Anerkennung einer Hörstörung als Berufskrankheit
Voraussetzungen einer Lärmschwerhörigkeit
Mehrjährige Lärmexposition von mehr als 85 db(A) (vorliegend verneint)
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine bei dem Kläger bestehende Hörstörung eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr.
2301 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) (Lärmschwerhörigkeit) darstellt.
Per E-Mail vom 29. November 2016 wandte sich der 1944 geborene Kläger vierzehn Jahre nach der Beendigung seiner beruflichen
Tätigkeit an die Beklagte und teilte mit, dass er seit 2002 Rentner sei und demnächst eine Hörgeräteversorgung benötige. Er
sei die letzten 42 Jahre überwiegend als Ingenieur in Fertigungen (Motorenbau, Lackiererei) bei J. tätig gewesen (1958 bis
1961 - Maschinenschlosserlehre; 1961 - 1962 – Fahrzeugwerk K., Blechverarbeitung; 1962 - 1964 - Glasfabrik L. - Formenwerkstatt;
1964 - 1968 - Studium; 1968 - 1970 - Motorenentwicklung Rheinstahl; 1970 - 2002 - Volks-wagen - Lärmbereiche in der Fertigung).
Der Kläger bat um Überprüfung, ob ihm zu der Hörgeräteversorgung ein Zuschuss gewährt werden könne.
Die Beklagte leitete daraufhin ein BK-Feststellungsverfahren ein, in dem sie den Kläger zunächst zu dessen beruflichen Lebenslauf
und die damit verbundenen Lärmbelastungen befragte, der seine Tätigkeiten bei J. in der Zeit von 1970 bis 2002 in den einzelnen
(auch ausländischen) Betriebsteilen näher beschrieb (u.a. von 1996 bis 2002 als Leiter der internationalen Logistik „CKD“
- C ompletely K nocked D own = Methode der Herstellung und Vermarktung von Kraftfahrzeugen, bei welcher Komponenten und Baugruppen angeliefert und
erst im Importland zum fertigen Fahrzeug zusammengesetzt und verkauft werden - in den Hallen 28/29).
Ferner legte der Kläger einen Arztbrief von Prof. Dr. M. /Prof. Dr. N. / O., Deutsches Hörzentrum der P. Q., vom 5. Dezember
2016 vor, aus dem hervorgeht, dass der Kläger dort einen Termin zur Hörgeräteversorgung hatte. Als Diagnose ist eine „geringgradige,
hochtonbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit der Therapieempfehlung einer Hörgeräteversorgung aufgeführt.
Die Beklagte holte ferner medizinische Behandlungsunterlagen von dem den Kläger behandelnden HNO-Arzt Dr. R., S., ein und
wertete die den Unterlagen beigefügten Audiogramme vom 29. September 2016 und 20. September 2008 selbst aus, wonach sich keine
Minderung der Erwerbsfähigkeit ergab (Berechnung vom 19. Dezember 2016).
Weiterhin bat sie ihren Präventionsdienst um Stellungnahme zu den Lärmbelastungen des Klägers, der am 23. Januar 2017 mitteilte,
dass der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1970 bis 31. Dezember 2002 im Rahmen seiner Tätigkeit im J. AG Werk Q. mit einem
ermittelten Tages-Lärmexpositionspegel von <85 dB(A) keinem gehörschädigenden Lärm ausgesetzt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 24. März 2017 lehnte die Beklagte dementsprechend die Anerkennung einer BK-Nr. 2301 aufgrund fehlender arbeitstechnischer
Voraussetzungen ab.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 7. April 2017 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 24. April 2017 zusammenfassend
dahingehend begründete, dass sich aus den von seinem ehemaligen Arbeitgeber J. in den 80er und 90er Jahren veranlassten Audiogrammen
eine lärmtypische Hochtonsenke ergebe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und verwies darauf, dass in
dem Zeitraum 1970 bis 2002 keine ausreichend langjährige Lärmeinwirkung vorgelegen habe, die geeignet gewesen wäre, einen
Hörschaden zu verursachen.
