Anspruch auf Entschädigung wegen eines überlangen sozialgerichtlichen Verfahrens
Anforderungen an die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge bei Altfällen
Tatbestand
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg (Az. S 37 R 970/16 [zuvor: S 37 R 93/09]) und dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Az. L 3 R 530/20) anhängig gewesenen Verfahrens (Ausgangsverfahren).
Der Kläger bezog in der Zeit vom 30. Dezember 2004 bis zum 29. Dezember 2007 einen Existenzgründungszuschuss nach dem
Dritten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) von der zuständigen Agentur für Arbeit. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund prüfte in der Folge das Bestehen von
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die Geltendmachung von Beiträgen. Mit Bescheid vom 19. Juni
2008 stellte die DRV Bund Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 30. Dezember 2004
für die Dauer des Bezuges des Existenzgründungszuschusses fest. Zudem berechnete sie Beiträge für die Zeit vom 30. Dezember
2004 bis zum 29. Dezember 2007 in Höhe von 8.625,01 Euro. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der
Kläger am 23. Juli 2009 Klage zum SG Duisburg (S 37 R 93/09). Am 8. Juli 2010 forderte das SG den Kläger auf, das Verfahren innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Aufforderung zu betreiben, und wies darauf hin,
dass die Klage anderenfalls als zurückgenommen gelte. Die zugrunde liegende Verfügung war nicht von der Kammervorsitzenden
mit vollem Namenszug unterschrieben. Das SG trug die Streitsache am 22. Oktober 2010 als durch Klagerücknahme erledigt aus. Nachdem der Kläger in dem anderweitigen Verfahren
S 34 R 421/14 geltend gemacht hatte, die Aufforderung vom 8. Juli 2010 nicht erhalten zu haben, und die Erfüllung formaler Voraussetzungen
rügte, führte das SG das Verfahren unter dem neuen Aktenzeichen S 37 R 970/16 WA fort und wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2020 ab. Im Erörterungstermin vor dem LSG schlossen der Kläger
und die DRV Bund einen Vergleich, der das Verfahren nach Ablauf der Widerrufsfrist am 7. September 2020 beendete.
Das Verfahren stellt sich chronologisch wie folgt dar:
Datum
|
Bl. GA
|
Handelnder
|
Aktivität
|
23.7.2009
|
1
|
Kläger
|
Klageerhebung (Fax)
|
24.7.2009
|
2
|
SG
|
Verfügung: Anforderung des angefochtenen Bescheides von Kl.; Aufforderung zur Übersendung von Erwiderung + Akten ggü. Bekl.
|
14.8.2009
|
4R
|
SG
|
Hinweis des SG an Beteiligte, dass Original der Klageschrift zwischenzeitlich irrtümlich als weiteres Verfahren erfasst worden war (S 10 R 199/09)
|
13.8.2009
|
5
|
Beklagte
|
Eingang Stellungnahme: Verweis auf Inhalt der Akten vor Klagebegründung
|
14.8.2009
|
5R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung z.K. + Aufforderung zur Übersendung der Klagebegründung
|
20.8.2009
|
6R
|
SG
|
Durchführung einer Meldeanfrage + erneute Versendung der Verfügung vom 14.8.2009 nach Postrücklauf
|
18.9.2009
|
7
|
Kl.
|
Eingang Klagebegründung
|
22.9.2009
|
7R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.; Anfrage an Kl., ob Einverständnis mit Beiziehung der Akten der Arbeitsagentur bestehe
|
15.10.2009
|
8
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme: Kein Einverständnis mit Beiziehung
|
16.10.2009
|
8R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.; Schreiben an Kl.: Hinweis auf mögliche Erkenntnisse aus der Akte der Arbeitsagentur
|
28.10.2009
|
10
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme: Klageabweisung (Verweis auf Versicherungspflicht 30.12.2004 - 29.12.2007)
|
30.10.2009
|
10R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Kl. z.K.
|
13.11.2009
|
10R
|
SG
|
Verfügung: Erinnerung des Klägers
|
10.12.2009
|
10R
|
SG
|
Verfügung: Dringende Erinnerung des Klägers
|
16.12.2009
|
11
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahmen mit Datum 26.10.2009 und 17.11.2009
|
17.12.2009
|
13R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.St.
|
7.1.2010
|
14
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme (Festhalten an Beitragsforderung aufgrund Bezuges des Existenzgründungszuschusses)
|
11.1.2010
|
15R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Kl. z.St. + Anfrage, ob Einverständnis mit Beiziehung der Akten der Arbeitsagentur bestehe
|
22.2.2010
|
14R
|
SG
|
Verfügung: Erinnerung des Kl.
|
19.3.2010
|
15
|
SG
|
Verfügung: Erneute Erinnerung des Kl.
|
22.4.2010
|
15R
|
SG
|
Verfügung: ET
|
22.4.2010
|
16
|
SG
|
Ladung zum Termin (11.6.2010)
|
9.6.2010
|
21
|
SG
|
Verfügung: Namen des Kl. ändern (zuvor als "P" geführt)
|
11.6.2010
|
22
|
SG
|
ET
Beschluss: Weitere Ermittlungen durch KV
|
11.6.2010
|
21R
|
SG
|
Vermerk: Aggressives Auftreten des Klägers und der begleitenden Ehefrau im Termin ggü. KV + Bekl.-Vertreter; Androhung Ablehnungsgesuch
"Der Kläger sollte nicht noch einmal zum Termin geladen werden"
|
8.7.2010
|
25 ff.
|
SG
|
Verfügung: Hinweis, dass keine Anhaltspunkte für Rechtswidrigkeit des Bescheides bestünden; Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen
binnen drei Monaten (Einkommensnachweis bzgl. "Ich-AG" und aktuelle Einkommensverhältnisse Kl. + Ehefrau); Hinweis auf Klagerücknahmefiktion,
wenn Verfahren länger als drei Monate nicht betrieben werde
Keine Unterschrift der KV
Zustellung am 15.7.2010
|
12.8.2010
|
31
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme
|
13.8.2010
|
31R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Kl. z.K.
|
22.10.2010
|
32
|
SG
|
Verfügung: Rechtsstreit am 22.10.2010 infolge Klagerücknahme erledigt
|
14.3.2016
|
33
|
Kl.
|
Eingang Klagebegründung im Verfahren S 34 R 421/14: Dort streitig Aufrechnungsbescheid, der auf dem im Verfahren S 37 R 93/09 streitigen Bescheid beruht
Ausführungen zum Verfahren S 37 R 93/09 R:
Klagerücknahmefiktion sei nicht eingetreten: Kl. habe Verfügung vom 8.7.2010 nicht erhalten. Verfügung sei nicht unterschrieben.
