Gründe:
I. Die Antragstellerinnen betreiben Krankenhäuser. Sie wenden sich im Eilrechtsschutz gegen die Heraufsetzung der Mindestmengenregelung
für Perinatalzentren des Level 1 von 14 auf 30 ab 1. Januar 2011.
Mit dem Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz, FPG)
vom 23. April 2002 (BGBl. I S. 1412) ermöglichte der Gesetzgeber als ein Element der Qualitätssicherung die Einführung von Mindestmengen für die Erbringung bestimmter
Leistungen in zugelassenen Krankenhäusern. §
137 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) bestimmte in der Fassung des FPG u.a.:
(Abs. 1) Die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren mit der Deutschen
Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der Krankenpflegeberufe Maßnahmen
der Qualitätssicherung für nach § 108 zugelassene Krankenhäuser einheitlich für alle Patienten. Dabei sind die Erfordernisse
einer sektor- und berufsgruppenübergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen; dazu ist der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Vereinbarungen nach Satz 1 regeln insbesondere
(...)
(Nr. 3.) einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität
des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, Mindestmengen für die
jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände
(...)
Mit dem 1. Januar 2004 übertrug das Gesetz die Kompetenz für Maßnahmen der Qualitätssicherung im Rahmen von §
137 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss (im Folgenden: Antragsgegner; Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
[GKV-Modernisierungsgesetz, GMG] vom 14. November 2003, BGBl. I S. 2190).
Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378, gültig ab 1. Juli 2008) wurde §
137 Abs.
1 Satz 3 Nr.
3 SGB V zu §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V. Die Vorschrift lautet nunmehr im Zusammenhang:
(Abs. 3)
1Der Gemeinsame Bundesausschuss fasst für zugelassene Krankenhäuser grundsätzlich einheitlich für alle Patienten auch Beschlüsse
über
(...)
(Nr. 2) einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität
des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist sowie Mindestmengen für
die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände (...)
2Wenn die nach Satz 1 Nr. 2 erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen
entsprechende Leistungen nicht erbracht werden. 3Die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde kann Leistungen aus
dem Katalog nach Satz 1 Nr. 2 bestimmen, bei denen die Anwendung von Satz 2 die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung
der Bevölkerung gefährden könnte; sie entscheidet auf Antrag des Krankenhauses bei diesen Leistungen über die Nichtanwendung
von Satz 2.
Im Mai 2004 stellten die Spitzenverbände der Krankenkassen einen Antrag auf Aufnahme einer Mindestmenge von 40 für die Behandlung
von Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (very-low-birth-weight, VLBW, kleiner als 1.500 Gramm) in neonatalen Intensiveinheiten.
Im September 2005 beschloss der Antragsgegner eine ab 1. Januar 2006 wirksame "Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung
der Versorgung von Früh- und Neugeborenen" ("NICU-Vereinbarung"). Die Vereinbarung basiert auf §
137 Abs.
1 Satz 3 Nr.
2 SGB V und enthält keine Mindestmengen im Sinne von §
137 Abs.
1 Satz 3 Nr.
3 SGB V, jedoch Anforderungen an Infrastruktur, sächliche und personelle Ausstattung sowie Kriterien über die stationäre Aufnahme
von Früh- und Neugeborenen. Aufgestellt wird zudem ein vierstufiges Versorgungskonzept:
- Perinatalzentrum Level 1 für die Versorgung von Frühgeborenen mit einer Reife < 1.250 Gramm und/oder < 29+0 Schwangerschaftswoche
(SSW),
- Perinatalzentrum Level 2 für die Versorgung von Frühgeborenen mit einer Reife von 1.250 - 1.499 Gramm und/oder 29+0 bis
32+0 SSW,
- Perinataler Schwerpunkt (Unreife bei Geburtsgewicht von mindestens 1.500 Gramm, postnatale Therapie absehbar, leistungsfähige
Neugeborenenmedizin in Krankenhäusern mit Geburts- und Kinderklinik),
- Geburtsklinik (Geburt reifer Neugeborener ohne bestehendes Risiko, keine Kinderklinik vorhanden).
Im Mai 2007 nahm der Antragsgegner die Beratungen zur Einführung einer Mindestmenge für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen
wieder auf. Im Juli 2007 beauftragte er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der
Erstellung eines Literaturevidenzberichts zur Fragestellung "Zusammenhang zwischen der Zahl der behandelten Früh- und Neugeborenen
mit sehr geringem Geburtsgewicht (VLBW) und der Ergebnisqualität".
Am 14. August 2008 legte das IQWiG seinen Bericht zur Auswertung der aktuellen Literatur vor. Zusammenfassend formuliert der
Bericht:
Ergebnisse
Es wurden insgesamt 12 Veröffentlichungen zu 10 Beobachtungsstudien identifiziert, die den Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen.
In 8 Studien wurde die primäre Zielgröße Mortalität untersucht. Dabei ergab sich insgesamt kein völlig einheitliches Bild.
Allerdings weisen die Daten in der Gesamtschau auf einen statistischen Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Ergebnisqualität
bei VLBW-Kindern hin, dergestalt, dass sich bei höherer Leistungsmenge die Ergebnisqualität verbessert. Bei 3 der 8 Studien,
von denen 2 ein hohes Verzerrungspotenzial aufweisen, zeigte sich keine signifikante Assoziation zwischen Leistungsmenge und
Ergebnisqualität. Demgegenüber stehen 4 Studien (alle mit niedrigem Verzerrungspotenzial), die einen statistischen Zusammenhang
zwischen der Leistungsmenge und der Ergebnisqualität zeigen. Eine weitere Studie mit hohem Verzerrungspotenzial erlaubt keine
Signifikanzaussage bzgl. des Zusammenhangs zwischen Leistungsmenge und Mortalität. Insbesondere die Studien mit deutschen
Versorgungsdaten zeigen einen signifikanten statistischen Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Ergebnisqualität.
Lediglich 4 Publikationen untersuchten den Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und verschiedenen Morbiditätsvariablen.
Die verfügbaren Daten waren insgesamt spärlich, sodass eine abschließende substanzielle Bewertung hier nicht erfolgen konnte.
Fazit
Zur Untersuchung eines Zusammenhangs bei der Versorgung von Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht zwischen der Leistungsmenge
eines Krankenhauses und der Ergebnisqualität wurden in diesem Bericht insgesamt 12 Publikationen zu 10 Studien identifiziert
und bewertet. Da es sich ausschließlich um Beobachtungsstudien handelt, können aus den Ergebnissen keine kausalen Zusammenhänge
abgeleitet werden. Keine der Studien war konzipiert, explizite Schwellenwerte für Mindestmengen zu ermitteln; Aussagen über
spezifische Schwellenwerte haben aufgrund der vorliegenden Datenlage keine sichere wissenschaftliche Basis.
Die Ergebnisse der eingeschlossenen Publikationen weisen bezüglich eines statistischen Zusammenhangs zwischen der Leistungsmenge
und der Ergebnisqualität bei der Versorgung von Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht kein völlig einheitliches und
eindeutiges Bild auf. Allerdings geben die Daten in der Gesamtschau bezüglich der primären Zielgröße "Mortalität" unter Berücksichtigung
der Studien- und Publikationsqualität sowie ihres Populationsbezugs deutliche Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang,
der sich als Trend einer Risikoreduktion mit steigender Leistungsmenge darstellt. Die Daten zur Morbidität sind spärlich,
nicht eindeutig und lassen hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen der Leistungsmenge und Ergebnisqualität keine abschließende
Beurteilung zu.
Krankenhausleistungsmengen sind als Surrogatfaktoren zu betrachten. Andere Faktoren wie geburtshilfliche Bedingungen, der
Transport von Mutter und Kind, die tägliche mittlere Belegungsrate, die Anzahl erfahrener Geburtshelfer/Neonatologen und speziell
ausgebildeter Pflegekräfte tagsüber, nachts und am Wochenende sowie unbekannte, bisher nicht erforschte Faktoren können Auswirkungen
auf die untersuchten Zielgrößen haben.
Das Institut empfiehlt im Falle der Einführung einer Mindestmengenregelung zur Versorgung von Frühgeborenen mit sehr geringem
Geburtsgewicht eine Begleitevaluation, die geeignet ist, Auswirkungen dieser Intervention adäquat zu erfassen.
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2008 (und mit Wirkung vom 1. April 2009) änderte der Antragsgegner seine "Vereinbarung über
Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen" (nunmehr: "Qneu-RL"), indem er u.a. in Abschnitt
1.A. der Anlage 1 mit Nr. 12 eine Regelmäßigkeitszahl einführte:
Strukturelle Voraussetzung für die Versorgung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von < 1.250 Gramm ist, dass das Zeitintervall
zwischen den Aufnahmen dieser Frühgeborenen in den letzten 12 Monaten durchschnittlich weniger als 30 Tage betragen hat.
Eine entsprechende Regelung wurde für die Perinatalzentren des Levels 2 getroffen (Anlage 1, Abschnitt 2.A., Nr. 10).
In seiner Nichtbeanstandungsverfügung vom 20. Februar 2009 hielt das Bundesministerium für Gesundheit dies für eine Übergangslösung
und einen ersten Schritt zur Vermeidung von "Gelegenheitsversorgung"; die Einführung einer höheren Mindestmenge sei "unverzichtbar".
Mit Beschluss vom 20. August 2009 strich der Antragsgegner die im Dezember 2008 eingeführte "Regelmäßigkeitszahl" und führte
in seiner "Vereinbarung gemäß §
137 Abs.
1 Satz 3 Nr.
3 SGB V für nach §
108 zugelassene Krankenhäuser" (Mindestmengenvereinbarung) in Nr. 8 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 eine Mindestmenge von 14 Fällen
pro Jahr für Perinatalzentren des Levels 1 und des Levels 2 ein.