Hiergegen hat der Kläger am 30. Juni 2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und nochmals auf die Audiogramme verwiesen, die eine lärmtypische Hochtonsenke gezeigt hätten. Ergänzend
hat er ausgeführt, dass er bereits 19 Jahre in starkem Lärm tätig gewesen sei, wozu er eine Stellungnahme der früheren Sicherheitsfachkraft
von J., Herrn T., zur arbeitstäglichen Lärmbelastung vom 25. August 2017 beifügte.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 24. November 2017 zum Verfahren gereicht, der nach einem
Vorortgespräch und Telefonat mit Herrn T., J., am 8. November 2017 nochmals ausgeführt hat, dass der Kläger in den unterschiedlichen
Teilbereichen (Kostenstellen - KTS) zwar zeitweise Lärm ausgesetzt gewesen sei. Die Tagesdosis sei jedoch kleiner als 85 dB(A)
und somit nicht lärmgefährdend im Sinne der BK-Nr. 2301.
Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten am 6. Dezember 2017 hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2018 abgewiesen und die Entscheidung der Beklagten bestätigt.
Gegen den ihm am 19. Januar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Februar 2018 Berufung eingelegt, die
er mit umfangreichen Angaben zu seinen früheren Tätigkeiten und eigenen Berechnungen zu Lärmexposition begründet und mit Schriftsatz
vom 5. September 2022 nochmals ausführlich wiederholt hat.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 9. Januar 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2017 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2017 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die bei dem Kläger bestehende Hörschädigung Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2301 der Anlage
1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Gründe ihrer Bescheide sowie die der erstinstanzlichen Entscheidung sowie auf die Stellungnahmen
ihres Präventionsdienstes.
Der Senat hat am 1. Juli 2021 durch seinen Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem zum einen der Präventionsdienstmitarbeiter
der Beklagten, Herr U., zu den Lärmbelastungen des Klägers befragt worden ist. Zum anderen hat der vorher von Amts wegen mit
einer Begutachtung des Klägers beauftragte Sachverständige Prof. Dr. V., HNO-Arzt, Köln, sein am 11. November 2021 schriftlich
erstelltes Sachverständigengutachten erstattet und den Beteiligten für Rückfragen zur Verfügung gestanden. Im Vorfeld des
Erörterungstermins hat der Senat dabei auf Anregung des Sachverständigen vom 14. August 2021 die Stellungnahme des Präventionsdienstes
der Beklagten vom 20. September 2021 mit der Berechnung der Effektiven Lärmdosis (ELD) nach Liedtke eingeholt, der 1,7 ELD-Jahre
für den Tätigkeitszeitraum 1. Januar 1970 bis 31. Dezember 2002 berechnete.
Des Weiteren hat der Kläger im Vorfeld des Erörterungstermins am 11. Oktober 2021 nochmals eine weitere Beschreibung der Lärmbelastung
zur Gerichtsakte gereicht, wozu die Beklagte eine weitere Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 15. Oktober 2021 vorgelegt
hat.
Der Präventionsdienstmitarbeiter der Beklagten, Herr U., hat zusammenfassend ausgeführt, dass die Berechnungen des Klägers
zu dessen Lärmbelastungen fehlerhaft seien. Die eigenen Berechnungen seien mit J. Nutzfahrzeuge abgestimmt, es sei alles mit
der ehemaligen Sicherheitskraft Herrn T. abgestimmt worden. Der Kläger sei nicht lärmgefährdend tätig gewesen.
Der Sachverständige Prof. Dr. V. ist unter Auswertung der Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten sowie in der
ergänzenden Befragung im Erörterungstermin zusammengefasst zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit
mit Hochtonsenkenbildung im Grad einer annähernden Normalhörigkeit vorliegen. Bei der beidseitigen Hochtonsenkenbildung handele
es sich nicht um eine durch beruflichen Lärm hervorgerufene Hörstörung, weil die entsprechende Lärmdosis nicht erreicht worden
sei. Ein beruflicher Zusammenhang sei nicht wahrscheinlich. Die lärmbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit läge ohnehin bei
unter 10 v.H. Darüber hinaus wäre auch die ursprünglich von dem Kläger begehrte Hilfsmittelversorgung nach den Hilfsmittel-Richtlinien
nicht möglich, weil sich eine Hilfsmittelindikation aus den Sprachaudiogrammen nicht ableiten lässt.
Der Senat hat sodann eine Auskunft von J. AG vom 8. April 2022 zu den dortigen Lärmbelastungen sowie in dem Betrieb durchgeführte
und noch vorhandene Lärmtopographien aus den Kalenderjahren 1992 und 1998 eingeholt. Aus letzteren geht hervor, dass ein Messwert
von 70 bis 81 bzw. 80 dB(A) für CKD-Letter ermittelt worden ist. Weitere Lärmtopographien für den Zeitraum vor 1992 lagen
der J. AG nicht mehr vor. J. AG ging davon aus, dass die Messungen vor 1992 entsprechend der damals geltenden Vorschriften
durchgeführt wurden.