|
14.4.2016
|
|
|
|
22.9.2016
|
37
|
SG
|
Verfügung: Vergabe eines neuen Aktenzeichens (Erfassung als WA-Verfahren); zuvor war Kopie einer Verfügung vom 14.4.2010 im
Verfahren S 34 R 421/14 zur Akte genommen worden
|
27.9.2016
|
37R
|
SG
|
Verfügung: Mitteilung neues Az. an Beteiligte + Anforderung der Akten von Bekl.
|
17.10.2016
|
38
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme: Akten liegen im Verfahren S 34 R 421/14 vor
|
3.11.2016
|
38R
|
SG
|
Verfügung: Anforderung Aktenkopie von Bekl.
|
16.11.2016
|
38R
|
SG
|
Verfügung: Anfrage ggü. Kammer 34 nach anwaltlicher Vertretung
|
21.11.2016
|
39
|
SG
|
Eingang Durchschrift einer Anfrage der 34. Kammer, ob Prozessbev. auch im Verfahren S 37 R 970/16 WA vertritt
|
23.11.2016
|
40R
|
SG
|
Vermerk: Absprachegemäß Anfrage an Prozessbev. in Ka. 34, ob er Verfahren in Ka. 37 übernehme
|
22.11.2016
|
41
|
Bekl.
|
Eingang: Schreiben, wonach "Digi-Akte" übersandt werde
|
25.11.2016
|
41R
|
SG
|
Verfügung: zF (Antwort der 34. Kammer)
|
14.12.2016
|
41R
|
SG
|
Verfügung: WV 3 Wochen
|
5.1.2017
|
42
|
SG
|
Übersendung des Ruhensbeschlusses im Verfahren S 34 R 421/14
|
9.1.2017
|
41R
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Bekl: Digi-Akte nicht eingegangen, erneute Übersendung
|
12.1.2017
|
45R
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Kläger, ob er sich von dem in dem Verfahren S 34 R 421/14 bestellten Prozessbev. vertreten lasse
|
20.1.2017
|
47
|
Kl.
|
Prozessbev. bestellt sich, zugleich: Antrag auf Prozesskostenhilfe
|
24.1.2017
|
47R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.
|
25.1.2017
|
50R
|
SG
|
Verfügung: zF
|
25.1.2017
|
50R
|
SG
|
Vorlage UdG zur Vorprüfung
|
31.1.2017
|
50R
|
SG
|
Vermerk: Akteneinsicht werde nicht begehrt
|
21.2.2017
|
50R
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Prozessbev. mdB um Mitteilung der zuständigen Agentur für Arbeit + dortige Kundennummer, um Unterlagen
bzgl. Existenzgründungszuschuss beizuziehen
|
23.2.2017
|
51
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme: Am 26.1.2017 angeforderte Unterlagen liegen noch nicht vor (PKH-Unterlagen), Bitte um Fristverlängerung
bis 16.3.2017
|
24.2.2017
|
51R
|
SG
|
Verfügung: zF
|
9.3.2017
|
52
|
Kl.
|
Vorsprache des Kl. bei Urkundsbeamtin: "Habe Schreiben vom 8.7.2010 erst gestern von Anwalt erhalten. Zustellung ist nicht
erfolgt. Bitte um Übersendung Zustellungsurkunde und Sitzungsniederschrift vom 11.6.2010."
|
13.3.2017
|
52R
|
SG
|
Vermerk: Akte seit 1.6.2016 auf Zimmer 452
|
22.3.2017
|
52
|
SG
|
Verfügung: WV mit Akte
|
24.3.2017
|
52R
|
SG
|
Vermerk: "Az. der 37. Kammer nach Wiederaufnahme lautet S 37 R 970/16 WA, diese Akte an KB senden"
|
29.3.2017
|
52
|
SG
|
Vorlage KV
|
30.3.2017
|
52R
|
SG
|
Verfügung: Kopien von Sitzungsniederschrift sowie der Verfügung vom 8.7.2010 samt PZU an Kl.; Erinnerung der Bekl.
|
29.3.2017
|
53
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme: Vortrag zu PKH-Voraussetzungen (vorab per Fax, ohne Unterlagen)
|
6.4.2017
|
54R
|
SG
|
Verfügung: WV 1 Woche (Eingang Original)
|
3.4.2017
|
56
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme mit Anlagen
|
6.4.2017
|
56R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K., Vorlage UdG
|
18.4.2017
|
57
|
SG
|
Beschluss: Bewilligung von PKH
|
20.6.2017
|
58R
|
SG
|
Vermerk: "Kläger hat sich 2010 im Termin unmöglich benommen und sich ein Wortgefecht mit dem Bekl.vertreter geliefert. Er
war kaum zu bändigen. Ggfls. kann ein Güterichter eine entspannte Atmosphäre schaffen."
|
20.6.2017
|
59
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Beteiligte, ob diese mit Durchführung eines Güterichterverfahrens einverstanden sind
|
18.7.2017
|
67
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme: Noch keine Rücksprache möglich, Bitte um Fristverlängerung bis 1.8.2017
|
19.7.2017
|
67R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.
|
25.7.2017
|
69
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme: Bitte um Aktenrücksendung, damit Stellungnahme abgegeben werden kann
|
1.8.2017
|
69R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Kl. z.K.; VA an Bekl.
|
1.8.2017
|
70
|
Kl.-Bev.
|
Eingang Stellungnahme: Bitte um Fristverlängerung bis 18.8.2017
|
2.8.2017
|
70R
|
SG
|
Verfügung: WV 18.8.2017
|
17.8.2017
|
71
|
Kl.
|
Stellungnahme: Bereitschaft zu Mediationsverfahren (+)
|
18.8.2017
|
70R
|
SG
|
Verfügung: Sachstandsanfrage an Bekl.
|
24.8.2017
|
71R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K. + St.
|
14.9.2017
|
72
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme: Bereitschaft zu Mediationsverfahren (+)
|
19.9.2017
|
72R
|
SG
|
Verfügung: Bekl. erinnern
|
21.9.2017
|
73
|
Bekl.
|
Eingang der Verwaltungsakten
|
22.9.2017
|
73R
|
SG
|
Verfügung: Bekl. an Beantwortung der Anfrage vom 20.6.2017 erinnern
|
9.10.2017
|
74
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme: Anfrage bereits beantwortet
|
12.10.2017
|
76
|
SG
|
Beschluss:
Verweisung an Güterichter (S 37 SF 332/17 GR)
|
18.12.2017
|
79 f.