Mit Verfügung vom 8. Dezember 2009 ließ das Bundesministerium für Gesundheit auch diesen Beschluss unbeanstandet.
Gegen die Beschlüsse des Antragsgegners vom 18. Dezember 2008 (Regelmäßigkeitszahl) und vom 20. August 2009 (Mindestmenge
14), soweit sie Perinatalzentren Level 2 betreffen, hat ein nordrhein-westfälisches Krankenhaus bei dem Senat Klage erhoben,
über die noch nicht entschieden ist (L 7 KA 134/09 KL).
In der Folgezeit setzte der Antragsgegner seine kontroversen Beratungen über die Höhe der Mindestmenge für die Versorgung
von Früh- und Neugeborenen fort. Der GKV-Spitzenverband schlug Mindestmengen in Höhe von 30 Fällen für Perinatalzentren des
Levels 1 und in Höhe von 10 Fällen für solche des Levels 2 vor; die Patientenvertreter beantragten eine Mindestmenge in Höhe
von 36 Fällen für Perinatalzentren des Levels 1 und keine Mindestmenge für solche des Levels 2; die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft
beantragte, auf Mindestmengen ganz zu verzichten.
Mit Beschluss vom 17. Juni 2010 änderte der Antragsgegner die Mindestmengenvereinbarung mit Wirkung vom 1. Januar 2011, erhöhte
(unter I. Nr. 1) die Mindestmenge für Perinatalzentren des Level 1 auf 30 Fälle pro Jahr und strich (unter I. Nr. 2) die Mindestmenge
für Perinatalzentren des Levels 2. Die Auswirkungen des Beschlusses auf die Versorgungsrealität und insbesondere die Ergebnisqualität
seien zu evaluieren. In den "tragenden Gründen" heißt es hierzu:
Die höhere Mindestmenge für Perinatalzentren Level 1 wird auf der Grundlage der in der Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses
über Maß-nahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen gestellten spezifischen Anforderungen an
die Strukturqualität von Perinatal-zentren Level 1 und auf die damit implizit geforderte ärztliche und pflegerische Erfahrung
und Routine in der Behandlung von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von kleiner als 1250 Gramm festgelegt. Damit
soll für die betroffenen, extrem gefährdeten Frühgeborenen, die Chance zu überleben bzw. ohne bleibende Behinderungen weiterleben
zu können, verbessert werden. Die jetzt geforderte Mindestzahl an zu betreuenden Frühgeburten mit einem Geburtsgewicht von
unter 1250 Gramm bedeutet bei durchgehender Belegung eine Betreuung von zwei bis drei solcher Frühgeburten im Monat. In Übereinstimmung
mit der internationalen Literatur geht die Sterblichkeit von Säuglingen auch in Deutschland zu einem großen Teil zulasten
der unreifen Frühgeborenen. Erst danach sind Fehlbildungen, Unfälle, andere Erkrankungen oder zum Beispiel der plötzliche
Kindstod für die Sterblichkeit verantwortlich. Es ist daher gerechtfertigt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Überlebenschance
zu erhöhen.
Die bisher bestehende Mindestmenge für Perinatalzentren Level 2 in Höhe von 14 Fällen mit einem Geburtsgewicht von 1250 bis
1499 Gramm pro Jahr entfällt im Hinblick auf eine deutlichere Abstufung der Anforderungen von Level 1 zu 2 und zur Verwirklichung
bzw. Beibehaltung effektiver Netzwerkstrukturen zwischen Perinatalzentren Level 1 und Level 2. Die bisherige Regelung war
nach Auffassung von Experten und Praktikern problematisch, weil eine Mindestfallzahl von 14 Kindern mit einem Geburtsgewicht
1250 bis 1499 Gramm aufgrund des geringen Gewichtsintervalls derart schwer zu erreichen ist, dass dieser Versorgungslevel
bisher nicht ausreichend umgesetzt wurde. Hierdurch zeichnete sich eine Ausdünnung der Perinatalzentren Level 2 ab. Dies steht
einer gewünschten regionalen Netzwerkbildung entgegen.
In den Beschluss flossen Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Versorgungsqualität für diesen Leistungsbereich
ein. Im Abschlussbericht des IQWiG "Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Ergebnis bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen
mit sehr geringem Geburtsgewicht" (V07-01) wiesen die eingeschlossenen Publikationen
"bezüglich eines statistischen Zusammenhangs zwischen der Leistungsmenge und der Ergebnisqualität bei der Versorgung von Frühgeborenen
mit sehr geringem Geburtsgewicht kein völlig einheitliches und eindeutiges Bild auf. Allerdings geben die Daten in der Gesamtschau
bezüglich der primären Zielgröße "Mortalität" unter Berücksichtigung der Studien- und Publikationsqualität sowie ihres Populationsbezugs
deutliche Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang, der sich als Trend einer Risikoreduktion mit steigender Leistungsmenge
darstellt. Die Daten zur Morbidität sind spärlich, nicht eindeutig und lassen hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen der
Leistungsmenge und Ergebnisqualität keine abschließende Beurteilung zu."
Die dem Gemeinsamen Bundesausschuss vorliegenden neueren Untersuchungen und Analysen zur Versorgungssituation in Deutschland
und anderen Ländern, die in den Beratungsprozess einflossen, unterstützen im Wesentlichen dieses Fazit des IQWiG-Berichtes,
wenngleich deren Interpretation kontrovers diskutiert wurde. Eine an Hand von Folien in der Sitzung des Plenums von Seiten
der DKG vorgetragene noch nicht veröffentlichte Untersuchung, die zum Beleg eines fehlenden Zusammenhanges zwischen Fallzahl
und Ergebnisqualität eingebracht wurde, konnte nur eingeschränkt berücksichtigt werden, weil nach einer mehr als dreijährigen
strittigen Beratung spezifisch dieser Thematik eine erneute Vertagung mit dem Ziel der Auswertung dieser im Zeitpunkt der
Beschlussfassung unveröffentlichten Studie nicht mehr zugelassen werden konnte. Aus solchen Erhebungen lassen sich auch nur
sehr begrenzt Aussagen über die Auswirkungen einer Verdichtung der Zahl von Perinatalzentren Level 1 und einer durch Wegfall
von Mindestmengen für Perinatalzentren Level 2 ermöglichten Netzwerkbildung auf eine Verbesserung der Qualität der Versorgung
treffen.
Weiterhin wurde im vorliegenden Beschluss eine Evaluation der Auswirkungen der Mindestmengenvereinbarung auf die Versorgungswirklichkeit
und die Ergebnisqualität festgelegt. Sie ist erforderlich insbesondere vor dem Hintergrund einer Datenlage mit unterschiedlichen
Interpretationsmöglichkeiten und einer auch im Gemeinsamen Bundesausschuss nach wie vor kontroversen Diskussion um die Auswirkung
von Mindestzahlanforderungen für die Behandlung von Frühgeborenen auf die Qualität der Versorgung. Die Entscheidungsfindung
war auch deshalb so schwierig, weil Mindestzahlanforderungen dazu führen, dass die medizinische Behandlung auf Zentren konzentriert
wird, und dies im Konflikt zu Forderungen nach einer wohnortnahen Versorgung stehen kann. Die Aufhebung von Mindestzahlanforderungen
für Perinatalzentren Level 2 und die damit ermöglichte Vernetzung von wohnortnahen Krankenhäusern dieser Versorgungsstufe
mit zentralisierten Perinatalzentren Level 1 trägt diesem Umstand Rechnung.
Nach eingehender Beratung und umfassender Abwägung der zahlreichen kontrovers eingebrachten Argumente für und wider Mindestzahlanforderungen
und deren Erhöhung bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen sowie der Evidenzbewertung durch das IQWiG wurde mit dem
vorliegenden Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses eine Entscheidung getroffen, die den erforderlichen hohen fachlichen
Standard bei der Versorgung dieser besonders schutzbedürftigen Kleinstkinder verbessern soll.
Gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 17. Juni 2010 haben die Antragstellerinnen am 1. Oktober 2010 Klage erhoben, soweit
er in Teil I. Nr. 1 die Mindestmenge für Perinatalzentren des Levels 1 von 14 auf 30 erhöht (L 7 KA 77/10 KL). Am 4. Oktober 2010 haben sie um Eilrechtsschutz nachgesucht und begehren eine Aussetzung des genannten Beschlusses bis
zur Entscheidung in der Hauptsache.
Mit Zwischenverfügung vom 2. Dezember 2010 hat der Senat den Beschluss des Antragsgegners vom 17. Juni 2010 über eine Anhebung
der Mindestmange für Perinatalzentren des Levels 1 von 14 auf 30 zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bis zum 26.
Januar 2011 (Tag der mündlichen Verhandlung über den Eilantrag) außer Vollzug gesetzt.
Der Antragsgegner hat hierauf in Reaktion auf die Zwischenverfügung in seiner Sitzung vom 16. Dezember 2010 beschlossen, die
betreffende Regelung zur Anhebung der Mindestmange für Perinatalzentren des Levels 1 von 14 auf 30 bis zum 28. Februar 2011
allgemein und mit der Konsequenz außer Vollzug zu setzen, dass für alle zugelassenen Krankenhäuser weiterhin die Mindestmenge
von 14 gilt.
