Anspruch auf Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme nach dem SGB III
Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils zur Ermessensausübung bei Zweifeln am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme (Einzelumschulung zur Steuerfachangestellten).
Die Klägerin stellte am 20. Juni 2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Förderung einer beruflichen Weiterbildung in Form
einer Einzelumschulung zur Steuerfachangestellten.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Arbeitslosigkeit oder drohende Arbeitslosigkeit allein begründeten
nicht die Notwendigkeit der Weiterbildung. Weitere Voraussetzung sei, dass Arbeitslosigkeit voraussichtlich nur durch die
Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung vermieden werden könne. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, da sie eine
Ausbildung als Bürokauffrau abgeschlossen habe und auf dem Arbeitsmarkt gut verwertbare Kenntnisse in den Bereichen Buchführung,
Buchhaltung und Finanzbuchhaltung besitze. Eine berufliche Weiterbildung/Qualifizierung als Finanzbuchhalterin oder Bilanzbuchhalterin
sei in Aussicht gestellt worden.
Den Widerspruch vom 1. August 2014, mit dem die Klägerin unter anderem geltend machte, während ihrer vorangegangenen Beschäftigung
lediglich einfache Sekretariats- und Empfangsarbeiten ausgeübt und sich deshalb ihrem Beruf entfremdet zu haben, wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2014 zurück. Sie wog die wechselseitigen Interessen der Klägerin und der
Versichertengemeinschaft gegeneinander ab und führte abschließend aus: "Es war nach alledem nicht ermessensfehlerhaft oder
gar ermessensmissbräuchlich den Antrag der Widerspruchsführerin auf Förderung der beruflichen Weiterbildung abzulehnen."
Auf die Klage der Klägerin vom 8. September 2014 (Az. S 24 AL 744/14) hob das Sozialgericht mit Urteil vom 14. April 2016 den Bescheid vom 10. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11. August 2014 auf und verpflichtete die Beklagte, über den Antrag der Klägerin auf Förderung der beruflichen Weiterbildung
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte habe ermessensfehlerhaft festgestellt,
dass die Umschulung der Klägerin zur Steuerfachangestellten nicht zu fördern sei. Zwar seien die von der Beklagten herangezogenen
Ermessensgesichtspunkte nicht zu beanstanden, die Beklagte habe aber in der Einzelfallprüfung Gesichtspunkte nicht beachtet,
die sie hätte berücksichtigen müssen. Im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe führte das Sozialgericht aus, welche - weiteren
- Aspekte es bei der erneuten Ermessensausübung berücksichtigt wissen möchte. Das Sozialgericht gab dem Urteil eine Rechtsmittelbelehrung
dahingehend bei, dass es mit der Berufung angefochten werden kann. Davon machten weder die Klägerin noch die Beklagte Gebrauch.
In der Folge erteilte die Beklagte der Klägerin den Bildungsgutschein Nr ... mit einer Gültigkeitsdauer vom 1. September 2014
bis zum 30. November 2014, der weiter regelte, dass tatsächlich anfallende Kosten bis zu 24 Monate einschließlich eines notwendigen
Betriebspraktikums für das Bildungsziel Steuerfachangestellte bei Unterricht in Vollzeit in einer betrieblichen Weiterbildungsstätte
im Tagespendelbereich übernommen werden.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 lehnte die Beklagte die Förderung der beruflichen Weiterbildung (zum Antrag vom 20. Juni
2014) ab. Die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führe,
sei angemessen im Sinne des §
179 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III), wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt sei (§
180 Abs.
4 Satz 1
SGB III). Da eine Verkürzung der Dauer der Vollzeitmaßnahme im Falle der Klägerin nicht erfolgt sei, beschränke sich ihr Umfang nicht
auf das zum Erreichen des Maßnahmeziels notwendige Maß und könne nicht nach §
179 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB III von einer fachkundigen Stelle zugelassen werden, sodass eine Förderung durch Übernahme der Weiterbildungskosten nach §
81 Abs.
1 SGB III nicht möglich sei.
Den Widerspruch der Klägerin vom 19. Dezember 2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2017 zurück und
wiederholte die Argumentation aus dem vorangegangenen Ablehnungsbescheid.
Die dagegen gerichtete Klage vom 29. März 2017 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 unter Bezugnahme
auf den Widerspruchsbescheid vom 7. März 2017 abgewiesen. Da die objektiven Voraussetzungen für die Förderung fehlten, komme
es auf Ermessenserwägungen gar nicht mehr an. Da sich das Urteil vom 14. April 2016 zu diesen Fördervoraussetzungen nicht
geäußert habe, stehe die jetzige Entscheidung der Beklagten der dortigen Rechtsauffassung nicht entgegen.
Gegen den ihr am 29. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 26. Juni 2018.