|
Kl.
|
Verzögerungsrüge
|
19.12.2017
|
82R
|
SG
|
Verfügung: zF
|
21.12.2017
|
83 f
|
Bekl.
|
Eingang: Berechnungen (abgeheftet auf Bl. 84 ff)
|
27.12.2017
|
83R
|
SG
|
Verfügung: Unterlagen in Kopie zum Güterichterverfahren nehmen
|
27.2.2018
|
83R
|
SG
|
Vermerk: "S 37 SF 332/17 GR noch anhängig"; Verfügung: WV spätestens in 3 Monate
|
28.5.2018
|
83R
|
SG
|
Vermerk: "noch anhängig"; Verfügung: WV 1 Monate
|
27.6.2017
|
101
|
SG
|
Verfügung: WV 1 Monat
|
16.7.2018
|
102
|
SG
|
Eingang Mitteilung: "Güterichter hat zum LSG gewechselt, setzt Bearbeitung fort, Termin am 5.10.2018"
|
18.7.2018
|
102R
|
SG
|
Verfügung: WV 31.10.2018
|
8.8.2018
|
103
|
Kl.
|
Verzögerungsrüge
|
8.8.2018
|
103R
|
SG
|
Verfügung: WV 20.10.2018
|
12.10.2018
|
104
|
SG
|
Eingang Verfahrensakte + Beiakten nach erfolgloser Beendigung des Güterichterverfahrens
|
13.10.2018
|
104R
|
SG
|
Verfügung: zF von S 37 R 72/18
|
8.11.2018
|
104R
|
SG
|
Verfügung: zum ET
|
1.2.2019
|
105
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Prozessbev.: Übersendung von Unterlagen, aus denen Einnahmen aus der "Ich-AG" für Gewährungszeitraum
des Gründungszuschusses hervorgehen
|
5.3.2019
|
105R
|
SG
|
Verfügung: Kl. erinnern
|
24.3.2019
|
106
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme des Klägers (Anfrage zum zeitlichen Bezug des Schreibens vom 1.2.2019; Bitte um Übersendung des GVP;
kein Einverständnis mit Ruhen u.a.).
|
25.3.2019
|
108R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung von Kopien an Prozessbev. mdB, nur über ihn mit dem Gericht zu kommunizieren; Verweis auf GVP auf Homepage
des SG; Übersendung an Bekl. z.K.
|
4.4.2018
|
110
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Kl.: Angeforderte Unterlagen stehen weiterhin aus. Fristsetzung nach § 106a Abs. 1 SGG. Hinweis auf Klagerücknahmefiktion, wenn Verfahren nicht betrieben werde.
|
4.7.2019
|
115
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme: Vortrag zum Einkommen; Unterlagen sollen vorgelegt werden; Angebot einer eidesstattlichen Versicherung
|
5.7.2019
|
115R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K. + St., ob dies ausreiche
|
4.7.2019
|
117 ff.
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme des Klägers (u.a. Antrag auf erneutes Güterichterverfahren) mit verschiedenen Anlagen
|
5.7.2019
|
133R
|
SG
|
Verfügung: Kopie an Prozessbev. + Bekl. z.K.; Anfrage, ob Einverständnis mit erneutem Güterichterverfahren bestehe
|
16.8.2019
|
134R
|
SG
|
Verfügung: Bet. erinnern
|
30.8.2019
|
135
|
Bekl.
|
Eingang Stellungnahme (u.a. Güterichterverfahren sinnlos)
|
3.9.2019
|
135R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Kl. z.K. + Anfrage, ob an nicht erfolgversprechender Klage festgehalten werde
|
18.9.2019
|
136
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme (Antrag auf Beiziehung der Akte der Arbeitsagentur, Akteneinsicht in Verwaltuntsakte)
|
19.9.2019
|
143
|
SG
|
Verfügung: Übersendung VA an Prozessbev.; Bitte um Mitteilung der zuständigen Agentur für Arbeit + Kundennummer
|
24.9.2019
|
144
|
Kl.
|
Eingang VA
|
7.10.2019
|
145
|
SG
|
Eingang VA
|
5.11.2019
|
145R
|
SG
|
Verfügung: Erinnerung Kl.
|
6.11.2019
|
146
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme des Kl.
|
7.11.2019
|
146R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung des Schreibens d. Kl. an Prozessbev. mdB um Mitteilung, ob die geforderten Angaben verweigert werden;
Übersendung an Bekl. z.K.
|
20.11.2019
|
147
|
LSG
|
Anforderung der Gerichtsakten
|
21.11.2019
|
147R
|
SG
|
Verfügung: KVnR
|
3.12.2019
|
148
|
LSG
|
Erinnerung an Übersendung
|
5.12.2019
|
148R
|
SG
|
Verfügung: KVnR
|
10.12.2019
|
148R
|
SG
|
Verfügung: Akten an LSG
|
13.12.2019
|
149
|
LSG
|
Eingang Gerichtsakten
|
2.1.2020
|
149R
|
SG
|
Verfügung: WV 10 Tage
|
6.1.2020
|
150
|
LSG
|
Rücksendung Gerichtsakten
|
9.1.2020
|
150R
|
SG
|
Verfügung: Erinnerung Kl.
|
31.1.2020
|
151
|
LSG
|
Erinnerung an Rücksendung des EB
|
3.2.2020
|
151R
|
SG
|
Verfügung: EB per Fax an LSG
|
11.2.2020
|
153
|
SG
|
Verfügung: Aufforderung des Klägers, bis zum 15.3.2020 die zuständige Agentur für Arbeit sowie die Kundennummer anzugeben.
Hinweis auf § 106a SGG. Hinweis auf Klagerücknahmefiktion.