Im Eilverfahren bringen die Antragstellerinnen vor: Sie erfüllten sämtlich die Voraussetzungen für ein Perinatalzentrum des
Levels 1. Auch krankenhausplanungsrechtlich seien sie insoweit nicht eingeschränkt, insbesondere nicht gehindert, Frühgeborene
mit Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm zu versorgen. Die entsprechenden Fallgruppen seien in den Budgetverhandlungen vereinbart
worden. Eine Fallzahl von 14 werde man 2011 voraussichtlich jeweils erreichen, nicht aber die streitige Mindestmenge von 30.Eine
Aussetzung des Beschlusses des Antragsgegners vom 17. Juni 2010 sei für Perinatalzentren des Levels 1 schon deshalb geboten,
weil die nachteiligen Folgen, die eintreten würden, wenn das Eilverfahren keinen Erfolg hätte, die Klage hingegen später erfolgreich
wäre, gegenüber den Nachteilen überwögen, die entstünden, wenn der begehrte Eilrechtsschutz gewährt würde, die Klage aber
später ohne Erfolg bliebe ("Doppelhypothese"). Die Anhebung der Mindestmenge von 14 auf 30 führe kurzfristig zur nachhaltigen
Zerschlagung seit langem etablierter und gut arbeitender, regional bedeutsamer Versorgungseinheiten. Es komme zu einer deutlichen
Verschlechterung der Versorgung Frühgeborener, auch durch die zu befürchtende Überlastung der verbleibenden Hochfrequenzzentren,
und erheblich längeren Fahrwegen für die betroffenen schwangeren Frauen. Mit Wirksamwerden der Mindestmenge von 30 seien die
Antragstellerinnen gezwungen, ihren Status als Perinatalzentren des Levels 1 jeweils umgehend aufzugeben. Es drohe ein erheblicher
Erlösverlust. Aufgrund der vergleichbaren Fixkostenbelastung sei auch ein Ausweichen auf den Level 2 defizitär, weil die Versorgung
von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm wesentlich höhere Fallpauschalen auslöse als diejenige Frühgeborener über 1.250 Gramm
Geburtsgewicht. Beeinträchtigt werde auch die Geburtshilfe allgemein, da Schwangere in erheblichem Umfange zu den verbleibenden
Hochfrequenzzentren umgeleitet würden, sofern eine Frühgeburt auch nur drohe. Mit einem Rückfall auf die dritte Versorgungsstufe
(perinataler Schwerpunkt) müsse zur Abwendung einer Insolvenz - am Beispiel etwa der Antragstellerin zu 2) - eine Entlassung
von 41 Vollzeitkräften einher gehen. Ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache unter Beibehaltung der bisherigen sachlichen
und personellen Strukturen bei Vorhaltung der Fixkosten und gleichzeitigem Versorgungsverbot komme damit schlechthin nicht
in Betracht. Der Wiederaufbau eines Perinatalzentrums des Levels 1 sei wegen der zwischenzeitlichen Personalwanderung demgegenüber
schwierig und langwierig. Die Aberkennung des Status als Perinatalzentrum des Levels 1 gehe nicht zuletzt auch bei den Zuweisern
und der breiten Bevölkerung mit einem gravierenden Verlust an Renommee und Vertrauen einher. Gegenüber alledem sei es ohne
Weiteres hinnehmbar, wenn es bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache bei der bisherigen Mindestmenge von 14 verbliebe.
Die vorübergehende Aufrechterhaltung des Status quo führe in keiner Weise zu einer Gefährdung der Früh- und Neugeborenen und
ihrer Mütter, zumal die etablierte deutsche Versorgungsstruktur europaweit führend sei.
Im Übrigen sei der Beschluss vom 17. Juni 2010 aus mehreren Gründen rechtswidrig und damit nichtig. Frühgeburtlichkeit sei
grundsätzlich nicht "planbar" im Sinne von §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V, sondern verlaufe dynamisch und sei nicht vorhersehbar. Zudem sei eine Kausalität zwischen Leistungsmengen und Qualität des
Behandlungsergebnisses nicht hinreichend sicher belegt. Leistungsmengen seien nur ein schwacher Surrogatfaktor für die Vorhersage
der Leistungsqualität; maßgeblich ins Gewicht fielen auch andere Qualitätsanforderungen wie zum Beispiel Qualifikation und
Geschick von Ärzten und Pflegekräften, Prozessqualität und sachliche Ausstattung. Der Antragsgegner habe insgesamt nur unzureichende
Sachaufklärung betrieben, zumal das IQWiG in seinem Bericht vom 14. August 2008 ausdrücklich erklärt habe, dass aus den Ergebnissen
der analysierten Beobachtungsstudien keine kausalen Zusammenhänge ableitbar seien. Konkrete Mindestmengen seien bei dieser
Studienlage nicht begründbar. Erst recht sei nicht belegt, dass - wie vom Gesetz gefordert - Menge und Ergebnis "in besonderem
Maße" von einander abhängig seien. Schlichte - ohnehin nicht vorhandene - statistische Korrelationen reichten insoweit nicht
aus. Im Rahmen der Ergebnisanalyse dürfe zudem nicht ausschließlich auf die Mortalität als Zielgröße abgestellt werden; hier
bestehe die Gefahr einer Überschätzung von Einheiten, die eine niedrige Mortalität auf Kosten einer hohen Morbidität erzielten.
Zu befürchten sei auch eine Fehlsteuerung dergestalt, dass Kliniken gegebenenfalls nicht mehr um jeden Preis bemüht sein könnten,
sehr unreife Frühgeburten zu vermeiden, um die Mindestmenge zu erreichen. Eine Schwellenwertermittlung sei nicht einmal versucht
worden; der Antragsgegner habe damit seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung gravierend verletzt. Die Mindestmenge von 14
sei ebenso willkürlich wie die von 30. Verfahrensfehlerhaft sei vor allem die Nichtberücksichtigung der in der Sitzung des
Antragsgegners vom 17. Juni 2010 vorliegenden, von der Deutschen Krankenhausgesellschaft in Auftrag gegebenen aktuellen Analyse
der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS-Institut). Diese belege den fehlenden Zusammenhang zwischen Leistungsmenge
und Qualität im Rahmen der Frühgeborenenversorgung. Mit der neuen Mindestmengenregelung sei ein unzulässiger Eingriff in das
Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art.
12 Grundgesetz (
GG) verbunden. Hinzu komme die fehlende demokratische Legitimation des Antragsgegners für die getroffene Mindestmengenregelung,
mithin die Verfassungswidrigkeit von §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V als Ermächtigungsgrundlage.
Die Antragstellerinnen beantragen,
den Vollzug von I. Nr. 1 des Beschlusses des Antragsgegners vom 17. Juni 2010 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
Klage zum Aktenzeichen L 7 KA 77/10 KL auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er bringt im Wesentlichen vor: Der Eilantrag sei schon unzulässig, denn einstweiligen Rechtsschutz in Zusammenhang mit einer
Normenkontrollklage sehe das
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) - anders als die
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) in §
47 Abs.
6 - nicht vor. Zweifel bestünden auch am Rechtsschutzbedürfnis. So seien einige Antragstellerinnen keine Perinatalzentren des
Level 1; auch sei zweifelhaft, ob alle Antragstellerinnen überhaupt die Mindestmenge von 14 erreichten. Am Rechtsschutzbedürfnis
fehle es aber auch für die übrigen Antragstellerinnen, sofern sie die Voraussetzungen der Qneu-RL erfüllten und die Mindestmenge
von 14 erbrächten, denn ihnen stehe es offen, auf Landesebene eine Ausnahmegenehmigung der Krankenhausplanungsbehörde nach
§
137 Abs.
3 Satz 3
SGB V zu beantragen; dass eine solche Ausnahmeregelung nicht erlangbar sei, sei nicht vorgebracht. Im Übrigen fehle es auch an
einer unmittelbaren Betroffenheit der Antragstellerinnen durch die Mindestmengenvereinbarung; diese entfalte Wirkung erst
in Gestalt der krankenhausplanerischen Maßnahmen der Länder bzw. in konkreten Pflegesatzvereinbarungen, gegen die gegebenenfalls
primär vorzugehen sei.
Jedenfalls sei der Eilantrag aber unbegründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Mindestmenge von 30 lägen vor. Die
Entbindung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm sei planbar im Rechtssinne, insbesondere aufgrund der engmaschigen gynäkologischen
Betreuung von Schwangerschaften in Deutschland. Frühgeburten seien regelhaft vorhersehbar. Notfallbehandlungen seien nach
Nr. 1 der Anlage 2 zur Mindestmengenvereinbarung ohnehin nicht erfasst. Die Planbarkeit ergebe sich im Übrigen schon daraus,
dass Schwangere mit anstehender Frühgeburt gezielt und präpartal in eine geeignete Einrichtung zu transportieren seien, denn
der postnatale Transport von Frühgeborenen sei möglichst zu vermeiden. "Planbarkeit" erstrecke sich damit auch auf Maßnahmen
der stationären Versorgung (und nicht nur der vertragsärztlichen Versorgung im Allgemeinen), denn meist sei erst stationär
absehbar, welche der vier Versorgungsstufen zur Sicherung der Gesundheit des Frühgeborenen geeignet und geboten sei. Bei mehr
als 90 Prozent aller Geburten mit dem Risiko einer Frühgeburt sei bei entsprechender Indikation die Möglichkeit einer planbaren
Einweisung oder Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum des Levels 1 gegeben.
