Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs
Ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag
Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung
Gründe:
I
Im Streit ist ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe (Kfz-Hilfe) als Leistung der Sozialhilfe sowie eine Schmerzensgeldzahlung
in Höhe von mindestens 50 000 Euro.
Dem Kläger wurde für Februar 2005 Kfz-Hilfe in Höhe von monatlich 58,60 Euro bewilligt und nur für diesen Monat ausgezahlt.
Anträge vom Juli 2007 und Februar 2009 wurden abgelehnt (Bescheid vom 25.9.2007, Widerspruchsbescheid vom 12.10.2007, das
Klageverfahren S 11 SO 130/08 endete durch Rücknahme der Klage; Bescheid vom 2.6.2009 und Widerspruchsbescheid vom 20.6.2009).
Die Klage vom 30.12.2013, gerichtet auf Leistungen ab März 2005, ist vor dem Sozialgericht (SG) Kassel insoweit erfolgreich gewesen, als der Beklagte verurteilt wurde, für März 2005 bis Oktober 2007 monatlich 58,60 Euro
zu zahlen (Urteil vom 26.6.2014). Im Berufungsverfahren, in welchem der Kläger auch ein Schmerzensgeld in Höhe von 50 000
Euro geltend gemacht hat, hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) Termin zur mündlichen Verhandlung auf Mittwoch, den
10.5.2017 bestimmt (Verfügung vom 19.4.2017). Am 20.4.2017 hat sich der Kläger telefonisch nach dem Sachstand erkundigt und
zugleich darauf hingewiesen, dass er einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Berufungsverfahren gestellt
habe, über den bislang noch nicht entschieden worden sei. Mit Schreiben vom 30.4.2017 hat der Kläger den Erhalt der Ladung
zum Termin bestätigt und mitgeteilt, er habe keinen Rechtsanwalt gefunden, der ihn im Berufungsverfahren vertrete, könne aber
selbst am Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen. Mit Beschluss vom 4.5.2017, dem Kläger zugestellt am 6.5.2017
(einem Samstag), hat das LSG dem Kläger PKH für das Berufungsverfahren bewilligt, ohne einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt
beizuordnen. Am 10.5.2017 ist der Termin zur mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Klägers durchgeführt, das Urteil des
SG abgeändert und der Beklagte verurteilt worden, an den Kläger unbefristet monatlich 58,60 Euro zu zahlen. Die Klage auf Schmerzensgeld
hat das LSG als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 10.5.2017).
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Das LSG habe mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung
am 10.5.2017 gegen seine Fürsorgepflicht und den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. Er habe dem Gericht mitgeteilt,
dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen und dies durch
ärztliche Atteste belegt. Nachdem er den Beschluss des LSG über die Bewilligung von PKH erst am 6.5.2017, einem Samstag, erhalten
habe, sei es ihm innerhalb von zwei Werktagen bis zum Termin am 10.5.2017 nicht möglich gewesen, einen zur Vertretung bereiten
Rechtsanwalt zu finden. Das Gericht habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass es am 10.5.2017 den Erlass einer verfahrensabschließenden
Entscheidung beabsichtige; ansonsten hätte er einen Verlegungsantrag gestellt, um sich nach Bewilligung von PKH anwaltliche
Vertretung zu suchen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig; sie genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers (Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör, §
62 Sozialgerichtsgesetz <SGG>, Art
103 Grundgesetz <GG>) den Bezeichnungserfordernissen des §
160a Abs 2 Satz 3
SGG iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (<BSG>; vgl im Einzelnen Senatsbeschluss vom 12.5.2017 - B 8 SO 69/16
B - juris mwN) erübrigen sich bei diesem Verfahrensmangel regelmäßig Ausführungen dazu, welches inhaltliche Vorbringen im
Einzelnen in Folge der Verletzung des rechtlichen Gehörs verhindert worden ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter dadurch gehindert
war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
Der gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Das LSG hat mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Klägers
und der folgenden Entscheidung über seine Berufung am 10.5.2017 dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (§
62 1. Halbsatz
SGG, Art
103 Abs
1 GG).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten
unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben oder nicht,
Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Bestandteil
des Anspruchs der Beteiligten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Form der mündlichen Verhandlung ist daher auch das
Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung. Über einen entsprechenden Antrag
des verhinderten Beteiligten hat der Vorsitzende (oder das Gericht) zu entscheiden (§
202 SGG iVm §
227 Abs
4 Zivilprozessordnung <ZPO>). Ein ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminverlegungsgrund
begründet grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (BSG vom 10.8.1995 - 11 RAr 51/95 - SozR 3-1750 § 227 Nr 1; vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R - juris RdNr 16; vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr 11; vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - juris RdNr 7 und vom 24.10.2013 - B 13 R 230/13 B - juris RdNr 8 ff). Entsprechende Anforderungen an die Verhaltensweise des Gerichts ergeben sich auch aus dem aus Art
2 Abs
1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl hierzu etwa BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6; BSG vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - juris).