Im Rahmen einer am 13. September 2022 erstatteten ergänzenden Stellungnahme zu den mit Schriftsatz vom 5. September 2022 erhobenen
Einwänden des Klägers ist der Sachverständige Prof. Dr. V. bei seiner Einschätzung verblieben und hat diese nochmals vertieft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klage ist zwar als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §
54 Abs.
1 i. V. m. §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG Hannover hat in seinem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 9.
Januar 2018 2016 zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 24. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. Juni 2017 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (§
54 Abs.
2 Satz 1
SGG), denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die bei ihm bestehende Hörschädigung Folge einer BK nach der
Nr. 2301 der Anlage 1 zur
BKV ist.
Die Anerkennung der erstmals im Jahre 2016 geltend gemachten BK richtet sich nach den Vorschriften des
SGB VII. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der hier streitigen BK ist §
9 Abs.
1 SGB VII i.V.m. Nr.
2301 der Anlage 1 zur
BKV. Nach §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats
als solche bezeichnet sind (so genannte Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher
Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität)
sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende
Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (vgl. nur BSG, Urteil vom 6. September 2018 - Az. : B 2 U 13/17 R - Rn. 9 m.w.N. - zitiert nach juris). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich
zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit",
die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
- vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende
Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit.
Die hier streitgegenständliche BK-Nr. 2301 erfasst die „Lärmschwerhörigkeit“. Sie wurde mit der Umschreibung "durch Lärm verursachte
Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit" bereits durch die Zweite Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung
auf Berufskrankheiten vom 11. Februar 1929 (RGBl I 1929, 27) unter der Nr. 18 der Spalte II der Anlage eingeführt und zwar
beschränkt auf Tätigkeiten in Betrieben der Metallverarbeitung und Metallbearbeitung. Ihre heute noch geltende Fassung hat
die BK durch die Verordnung zur Änderung der Siebten
BKV vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) erhalten (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - Az.: B 2 U 6/04 R - Rn. 13 - zitiert nach juris). Das vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung
zuletzt neu gefasste und am 1. Juli 2008 veröffentlichte (GMBl. Nr. 39 vom 5. August 2008, Seite 798 bis 800) Merkblatt zur
BK-Nr. 2301 und der aktuellen unfallversicherungsrechtlichen Literatur (u.a. in Form der Empfehlung für die Begutachtung der
Lärmschwerhörigkeit -BK-Nr. 2301 - Königsteiner Empfehlung - Update 2020 - sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall
und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seite 338 bis 377; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-NasenOhrenarztes, 8. Auflage
2019, Seite 242 bis 336) sind nach der Rechtsprechung des BSG bei der Beurteilung einer BK-Nr. 2301 durch die Gerichte zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - Az.: B 2 U 6/04 R - Rn. 15, 16, 17 - zitiert nach juris). Voraussetzung für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit ist danach eine lang-
bzw. mehrjährige Lärmeinwirkung mit einem Tages-Lärmexpositionspegel von > 85 db(A) (Merkblatt zu I. Gefahrquellen sowie Feldmann/Brusis
a.a.O., Seite 257, 261; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 347), die im Vollbeweis nachzuweisen ist.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Senat nach umfassender Sachverhaltsaufklärung auf arbeitstechnischem und medizinischem
Gebiet im Berufungsverfahren in Übereinstimmung mit dem SG zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger das Vorliegen einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit im Sinne der BK-Nr.
2301 nicht feststellbar ist. Der Senat vermochte bereits nicht zu seiner vollen Überzeugung festzustellen, dass der Kläger
im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten als Ingenieur in der Fertigung bei verschiedenen Arbeitgebern, zuletzt von 1970 bis
2002 bei der Firma J. in unterschiedlichen Abteilungen, sowie während seiner vorherigen beruflichen Tätigkeiten in der Zeit
von 1958 bis 1970 (Ausbildung bei der Fa. W..; Fahrzeugfabrik K. KG; Eisen- und Hartgußwerk „X.“ und Y. Glasfabrik „L.“) einer
lang- bzw. mehrjährigen Lärmeinwirkung mit einem Tages-Lärmexpositionspegel von > 85 db(A) ausgesetzt gewesen ist und damit
die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Nr. 2301 erfüllt sind.