Es lägen auch deutliche Anhaltspunkte vor, um den besonderen Zusammenhang der Qualität des Behandlungsergebnisses von der
Menge der erbrachten Leistungen zu begründen. Statistische Belege seien insoweit ausreichend, höchstmögliche Evidenz sei nicht
zu fordern. Gerade die Einführung hoch bewerteter DRG´s für die Behandlung Frühgeborener führe zur Notwendigkeit verstärkter
Maßnahmen der Qualitätssicherung durch Struktur-, Prozess- und Mengenvorgaben. In die Entscheidung vom 17. Juni 2010 seien
neben dem Gutachten des IQWiG auch weitere Studien, Empfehlungen, Gutachten und Expertenmeinungen einbezogen worden; die daraus
gewonnenen Erkenntnisse hätten zur Überzeugung der die Beschlussfassung tragenden Mehrheit der Mitglieder einen besonderen
Zusammenhang zwischen Menge und Qualität erkennen lassen. Die am 17. Juni 2010 erstmals von der Deutschen Krankenhausgesellschaft
vorgelegte, noch nicht veröffentlichte Studie des BQS-Instituts hätte nicht berücksichtigt werden müssen. Die vorgelegte Berechnung
lasse kein abschließendes Bild über die Ergebnisqualität der Krankenhäuser zu. Es gebe keine Untersuchung, die belege, dass
Säuglingssterblichkeit bzw. Häufigkeit und Schwere von in Zusammenhang mit der Geburt eingetretenen Behinderungen unabhängig
von der Festlegung einer Mindestmenge seien. Vielmehr habe das IQWiG deutliche Hinweise für eine Relation von Behandlungsqualität
und Mindestbehandlungsfallzahl festgestellt. Insgesamt sei es notwendig, die Vorgaben der Qneu-RL zu Qualität und Struktur
der Versorgung Frühgeborener durch eine Mindestmengenregelung zu flankieren, denn nur die nachhaltige Erfahrung eines gut
ausgebildeten Teams bürge für die erwünschte Behandlungsqualität.
Mit der konkreten Höhe der Mindestmenge von 30 bewege man sich im Entscheidungskorridor des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.
Einen absoluten Evidenzbeleg gebe es nicht. Um die entsprechend der Qneu-RL mit hohem, insbesondere personellem, Aufwand betriebenen
Perinatalzentren des Levels 1 gesundheitsökonomisch und betriebswirtschaftlich auszulasten, bedürfe es sogar einer Mindestmenge
von etwa 40. Auch das IQWiG habe in seinem Bericht wissenschaftliche Belege für den Zusammenhang von niedrigerer Mortalität
bei höherer Fallzahl gefunden. Eine Mindestmenge von 50 für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm fordere
auch die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zu den strukturellen Voraussetzungen
der perinatologischen Versorgung in Deutschland. Derzeit überschritten in Deutschland 64 Einrichtungen die Mindestfallzahl
von 30. Bei jährlich rund 5.000 Frühgeborenen unter 1.250 Gramm werde diese Zahl sich bei Geltung der Mindestmenge von 30
noch erhöhen. Sofern die Mindestmengenregelung die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen berühre, sei dies gerechtfertigt.
Die Versorgung Frühgeborener unter 1.250 Gramm stelle regelmäßig nur einen sehr kleinen Teil des Leistungsspektrums dar -
Level 1 und 2 zusammen etwa 1,5 Prozent aller Geburten - und sei daher nicht prägend. Auch könnten die Antragstellerinnen
die von ihnen befürchteten Nachteile durch eine bewusste Entscheidung für einen Level 2 - Status und eine Vernetzung mit einer
Level 1 - Einrichtung vermeiden.
Eine Aussetzung der Mindestmengenregelung von 30 werde sich negativ auf die Versorgungsqualität der Frühgeborenen auswirken.
Die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerinnen hätten gegenüber dem Recht der Frühgeborenen auf optimale Versorgung
zurückzustehen. Aktuelle Bemühungen der Krankenhausplanung in den Ländern würden zudem bei einer Aussetzung der Regelung gestört,
das Bemühen des Antragsgegners um Befriedung der seit Jahren mit äußerster Härte geführten Konfrontation würde unterlaufen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte zum Eilverfahren
(zwei Bände) und zur Klage L 7 KA 77/10 KL (ein Band) sowie auf die vom Beklagten eingereichte Normsetzungsdokumentation (zwei Ordner) Bezug genommen, der, soweit
wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
II. Der Eilantrag hat Erfolg.
A. Der Senat behandelt das vorliegende Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Übereinstimmung mit dem für das
Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senat des Bundessozialgerichts als eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts im Sinne von
§
31 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG; vgl. etwa Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R; Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 1/08 R; Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 31/09 R, jeweils zitiert nach juris). Zwar ist in der Rechtsprechung verschiedener Senate des Bundessozialgerichts (inzwischen) umstritten,
nach welchen Kriterien die besondere Zuständigkeit einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts
(§§
10 Abs.
2,
31 Abs.
2 SGG) von der allgemeinen Zuständigkeit einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung
(§
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG) abzugrenzen ist. Im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt der Senat bis zu einer abschließenden höchstrichterlichen
Klärung oder einer Klarstellung durch den Gesetzgeber wie schon bisher der Auffassung des 6. Senats des Bundessozialgerichts
und fasst den vorliegenden Streit von Krankenhausträgern gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss unter das Vertragsarztrecht
(vgl. insoweit schon Beschluss des Senats vom 27. August 2010, L 7 KA 11/10 KL ER, zitiert nach juris [Otobacid ®]).
B. Für die Streitigkeit ist der Senat erstinstanzlich zuständig. Eilantrag (und Klage) richten sich unmittelbar "gegen Entscheidungen
und Richtlinien" des Antragsgegners im Sinne von §
29 Abs.
4 Nr.
3 SGG, nämlich gegen einen Verbindlichkeit entfaltenden Beschluss im Sinne von §
91 Abs.
6 SGB V.
C. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig.
1. Der Antrag ist statthaft. Er zielt auf die Wahrung der Rechte der Antragstellerinnen bis zu einer Entscheidung im gleichzeitig
geführten Hauptsacheverfahren L 7 KA 77/10 KL, das seinerseits als Feststellungsklage im Sinne von §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG, die hier wie eine Normenkontrollklage wirkt, statthaft ist (unten a). Die Statthaftigkeit des Eilantrages selbst orientiert
sich an §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG (Regelungsanordnung, unten b).
a) Der erkennende Senat hat als 7. Senat des LSG Berlin-Brandenburg und auch schon als 7. Senat des früheren LSG Berlin in
ständiger Rechtsprechung als Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG auch die Normfeststellungsklage für zulässig gehalten, wenn sie auf die Feststellung der Gültigkeit bzw. der Nichtigkeit
einer untergesetzlichen Rechtsnorm gerichtet war (LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 15. Juli 2009, L 7 KA 30/08 KL [§ 116 b SGB V] und L 7 KA 50/08 KL sowie Urteil vom 17. März 2010, L 7 KA 125/09 KL [Monapax ®]; LSG Berlin, Urteil vom 14. Juni 1995, L 7 Ka 6/95 [laborärztliche Leistungen]; zitiert jeweils nach juris).
Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass es sich bei dem hier streitigen Beschluss des Antragsgegners nach §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V ("Mindestmengenvereinbarung") nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der die Möglichkeit der Anfechtungsklage eröffnet, sondern
- wie etwa bei der Arzneimittelrichtlinie im Sinne von §
92 Abs.
1 Nr.
6 SGB V - um eine verbindliche untergesetzliche Norm im Sinne von §
91 Abs.
6 SGB V (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. März 1996, 6 RKa 62/94, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20). Als sachgerechte Klageart kommt deshalb zur Vermeidung von verfassungsrechtlich im Hinblick
auf Art.
19 Abs.
4 GG nicht hinnehmbaren Rechtsschutzlücken nur eine Feststellungsklage nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG in Betracht, weil das
SGG offensichtlich lückenhaft ist und Rechtsschutz in Form der Normenkontrolle nicht ausdrücklich vorsieht; eine §
47 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) entsprechende Norm fehlt im
SGG, das andererseits in §
29 Abs.
4 Nr.
3 Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Richtlinien des Beklagten ausdrücklich voraussetzt.
Diese Rechtsschutzmöglichkeit hat auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 31. Mai 2006 (B 6 KA 13/05 R [Clopidogrel], zitiert nach juris; vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 17. März 2010, L 7 KA 125/09 KL [Monapax ®]) anerkannt. Danach sind Klagen von Arzneimittelherstellern gegen die Rechtmäßigkeit von Therapiehinweisen,
die der Beklagte zu einer Arzneimitteltherapie abgegeben hat, im Rahmen des §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG zulässig; zur Überzeugung des Senats kann für eine Klage gegen die Mindestmengenvereinbarung nach §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V nichts anderes gelten.
b) Der Eilantrag ist danach als ein solcher auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG statthaft, gerichtet auf Außervollzugsetzung der streitigen Regelung bis zu einer Entscheidung des Senats im parallel geführten
Hauptsacheverfahren. Nur diese Handhabung des Prozessrechts wird der Aufgabe des Senats gerecht, effektiven Rechtsschutz zu
gewähren (Art.
19 Abs.
4 GG). Grundsätzlich flankiert das Eilverfahren dabei das letztlich auf Normenkontrolle gerichtete Hauptsacheverfahren und erfüllt
im Wesentlichen eine Sicherungsfunktion. Danach ist es Aufgabe der einstweiligen Anordnung, die Entscheidung in der Hauptsache
offen zu halten. Es soll verhindert werden, dass die spätere Normenkontrolle durch den Verlauf der Ereignisse praktisch leerläuft
(vgl. Gerhardt/Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
Verwaltungsgerichtsordnung, Rdnr. 130 zu §
47).