Zustellung 14.2.2020 (EB)
|
5.3.2020
|
157R
|
SG
|
Verfügung: WV 15.5.2020
|
13.3.2020
|
158
|
Kl.
|
Stellungnahme: Übersendung Schreiben an Agentur für Arbeit Mülheim
|
13.3.2020
|
161R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.
|
14.4.2020
|
166
|
Kl.
|
Stellungnahme: Übersendung Schreiben der Agentur für Arbeit N ("keine Akten mehr aus dem Jahr 2007")
|
9.4.2020
|
172R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.
|
9.4.2020
|
173
|
SG
|
Verfügung: Schreiben an Beteiligte: Anfrage zu einer Entscheidung durch GB
|
13.5.2020
|
175
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme: Kl. lege Wert auf mV
|
14.5.2020
|
176R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K.; "anl. GB", "zur AV"
|
15.5.2020
|
177 f
|
Kl.
|
Eingang Stellungnahme des Kl. (u.a. Bestehen auf mV)
|
18.5.2020
|
178R
|
SG
|
Verfügung: Übersendung an Bekl. z.K., "anl. Gerichtsbescheid", "zur AV"
|
18.5.2020
|
179 ff.
|
SG
|
Gerichtsbescheid
Klageabweisung
Zustellung an Prozessbev: 28.5.2020
Zustellung an Bekl.: 27.5.2020
|
21.6.2020
|
191
|
Kl.
|
Berufung
|
2.7.2020
|
194
|
LSG
|
Eingangsverfügung
|
7.7.2020
|
196
|
LSG
|
Ladung zum Erörterungstermin (5.8.2020)
|
24.7.2020
|
201
|
Kl.
|
Neuer Prozessbev. bestellt sich; Übersendung verschiedener Unterlagen
|
3.8.2020
|
211 ff.
|
LSG
|
Vergleichsvorschlag des BE an Beteiligte (an Bekl. per E-Mail, Bl. 208 f.)
|
5.8.2020
|
220 f.
|
LSG
|
Erörterungstermin
Abschluss Widerrufsvergleich (Frist: drei Wochen ab Zustellung der Sitzungsniederschrift)
|
10.8.2020
|
224
|
LSG
|
Übersendung Sitzungsniederschrift per Fax an Prozessbev.
|
14.8.2020
|
|
Bekl.
|
Eingang Sitzungsniederschrift
|
1.9.2020
|
227R
|
LSG
|
Anfrage an Bekl., wann Sitzungsniederschrift zugegangen ist
|
7.9.2020
|
230
|
Bekl.
|
Stellungnahme: Eingang Sitzungsniederschrift am 14.8.2020
|
7.9.2020
|
|
|
Verfahrensbeendigung (Ablauf von 3 Wochen nach letzter Zustellung)
|
Der Kläger hat am 4. November 2020 Entschädigungsklage zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen erhoben. Zugleich
hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt; diesen Antrag hat er mit Schriftsatz vom 20. Mai 2021 zurückgenommen.
Zur Begründung macht er geltend, dass jedenfalls im Zeitraum von November 2010 bis Oktober 2016 keine ausreichende zeitnahe
Bearbeitung des Verfahrens durch das SG erfolgt sei. Dies habe er auch gerügt. Ob nach Wiederaufnahme des Verfahrens Ende 2016 weitere Verzögerungen aufgetreten
seien, werde wie die Frage der genauen Höhe des Entschädigungsanspruchs in das Ermessen des Gerichts gestellt. Ausgehend von
einem Entschädigungsanspruch von 100 Euro je Monat der Verzögerung habe er jedenfalls Anspruch auf zahlung von 7.200 Euro.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung von 7.200 Euro wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens S
37 R 93/09, später S 37 R 670/16, SG Duisburg, für ein überlanges Gerichtsverfahren mit Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
ab dem 12. Juni 2021 zu zahlen,
hilfsweise, die überlange Verfahrensdauer des gesamten Verfahrens festzustellen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es macht geltend, dass das Verfahren schon vor dem 3. Dezember 2011, dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz
bei überlangen Gerichtsverfahren, anhängig gemacht worden sei. Die Verzögerungsrüge müsse in diesem Fall unverzüglich nach
Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Anderenfalls könne sie für die Zeit vor ihrer Erhebung keine Entschädigungsansprüche
begründen. Hier sei die erste Verzögerungsrüge am 18. Dezember 2017 und damit 6 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben
worden. Entschädigung für Verzögerungen vor dem 18. Dezember 2017 komme deshalb nicht in Betracht. Für die Zeit danach fehle
es an einer monatsweisen Geltendmachung konkreter entschädigungsrelevanter Zeitphasen, wobei eine Karenzzeit von zwölf Monaten
je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen sei.
Im Verhandlungstermin vom 23. März 2022 hat der Kläger einen vom selben Tag datierenden Schriftsatz überreicht, in dem er
u.a. die Ladungsfrist rügt und die Vernehmung von Zeugen beantragt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene
Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens (S 37 R 93/09, später S 37 R 970/16 WA SG Duisburg sowie L 3 R 530/20 LSG NRW) Bezug genommen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Der Senat kann aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, zu der die Beteiligten ordnungsgemäß
geladen worden sind (A.). Die Klage, für die das LSG NRW zuständig ist (B.), ist zwar zulässig (C.), aber im Hauptantrag (D.)
wie im Hilfsantrag (E.) unbegründet.
A. Der Senat ist nicht an einer Entscheidung gehindert, weil dem Kläger - wie er ausführt - die Ladung zum Verhandlungstermin
nicht rechtzeitig zugegangen wäre. Soweit der Kläger damit sinngemäß geltend machen will, dass ihm nicht ausreichend Zeit
zur Vorbereitung des Termins verblieben sei und die Verhandlung deshalb zu vertagen gewesen wäre, greift dies nicht durch.
Die Beteiligten haben ein Recht darauf, zur mündlichen Verhandlung als dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens zu erscheinen
und dort mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten
daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen, was die ordnungsgemäße Benachrichtigung über den Termin zur mündlichen Verhandlung
(§ 153 Abs. 1, §
110 Abs.
1 Satz 1, §
63 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz <SGG>) voraussetzt (Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 12. März 2019 - B 13 R 160/17 B - juris-Rn. 8 f.).
Eine solche ordnungsgemäße Benachrichtigung ist hier jedoch erfolgt. Diese erfordert bei anwaltlich vertretenen Beteiligten
gemäß §
73 Abs.
6 Satz 6
SGG eine an den Bevollmächtigten gerichtete Mitteilung der Terminbestimmung. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist die
Ladung am 8. März 2022 zugegangen (Empfangsbekenntnis). Damit ist die Mindestfrist des §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
217 Zivilprozessordnung (
ZPO) von drei Tagen zwischen Zustellung der Ladung und dem Terminstag gewahrt (vgl. BSG, Beschluss vom 12. März 2019 - B 13 R 160/17 B - juris-Rn. 10). Auch wenn es auf den Zugang der Terminsmitteilung bei dem Kläger ankäme, wäre diese ordnungsgemäß erfolgt.
Die Terminsmitteilung ist dem Kläger am 5. März 2022 zugestellt worden (Postzustellungsurkunde). Damit ist die für die Mitteilung
des Termins an Beteiligte vorgesehene Regelfrist von zwei Wochen (§
110 Abs.
1 Satz 1
SGG) eingehalten worden (18 Tage). Es ist außerdem nicht ersichtlich, in welcher Weise der Kläger an entscheidungserheblichem
Vortrag gehindert gewesen wäre. Das ist auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil der Kläger im Termin anwaltlich vertreten
war.
