Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens
10 vom Hundert (v.H.).
Der 1987 geborene Kläger war nebenberuflicher Fußballspieler und erlitt am 7. Mai 2018 einen Arbeitsunfall mit der Folge einer
Verletzung des rechten Daumens. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 9. Mai 2018 wurde keine Arbeitsunfähigkeit begründet. Eine
Behandlung fand nur am 9. Mai 2018 statt. Am 19. Juni 2018 wurde eine freie Funktion abschließend festgestellt.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2018 beantragte der Kläger zunächst eine Auflistung sämtlicher Arbeitsunfälle und mit Schreiben
vom 23. Oktober 2018 die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. F. ein. Im ersten Rentengutachten vom
11. Februar 2019 führte der Gutachter aus, dem Kläger sei aufgrund der Diagnose einer „Beugesehnenverletzung Daumen rechts“
eine Daumenschiene in Streckstellung des Interphalangealgelenks des rechten Daumens angepasst und die Verwendung für sechs
Wochen empfohlen worden. Der Kläger habe jedoch statt der Schiene mit einem Tape-Verband nach wenigen Tagen bereits wieder
gespielt. Es liege eine beginnende Verschleißumformung und eine Bewegungseinschränkung im Endgelenk des rechten Daumens sowie
eine Minderung der Feinkraft rechts vor. Als unfallunabhängige Veränderung sei eine diskret beginnende Verschleißumformung
des Grundgelenks des rechten Daumens festzustellen. Aufgrund der Unfallfolgen sei mit einer Einschränkung der Belastungsfähigkeit
des rechten Daumens bei manueller Tätigkeit als Osteopath zu rechnen. Ergänzend führte der Gutachter aus, dass aufgrund der
vorliegenden Unterlagen zweifelhaft sei, ob die im Durchgangsarztbericht dokumentierte Diagnose „Beugesehnenverletzung Daumen
rechts“ zutreffend gestellt worden sei. Aufgrund des Unfallmechanismus und der am 9. Mai 2018 erhobenen Befunde erscheine
eine Endgliedbasisfraktur am Ansatz der Musculus flexor pollicis longus Sehne ohne eigentliche Läsion der Sehne wahrscheinlicher.
Die damals angefertigten Röntgenaufnahmen ließen jedoch keinen sicheren Rückschluss auf die tatsächlichen Verletzungen zu.
Eine weiterführende Diagnostik in Form einer Computertomografie und/oder Kernspintomografie sei sinnvoll. Die MdE betrage
durchgängig unter 10 v.H.
Mit Bescheid vom 19. März 2019 erkannte die Beklagte eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Daumenendgelenkes
mit Schwellneigung und Minderung der Feinkraft rechts sowie röntgenologische Endgelenksarthrose nach Endgliedbasisbruch des
rechten Daumens am Ansatz der langen Daumenbeugesehne als Unfallfolge an. Ein Rentenanspruch bestehe nicht.
Der Widerspruch des Klägers vom 23. April 2019 wurde nach MRT/CT-Untersuchung des rechten Daumens sowie beratungsärztlichen
Stellungnahmen mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2020 zurückgewiesen.
Die hiergegen am 5. Mai 2020 vor dem Sozialgericht erhobene Klage hat der Kläger trotz Aufforderung des Gerichts nicht begründet
und auch die zur Aufklärung des Sachverhaltes angeforderte Schweigepflichtentbindung und den Vordruck über medizinische Behandlungen
nicht eingereicht. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2020, das der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 2. November 2020 zugestellt
wurde, hat das Sozialgericht mitgeteilt, dass gemäß §
106a Abs.
3 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer vom Richter gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen
könne und ohne weitere Ermittlungen entschieden werde, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung
des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldige. Vor diesem Hintergrund hat
das Gericht eine Frist zur Klagebegründung und Übersendung der Schweigepflichtentbindung und des Vordrucks hinsichtlich medizinischer
Behandlungen bis zum 30. November 2020 gewährt. Zugleich hat das Gericht mitgeteilt, dass bei Nichteinhaltung der Frist beabsichtigt
sei, ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter durch Gerichtsbescheid (§
105 SGG) zu entscheiden. Eine Reaktion des Klägers erfolgte nicht.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. Dezember 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, nach
den vorliegenden Unterlagen und Gutachten sei medizinisch dokumentiert und mithin nachgewiesen, dass sich der Kläger eine
Verletzung des rechten Daumenendgelenks zugezogen habe, die nur zu geringen Bewegungseinschränkungen und einer Minderung der
Feinkraft geführt habe. Dies ergebe sich insbesondere aus den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, die das Gericht
im Urkundsbeweis zu Grunde lege. Diese Gutachten und medizinischen Aussagen seien schlüssig und nachvollziehbar, so dass weitere
Ermittlungen von Amts wegen nicht erforderlich seien. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweise das Gericht daher auf die
zutreffenden Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden.