Die Auffassung des Antragsgegners, ein Eilantrag sei im vorliegenden Zusammenhang in Ermangelung entsprechender prozessrechtlicher
Vorschriften ausgeschlossen, liegt insoweit neben der Sache.
Die Insuffizienz des Sozialgerichtsgesetzes im Bereich der Normenkontrolle zeigt sich allerdings auch und gerade im Bereich
des Eilrechtsschutzes. §
47 VwGO regelt als Norm des Prozessrechts die von den Oberverwaltungsgerichten zu leistende Normenkontrolle in Bezug auf Satzungen,
Rechtsverordnungen und sonstigen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
wirkt nach §
47 Abs.
5 Satz 2
VwGO allgemein verbindlich, hat also Wirkung "inter omnes" und nicht nur "inter partes". In §
47 Abs.
6 VwGO ist weiter vorgesehen, dass das Gericht - dann ebenfalls allgemein verbindlich - auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen
kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus wichtigen Gründen dringend geboten ist. Diese speziell auf die Normenkontrolle
zielenden Regelungen sind sachgerecht und wären auch im
Sozialgerichtsgesetz geboten. Von einer analogen Anwendung des §
47 VwGO sieht der Senat gleichwohl ab, weil das
Sozialgerichtsgesetz in einer Art.
19 Abs.
4 GG wohl noch entsprechenden Weise immerhin Individualrechtsschutz im Bereich der Normenkontrolle zulässt, nämlich über die Normfeststellungsklage
in der Hauptsache und die Regelungsanordnung mit der Möglichkeit der vorläufigen Außervollzugsetzung in §
86 b Abs.
2 SGG, allerdings nur mit der dem Gedanken der Normenkontrolle nicht gerecht werdenden inter-partes-Wirkung. Der Senat behält sich
insoweit vor, in späteren Verfahren gegebenenfalls unmittelbar zur analogen Anwendung von §
47 VwGO zu greifen, sollte sich zeigen, dass effektiver Rechtsschutz und sinnvolle Ergebnisse im Bereich der Normenkontrolle nur
über eine allgemein verbindliche Entscheidung zu erreichen sind; gegebenenfalls wird sich auch eine analoge Anwendung des
vom Gesetzgeber geplanten §
55a SGG anbieten, der die Normenkontrolle mit allgemeiner Verbindlichkeit und auch der Möglichkeit des Eilrechtsschutzes vorsieht,
allerdings unvollkommen, denn nur für den Bereich von Rechtsvorschriften, die auf Landesebene nach § 22a Sozialgesetzbuch/Zweites
Buch (SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende) verbindliche Regelungen über die Kosten der Unterkunft vorsehen.
2. Der Eilantrag ist auch im Übrigen zulässig. Die vom Antragsgegner erhobenen Rügen greifen auch hier nicht durch. Die Antragstellerinnen
sind antragsbefugt (unten a) und rechtsschutzbedürftig (unten b).
a) Antragsbefugt im Sinne des Vorliegens einer Beschwer bzw. der Berührung subjektiver Rechte sind die Antragstellerinnen,
weil die Mindestmengenregelung sie unmittelbar betrifft. Sie sind insoweit Adressatinnen der allgemeinverbindlichen Regelung,
als mit ihr unmittelbar ein Verbot der Leistungserbringung statuiert wird. Dies liegt in der Natur der Mindestmenge und bedarf
keiner weiteren behördlichen Umsetzungsmaßnahmen. So bestimmen sowohl §
137 Abs.
3 Satz 2
SGB V als auch §
5 der Mindestmengenvereinbarung ausdrücklich, dass die Vereinbarung für nach §
108 SGB V zugelassene Krankenhäuser "unmittelbar verbindlich" ist. "Wird die erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich
nicht erreicht, dürfen ab dem Jahr des jeweiligen Inkrafttretens der Mindestmenge entsprechende Leistungen nicht erbracht
werden". Die Mindestmengenregelung kann damit die Rechtstellung der Antragstellerinnen als Plankrankenhäuser und ihren Besitzstand
in Bezug auf die (noch) erlaubte Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm direkt beeinträchtigen. Soweit die Krankenhäuser
privatrechtlich organisiert sind, kommt zudem das Vorliegen einer Berufsausübungsregelung im Sinne von Art.
12 Abs.
1 GG in Betracht (vgl. hierzu Bohle, Mindestmengen im Krankenhaus, GesR 2010, S. 587 [589]).
b) Die Antragstellerinnen sind auch rechtsschutzbedürftig. Es ist nicht ersichtlich, welchen Weg sie an Stelle des Normenkontrollantrages
vorrangig gehen sollten, um die Mindestmenge von 30 nicht erbringen zu müssen. Den Hinweis des Antragsgegners auf die zunächst
bei der Krankenhausplanungsbehörde des Landes zu beantragende Ausnahmegenehmigung nach §
137 Abs.
3 Satz 3
SGB V hält der Senat nicht für sachgerecht. Es muss einem jeden Betroffenen offen stehen, sich gegen eine unmittelbar belastende
Regelung an sich zu wenden, bevor er sich darauf einlässt, sich unter Inkaufnahme dieser Regelung um eine Ausnahme bzw. einen
Dispens von derselben zu bemühen. Diese Sichtweise trägt auch dem gesetzlich vorgesehenen Zusammenspiel von Gemeinsamem Bundesausschuss
und Landesplanungsbehörden Rechnung (vgl. Bohle aaO., S. 595). Als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung
im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung ist der Antragsgegner ermächtigt, zum Zwecke der Qualitätssicherung zentrale
Vorgaben in Gestalt von Mindestmengen zu machen, die vor Ort - wie gezeigt - bei Unterschreitung der jeweiligen Fallzahlen
zu einem verbindlichen Leistungserbringungsverbot der Krankenhäuser führen. Auf der anderen Seite führen die Landesbehörden
anhand der im Krankenhausfinanzierungsgesetz getroffenen Regelungen die Krankenhausplanung in ihrem Zuständigkeitsbereich
durch, sind dabei aber an die Prämissen gebunden, die der Antragsgegner in Gestalt von Mindestmengen setzt. Durchbrochen werden
dürfen diese Prämissen durch individuelle Ausnahmeentscheidungen der Landesbehörden, §
137 Abs.
3 Satz 3
SGB V, um die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen zu gewährleisten. Die Akteure verfolgen damit
vom Zweck des Gesetzes her unterschiedliche Zielsetzungen. Ob dies mit dem Verbot der Mischverwaltung vereinbar ist, lässt
der Senat im Verfahren des Eilrechtsschutzes unerörtert; allerdings folgt aus dem Normgefüge der Art.
83 ff.
GG grundsätzlich, dass Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse gleich welcher Art im Aufgabenbereich der
Länder, wenn die Verfassung dem Bund entsprechende Sachkompetenzen nicht übertragen hat, durch das
Grundgesetz ausgeschlossen sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2007, 2 BvR 2433/04, zitiert nach juris, dort Rdnr. 153). Jedenfalls darf ein Krankenhaus nicht auf den Weg der Ausnahme bzw. des Dispenses nach
§
137 Abs.
3 Satz 3
SGB V verwiesen werden, die zudem im Ermessen der Planungsbehörde steht und der Drittanfechtung unterliegen kann, wenn es der Überzeugung
ist, dass die zentral vorgegebene Mindestmenge rechtswidrig sei.
Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt auch nicht unter anderen Aspekten. Sämtliche Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht,
dass eine stattgebende Entscheidung des Senats ihre Rechtsstellung verbessern würde. Nach dem jüngsten Vorbringen der Antragstellerinnen
besteht so zum einen kein vernünftiger Zweifel mehr daran, dass es sich bei jeder von ihnen bislang um ein Perinatalzentrum
des Levels 1 handelt. Zum anderen gestalten sich auch die jeweiligen Fallzahlen so, dass die Mindestmenge von 30 unmittelbar
belastend wirkt. Bei zehn der 16 Antragstellerinnen bewegten sich die Fallzahlen der Jahre 2009 und 2010 durchweg zwischen
14 und 29. Die Zahl von 14 war in Einzelfällen und einzelnen Jahren knapp unterschritten, doch rechtfertigt dies nicht hinreichend
sicher die Prognose, dass im Jahr 2011 ebenfalls weniger als 14 Fälle zur Versorgung anstehen. Sofern die Zahl 30 in Einzelfällen
überschritten war, geschah dies auch nur geringfügig und basierte etwa auf der überdurchschnittlich häufigen Versorgung höhergradiger
Mehrlinge. Insgesamt konnte der Senat bei der im Rahmen der Zulässigkeit nur gebotenen überschlägigen Prüfung nicht feststellen,
dass den Antragstellerinnen das rechtliche Interesse an der Anfechtung der erhöhten Mindestmenge fehlen könnte, weil sie von
vornherein und sicher nicht in den Korridor zwischen 14 und 29 fallen.
D. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch begründet. Die Erhöhung der Mindestmenge für die Versorgung
von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm von 14 auf 30 ist vorläufig außer Vollzug zu setzen
(zum Prüfungsmaßstab unten 1.). Ein Anordnungsanspruch ist hinreichend glaubhaft gemacht (unten 2.): Der Senat hat erhebliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Mindestmengenregelung, gemessen an den rechtlichen Vorgaben in §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V und am Willkürverbot. Außerdem haben die Antragsteller die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige besondere
Dringlichkeit glaubhaft gemacht (Anordnungsgrund, unten 3.). Diese Dringlichkeit führt auch im Rahmen der für das vorliegende
Eilverfahren in besonderem Maße kennzeichnenden Folgenabwägung zu einer einstweiligen Außervollzugsetzung des angegriffenen
Beschlusses vom 17.Juni 2010 (unten 4.).