B. Für die Entscheidung über die Klage ist das LSG NRW erstinstanzlich zuständig. Nach §
200 Satz 1
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf
Entschädigung gegen das Land ist nach §
201 Abs.
1 Satz 1
GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche
Verfahren ergänzt §
202 Satz 2
SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des
GVG (§§
198 bis
201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der
ZPO das
SGG tritt. Hieraus folgt die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts, weil das der Entschädigungsklage zugrunde liegende Ausgangsverfahren
im Bezirk des LSG NRW (§ 20 Abs. 1 Justizgesetz NRW) geführt wurde.
C. Die auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig.
I. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG statthaft (hierzu BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - BSGE 118, 102 ff. - juris-Rn. 15; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 - juris- Rn. 20; jeweils m.w.N.). Eine vorherige
Verwaltungsentscheidung ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. §
198 Abs.
5 GVG); einer vorherigen außergerichtlichen Geltendmachung bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 1/13 -, juris, Rn. 19).
II. Der Kläger hat die Wartefrist nach §
198 Abs.
5 Satz 1
GVG eingehalten. Hiernach kann die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach §
198 Abs.
1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden (zur Wartefrist als Sachurteilsvoraussetzung: BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 4 - juris-Rn. 17). Der Kläger hat die Verzögerungsrüge
am 18. Dezember 2017 erstmals Verzögerungsrüge erhoben. Davon ausgehend hat er die Klage nach Ablauf der Wartefrist erhoben.
Denn die Klage ist am 4. November 2020 beim Entschädigungsgericht anhängig gemacht worden, die Zustellung an den Beklagten
erfolgte am 11. Juni 2021.
III. Die Klagefrist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GV ist gewahrt. Die Klagefrist nach §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG ist gewahrt. Hiernach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren
beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Das Ausgangsverfahren endete mit dem Wirksamwerden des
im Erörterungstermin vom 5. August 2020 geschlossenen Widerrufsvergleichs am 7. September 2020. Die in §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG normierte Frist endete damit am 7. März 2021 (§
90,
64 SGG). Die im Ausgangsverfahren ergangene Entscheidung wurde am 11. November 2019 rechtskräftig. Die Klagefrist endete damit am
11. Mai 2020 (§
90, §
64 SGG). Die Entschädigungsklage ist am 4. November 2020, vor Fristablauf, beim LSG NRW anhängig geworden, was ausreicht. Auf den
Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage gemäß §
94 Satz 2
SGG durch Zustellung beim Beklagten kommt es für die Klagefrist dagegen nicht an (BSG, Urteil vom 17 Dezember 2020 - B 10 ÜG 1/19 R - BSGE 131, 153 ff. - juris-Rn. 16).
IV. Die weiteren zwingenden Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß §
92 Abs.
1 Satz 1
SGG sind erfüllt, da die Klage die Beteiligten und den Gegenstand, nämlich eine konkrete Entschädigungsforderung für die Dauer
des Ausgangsverfahrens, hinreichend präzise benennt. Die weiteren zur Begründung dienenden Tatsachen, die auf eine Darlegung
der Verzögerungen im Gerichtsverfahren gerichtet sein sollten, sind ebenfalls angegeben (vgl. zu den Zulässigkeitsanforderungen
an eine Klage zuletzt BSG, Urteil vom 13.Dezember 2018 - B 10 ÜG 4/16 R - SozR 4-1500 § 92 Nr. 5 - juris-Rn. 11f.).
D. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung eines immateriellen Nachteils.
I. Anspruchsgrundlage ist §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter
einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe
des §
198 Abs.
2 Satz 1 i.V.m. Satz 3
GVG mit 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen.
II. Der Anwendung der Entschädigungsregelung auf den Streitfall steht nicht entgegen, dass das Ausgangsverfahren bei Inkrafttreten
des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November
2011 <ÜGG> (BGBl I, 2302) am 3. Dezember 2011 (Art. 24 ÜGG) bereits anhängig gewesen ist. Die Anwendung der Entschädigungsregelung
auf den Streitfall folgt aus der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGG. Danach gilt dieses Gesetz auch für
Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das am 23. Juli 2009
eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.
Insbesondere war es nicht infolge Eintritts der Klagerücknahmefiktion des §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG erledigt, denn es mangelte der Betreibensaufforderung vom 8. Juli 2010 an der formalen Voraussetzung der Unterzeichnung durch
den Kammervorsitzenden mit vollem Namen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R - BSGE 106, 254 ff. - juris-Rn. 49; BSG, Urteil vom 4. April 2017 - B 4 AS 2/16 R - BSGE 123, 62 ff. - juris-Rn. 24).
III. Einem Entschädigungsanspruch für die Zeit vor Erhebung der Verzögerungsrüge am 18. Dezember 2017 steht bereits entgegen,
dass der Kläger die erforderliche Verzögerungsrüge nicht unverzüglich erhoben hat.
1. Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß §
198 Abs.
3 Satz 1
GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Die Verzögerungsrüge kann erst
erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird;
eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist
geboten ist (§
198 Abs.
3 Satz 2
GVG). Befindet sich das Verfahren zwischenzeitlich bei einem "anderen Gericht" (wovon das im Instanzenzug höhere Gericht umfasst
wird, BSG, Urteil vom 27. März 2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 19, juris, Rn. 27), bedarf es gem. §
198 Abs.
3 Satz 5
GVG im Falle einer weiteren Verzögerung einer "erneuten Verzögerungsrüge".
2. Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGG auf Altfälle angewandt, die am 3. Dezember
2011 bereits anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der Verzögerungsrüge durch Art. 23 Satz 2 und 3
ÜGG an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten
der Regelung schon verzögert sind, muss die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden. Geschieht dies,
so wahrt die Rüge den Anspruch aus §
198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum, das heißt so, als ob bereits zu dem in §
198 Abs.
3 Satz 2
GVG festgelegten Zeitpunkt gerügt worden wäre (BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 - NJW 2014, 1967 ff. - juris-Rn. 22).
a) Das Verfahren war bei Inkrafttreten der Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 bereits verzögert. Nach dem Austragen
der Streitsache als erledigt infolge fiktiver Klagerücknahme am 22. Oktober 2010 fand keine Bearbeitung des Verfahrens statt.
