichen Kündigung auch ohne Zahlung einer Abfindung eröffnet gewesen und somit die Anwendung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III ausgeschlossen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet
(§
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
Zwar hat die Beklagte mit ihrer Revision zu Recht gerügt, dass der Klägerin hier auf Grund des tarifvertraglichen Sonderkündigungsrechts
nur noch bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden konnte, sodass gemäß § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III eine (fiktive) Kündigungsfrist von einem Jahr galt. Entgegen der Rechtsansicht des LSG kann eine tarifvertragliche Regelung,
die einen Wiedereintritt in die ordentliche Kündbarkeit an die Voraussetzung des "Vorliegens einer Betriebsänderung iS des
§ 111 BetrVG" knüpft, im Rahmen des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III nicht anders beurteilt werden als eine Tarifnorm, die die ordentliche Kündbarkeit eines an sich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers
an das Vorliegen eines Sozialplanes bindet (vgl hierzu sogleich unter 1.). Das LSG wird allerdings noch zu prüfen haben, ob
bei der Klägerin die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund iS des § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 2
SGB III vorgelegen haben, mit der Folge, dass die gesetzliche Kündigungsfrist von einem Jahr gemäß § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III teleologisch auf die - hier eingehaltene - siebenmonatige ordentliche Kündigungsfrist zu reduzieren wäre (siehe unter 2).
1. Die Klägerin begehrt Alg für die Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 4. Dezember 2002, für die die Beklagte die Zahlung von Alg
unter Berufung auf § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III abgelehnt hat. Der Zeitraum vom 5. Dezember 2002 bis 15. März 2003 ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Das
LSG hat die beigeladene Krankenkasse gemäß §
75 Abs
5 SGG zur Zahlung von Krg für diese Zeit verurteilt, ohne dass die Beigeladene hiergegen Rechtsmittel eingelegt hat. Für den Alg-Leistungszeitraum
ab 16. März 2003 liegt ein Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 28. März 2003 vor. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens
ist danach nur der "Ruhensbescheid" der Beklagten vom 11. Oktober 2002 in der Gestalt der Widerspruchsbescheids vom 2. Januar
2003, der das Ruhen des Alg-Anspruchs der Klägerin für den noch streitigen Zeitraum gemäß § 143a
SGB III anordnet und insoweit auch isoliert angefochten werden kann (vgl hierzu eingehend: Urteil des Senats vom 9. Februar 2006
- B 7a/7 AL 48/04 R).
Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung)
erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers
entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Alg von dem Tage des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage,
an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 143a Abs 1 Satz 1
SGB III). Zu Recht hat das LSG festgestellt, dass ein Ruhen des Anspruchs der Klägerin allein nach § 143a Abs 1 Satz 1
SGB III bereits deshalb ausscheidet, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin tatsächlich unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist
von sieben Monaten zum 1. Oktober 2002 beendet worden ist. Allerdings lagen zu Lasten der Klägerin die Voraussetzungen des
§ 143a Abs 1 Satz 4
SGB III vor mit der Folge, dass für sie die fiktive gesetzliche Kündigungsfrist von einem Jahr gilt. Der Senat hat bereits im Einzelnen
begründet (BSGE 87, 250, 254 = SozR 3-4100 §
117 Nr
22), dass die Norm des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III die Fälle erfasst, in denen die ordentliche Kündigung für den Arbeitgeber vertraglich grundsätzlich ausgeschlossen ist und
nur für Fälle (wieder) eröffnet wird, bei denen eine Abfindung gezahlt wird. Sind für den Arbeitgeber - realisierbare - alternative
Möglichkeiten der ordentlichen Kündigung auch ohne Abfindung eröffnet, so ist die Anwendung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III ausgeschlossen, mit der Folge, dass bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist ein Ruhen des Alg-Anspruchs nicht in
Betracht kommt. Erfasst werden sollen nach der Entstehungsgeschichte der Regelung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III vor allem Fälle, in denen dem Arbeitgeber tarifvertraglich die ordentliche Kündigung nur noch für den Fall des Bestehens
eines Sozialplanes vorbehalten ist und der Sozialplan für den betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung vorsieht (BSG aaO; vgl
bereits BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15). An dieser Rechtsprechung des BSG zur Subsumtion der Sozialplanabfindung unter die Norm
des § 117 Abs 2 Satz 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hält der Senat auch unter Geltung des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III uneingeschränkt fest.
Entgegen der Rechtsansicht des LSG bestehen zwischen einer tarifvertraglichen Regelung, die den Wiedereintritt in die ordentliche
Kündbarkeit an das "Vorliegen eines für den betroffenen Arbeitnehmer geltenden Sozialplans" (so die Regelung in BSGE 87, 250, 251 = SozR 3-4100 § 117 Nr 22) knüpft und einer Regelung, die - wie im vorliegenden Rechtsstreit - die Aufhebung des tarifvertraglichen
Sonderkündigungsschutzes bei "Betriebsänderungen iS des § 111 BetrVG" ermöglicht, keine rechtserheblichen Unterschiede. Deshalb war die Klägerin ebenso zu behandeln wie ein Arbeitnehmer, dem
nur noch bei Vorliegen eines Sozialplans gekündigt werden kann.