1. Weil der Senat sich im System der Normenkontrolle bewegt, nimmt er bei Bestimmung seines Prüfungsmaßstabes die von der
Rechtsprechung und Literatur zu §
47 Abs.
6 VwGO und zu § 32 BVerfGG entwickelten Grundsätze in den Blick, folgt aber primär dem für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach
§
86 b Abs.
2 SGG üblichen Prüfungsaufbau. Zu fordern ist daher eine Glaubhaftmachung (§
86 b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung,
ZPO) von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, maßgeblich für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung sind die Erfolgsaussichten
in der Hauptsache und das Vorliegen besonderer Dringlichkeit. Weil eine Rechtsnorm außer Vollzug gesetzt werden soll, erscheint
es sachgerecht, bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung einen relativ engen Maßstab
anzulegen, also grundsätzlich Zurückhaltung zu üben gegenüber der Normsetzungskompetenz der Verwaltung. Gleichzeitig ist der
Maßstab für eine (vorläufige) Außerkraftsetzung administrativer Normsetzung ein weniger strenger als bei (vorläufiger) Außerkraftsetzung
von Parlamentsgesetzen durch die Verfassungsgerichtsbarkeit; die Zurückhaltung etwa des Bundesverfassungsgerichts gegenüber
dem parlamentarischen Gesetzgeber muss eine andere sein als diejenige der Fachgerichtsbarkeit bei der Kontrolle von Rechtsnormen
der Verwaltung (vgl. hierzu Gerhardt/Bier, aaO., Rdnr. 140).
Hiervon ausgehend ist die vom Antragsgegner bewirkte Normsetzung nur darauf zu überprüfen, ob die maßgeblichen Verfahrens-
und Formvorschriften eingehalten sind, sich die untergesetzliche Norm auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen
kann und ob die Grenzen des Gestaltungsspielraums in Gestalt etwa höherrangigen Rechts eingehalten sind (Bundessozialgericht,
Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 68). Die in §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V für den Erlass von Mindestmengen vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen sind danach vom Senat vollständig (dazu weiter unten
2.b) überprüfbar; ein Gestaltungsspielraum ist nur eröffnet, wenn bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen das Tor für
eine gestalterische Entscheidung gleichsam aufgestoßen ist. Ist letzteres der Fall, hat der Senat den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum
des Antragsgegners zu respektieren (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, §
8 Rdnr. 38; Beier, in jurisPK-
SGB V, §
92 Rdnr. 38; Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 67 ff. [Clopidogrel]; Urteil vom 16. Mai 2001, B 6 KA 20/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 31 [Überprüfung einer EBM-Ä-Regelung]; Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 36/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 29 [Leistungsausschluss für Hippotherapie]; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil
vom 2. Dezember 2009, L 9 KR 8/08 [sortis ® I], zitiert nach juris, dort Rdnr. 102).
2. Ein Anordnungsanspruch ist hinreichend glaubhaft gemacht. Die angefochtene Heraufsetzung der Mindestmenge für die Versorgung
von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm von 14 auf 30 begegnet schon bei summarischer Prüfung
gravierenden rechtlichen Bedenken, so dass die Hauptsacheklage Erfolg versprechend zu sein scheint.
a) Keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zunächst das vom Antragsgegner bei Beschlussfassung am 17. Juni 2010
praktizierte Verfahren. Für verfahrensfehlerhaft halten die Antragstellerinnen hier insbesondere die Nichtberücksichtigung
der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft in der Plenarsitzung des Antragsgegners am 17. Juni 2010 in Form einer Präsentation
(Anlage 8 zum Sitzungsprotokoll) vorgestellte Studie des BQS-Instituts, die zu dem Ergebnis kommt, die Qualität des Behandlungsergebnisses
von Frühgeborenen hänge nicht in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen ab. Es handelt sich um eine empirische
Analyse, die die Daten der Neonatalerhebungen aus dem Erfassungsjahr 2009 von fünf Bundesländern untersucht. Die Stichprobe
umfasst 3.326 Frühgeborene unter 1.250 Gramm und damit mehr als die Hälfte der Frühgeborenen dieses Segments in Deutschland
(5.300 bis 5.500). Als Zielgröße für die Qualität der Versorgung wurde die Mortalität in Krankenhäusern mit Fallzahlen unter
30 und in Häusern mit Fallzahlen von 30 und mehr Frühgeborenen mit Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm verglichen. In ihrer Präsentation
vor dem Plenum des Antragsgegners hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Ergebnisse der Studie herausgestellt: Unter
Berücksichtigung nachvollziehbarer und im Einzelnen dargelegter Faktoren weisen danach 63 Prozent der Häuser mit einer Fallzahl
von unter 30 Frühgeborenen eine niedrigere Mortalität auf als erwartet, während bei 37 Prozent der Häuser die Mortalität höher
ist als erwartet. Gleichzeitig liegt die Mortalität in den Häusern mit einer Fallzahl von mindestens 30 Frühgeborenen (nur)
zu 59 Prozent niedriger als erwartet und zu 41 Prozent höher als erwartet.
Allerdings musste die Studie am 17. Juni 2010 nicht maßgeblich berücksichtigt werden, weil sie zu jenem Zeitpunkt nicht veröffentlicht
war. Ein allgemeiner Grundsatz des Krankenversicherungsrechts besteht darin, dass wissenschaftliche Studien erst dann rechtliche
Relevanz entfalten, wenn sie veröffentlicht und damit allgemein zugänglich sind (vgl. etwa zu den Voraussetzungen des Off-Label-Use
Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. April 2010, L 1 KR 68/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 37). Danach hätte der Antragsgegner zwar seine Beratungen auf der Grundlage der Präsentation
der Deutschen Krankenhausgesellschaft und angesichts der vor der Veröffentlichung stehenden BQS-Studie vertagen können, er
war aber nicht zwingend verpflichtet, dies zu tun. Allerdings zeigt sich dem Senat aus der Chronologie der Normsetzung insgesamt
das Bild eines eiligen, forcierten Vorgehens, das in einem entscheidenden Moment auf die Verwertung einer neuen und einschlägigen
Studie verzichtete, ohne dass aus Qualitätssicherungsgesichtspunkten heraus nachvollziehbare Gründe eine unaufschiebbare Entscheidung
zwingend geboten hätten.
b) Bedenken hat der Senat allerdings, ob die Mindestmengenregelung tatbestandlich in Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
steht. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist insoweit derjenige der Entscheidung des Senats, denn die Mindestmengenregelung
entfaltet Dauerwirkung, so dass für ihre rechtliche Beurteilung, aber auch für ihre Aufrechterhaltung aus dem Blickwinkel
des Antragsgegners, den eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht trifft, neue wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt
werden können und müssen. Einen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum sieht der Senat auf Tatbestandsseite nicht; Art. 19 Abs.
4 des Grundgesetzes erlaubt und gebietet zugleich eine vollständige gerichtliche Überprüfung, denn das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale
des §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V ist ohne Weiteres einer sachgerechten Überprüfung auch durch ein Gericht zugänglich (vgl. in diesem Sinne zu einer anderen
Vorschrift auch Bundessozialgericht, Urteil vom 25. März 2003, B 1 KR 33/01 R, zitiert nach juris).
In der Sache bestehen zum einen Zweifel, ob es sich bei Frühgeburten um "planbare Leistungen" im Rechtssinne handelt (unten
aa). Außerdem ist nicht nachvollziehbar, dass in diesem Bereich die Qualität des Behandlungsergebnisses - wie gesetzlich gefordert
- "in besonderem Maße" von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt (unten bb).
aa) Das Gesetz ermächtigt den Antragsgegner zur Festlegung von Mindestmengen für "planbare Leistungen". Was unter dem Begriff
"planbar" zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Gesetz nicht unmittelbar. Der Begriff war im Regierungsentwurf zum Fallpauschalengesetz
(BT-Drs. 14/6893, S. 3) nicht enthalten und hat erst im Zuge der Beratungen im Ausschuss für Gesundheit Aufnahme in die Norm
gefunden (BT-Drs. 14/7824, S.6), was zumindest darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber der "Planbarkeit" eine eigenständige
Bedeutung beimessen wollte. Weil der begriff der Planbarkeit der Leistung Voraussetzung für Mindestmengen in allen Behandlungsbereichen
ist, muss er auch einer abstrakten Bestimmung zugänglich sein und nicht nur einer solchen aus dem System der Frühgeborenenversorgung
heraus. "Planbar" bedeutet im allgemeinen sprachlichen Sinne "sich planen lassend", "berechenbar" oder "voraussehbar"; gemeint
ist eine Situation des planmäßigen Vorgehens, der vorausschauenden und abwägenden Steuerung ohne drängende Zeitnot im Gegensatz
zur Notfallsituation. Dementsprechend sind in der Mindestmengenvereinbarung des Antragsgegners etwa Leistungen enthalten wie
Leber- und Nierentransplantation, Knochenmarktransplantation und Knietotalendoprothesen. All diese Eingriffe sind chirurgischer
Natur und erfolgen geplant, nicht "von jetzt auf gleich", sondern nach ausführlicher ärztlicher Beratung und eingehendem Nachdenken
seitens des Patienten über das "Ob", das "Wie", das "Wo" und das "Wann" des Eingriffs. Die Situation der Frühgeburt von Säuglingen
unter 1.250 Gramm dürfte sich hiervon maßgeblich unterscheiden, da ihr mit der "zu-früh-Geburt" etwas Unvorhergesehenes, im
Ansatz nicht Planbares und Notfallähnliches innewohnt (ebenso Bohle, aaO., S. 590). Dies liegt in der Natur der Sache. Der
Beginn des Geburtsvorgangs ist bei einer Frühgeburt nicht planbar, sondern erfolgt unerwünscht und vor allem im Wesentlichen
unvorhergesehen. Lediglich bei etwa 80 Prozent der Frühgeborenen kann der laufende Geburtsvorgang so weit verlangsamt werden,
dass Maßnahmen zur Lungenreifung des Kindes durchgeführt werden können. Valide Zahlen aber zum Anteil der echten Notfallsituationen
an allen Frühgeburten, zur Steuerungsmöglichkeit der Schwangeren im Moment der sich abzeichnenden Frühgeburt und darüber hinaus
zum Zeitablauf von den ersten Frühgeburtsanzeichen bis hin zur Frühgeburt selbst sind nicht aktenkundig, vom Antragsgegner
nicht vorgelegt und auch sonst nicht ersichtlich.