Im Übrigen seien nunmehr weitere Tatsachenvorträge bzw. Beweisanträge oder gerichtliche Ermittlungen oder Beweiserhebungen
nach §
106a SGG ausgeschlossen (präkludiert). Die Klägerseite habe die ihr aufgegebene Auflage, die Klage näher zu begründen, d.h. Tatsachen
anzugeben und zugehörige Beweismittel konkret zu bezeichnen (§
106 a Abs.
2 SGG), nicht erfüllt. Nach §
106a Abs.
1 SGG wäre weiteres Vorbringen als verspätet zurückzuweisen, weil es nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt, die verspätete
Vorlage nicht ausreichend entschuldigt und die anwaltlich vertretene Klägerseite ausdrücklich auf die Folgen der Fristversäumung
hingewiesen worden sei; ferner würde mit einer nachträglichen Befassung eine Verzögerung im Rechtsstreit einhergehen (§
106a Abs.
3 SGG). Im Übrigen sei bei keinem der unzähligen Fristverlängerungsanträge ein Mittel zur Glaubhaftmachung des Grundes vorgelegt
worden, was auch ohne ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis zu erwarten gewesen wäre.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihr am 7. Dezember 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 7. Januar 2021
Berufung eingelegt, die sie nach mehrmaliger Erinnerung und Anhörung zur gesetzlichen Rücknahmefiktion nach §
156 Abs.
2 S. 1
SGG begründet hat. Der Gutachter Dr. F. habe ausdrücklich festgestellt, dass aufgrund der Unfallfolgen mit einer Einschränkung
der Belastungsfähigkeit des rechten Daumens bei manueller Tätigkeit als Osteopath zu rechnen sei. Es sei auch darauf hingewiesen
worden, dass der Kläger sich in der Ausbildung zum Osteopath befinde. Vor diesem Hintergrund wäre die Beklagte verpflichtet
gewesen, rechtlich zu prüfen, ob und inwieweit die Gewährung einer Verletztenrente als Gesamtvergütung für einen vorübergehenden
Zeitraum in Erwägung zu ziehen gewesen wäre. Dies habe die Beklagte unter Verletzung des §
75 Satz 1
SGB VII versäumt.
Der Kläger beantragt nach Lage der Akten,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2019 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente
als Gesamtvergütung für einen vorübergehenden Zeitraum von 9 Monaten ab dem 8. Mai 2018 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
von 20 % zu gewähren,
hilfsweise
eine Verletztenrente als Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % als sogenannte Stützrente
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, weder sie selbst noch das Sozialgericht hätten die Gewährung einer Gesamtvergütung nach §
75 Abs.
1 SGB VII berücksichtigen müssen. Bei der Beurteilung des Ausmaßes der durch den Versicherungsfall bedingten MdE im Rahmen der abstrakten
Schadensbemessung komme es allein auf den Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens
ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens – und nicht nur in einem Beruf oder
sogar bei ganz speziellen Verrichtungen im beruflichen oder privaten Bereich – an. Zudem verlange die Ermessensentscheidung
des Unfallversicherungsträgers für eine Gesamtvergütung gemäß §
75 SGB VII lediglich, die Anspruchsvoraussetzungen einer Verletztenrente als vorläufige Rente zu bejahen, weil sie ihrer Höhe nach noch
nicht auf Dauer festgestellt werden könne. Da ein grundsätzlicher Anspruch auf eine Verletztenrente beim Kläger zu keinem
Zeitpunkt vorgelegen habe, stelle sich die Frage einer Abfindung durch Gesamtvergütung nicht. Zudem habe sich der Kläger erst
in der Ausbildung zum Osteopathen befunden, so dass eine Anwendung des §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII mangels „jahrelanger Übung“ nicht in Betracht komme. Schließlich sei auch das Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar.