Der Senat bezieht sich dabei auf die nicht zu beanstandenden Ermittlungsergebnisse des Präventionsdienstes vom 23. Januar
2017, 24. November 2017, 20. September 2021, 15. Oktober 2021 sowie dessen ergänzenden Ausführungen im Erörterungstermin am
26. November 2021 und in der mündlichen Verhandlung vom 15. September 2022. Diese schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen
kann der Senat seiner Entscheidung auch zu Grunde legen, denn der Präventionsdienst (früher "technischer Aufsichtsdienst der
Berufsgenossenschaften") ist eine sachkundige Stelle, derer sich auch das Gericht bedienen kann, um sich die zur Beantwortung
technischer Fragen notwendige Sachkunde zu verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2004 - Az.: B 2 U 25/03 R - Rn. 18 - zitiert nach juris). Die Lärmbelastung des Klägers hat der Präventionsdienst umfassend und nachvollziehbar dargestellt,
und zwar zusätzlich auch in einer vom Sachverständigen Prof. Dr. V. angeforderten, und von den Königsteiner Empfehlungen (Update
2020) ausdrücklich vorgesehenen (siehe Seite 13, 16) ELD-Berechnung vom 20. September 2021, die lediglich eine Lärmbelastung
von 1,7 Jahren (vom 1. Januar 1970 bis 31. Dezember 1996 - Lärmexpositionspegel von 84 dB(A) und vom 1. Januar 1997 bis 31.
Dezember 2002 - 55 dB(A)) ergeben hat. Die Berechnung der Tages-Lärmbelastungsdosis ist dabei ausweislich der Stellungnahme
vom 24. November 2017 und der ergänzenden Angaben im Erörterungstermin vom 26. November 2021 durch den Präventionsdienst in
enger Abstimmung mit der früheren Sicherheitsfachkraft von J. unter Auswertung der im Unternehmen erstellten Lärm-Topographien
bereits am 8. November 2017 erfolgt. Die im Berufungsverfahren hierzu ergänzend eingeholten und überhaupt bei der J. AG noch
verfügbaren Lärmtopografien aus den Kalenderjahren 1992 und 1998 bestätigen nochmals, dass ein Messwert von 70 bis 81 dB(A)
bzw. 80 dB(A) z.B. für das CKD-Letter ermittelt worden ist. Weitere Lärmtopografien lagen dem Unternehmen J. nicht mehr vor.
Allerdings geht auch aus den Auskünften der früheren Sicherheitsfachkraft T. in dessen an den Kläger am 25. August 2017 gerichteten
E-Mail ausdrücklich hervor, dass in den Lärmtopografien die Beurteilungspegel auf Basis eines 8 Stunden Arbeitstages gemessen
werden. Der Kläger hat in seiner Tätigkeit als vorgesetzter Funktionsleiter im Unternehmen J. jedoch überwiegend Bürotätigkeiten
ausgeübt, was er im Erörterungstermin nochmals ausdrücklich bestätigt hat, indem er ausgeführt hat, vier Stunden im Büro gesessen
und den anderen Anteil im Werk gewesen zu sein. Nicht nur Herr T. hat in seiner E-Mail vom 25. August 2017 ausgeführt, dass
in den dokumentierten Werten Bürozeiten nicht berücksichtigt sind, die die Lärmbelastung mindern, weil sich das Gehör in ruhigen
Phasen wieder erholt. Auch der im Erörterungstermin gehörte Präventionsdienstmitarbeiter Herr U. hat hierzu für den Senat
plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger eine Vorgesetztentätigkeit ausgeübt habe und nicht in Vollzeit in
der Produktion, also einem Lärmbereich, tätig gewesen ist. Insofern vermochte der Senat den eigenen Berechnungen des Klägers
nicht zu folgen, zumal der medizinische Sachverständige Prof. Dr. V. sowohl in seinem Gutachten vom 11. November 2021 als
auch im Erörterungstermin am 26. November 2021 darauf hingewiesen hat, dass der Kläger unzulässigerweise in seiner Berechnung
den Umstand unberücksichtigt gelassen hat, einen Großteil seiner Tätigkeit im Büro ausgeübt zu haben. Dies hat der Kläger
im Erörterungstermin ebenfalls ausdrücklich bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hat der Präventionsdienstmitarbeiter
Herr Z. zudem nochmals für den Senat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass auch aus seiner eigenen beruflichen Erfahrung
als Schlosser und Ingenieur die von dem Kläger angegebene bzw. errechnete Lärmbelastung für dessen Tätigkeiten auch ab 1958,
also die Tätigkeit vor J. AG, viel zu hoch ist. Zuzugestehen ist dabei nach den Ausführungen des Herrn Z., dass der Kläger
während seiner beruflichen Tätigkeit sicherlich teilweise lärmexponiert gewesen ist, allerdings reicht - was sich zur Überzeugung
des Senats auch aus der vom Präventionsdienst zu den Akten gereichten ELD-Berechnung ergibt - diese Lärmbelastung insgesamt