Das ausführliche, in eine andere Richtung weisende Vorbringen des Antragsgegners im Laufe der mündlichen Verhandlung belegt
die Planbarkeit nicht. Es verlegt dieses Merkmal allzu sehr in die Perspektive des Krankenhauses und in den Moment der schon
begonnenen Versorgung der Schwangeren und ihres Kindes. "Planbarkeit" solle danach vorliegen, wenn die Schwangere und das
frühgeborene Kind nach stationärer Aufnahme - was selbstverständlich ist - abwägend und zielgerichtet der für sie optimalen
Einrichtung zugeführt werden. Diese Situation ist aber nicht ansatzweise zu vergleichen mit den sonst in der Mindestmengenvereinbarung
geregelten Leistungen, denn sie zeichnet sich durch etwas Überraschendes und Notfallähnliches aus, weil sie durch die vorzeitige
Geburt geprägt bleibt.
Das Begriffsverständnis des Antragsgegners greift auch deshalb zu kurz, weil mit ihm letztlich alle Frühgeburten, die sich
nicht als akute Notfälle ereignen, der Planbarkeit unterlägen; es gäbe keinen "Nicht-Notfall" mehr, der nicht zugleich planbar
wäre. Dies kann aber nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, der das Tatbestandsmerkmal der Planbarkeit bewusst und
nachträglich als zusätzliche Anforderung an die Einführung von Mindestmengen in den Gesetzestext aufgenommen hat. Nach der
Sichtweise des Antragsgegners wäre dieses Tatbestandsmerkmal dagegen entbehrlich.
Angesichts dessen bleibt fraglich, ob bei derzeitiger Fassung des Gesetzes Mindestmengen in Zusammenhang mit der Frühgeborenenversorgung
überhaupt eine rechtlich zulässige Maßnahme der Qualitätssicherung sein können. Diese Frage kann im vorliegenden Eilverfahren
jedoch offen bleiben
(bb) Denn der Senat vermag auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu erkennen, dass die Qualität des Behandlungsergebnisses
bei Frühgeburten unter 1.250 Gramm in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt.
Der Gesetzgeber hat hier nicht nur einen einfachen Zusammenhang von Leistungsmenge und Behandlungsergebnis verlangt. Dieser
dürfte ohnehin nach dem Motto "Übung macht den Meister" bei so gut wie jeder Art von ärztlicher Behandlung bestehen, so dass
ohne das Merkmal "in besonderem Maße" annähernd jede Leistung - ihre Planbarkeit vorausgesetzt - mit einer Mindestmenge zu
versehen wäre. Das Vorliegen eines einfachen linearen bzw. statistischen Zusammenhangs zwischen Leistungsmenge und Leistungsqualität
im Bereich der Frühgeborenenversorgung kann der Senat - jedenfalls im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes - zunächst unterstellen.
Ob für die Versorgung von sehr kleinen Frühgeborenen aufgrund weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen valide Ergebnisse
vorliegen, die das Gegenteil belegen, muss einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es entspricht der Lebenserfahrung
und wird insbesondere im Bericht des IQWiG vorausgesetzt, dass eine höhere Leistungsmenge die Ergebnisqualität verbessert.
Für eine Abhängigkeit "in besonderem Maße" sieht der Senat dagegen derzeit keine verlässlichen Anhaltspunkte. Zu fordern wären
hier jedenfalls wissenschaftliche Belege dafür, dass die nach der gesetzlichen Wertung zugrunde zu legende Vermutung für einen
Zusammenhang von Quantität und Qualität stärker als üblich besteht. Die Notwendigkeit solcher wissenschaftlicher Belege setzt
der Antragsgegner selbst in § 3 Abs. 2 der Mindestmengenvereinbarung voraus. Nicht zu fordern wären aber gerade im Bereich
der Versorgung Frühgeborener wissenschaftliche Nachweise höchsten Evidenzlevels in Gestalt randomisierter Studien, denn -
worüber sich alle Beteiligten und auch das Gericht einig sind - solche Studien wären ethisch nicht vertretbar (zumindest auf
einem Missverständnis beruht insoweit die Aussage des unparteiischen Vorsitzenden des Antragsgegners in seiner Pressemitteilung
vom 26. Januar 2011, das Gericht fordere den nicht erbringbaren "evidenzbasierten Beleg eines Schwellenwerts", vgl. http://www.g-ba.de/informationen/aktuell/pressemitteilungen/383/).
Hinreichende wissenschaftlichen Belege für eine besonders starke Abhängigkeit der Ergebnisqualität liegen dem Senat derzeit
nicht vor. Im Gegenteil betont das IQWiG in seinem Bericht, dem der Senat besonderes Gewicht beimisst (vgl. hierzu Bundessozialgericht,
Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R [Clopidogrel], zitiert nach juris, dort Rdnr. 77), aus den Ergebnissen der ausgewerteten Beobachtungsstudien ließen sich
keine kausalen Zusammenhänge ableiten; Aussagen über spezifische Schwellenwerte hätten keine sichere wissenschaftliche Basis.
Konsequent hat das IQWiG weiter betont, Krankenhausleistungsmengen seien nur als "Surrogatfaktoren" zu betrachten. Im vorliegenden
Zusammenhang seien für die Leistungsqualität auch viele andere Faktoren maßgeblich wie geburtshilfliche Bedingungen, Transport
von Mutter und Kind, tägliche mittlere Belegungsrate oder Anzahl erfahrener Geburtshelfer bzw. Neonatologen und speziell ausgebildeter
Pflegekräfte tagsüber, nachts und am Wochenende. Damit dürfte die Leistungsmenge nach derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnis
im Bereich der Frühgeborenenversorgung nur ein Faktor unter vielen anderen sein, die maßgeblich für die Leistungsqualität
sind. Für die vom Gesetz geforderte Dominanz der Leistungsmenge in dem multifaktoriellen Geflecht ist nichts ersichtlich.
c) Unabhängig von den Bedenken in Bezug auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale aus §
137 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB V hält der Senat auch für sehr fraglich, ob der Antragsgegner sein Ermessen als Normgeber in Bezug auf die Gestaltung der Mindestmenge
beanstandungsfrei ausgeübt hat. Während die Tatbestandsmerkmale vollständiger gerichtlicher Überprüfung unterliegen, ist dem
Antragsgegner auf Rechtsfolgenseite ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (siehe oben D.1.).
Die konkrete Höhe der Mindestmenge von 30 erscheint hier bei überschlägiger Prüfung beanstandungsfrei. Sofern - wie hier -
konkrete Schwellenwerte wissenschaftlich nicht begründbar sind, öffnet sich dem Antragsgegner ein Entscheidungskorridor, der
jedenfalls unerträglich hohe Mindestmengen ausschließt, die entweder schlechthin nicht erfüllbar sind oder auf eine erhebliche
Ausdünnung bzw. Zentralisierung der Versorgung in nur sehr wenigen Kliniken und damit auf Unterversorgung in bestimmten Regionen
hinauslaufen. Hiervon kann aber bei einer Mindestmenge von 30 nicht die Rede sein. Angesichts von etwa 5.300 bis 5.500 Geburten
in der Gewichtsklasse unter 1.250 Gramm in Deutschland (vgl. Seeling/Metzinger in Das Krankenhaus 2010, S. 932) liegt auf der Hand, dass in Zukunft nicht nur sehr wenige, sondern einige dutzend Kliniken in Deutschland derartige Frühgeborenenversorgung
vornehmen dürften. So hat auch der GKV-Spitzenverband errechnet, dass eine Mindestmenge von 30 mindestens 64 Kliniken zur
Behandlung Frühgeborener der genannten Gewichtsklasse berechtigen würde. Diese Größenordnung an sich erscheint dem Senat grundsätzlich
beanstandungs- und vor allem willkürfrei, zumal es den Landesplanungsbehörden - wie gezeigt - offen steht, die Versorgung
im Einzelfall über eine Feinsteuerung durch Erteilung von Ausnahmen nach §
137 Abs.
3 Satz 3
SGB V sicherzustellen.
Willkürlich im Sinne eines Verstoßes gegen Art.
3 Abs.
1 GG erscheint dem Senat der angefochtene Beschluss vom 17. Juni 2010 aus einem anderen Grund. Die Gruppenbildung von Frühgeborenen
unter 1.250 Gramm einerseits und ab 1.250 Gramm andererseits lässt eine sachliche, durch Studienmaterial belegte Grundlage
nicht erkennen und basiert allenfalls auf vergütungsrechtlichen Aspekten in Gestalt unterschiedlicher DRG´s; gleichzeitig
werden beide Gruppen nach dem Beschluss vom 17. Juni 2010 ungleich behandelt, obwohl es kein sachliches Differenzierungskriterium
gibt.