Nach den einschlägigen Erfahrungswerten für Bandverletzungen sei bei Fingerverletzungen stets der Amputationswert als Vergleichsmaßstab
heranzuziehen. Dieser wäre bei einer Amputation des Daumens im Endglied mit 20 % für 9 Monate, danach mit 10 % sowie bei einer
Totalamputation mit 20 % anzusetzen. Da der Kläger lediglich eine Endglied-Basisfraktur erlitten habe und der Daumen somit
vollständig erhalten und auch nicht versteift oder funktionslos sei, bestehe ein mit einer Amputation vergleichbarer Zustand
nicht. In der Folge werde der entsprechende MdE-Wert nicht erreicht.
Mit Beschluss vom 16. Februar 2022 hat der Senat die Berufung gem. §
153 Abs.
5 SGG der Berichterstatterin übertragen, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie
die Sitzungsniederschrift vom 14. September 2022 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden kann, ist statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet.
Streitgegenstand des Verfahrens ist die Frage der Gewährung einer Verletztenrente und nicht (mehr) die Feststellung weiterer
Unfallfolgen. Zwar hatte der Kläger in seiner Klagschrift vom 5. Mai 2020 zum Streitgegenstand ausgeführt, dass auch Ansprüche
auf Anerkennung weiterer verbliebener Unfallfolgen geltend gemacht werden. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger im Berufungsverfahren
jedoch nicht mehr weiter.
Das Sozialgericht hat die auf Gewährung einer Verletztenrente gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten
vom 19. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2020 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in
seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 7. Mai
2018.
Nach §
56 Abs.
1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche
nach dem Ereignis hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle
gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall,
Anspruch auf Rente (§
56 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung
festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§
62 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Innerhalb dieses Zeitraums kann der Vomhundertsatz der MdE jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt
werden (§
62 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend
von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§
62 Abs.
2 Satz 1
SGB VII). Ist nach allgemeinen Erfahrungen unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles zu erwarten, dass
nur eine Rente in Form der vorläufigen Entschädigung zu zahlen ist, kann der Unfallversicherungsträg die Versicherten nach
Abschluss der Heilbehandlung mit einer Gesamtvergütung in Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwands abfinden (§
75 Satz 1
SGB VII). Nach Ablauf des Zeitraums, für den die Gesamtvergütung bestimmt war, wird auf Antrag Rente als vorläufige Entschädigung
oder Rente auf unbestimmte Zeit gezahlt, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen (§
75 Satz 2
SGB VII).
Die MdE richtet sich gemäß §
56 Abs.
2 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit
des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSG, Urteil vom 26.November 1987–2RU22/87, SozR2200 § 581 Nr. 27).Maßgeblich ist aber nicht die konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten, sondern eine abstrakte Berechnung
(vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2019, § 56 Rn. 10.1).
Nach diesen Rechtsgrundlagen müssen unabhängig davon, ob der Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit, als vorläufige Entschädigung
im Sinne des §
62 Abs.
1 Satz 1
SGG oder die Abfindung mit einer Gesamtvergütung nach §
75 Satz 1
SGB VII begehrt, zunächst die übrigen Voraussetzungen eines Rentenanspruchs nach §
56 SGB VII, also eine rentenberechtigenden MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus, vorliegen. Dies ist hier nicht
der Fall.
Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungsverfahren bei
dem Kläger keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 7. Mai 2018 vorliegen, die eine MdE rentenberechtigender Höhe rechtfertigen.
Dies ergibt sich aus den im Verwaltungsverfahren angeforderten medizinischen Unterlagen und Gutachten, aus denen nachvollziehbar
und schlüssig hervorgeht, dass die Verletzung des Daumenendgelenks lediglich zu einer geringen Bewegungseinschränkung und
Minderung der Feinkraft führten und die MdE auf weniger als 10% eingeschätzt wurde.
Die Ergebnisse der medizinischen Begutachtung sind auch nicht deshalb in Zweifel zu ziehen, weil Dr. F. im Gutachten vom 11.