Der Senat ist befugt, die hier maßgebliche tarifvertragliche Regelung des § 2 Nr 4e MTV hinsichtlich der Tragweite des Begriffs "Betriebsänderung iS des § 111 BetrVG" selbst auszulegen, da - entgegen der Rechtsansicht der Klägerin - eine den Senat bindende (§
562 Zivilprozessordnung iVm §
202 SGG) Auslegung dieses Begriffs seitens des LSG nicht vorgenommen wurde. Deshalb kann auch dahinstehen, ob es sich bei dem MTV um revisibles Recht (§
162 SGG) handelt (hierzu BSG SozR 3-4100 §
117 Nr 15, S 103 mwN). Entsprechend der vom Bundesarbeitsgericht (BAG) in ständiger Rechtsprechung entwickelten Auslegungspraxis
von Tarifverträgen (grundlegend mit zahlreichen weiteren Nachweisen Wank RdA 1998, 71 ff) ist dabei zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben
zu haften (§
133 Bürgerliches Gesetzbuch). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in
der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil
dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm
zutreffend ermittelt werden kann. Erst wenn ein solches Vorgehen zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zulässt, können
die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen
Tarifvertrags, ggf auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen (vgl BAG AP Nr 57 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; Wank, RdA 1998, 71, 77 f).
Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgesichtspunkte geht der Senat davon aus, dass der Begriff "Betriebsänderung iS des
§ 111 BetrVG", wie er in § 2 Nr 4e MTV verwandt wird, nur so verstanden werden kann, dass der Tarifvertrag auf sämtliche Regelungselemente des § 111 BetrVG Bezug nimmt. Dies bedeutet, dass gemäß § 111 Satz 1 BetrVG in dem Unternehmen mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sein müssen und dass in dem Unternehmen ein Betriebsrat
errichtet ist. Weiterhin sind die materiellen Voraussetzungen einer Betriebsänderung iS des § 111 Satz 3 Nr 1 bis 5 BetrVG in Bezug genommen. Damit mussten sämtliche Voraussetzungen des § 111 BetrVG vorliegen, damit die Klägerin wieder ordentlich kündbar wird, dh eine Betriebsänderung iS des § 111 Satz 3 BetrVG, die Existenz eines Betriebsrats und eine Arbeitnehmerzahl von über 20 gemäß § 111 Satz 1 BetrVG. Liegen diese Voraussetzungen gemäß § 111 BetrVG vor, so hat dies zur Konsequenz, dass ein Sozialplan gemäß § 112 BetrVG erzwingbar ist. Dies folgt aus den Regelungen des § 112 Abs 2 BetrVG iVm den Bestimmungen über die Einigungsstelle in den Abs 3, 4 und 5 des § 112 BetrVG. Insofern stellt sich eine tarifvertragliche Regelung, die die (Wieder-)Eröffnung der ordentlichen Kündbarkeit bei Vorliegen
"einer Betriebsänderung iS des § 111 BetrVG" vorsieht, von den betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsfolgen her nicht anders dar als der Fall der Wiedereröffnung der
ordentlichen Kündbarkeit bei Vorliegen eines Sozialplans. Mithin handelt es sich bei den unterschiedlichen Formulierungen
in den Tarifverträgen nur um die Verwendung von unterschiedlichen Begriffen, die aber dieselbe Rechtsfolge auslösen. Dies
gilt auch, wenn - wie in dem Rechtsstreit B 7a AL 44/05 R (Urteil vom 9. Februar 2006) entschieden - im Tarifvertrag lediglich
von dem Erfordernis einer Betriebsänderung die Rede ist, ohne dass der § 111 BetrVG im Einzelnen in Bezug genommen wird. Jedenfalls dann, wenn der konkret betroffene Betrieb unter § 111 BetrVG fällt, dh ein Betriebsrat gebildet ist und mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Die Klägerin hat im vorliegenden
Fall auf Grund eines Sozialplans, der seinerseits unmittelbare und zwingende rechtliche Folge einer Betriebsänderung iS des
§ 111 BetrVG war, eine Abfindung erhalten. Insoweit stellt der vorliegend zu beurteilende tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz nur
eine Variante der bereits vom BSG in ständiger Rechtsprechung praktizierten "Sozialplanrechtsprechung" im Rahmen des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III dar.
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben hierbei nicht zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen einer Betriebsänderung
iS des § 111 Satz 3 Nr 1 bis 5 BetrVG tatsächlich vorlagen. Maßgebend ist im Rahmen des Regelungszwecks des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III ausschließlich, ob eine ordentlich nicht mehr kündbare Arbeitnehmerin lediglich bei Vorliegen einer Betriebsänderung iS des
§ 111 BetrVG wieder kündbar wurde. Liegt diese abstrakte Regelung im Tarifvertrag vor und gehen die beteiligten Sozialpartner übereinstimmend
davon aus, dass ein Wiedereintritt in die ordentliche Kündbarkeit für einen an sich tarifvertraglich sonderkündigungsgeschützten
Arbeitnehmer möglich ist, so wird dadurch die Rechtsfolge des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III ausgelöst. Eine Prüfung, ob im materiellen Sinne tatsächlich eine Betriebsänderung erfolgt ist, ist dann nicht erforderlich.