Von Beginn seiner Beratungen an verfolgte der Antragsgegner das Ziel der Qualitätssicherung bei Behandlung der Frühgeborenen
mit sehr geringem Geburtsgewicht. Das Spektrum des sehr geringen Geburtsgewichts (VLBW) beginnt nach international anerkanntem
und nicht bestrittenem Sprachgebrauch bei einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm. Schlüssig war insoweit die seit dem
1. Januar 2010 geltende Mindestmengenregelung, die für die Behandlung von Frühgeborenen unter 1.500 Gramm grundsätzlich eine
Mindestmenge von 14 vorsah, was Geltung entfaltete sowohl für die Perinatalzentren des Levels 2 als auch für diejenigen des
Levels 1. Aus den tragenden Gründen des Beschlusses vom 17. Juni 2010 geht hervor, dass diese Regelung zu einer unerwünschten
Ausdünnung der Level 2-Zentren geführt hat, weil im engen Gewichtssegment von 1.250 Gramm bis 1.499 Gramm eine Mindestfallzahl
von 14 kaum zu erreichen war. Die vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung hält der Senat für doppelt willkürlich: Einerseits
wird für einen Teil der Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht, die nach der Einschätzung des Antragsgegners selbst
alle in gleicher Weise schützenswert sind und von einer Qualitätssicherung über Mindestmengen profitieren sollen, die Mindestmenge
ganz fallen gelassen, andererseits wird sie für das Segment des Geburtsgewichts unter 1.250 Gramm mehr als verdoppelt. Diese
gegenläufige Reaktionsweise ist in sich widersprüchlich, trägt Willkür in sich und ist mit dem Zweck der Qualitätssicherung
nicht vereinbar. Ausdrücklich verfolgt der Antragsgegner mit seiner Maßnahme zudem das Ziel einer "regionalen Netzwerkbildung";
es ist zweifelhaft, ob er damit schon das ihm obliegende Feld der Qualitätssicherung verlassen und das Terrain der Krankenhausstrukturpolitik
betreten hat, das in der Zuständigkeit der Länderbehörden liegt.
Aus Sicht des Senats hätte der Antragsgegner daher zwingend überdenken müssen, ob er grundsätzlich an der Aufteilung der Versorgung
Frühgeborener mit sehr geringem Geburtsgewicht in zwei Gewichtssegmente festhält oder ob eine Differenzierung von Frühgeborenen
in solche mit sehr geringem Geburtsgewicht (unter 1.500 Gramm) und in solche mit einem extrem geringen Geburtsgewicht (unter
1.000 Gramm) sachgerecht ist. Eine solche Überprüfung hielte der Senat aus zwei Gründen für erforderlich: Mindestmengenreglung
einerseits und die bisher praktizierte Aufteilung der Perinatalzentren nach Level 1 und Level 2 andererseits haben sich nicht
als kompatibel erwiesen; auch international gibt es nur eine einheitliche Nomenklatur zu den sehr kleinen Frühgeborenen, denn
der Begriff "VLBW" erstreckt sich auf das Segment des Geburtsgewichts zwischen 1.000 Gramm und 1.499 Gramm.
3. Auch einen Anordnungsgrund haben die Antragstellerinnen glaubhaft gemacht. Zur Vermeidung erheblichen Rechtsverlustes erscheint
die sofortige Außervollzugsetzung der Erhöhung der Mindestmenge dringend geboten.
Nachvollziehbar haben die Antragstellerinnen erhebliche wirtschaftliche Nachteile geschildert, die drohen, wenn sie umgehend
zur Schließung ihrer Perinatalzentren des Levels 1 gezwungen sind. Diese Nachteile wiegen schwer und sind im Falle eines späteren
Erfolgs in der Hauptsache nur eingeschränkt bzw. verzögert und mit Mühe rückgängig machbar. Es liegt auf der Hand, dass gewachsene
und vorhandene Versorgungsstrukturen unmittelbar in Bewegung geraten werden, wenn die höhere Mindestmenge greifen sollte.
Es käme zur Zerschlagung funktionierender stationärer Versorgungseinheiten. Krankenhäuser hätten umzuplanen, Stationen nähmen
eine andere Kategorie der Versorgung an und müssten strukturelle und vor allem auch personelle Maßnahmen treffen, die nachhaltig
wirkten und auch finanzielle Auswirkungen hätten. Eine sofortige Rückkehr zum Perinatalzentrum des Levels 1 bei einem Erfolg
(erst) in der Hauptsache erscheint ausgeschlossen.
4. Unabhängig von alledem, insbesondere von den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, hätte die einstweilige
Anordnung auch auf eine isolierte Folgenabwägung hin zu ergehen.
Das Vorbringen der Antragstellerinnen zu den möglichen Folgen einer sofortigen Geltung der erhöhten Mindestmenge (bei späterem
Erfolg in der Hauptsache) ist ungleich intensiver, plausibler und untermauerter als das Vorbringen des Antragsgegners zu den
Folgen einer Außervollzugsetzung der streitigen Regelung (bei späterer Abweisung der Hauptsacheklage).
Der Antragsgegner meint insoweit, ein auch nur vorübergehendes Hinausschieben der Mindestmengenregelung sei "nicht hinnehmbar",
es drohten negative Auswirkungen auf die Versorgungsqualität für Frühgeborene; je höher die Mindestmenge, desto geringer die
Mortalität. Wäre diese Kausalität tatsächlich belegt oder auch nur überwiegend wahrscheinlich, hätte der Senat im Rahmen einer
Folgenabwägung angesichts der Bedeutung des betroffenen Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs.
2 Satz 1 des Grundgesetzes keine andere Wahl als die Aussetzung der Regelung abzulehnen. Ein solcher Beleg liegt indessen
- wie gezeigt - nicht vor. Das Vorbringen des Antragsgegners erschöpft sich weitgehend in der Behauptung unerwiesener und
wissenschaftlich bestrittener Tatsachen. Der vom Antragsgegner in seinem letzten Verfahrensschriftsatz entscheidend angeführte
Beitrag von Günther Heller aus dem Krankenhausreport 2008/2009 basiert auf einer Simulation auf der Grundlage von Abrechnungsdaten
nur einer Krankenkasse (AOK) und erreicht damit kein tragfähiges Gewicht. Zudem erlauben Datensätze von Krankenkassen grundsätzlich
keine für eine wissenschaftliche Analyse zwingend erforderliche Risikoadjustierung, was das IQWiG in seinem Bericht auch schon
in Zusammenhang mit einer weiteren Publikation von Günther Heller aus dem Jahre 2007 herausgestellt hat, weshalb diese Studie
unberücksichtigt geblieben ist (IQWiG-Bericht Seite 79). Nicht nachvollziehen kann der Senat schließlich, warum der Antragsgegner
in seinem Vorbringen zur Folgenabwägung einen Beitrag von bestrittenem Wert zitiert und gleichzeitig die selbst in Auftrag
gegebene Untersuchung des IQWiG unerwähnt lässt, die ausdrücklich hervorgehoben hat, dass "keine sichere wissenschaftliche
Basis" für eine Auswirkung der Leistungsmengen auf die Behandlungsqualität bestehe.
Der Senat hält fest: Ein Steigen der Mortalität Frühgeborener unter 1.250 Gramm bei Beibehaltung der derzeitigen Mindestmenge
von 14 ist nicht hinreichend belegt. Gravierende Nachteile für Leib und Leben Frühgeborener bei Fortgeltung der bis Ende 2010
in Kraft befindlichen Mindestmenge von 14 sind nicht glaubhaft gemacht. Eine ausreichende Evaluation der seit 1. Januar 2010
geltenden Mindestmenge von 14 liegt nicht einmal in Ansätzen vor.
Auf der anderen Seite stehen die bereits genannten, von den Antragstellerinnen angeführten unmittelbar drohenden wirtschaftliche
Nachteile. Diese gebieten es geradezu zwingend, die Erhöhung der Mindestmenge vorläufig außer Vollzug zu setzen, zumal dem
Senat für sofortig korrekturbedürftige Missstände bei der derzeit vorhandenen Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm
in Deutschland nichts bekannt ist. Auch der Antragsgegner hat insoweit nichts von Belang vorgebracht. Angesichts der dringenden
wirtschaftlichen und planerischen Belange der Antragstellerinnen erscheint ein Hinausschieben der streitigen Regelung dringend
geboten, zumal ein Erfolg in der Hauptsache nicht nur offen, sondern nach derzeitigem Erkenntnisstand sogar wahrscheinlich
ist.
E. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
1 VwGO.
F. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1 und Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat hat davon abgesehen, die konkreten wirtschaftlichen Nachteile zu ermitteln, die den Antragstellerinnen jeweils
durch die Heraufsetzung der Mindestmenge von 14 auf 30 drohen. Diese Nachteile, seien es Umsatz- oder Gewinneinbußen, dürften
auch schwer zu prognostizieren sein. Der Senat hat daher unter Berücksichtigung der erheblichen Bedeutung der Sache von seinem
in § 52 Abs. 1 GKG vorgesehenen Ermessen Gebrauch gemacht und den Auffangwert aus § 52 Abs. 2 GKG mit sechzehn multipliziert, denn dies entspricht der Differenz von alter und neuer Mindestmenge. Für den Hauptsachestreit
eines Krankenhauses ergäbe sich daraus ein Streitwert von 80.000 Euro, der für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zu
halbieren ist. Der Wert von 40.000 Euro ist vorliegend angesichts der Anzahl der Antragstellerinnen mit 16 zu multiplizieren,
woraus sich der Wert von 640.000 Euro ergibt.
G. Dieser Beschuss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, §
177 SGG.