Februar 2019 zur weiterführenden Diagnostik eine CT-bzw. MRT-Untersuchung für sinnvoll erachtet hatte. Entgegen dem Vortrag
des Klägers hat die Beklagte im Hinblick auf diese Empfehlung eine MRT und CT-Diagnostik veranlasst und die erforderliche
Sachaufklärung damit nachgeholt. Weder aus dem radiologischen Bericht vom 19. November 2019 noch aus der Auswertung des Bildmaterials
durch die Beratungsärztin Dr. F1 ergab sich jedoch ein abweichender Befund, insbesondere kein Hinweis auf eine Verletzung
der Beugesehne.
Dass sich das Sozialgericht zu weiteren Ermittlungen nicht veranlasst und infolge der nicht vorgelegten Schweigepflichtentbindungserklärung
auch nicht in der Lage gesehen hat, ist vor dem Hintergrund der im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlung
nicht zu beanstanden. Zwar haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach §
103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge gebunden zu sein. Jedoch sind
dabei „die Beteiligten heranzuziehen“. Der Aufklärungspflicht des Vorsitzenden nach §
106 SGG steht dabei die Pflicht der Beteiligten gegenüber, auf die Aufforderungen des Gerichts hin die entsprechenden Angaben zu
machen. Der Amtsermittlungsgrundsatz des §
103 SGG entbindet die Beteiligten nicht davon, nach ihren Kräften bei der Sachaufklärung mitzuwirken. Machen die Beteiligten trotz
der Aufforderung des Gerichts die zur Aufnahme der gerichtlichen Ermittlungen erforderlichen Angaben nicht, so besteht auch
keine weitere Verpflichtung des Gerichts aufgrund von §
103 SGG (BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R –, Juris m.w.N.; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig,
SGG, 13. Auflage 2020 §
103, Rn. 16 ff.). Die Amtsermittlungspflicht hat ihre Grenzen dort, wo der Beteiligte seiner Pflicht zur Angabe der Tatsachen,
die den geltend gemachten Anspruch begründen sollen, nicht nachkommt, obwohl er vom Gericht hierzu aufgefordert wird (LSG
Hamburg, Urteil vom 30. März 2022 – L 2 U9/20, juris).
Der Kläger ist seiner Mitwirkungsobliegenheit trotz mehrfacher Aufforderung nicht nachgekommen. Zuletzt hat das Sozialgericht
ihn unter Hinweis auf §
106a SGG aufgefordert, die Klage zu begründen und die zur Aufnahme von Amtsermittlungen erforderlichen Unterlagen bis zum 30. November
2020 vorzulegen. Dennoch hat der Kläger weder eine Klagebegründung noch die erforderliche Erklärung über die Entbindung von
der ärztlichen Schweigepflicht eingereicht.
Schließlich ergibt sich auch durch den Hinweis von Dr. F., dass aufgrund der Unfallfolgen mit einer Einschränkung der Belastungsfähigkeit
des rechten Daumens bei manueller Tätigkeit als Osteopath zu rechnen sei, keine andere Bewertung. Die Feststellung führt insbesondere
nicht dazu, dass bei dem Kläger besonderen beruflichen Nachteile im Sinne des §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII zu berücksichtigten gewesen wären. Nach §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die der Versicherten dadurch erleidet, dass er bestimmte, von
ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem
Umfang nutzen kann, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten ausgeglichen werden, deren Nutzung ihm zugemutet
werden kann. Abgesehen davon, dass die Regelung nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Ausnahmeregelung
anzusehen ist, lediglich der Vermeidung unbilliger Härten dient und keine allgemeine Berücksichtigung der beruflichen Betroffenheit
zulässt (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 25/05 R, SozR 4-2700 § 56 Nr. 2, Rn. 19 m.w.N.), setzt sie nach ihrem Wortlaut den Verlust der Nutzungsmöglichkeit erworbener besonderer beruflicher Kenntnisse und Erfahrungen voraus. Angesichts dessen, dass sich der Kläger erst in der Ausbildung
zum Osteopathen befand, verfügte er jedoch noch nicht über besondere Erkenntnisse oder Erfahrungen in diesem Beruf, sondern
war erst im Begriff diese zu erwerben.
Auch mit seinem Hilfsantrag dringt der Kläger nicht durch. Wie bereits ausgeführt, ist eine MdE von wenigstens 10 v.H. nicht
festgestellt, so dass ein Rentenspruch in Gestalt eines Stützrententatbestandes nach §
56 Abs1. Satz 2
SGB VII in der Zusammenschau mit den Folgen eines weiteren Unfalls ebenfalls nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.