gesehen nicht für die Annahme einer lärmexponierten Tätigkeit aus. Der Sachverständige Prof. Dr. V. hat in seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 12. September 2022 zudem für den Senat nachvollziehbar und plausibel dargelegt, dass die von dem Kläger
rein rechnerisch vorgenommene Aneinanderreihung von „ELD“-Werten und auch deren Addition nach den Berechnungsvorschriften,
die von Liedtke („Effektive Lärmdosis basierend auf Hörminderungs-Äquivalenzen nach ISO 1999“ in ASUmed 2010, Seite 1 f. und
„Die Effektive Lärmdosis (ELD) - Grundlagen und Verwendung“ in Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie
2013, Seite 66 f.) aufgestellt wurden, nicht zulässig sind. Denn die Effektive Lärmdosis ist eine Zahl, die die gesamte Zeit
der versicherten Tätigkeit umfasst. Sie darf deshalb nicht für einzelne Abschnitte berechnet und dann addiert werden, sondern
nur kumulativ, weil sie eine logarithmische Grundlage besitzt. Dadurch stellt sich z.B. der Zuwachs nach einer ELD durch Lärmexposition
am Anfang der Tätigkeit anders dar, als am Ende der Tätigkeit.
Insofern wird auch die Einschätzung des Präventionsdienstes der Beklagten durch die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen
Prof. Dr. V. nochmals gestützt, was den Senat überzeugt.
Für den Senat steht nach alledem fest, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten keiner mehrjährigen Lärmexposition
von > 85 db(A) ausgesetzt gewesen ist. Der Sachverständige Prof. Dr. V. hat hierzu für den Senat ebenfalls plausibel und nachvollziehbar
dargelegt, dass eine Lärmexposition unterhalb von 85 dB(A) als Tagesäquivalent nicht geeignet ist, einen Hörschaden auszulösen.
Damit steht die Einschätzung des Sachverständigen in Übereinstimmung mit der bereits oben aufgeführten herrschenden medizinischen
Lehrmeinung. Ebenfalls wird, worauf der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar hingewiesen hat, in der neuen VDI-Norm
2058, Blatt 2, 2020, ausgeführt, dass eine Hörstörung erst nach jahrzehntelanger Lärmeinwirkung über 90 dB(A) entstehen kann.
Eine derartige Lärmeinwirkung vermochte der Senat im Falle des Klägers jedoch nicht festzustellen.
Unabhängig davon sprechen auch medizinische Gründe gegen die Annahme, dass die von dem Kläger vorgetragene Hörstörung mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentliche Folge einer Lärmeinwirkung ist. Dies geht zur Überzeugung des Senats aus dem
am 11. November 2021 erstellten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. V. hervor. Der Sachverständige hat hierzu zunächst
festgestellt, dass bei dem Kläger eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Hochtonsenkenbildung im Grad einer annähernden
Normalhörigkeit vorliegt. Der Kläger hat hierzu auf Veranlassung seines Arbeitgebers im Jahr 1993 (11. März 1993) und 1998
(11. August 1998) erstellte Audiogramme vorgelegt, aus denen sich nach den Ausführungen des Sachverständigen lediglich rechtsseitig
eine Senkenbildung der Hörschwelle bei 4000 Hz ergibt, linksseitig jedoch nicht (Audiogramm vom 11. März 1993) bzw. eine leichte
Senkenbildung bei 6000 Hz, aber keine Senkenbildung bei 3000 und 4000 Hz (Audiogramm vom 11. August 1998). Der Sachverständige
hat hierzu für den Senat plausibel dargelegt, dass eine berufliche Hörstörung bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil der
berufliche Lärmpegel ab dem 1. Januar 1977 lediglich bei 55 dB(A) gelegen hat, also nicht einmal der Auslösewert von 85 dB(A)
erreicht worden ist. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. September 2022 hat Prof. Dr. V. nochmals bestätigt, dass
von einer Lärmschädigung des Innenohrs nicht auszugehen ist, wenn der Tageslärmexpositionspegel unter 85 dB(A) liegt, was
eine absolut geltende Tatsache aufgrund weitreichender Studien und eine Säule der Beurteilung hinsichtlich einer festzustellenden
beruflichen Lärmschwerhörigkeit nach der Nr. 2301 der Anlage 1 zur
BKV ist. Die so genannte Lärmsenke ist zwar für die zur beurteilenden Schwerhörigkeit ein notwendiges, aber nicht hinlängliches
Kriterium. Selbst beim Vorliegen einer Hochtonsenkenbildung kann nicht darauf geschlossen werden, dass eine berufliche Lärmeinwirkung
vorgelegen hat, denn auch andere, idiopathische Ursachen sind für eine Senkenbildung möglich. Der Sachverständige Prof. Dr.