Der Senat hat im Übrigen bereits im Einzelnen begründet (BSGE 87, 250, 256 f = SozR 3-4100 § 117 Nr 22; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 15; vgl auch BSGE 76, 294, 299 f = SozR 3-4100 § 117 Nr 12), dass er keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 117 Abs 2 Satz 4 AFG hat, der § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III im Wesentlichen entspricht. Neue Gesichtspunkte zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Norm sind insoweit nicht vorgetragen
worden. Es verstößt insbesondere nicht gegen Art
3 Abs
1 Grundgesetz, wenn bei einem sonst nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer die ordentliche Kündigung unter Zahlung einer Abfindung
wie eine "vorzeitige" Beendigung des Arbeitsverhältnisses behandelt wird, selbst wenn ansonsten die arbeitsrechtlich geltende
Kündigungsfrist (wie hier von sieben Monaten) gewahrt wurde. Ebenso sieht der Senat keine Benachteiligung von Arbeitnehmern,
die in Großbetrieben tätig sind bzw die dem Geltungsbereich des § 111 BetrVG unterliegen gegenüber solchen Arbeitnehmern, die in Kleinbetrieben tätig sind bzw in denen kein Betriebsrat etabliert wurde
und § 111 BetrVG mithin nicht eingreift. Gilt in solchen Kleinbetrieben eine tarifvertragliche Regelung mit dem entsprechenden Sonderkündigungsschutz
nicht, so fehlt den Beschäftigten von vornherein der Sonderkündigungsschutz, der die Rechtsfolge des § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III überhaupt auslösen kann. Fehlt der entsprechende tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz, so dürften im Regelfall die normalen
ordentlichen Kündigungsfristen (bis zu einer Dauer von maximal sieben Monaten) gelten. Insofern korrespondieren die Nachteile
aus § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III mit den Vorteilen eines tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutzes für tarifgebundene Arbeitnehmer bzw Arbeitnehmer in Großbetrieben.
Dieser sachliche Zusammenhang rechtfertigt es, Arbeitnehmer, die gemäß § 2 Nr 4e MTV sonderkündigungsgeschützt waren, anders zu behandeln als Arbeitnehmer in Kleinbetrieben. Gilt hingegen der tarifvertragliche
Sonderkündigungsschutz auch in Kleinbetrieben, so kann mangels einer "Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG" dieser Sonderkündigungsschutz überhaupt nicht aufgehoben werden. Dies hätte zur Folge, dass im Falle einer Beendigung des
Arbeitsverhältnisses und einer Abfindungszahlung die gesetzliche Kündigungsfrist von 18 Monaten gemäß § 143a Abs 1 Satz 3
SGB III eingreifen würde. Auch dies entspricht dem Regelungszusammenhang des § 143a
SGB III (zur dreifach abgestuften Regelung des § 117 AFG vgl insoweit BSGE 87, 250, 253 = SozR 3-4100 § 117 Nr 22).
2. Der Senat hat allerdings weiterhin bereits entschieden (BSGE 87, 250, 259 ff = SozR 3-4100 § 117 Nr 22), dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist, die fiktive Kündigungsfrist
von einem Jahr gemäß § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III auf einen Sachverhalt anzuwenden, wenn gleichzeitig die Möglichkeit bestanden hätte, den betroffenen Arbeitnehmer außerordentlich
mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Für diesen Fall sieht § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 2
SGB III vor, dass dann die ordentliche Kündigungsfrist gilt, mit der Folge, dass ein Ruhen des Alg-Anspruchs nicht in Frage kommt,
wenn tatsächlich die ordentliche Kündigungsfrist - wie auch hier - eingehalten wurde. Das LSG wird daher noch zu ermitteln
haben, ob die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund im Sinn des § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 2
SGB III - fiktiv - gegeben waren. Entscheidungserheblich ist hierbei, ob bei der Klägerin - die tarifliche Regelung in § 2 Nr 4e MTV hinweggedacht - die Voraussetzungen für eine fristgebundene außerordentliche Kündigung etwa wegen einer Teilbetriebsstilllegung
etc vorgelegen hätten. Wäre dies der Fall, könnte bei der Klägerin auch nur die arbeitsförderungsrechtliche (= ordentliche)
Kündigungsfrist des § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 2
SGB III gelten. Da die ordentliche Kündigungsfrist im Falle der Klägerin eingehalten wurde, würde - bei entsprechend positiver Feststellungen
des LSG - die fingierte Kündigungsfrist von einem Jahr gemäß § 143a Abs 1 Satz 4
SGB III teleologisch auf die nach § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 2
SGB III maßgebliche Frist (ordentliche Kündigungsfrist von sieben Monaten) zu reduzieren sein. Ein Ruhen des Anspruchs auf Alg der
Klägerin würde dann nicht eintreten.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.