Diese auf das Verfahren S 37 R 93/09 R bezogene Inaktivität endete erst mit der Vergabe eines neuen Aktenzeichens am 22. September 2016 und der Mitteilung des
neuen Aktenzeichens an die Beteiligten, verbunden mit der Aktenanforderung bei der Beklagten. Bis zum Inkrafttreten der Entschädigungsregelung
am 3. Dezember 2011 waren in dem Verfahren damit bereits 13 Monate Inaktivitätszeit aufgelaufen (November und Dezember 2010
sowie Januar bis einschließlich November 2011).
b) Die Erhebung der Verzögerungsrüge des Klägers am 18. Dezember 2017 erfolgte nicht unverzüglich.
aa) "Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird
die Legaldefinition in §
121 Abs.
1 Satz 1
BGB in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des §
121 BGB hinaus gilt (BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr. 1 - juris-Rn. 29; BGH, Urteil vom 10. April 2014 -
III ZR 335/13 - a.a.O. - juris-Rn. 24).
Damit gehört zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse
des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. Demnach ist "unverzüglich" nicht gleichbedeutend
mit "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch
eine Verzögerungsrüge wahren muss. (BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 1 - juris-Rn. 29 m.w.N.). Unter Berücksichtigung
des Gesetzeszwecks sowie den aus dem
Grundgesetz und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten folgenden Anforderungen ist dies dahin zu konkretisieren, dass die Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn
sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG beim Ausgangsgericht einging (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 5 - juris-Rn. 27; vgl. auch Senat, Urteil vom 25.
November 2015 - L 11 SF 215/15 EK R - juris-Rn. 33).
bb) Davon ausgehend ist die Verzögerungsrüge hier nicht unverzüglich erfolgt. Der Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des
Gesetzes am 3. Dezember 2011 und der Erhebung der Verzögerungsrüge am 18. Dezember 2017 - sechs Jahre später - überschreitet
die zuzubilligende Überlegungsfrist von maximal drei Monaten. Auf die Gründe für die Überschreitung der Frist kommt es nicht
an. Bei der Frist des Art 23 Satz 2 ÜGG handelt es sich um eine materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist. Wegen der Fristversäumnis
ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §
67 SGG bereits dem Grunde nach ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 4 - juris-Rn. 22).
c) Rechtsfolge der nicht unverzüglichen Rüge ist, dass sie einen Anspruch nach §
198 GVG für den vorausgehenden Zeitraum nicht wahrt, was nicht nur die Entschädigung, sondern ohne Einschränkung alle Formen der
Wiedergutmachung nach §
198 GVG betrifft, inbegriffen die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer nach §
198 Abs.
4 Satz 3 Halbsatz 2
GVG (BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - a.a.O. - juris-Rn. 29).
IV. Für die Zeit ab Erhebung der Verzögerungsrüge (18. Dezember 2017) kommt ein Entschädigungsanspruch nicht in Betracht,
weil der Kläger keinen Nachteil infolge unangemessener Dauer des Ausgangsverfahrens im Sinne von §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG erlitten hat.
1. Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die Bestimmung der in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens (zur Prüfungssystematik vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 ff. - juris-Rn. 23 ff.).
a) Das Gerichtsverfahren i.S.d. §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG beginnt nach der Legaldefinition des §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG mit dessen Einleitung, also dem Moment des Eintritts der Rechtshängigkeit (§
94 Satz 1
SGG), und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss. Kleinste relevante Zeiteinheit ist der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 4).
b) Nach diesen Maßgaben begann das Ausgangsverfahren mit Einreichung der Klage beim SG am 23. Juli 2009 und endete mit dem Wirksamwerden des im Erörterungstermin vom 5. August 2020 geschlossenen Widerrufsvergleichs
am 7. September 2020. Dieser insgesamt 134 Kalendermonate umfassende Zeitraum ist als materiell-rechtlicher Bezugsrahmen der
Entschädigungsklage zugrunde zu legen.
2. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens in kalendermonatsgenauer Betrachtung an den von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG genannten Kriterien zu messen, die unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz <GG>) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art.
2 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG) auszulegen und zu vervollständigen sind (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 10 juris-Rn. 27; Urteil vom 3. September 2014 - B 10
ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 25). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich infolgedessen gemäß §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten
der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§
198 Abs.
1 Satz 2
GVG), ergänzend zudem der Prozessleitung des Ausgangsgerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 34 m.w.N.).
a) Das Ausgangsverfahren, in dem es um die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers für die Dauer von
3 Jahren ging, war durchschnittlich schwierig und hatte für den Kläger eine durchschnittliche wirtschaftliche Bedeutung.
b) Mit Blick auf die Prozessleitung der Ausgangsgerichte lassen sich 3 Monate an "inaktiven Zeiten" feststellen, wobei auch
hier wiederum als kleinste relevante Zeiteinheit ein Kalendermonat zu berücksichtigen ist (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 34).
aa) Hinsichtlich der Monate Januar bis einschließlich Oktober 2018 ist zu berücksichtigen, dass in dieser Zeit das Güterichterverfahren
durchgeführt wurde. Die Gerichtsakte lag dem SG nicht vor, eine Verfahrensförderung war nicht möglich. Aufgrund des von den Beteiligten erklärten Einverständnisses zur Durchführung
des Güterichterverfahrens ist dieser Zeitraum nicht als Inaktivitätszeitraum zu werten (vgl. für den Fall des mit Zustimmung
der Beteiligten erfolgten Ruhens des Verfahrens: Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl., §
198 GVG <Stand: 10.12.2020>, Rn. 61). Das SG hat zudem regelmäßig den Stand des Güterichterverfahrens in Erfahrung gebracht (Vermerke vom 27. Februar 2018 und vom 28.
Mai 2018). Auf die Mitteilung, dass ein Termin für den 5. Oktober 2018 angesetzt sei, hat es die Akte für den 31. Oktober
2018 zur Wiedervorlage notiert (Verfügung vom 18. Juli 2018). Am 12. Oktober 2018 lagen die Akten wieder vor.
bb) In den Monaten November und Dezember 2018 war das SG an einer inhaltlichen Bearbeitung des Verfahrens jedoch nicht gehindert. Nach außen gerichtete verfahrensfördernde Handlungen
sind gleichwohl nicht erfolgt. Die Verfügung "zum ET" am 8. November 2018 reicht dafür nicht aus. Die Monate November und
Dezember 2018 (zwei Monate) sind als Inaktivitätszeit zu werten.
cc) Im Jahr 2019 sind bis auf die Monate Januar, Mai, Juni und Dezember in allen Monaten verfahrensfördernde Aktivitäten des
SG erfolgt (Februar: Anforderung von entscheidungserheblichen Unterlagen [1. Februar 2019]; März: Erinnerung des Klägers an
Übersendung der Unterlagen [25. März 2019]; April: Erinnerung an Übersendung, Setzung einer Ausschlussfrist nach §
106a SGG; Juli: Übersendung einer Stellungnahme des Klägers mit Unterlagen an Beklagte zur Stellungnahme [5. Juli 2019]; August: Erinnerung
der Beteiligten [16. August 2019]; September: u.a. Aufforderung an Kl., zuständige Agentur für Arbeit und Kundennummer mitzuteilen
[19. September 2019]; November: Erinnerung des Klägers [5. November 2019], zudem verfahrensbezogene Anfrage an Kläger und
Übersendung einer Stellungnahme des Klägers an die Beklagte z.K. [7. November 2019]).