Diese Grundsätze hat das LSG nicht beachtet. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob bereits die vom Kläger zur Begründung seines
Antrags auf Terminverlegung (vom 30.4.2017) vorgelegten ärztlichen Atteste geeignet waren, einen Terminverlegungsgrund hinreichend
zu substantiieren (vgl dazu nur BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - juris RdNr 8) mit der Konsequenz, dass schon aus diesem Grund der Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.5.2017 hätte
aufgehoben werden müssen. Denn bewilligt das Gericht nur wenige Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung PKH, ohne zugleich
einen Rechtsanwalt beizuordnen, und im Wissen darum, dass der Kläger selbst bislang keinen zur Vertretung bereiten Anwalt
gefunden hat, gebietet es jedenfalls das Prozessgrundrecht des fairen Verfahrens, dem Kläger die erforderliche Zeit einzuräumen,
nach PKH-Bewilligung einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu beauftragen. Dies ist in vier Tagen (davon zwei Tage am
Wochenende), die dem Kläger zwischen der Zustellung des Beschlusses und dem Termin verblieben, auch unter Berücksichtigung
der vom Kläger geschilderten gesundheitlichen Einschränkungen für das LSG erkennbar nicht möglich gewesen. In einer solchen
Situation liegt ein erheblicher Grund für die Aufhebung oder Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung vor (§
202 SGG iVm §
227 Abs
1 Satz 1
ZPO). Das LSG musste das Schreiben des Klägers vom 30.4.2017 als Verlegungsantrag werten, weil ihm ohne Weiteres zu entnehmen
war, dass - nach Bewilligung von PKH - ein Prozessbevollmächtigter die mündliche Verhandlung wahrnehmen soll, was angesichts
des verbliebenen Zeitrahmens vom LSG vereitelt wurde. Das LSG war sich auch - wie einem Vermerk vom 25.4.2019 zu entnehmen
ist - darüber im Klaren, dass der Termin "ohnehin noch verlegt werden muss, wenn d. Kl. eine RAin benennt und diese verhindert
ist oder sich erst einarbeiten muss". Dennoch hat es unter Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens von der Terminverlegung
abgesehen und abgewartet, ob es dem Kläger in der verbleibenden Zeit doch noch gelingt, einen Rechtsanwalt zu beauftragen.
Ob der Kläger, wie er geltend macht, durch die Verfahrensweise des Gerichts daran gehindert war, einen - weiteren - Verlegungsantrag
zu stellen und welche rechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen wären, kann danach offenbleiben. Kommt das Gericht seiner Pflicht,
den Termin aufzuheben - wie im vorliegenden Verfahren - nicht nach, ist die Situation nicht anders zu bewerten als im Fall
einer zu Unrecht erfolgten Ablehnung eines ausdrücklichen Terminverlegungsantrags. In beiden Fällen ist der Verfahrensbeteiligte
daran gehindert, sein Anliegen vor Gericht wirksam zu vertreten bzw sich vertreten zu lassen. Vor diesem Hintergrund sind
weitere Darlegungen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren dazu, welcher Vortrag zu dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch
auf Schmerzensgeld ggf im Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgt wäre, entbehrlich (BSG vom 12.5.2017 - B 8 SO 69/16 B - juris mwN).
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.