V. hat unter Hinweis auf die herrschende medizinische Lehrmeinung ferner für den Senat überzeugend dargelegt, dass sich eine
Lärmschwerhörigkeit nur in der Zeit entwickeln kann, in der eine berufliche Lärmeinwirkung nachgewiesen ist. Bei Beendigung
einer möglichen Lärmeinwirkung wird nämlich die bis dahin möglicherweise aufgetretene Hörstörung „eingefroren“. Veränderungen,
die nach diesem Zeitpunkt auftreten, sind dann regelhaft nicht auf die berufliche Lärmeinwirkung zurückzuführen, sondern habe
eine andere, schicksalsmäßige und degenerative Ursache. Der Sachverständige hat hierzu - wie bereits oben dargelegt - darauf
verwiesen, dass der Kläger ab dem 1. Januar 1997 keiner Lärmbelästigung mehr ausgesetzt und ab dem 31. Dezember 2002 auch
dessen versicherte Tätigkeit abgeschlossen gewesen ist. Die Hörstörung hat sich jedoch erst ab dem Jahr 2008 bemerkbar gemacht,
mithin über 6 Jahre nach Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit bzw. über 12 Jahre ohne maßgeblicher Lärmeinwirkung. Der
Sachverständige Prof. Dr. V. hat hierzu auf einen Vergleich zwischen den ersten verfügbaren Tonschwellenaudiogrammen aus den
Jahren 1993, 1998 und dem Tonschwellenaudiogramm vom 5. September 2016 aus dem Hörzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover
festgestellt, dass eine eindeutige Zunahme der Hörstörung beiderseits festzustellen ist. Diese Zunahme der Hörstörung mit
Verbreitung der Hochtonsenke kann allerdings nicht auf berufliche Lärmeinwirkung zurückgeführt werden, sondern stellt, was
auch der Senat für plausibel und nachvollziehbar hält, eine schicksalshaft und altersdegenerative Veränderung nach Beendigung
der beruflichen Tätigkeit dar. Insgesamt vermochte der Senat deshalb sowohl die arbeitstechnischen, als auch die medizinischen
Voraussetzungen der von dem Kläger geltend gemachten BK-Nr. 2301 nicht als erfüllt ansehen.
Rein vorsorglich weist der Senat ferner darauf hin, dass der Kläger selbst im Falle einer Anerkennung einer BK-Nr. 2301 keinen
Anspruch auf die ursprünglich von ihm begehrte Hörgeräte-Versorgung hätte. Aus diesem Grund hat der Kläger ursprünglich das
Verwaltungsverfahren angestrengt. Der Sachverständige hat hierzu dargelegt, dass eine Kostenübernahme für eine Hörgeräteversorgung
voraussetzt, dass im Sprachaudiogramm bei 65 dB eine Verständlichkeit von unter 80 Prozent erreicht werden muss. Im Falle
des Klägers ist im Sprachaudiogramm vom 5. September 2016 allerdings eine Verständlichkeit von 100 Prozent rechts bei 65 dB
und von 95 Prozent links bei 65 dB erreicht. Im Sprachaudiogramm vom 1. Dezember 2015 wurde bei 60 dB eine Verständlichkeit
von 95 Prozent rechts und 90 Prozent links erreicht. Eine Indikation zu einer Hörgeräte-Versorgung nach den Hilfsmittel-Richtlinien
wäre daraus nicht abzuleiten. Auch die Gewährung von Rentenleistungen wäre im Fall einer anerkannten BK-Nr. 2301 nicht ableitbar,
denn bei dem Kläger besteht eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Hochtonsenkenbildung lediglich im Grad einer annähernden
Normalhörigkeit, die nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. V. im Erörterungstermin am 26. November 2021 zu einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit von unter 10 v.H. führt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.