Die Monate Mai und Juni sind, obwohl in ihnen keine verfahrensfördernden Aktivitäten des SG stattgefunden haben, nicht als Inaktivitätszeiten zu werten. Hier ist zu berücksichtigen, dass das SG mit Verfügung vom 4. April 2019 den Kläger zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert hat und ihm eine dreimonatige Frist nach
§
106a SGG gesetzt hat. Es unterlag der Entscheidungsprärogative des SG, für von ihm für entscheidungserheblich gehaltene Tatsachen, die bisher nicht aufgeklärt wurden, eine Frist nach §
106a SGG zu setzen und deren Ablauf abzuwarten, bevor eine weitere Verfahrensförderung erfolgt (etwa durch Ladung des nach Fristablauf
entscheidungsreifen Streitverfahrens). Für den Monat Dezember 2019 gilt, dass das SG angesichts der am 7. November 2019 erfolgten verfahrensbezogenen Anfrage an den Kläger sowie der Übersendung von dessen Stellungnahme
an die Beklagte die jeweiligen Antworten abwarten durfte, wobei ein Sechs-Wochen-Zeitraum anzusetzen ist, der den Dezember
abdeckt (Fristablauf am 19. Dezember 2019).
Allein für den Monat Januar 2019 lassen sich weder verfahrensfördernde Handlungen des SG feststellen noch ist sonst ersichtlich, dass das SG an der Verfahrensförderung gehindert war. Dieser Monat ist als Inaktivitätszeit zu werten.
dd) Im Jahr 2020 sind keine Inaktivitätszeiten festzustellen. Das SG hat das Vefahren in jedem Monat gefördert (Januar: Erinnerung des Klägers [9. Januar 2020]; Februar: Aufforderung des Klägers,
bestimmte Angaben zu machen sowie Setzung einer Frist nach § 106a SGG]; März: Übersendung eines Schreibens des Klägers an
die Beklagte [9. April 2020]; April: Übersendung einer Stellungnahme der Agentur für Arbeit N an Beklagte [9. April 2020];
Mai: Fertigung und Zustellung des Gerichtsbescheides [Zustellung am 27. und 28. Mai 2020]).
ee) Bezogen auf das zügig geführte Berufungsverfahren sind keine rechtserheblichen Inaktivitätsintervalle auszumachen. Vielmehr
sind in jedem Monat der von Juni 2020 bis September 2020 (4 Monate) dauernden Verfahrenslaufzeit verfahrensfördernde Handlungen
des Berufungsgerichts erfolgt.
ff) Insgesamt verbleibt es damit bei den Monaten November 2018 bis Januar 2019 als Zeitraum der Inaktivität, der drei Monate
umfasst.
3. Die sodann in einem dritten Schritt vorzunehmende abschließende Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen verfahrens-,
sach- und personenbezogenen Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Verhältnisses der für eine längere Verfahrensdauer
einerseits und der für eine beschleunigte Erledigung andererseits sprechenden Gesichtspunkte und ihrer Einordnung in den menschen-
und grundrechtlichen Wertungsrahmen führt zu einer unangemessenen Dauer des gesamten Verfahrens im Umfang eines Monats.
a) Die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Verfahrensdauer die äußerste Grenze
des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei ist
den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten je Instanz zuzubilligen, die für sich genommen
noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R - a.a.O. - juris-Rn. 33; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O.
- Rn. 43 ff.; jeweils m.w.N.). Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung
der Klage bzw. die Einlegung der Berufung, sondern kann auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen oder in mehrere, insgesamt
zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 45; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR
4-1720 § 198 Nr. 5 - juris-Rn. 47: jeweils m.w.N.). Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten muss nicht
durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden können (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - a.a.O - juris-Rn. 34; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O.
- juris-Rn. 50).
b) Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ist hiernach von den Bearbeitungslücken des Ausgangsverfahrens vor dem SG (insgesamt 3 Monate) die im Regelfall zustehende zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit in Abzug zu bringen, so dass
kein Zeitraum einer unangemessenen Verfahrensdauer verbleibt.
E. Auch der für den Fall der Erfolglosigkeit des Hauptantrags gestellte Hilfsantrag auf Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer
bleibt ohne Erfolg.
Nach §
198 Abs.
4 Satz 3
GVG kann das Entschädigungsgericht die Feststellung treffen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, nach Satz 2 auch ohne
Antrag. Der Ausspruch kann nach §
198 Abs.
4 Satz 3
GVG in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung erfolgen (Halbsatz 1); ebenso, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des
Abs. 3 nicht erfüllt sind (Halbsatz 2).
I. Einer solchen Feststellung für die Zeit bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge - in der danach liegenden Zeit sind keine
Inaktivitätszeiten aufgelaufen, s.o. - steht jedoch die Versäumung der Rügefrist des Art. 23 Satz 2 ÜGG entgegen. Während
Art. 23 Satz 2 ÜGG eine Regelung hinsichtlich der Verzögerungsrüge des §
198 Abs 3
GVG beinhaltet, ordnet Art. 23 Satz 3 ÜGG eine Anspruchswahrung nach §
198 GVG an, und zwar ohne Differenzierung nach den einzelnen Absätzen der Norm (vgl. den Wortlaut "Anspruch nach §
198 des
Gerichtsverfassungsgesetzes"). Art. 23 Satz 3 ÜGG erfasst somit nicht nur die Entschädigung, sondern ohne Einschränkung alle Formen der Wiedergutmachung nach §
198 GVG, inbegriffen die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer nach §
198 Abs.
4 Satz 3 Halbsatz 2
GVG. Die Versäumung der Rügefrist und die hierdurch eintretende Präklusionswirkung des Art. 23 Satz 3 ÜGG haben zur Folge, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer vom Entschädigungsgericht nicht mehr überprüft wird
(BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - a.a.O. - juris-Rn. 28 ff. mit Verweis auf BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 - a.a.O. - juris-Rn. 35), weshalb auch die Feststellung einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer für den davon betroffenen
Zeitabschnitt nicht in Betracht kommt.