Die Ablehnung der Förderung verletze ihre Rechte aus dem Urteil des Sozialgerichts vom 14. April 2016. Zumindest habe sie
Anspruch auf Umsetzung des erteilten Bildungsgutscheins.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Chemnitz vom 22. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2016 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2017 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der zu einer anderen Einschätzung gelangende
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. Mai 2018 ist aufzuheben.
Die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten vom 7. Dezember 2016 und 7. März 2017 sind rechtswidrig, denn sie missachten den
Ausspruch des rechtskräftigen Urteils vom 14. April 2016 im Verfahren Az. S 24 AL 744/14. Das Urteil gibt vor, dass die Beklagte das ihr im Rahmen von §
81 SGB III zustehende Ermessen nach Maßgabe der in den Entscheidungsgründen enthaltenen Vorgaben erneut auszuüben hat. Der Beklagten
ist es damit verwehrt, ihre erneute Verwaltungsentscheidung mit Aspekten zu begründen, die, wenn sie vorlägen, das Ermessen
gar nicht erst eröffneten.
Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass das Sozialgericht sich in dem Urteil vom 14. April 2016 mit dem Vorliegen der tatbestandlichen
Voraussetzungen, die das Ermessen erst eröffnen, nur rudimentär auseinandergesetzt hat. In den Entscheidungsgründen ist lediglich
der Wortlaut von §
81 SGB III, der die Voraussetzungen aufzählt, auszugsweise zitiert. Das Sozialgericht stellt insoweit lediglich fest, dass eine Beratung
der Klägerin (vgl. §
81 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB III) erfolgt sei. Das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen hat das Sozialgericht offensichtlich als nicht problematisch angesehen
und sich sodann in den Entscheidungsgründen lediglich noch mit der Ermessensausübung beschäftigt.
Dass sich das Sozialgericht mit den dem Ermessen vorgelagerten Tatbestandsvoraussetzungen nicht weiter auseinandergesetzt
hat, führt aber nicht dazu, dass die Beklagte zur Begründung der hier zu beurteilenden Verwaltungsentscheidungen auf diese
Aspekte zurückgreifen konnte. Denn wenn die Auffassung der Beklagten zuträfe, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen
einer Förderung nicht vorlagen, sodass Ermessen nicht auszuüben war, hätte die Klage der Klägerin abgewiesen werden müssen.
Die Beklagte wäre dann mit dem Urteil vom 14. April 2016 zu Unrecht zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Klägerin
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt worden. Wenn aber ein Leistungsträger zur Neubescheidung nach
Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet wird, obwohl die Klage abweisungsreif ist, liegt darin eine Beschwer, die mit dem
gegen die Entscheidung gegebenen Rechtsmittel nicht nur angefochten werden kann, sondern, um das Erwachsen der fehlerhaften
Entscheidung in Rechtskraft zu vermeiden, auch angegriffen werden muss.
Die vom Sozialgericht im Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 vertretene Auffassung, eine Ermessensreduzierung auf Null oder
ein Ermessensfehlgebrauch liege deshalb nicht vor, weil es schon an den objektiven Voraussetzungen der Förderung fehle, hält
nach alldem der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Obwohl die vom Sozialgericht insoweit gewählten Formulierungen nicht
völlig eindeutig sind, lässt sich den Ausführungen doch entnehmen, dass das Sozialgericht einen Ermessensfehler deshalb als
nicht gegeben ansieht, weil ein Ermessen gar nicht auszuüben sei. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht zutreffend. Das rechtskräftige
Urteil vom 14. April 2016 wirkt dahingehend, dass die Entscheidung auf der Ermessensebene zu treffen ist.
Ob angesichts der nunmehr eingetretenen Lage von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen werden kann, bedarf vorliegend
schon deshalb keiner Betrachtung, weil der Senat über den gestellten Antrag nicht hinausgehen kann.
Zur Wiederherstellung der bereits erstrittenen Rechtsposition der Klägerin ist der Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2018 ebenso
aufzuheben wie der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 11. August 2014. Im Ergebnis
dessen hat die Beklagte, nunmehr in rechtmäßiger Weise, das Urteil vom 14. April 2016 umzusetzen. Ohne dass der Senat an den
Vorgaben dieser Entscheidung zur Ermessensausübung Veränderungen vornehmen könnte, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass
die Beklagte, nachdem die Klägerin ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat und in den Arbeitsmarkt integriert ist, Überlegungen
dazu wird anstellen müssen, ob es zur Bewilligung der Förderung noch rechtlich vertretbare Alternativen gibt.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG. Den Umstand, dass die Klägerin über die Verpflichtung zur Neubescheidung hinaus im Verfahren erster Instanz und im Berufungsverfahren
bis zur Abfassung des Antrags in der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 die Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung
der Leistung beantragt hatte, berücksichtigt der Senat mit einer Quote von 20 % der Kosten. In diesem Umfang liegt erstinstanzlich
ein Unterliegen und im Berufungsverfahren eine Kostenpflicht wegen - schlüssiger - Teilrücknahme vor.
III. Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.