II. Davon abgesehen liegen auch die Voraussetzungen für eine Feststellung der überlangen Verfahrensdauer nicht vor.
1. Eine Feststellung der überlangen Verfahrensdauer bei Vorliegen eines schwerwiegenden Falls gem. §
198 Abs.
4 Satz 3 HS 1
GVG kommt im Fall des Klägers nicht in Betracht. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus §
198 Abs.
4 Satz 1
GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann (BVerwG,
Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D - BVerwGE 147, 146 ff., juris-Rn. 63). Die Feststellung der Überlänge kann dem Entschädigungskläger zusätzliche Genugtuung - neben dem Entschädigungsanspruch
- verschaffen (Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl., §
198 GVG <Stand: 10.12.2020>, Rn. 135). Mangelt es jedoch wie vorliegend an einem Entschädigungsanspruch, kommt die zusätzliche Feststellung
der Überlänge nicht in Betracht.
2. Die überdies mögliche Feststellung der Überlänge nach §
198 Abs.
4 Satz 3 HS 2
GVG kommt nach dem Ermessen des Senats im Fall des Klägers nicht in Betracht. Nach der vorstehenden Regelung kann das Entschädigungsgericht
die Überlänge des Verfahrens nach seinem Ermessen feststellen, wenn die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs nicht
vollständig erfüllt sind, insbesondere mangels wirksamer Verzögerungsrüge, und andererseits eine vollständige Klageabweisung
unter Würdigung der Gesamtumstände unbillig wäre.
Davon umfasst sind vor allem Fälle, in denen eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge zu
früh oder gar nicht erhoben wurde (BT-Drucks. 17/3802, S. 22; Sächsisches LSG, Beschluss vom 12. Juli 2016 - L 11 SF 50/15 EK - juris-Rn. 45). In diesen Fällen soll nach der Gesetzesbegründung trotz der Obliegenheitsverletzung des Betroffenen eine
entsprechende Feststellung angezeigt sein, wenn unter Würdigung der Gesamtumstände, etwa bei im Ausgangsprozess nicht anwaltlich
vertretenen Verfahrensbeteiligten, eine vollständige Klageabweisung unbillig erscheint (BT-Drucks. 17/3802, S. 22; vgl. auch
Röhl, a.a.O., Rn. 136, der darauf abstellt, dass die Verletzung der Pflicht zur Verzögerungsrüge infolge fehlender anwaltlicher
Vertretung weniger schwer wiegt).
Eine solche Unbilligkeit kann der Senat im Fall des Klägers jedoch nicht erkennen. Insbesondere kann der Senat auch unter
Berücksichtigung des Umstands, dass er im Ausgangsverfahren zunächst nicht anwaltlich vertreten war, nicht erkennen, dass
seine Obliegenheitsverletzung weniger schwer wiegt als der "Normalfall" einer unterlassenen Verzögerungsrüge. Zu berücksichtigen
ist dabei, dass das Ausgangsverfahren seit der fehlerhaften Austragung als erledigt infolge fiktiver Klagerücknahme am 22.
Oktober 2010 zum Stillstand gekommen war. Bis zum letztmöglichen Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge am 3. März 2012
(drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011) standen dem Kläger noch 16 volle Monate zur Verfügung, um
die Verzögerungsrüge zu erheben. An den Inhalt der Rüge sind dabei keine hohen Anforderungen zu stellen. Ob eine Verzögerungsrüge
erhoben ist, ist unter entsprechender Heranziehung der für Prozesserklärungen geltenden Auslegungsgrundsätze zu ermitteln.
Maßstab der Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont unter Beachtung des Grundsatzes einer rechtsschutzgewährenden Auslegung
(vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 19, juris, Rn. 32). Der Beteiligte muss daher lediglich
zum Ausdruck bringen, dass er mit der Dauer des Verfahrens nicht einverstanden ist und eine Beschleunigung verlangt, also
nicht nur darum bittet (Röhl, a.a.O., § 198 Rn. 89). Der Kläger hat sich jedoch bis zum 14. März 2016, weit über die vorstehend
genannte Frist hinaus, nicht mehr geäußert. Angesichts dieser langen Zeitspanne, in der auch der Kläger das Verfahren nicht
mehr betrieb, erscheint die vollständige Abweisung der Klage dem Senat nicht unbillig. Dabei ist zur Überzeugung des Senats
auch zu berücksichtigen, dass die Untätigkeit auf einem schlichten Fehler des Ausgangsgerichts beruhte (Annahme der Wirksamkeit
einer nicht unterzeichneten Betreibensaufforderung), der in der Folge nicht bemerkt wurde.
F. Den im Schreiben des Klägers vom 23. März 2022 (übergeben im Verhandlungstermin am 23. März 2022) beantragten Zeugenvernehmungen
(S. 3 des Schriftsatzes) brauchte der Senat nicht nachzukommen. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei um ordnungsgemäße Beweisanträge
handelt, die neben einem hinreichend konkreten Beweisthema die Bezeichnung eines zulässigen Beweismittels und die Angabe
des voraussichtlichen Beweisergebnisses voraussetzen (BSG, Urteil vom 27. August 2020 - B 9 SB 4/20 - juris-Rn. 10). Denn auch einem zulässigen Beweisantrag muss das Gericht nicht
nachkommen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache insbesondere mangels Entscheidungserheblichkeit nicht ankommt (vgl. Mushoff
in: jurisPK-
SGG, Stand: 12/2021, §
103 Rn. 84; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Auflage 2020, §
103 Rn. 8). Davon ist hier auszugehen. Es ist schon nicht zu erkennen, inwiefern die Vernehmung der aufgeführten Personen einen
Bezug zu den anspruchsbegründenden Tatsachen für den hier vorliegenden Streitgegenstand haben kann. Insbesondere die Vernehmung
der damaligen Kammervorsitzenden dazu, "warum sie das Verf. nicht ordnungsgemäß geführt hat" ist nicht entscheidungserheblich,
da es lediglich auf das Vorliegen einer Verzögerung, nicht aber auf die (subjektiven) Beweggründe des Richters für eine bestimmte
Verfahrensführung ankommt. Zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen sieht sich der Senat im Übrigen nicht veranlasst. Der für
den Entschädigungsanspruch maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der beigezogenen Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz und entspricht der von dem Kläger bei Verfahrenseinleitung begehrten pauschalierten Entschädigung i.H.v. mindestens 7.200
Euro gem. §
198 Abs.
2 Satz 3
GVG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht ersichtlich.