Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung in Höhe von 1.300,00 EUR wegen möglicher unangemessener Dauer des vor dem Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht (LSG) geführten Berufungsverfahrens L 6 AS 210/13 (im Folgenden: Ausgangsverfahren).
Im Verfahren begehrte die Klägerin Leistungen für einen Umzug von F_______ nach R_______, für die Einlagerung ihrer Möbel
sowie im Wege eines Überprüfungsverfahrens höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung. Die Klageerhebung erfolgte am 28.
Februar 2008. Im erstinstanzlichen Verfahren hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 21. November 2013 den Bescheid
des Beklagten vom 20. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2008 aufgehoben. Überdies hat es den
Beklagten verpflichtet, den Antrag der Klägerin vom 4. März 2008 auf die Übernahme von Umzugskosten unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Das Ausgangsverfahren verlief wie folgt:
Dezember 2013
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18. Dezember 2013: Einlegung der Berufung beim LSG durch Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Bl. 203 ff./Seitenzahlen beziehen
sich in dieser Tabelle auf das Verfahren: L 6 AS 210/13);
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20. Dezember 2013: Eingangsverfügung und Wiedervorlage an den Berichterstatter nach zwei Monaten (Bl. 208)
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Januar 2014
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3. Januar 2014: Übersendung der Verfahrensakten durch das Sozialgericht Schleswig;
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7. Januar 2014: Vorlage an Berichterstatter durch Serviceeinheit nach Eingang der Akten vom Sozialgericht/Verfügung der Wiedervorlage
zur Frist durch Berichterstatter (Bl. 209 Rückseite)
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Februar 2014
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7. Februar 2014: Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe durch Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Bl. 210f.);
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10. Februar 2014: Weiterleitung zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme/Wiedervorlage zur Frist (Bl. 211 Rückseite)
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26. Februar 2014: Bitte des Prozessbevollmächtigten der Klägerin um Fristverlängerung zur Berufungsbegründung bis zum 14.
März 2014 (Bl. 214)
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27. Februar: Vorlage durch die Serviceeinheit (Bl. 214 Rückseite)
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28. Februar: Gewährung der Fristverlängerung durch den Berichterstatter (Bl. 214 Rückseite)
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März 2014
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14. März 2014: Berufungsbegründung durch Prozessbevollmächtigten der Klägerin;
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17. März: Vorlage durch die Serviceeinheit;
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18. März 2014: Verfügung des Berichterstatters: Weiterleitung der Berufungsbegründung an den Beklagten zur Stellungnahme mit
einer Frist von sechs Wochen und eine Wiedervorlage von zwei Monaten
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April 2014
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Mai 2014
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19. Mai 2014: Vorlage des Verfahrens durch die Serviceeinheit an Berichterstatter/ Verfügung des Berichterstatters: Wiedervorlage zum 2. Juli 2014 zur Entscheidung über den PKH-Antrag (Bl. 227 Rückseite)
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Juni 2014
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20. Juni 2014: Sachstandsanfrage durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Bl. 228);
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23. Juni 2014: Vorlage des Verfahrens an den Berichterstatter durch die Serviceeinheit (Bl. 228 Rückseite)
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Juli 2014
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August 2014
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22. August 2014: Verzögerungsrüge durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin: Auf die Berufungsbegründung vom 14. März
2014 und die Sachstandsanfrage vom 17. Juni 2014 sei eine Reaktion seitens des Gerichts nicht erfolgt. Das Verfahren sei nunmehr
ein halbes Jahr nicht gefördert worden. Es bestehe daher die Besorgnis, dass das Verfahren nicht mehr in angemessener Zeit
abgeschlossen werden könne (Bl. 229).
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27. August 2014: Verfügung des Berichterstatters: Weiterleitung des Schreibens an den Beklagten zur Kenntnisnahme und Wiedervorlage
zum 17. Oktober 2014 zur Entscheidung über den PKH-Antrag (Bl. 229 Rückseite)
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September 2014
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19. September 2014: Übersendung des aktuellen SGB II-Bescheid des Ehemannes der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten (Bl. 230)
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22. September 2014: Vorlage durch die Serviceeinheit (Bl. 230 Rückseite)
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Oktober 2014
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1. Oktober 2014: Verfügung Berichterstatter: Mitteilung an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch den Berichterstatter
unter Bezugnahme auf die Sachstandsanfrage und die erhobene Verzögerungsrüge, dass wegen einer Vielzahl noch älterer Verfahren
eine zeitnahe Terminierung nicht in Aussicht gestellt werden könne/Notiz einer Wiedervorlage für den 13. November 2014 (Bl.
230 Rückseite);
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2. Oktober 2014: Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten durch Senatsbeschluss (Bl. 232)
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November 2014
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17. November 2014: Wiedervorlage der Akte durch die Serviceeinheit an den Berichterstatter/ Verfügung des Berichterstatters ins Sitzungsfach Bl. 233 Rückseite)
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Dezember 2014
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Januar 2015
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Februar 2015
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März 2015
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April 2015
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10. April 2015: Übersendung von Akten zum Verfahren durch das Sozialgericht Schleswig (Bl. 235)
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Mai 2015
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Juni 2015
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3. Juni 2015: Ladungsverfügung durch die Vorsitzende zum 9. Juli 2015, um 12:30 Uhr;
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5. Juni 2015: Verfügung Berichterstatter: Umfassender Hinweis des Berichterstatters an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin/Verfügung
der Wiedervorlage zum Termin (Bl. 236);
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12. Juni 2015: Anfrage des Sozialgerichts Schleswig, ob der in jenem Verfahren angegriffene Bescheid Gegenstand des Berufungsverfahrens
sei (Bl. 243);
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12. Juni 2015: Antrag durch Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Aufhebung des für den 9. Juli 2015 anberaumten Verhandlungstermins
(Bl. 244f.);
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16. Juni 2015: Berichterstatter nimmt Akte als Beiakte zum laufenden Verfahren (Bl. 243);
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16. Juni 2015: Verfügung der Weiterleitung der Ablichtung des Schreibens an den Beklagten zur Kenntnis und Verfügung der Terminsaufhebung
durch den Berichterstatter (Bl. 245 Rückseite);
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18. Juni 2015: Verfügung des Verfahrens ins Sitzungsfach durch den Berichterstatter (Bl. 247 Rückseite)
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Juli 2015
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6. Juli 2015: Ablehnung des Berichterstatters wegen der Besorgnis der Befangenheit durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin
(Bl. 1: L 6 SF 41/15 AB)
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August 2015
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September 2015
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3. September 2015 (Az.: L 6 SF 41/15 AB): Beschluss: Zurückweisung des den Berichterstatter betreffende Ablehnungsgesuchs (Bl. 8: L 6 SF 41/15 AB)
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Oktober 2015
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November 2015
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Schriftsatz vom 17. November 2015 (Eingang bei Gericht am 23. November 2015): erneute Verzögerungsrüge durch Prozessbevollmächtigten
der Klägerin; Stellung weiterer Anträge (Bl. 251 ff.)
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Dezember 2015
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4. Dezember 2015: Verfügung des Berichterstatters: umfassender Hinweis durch den Berichterstatter an die Klägerseite/ überdies
Verfügung des Schriftsatzes der Klägerseite vom 17. November 2015 zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme mit einer Frist
von einem Monat an den Beklagten, Verfügung der Wiedervorlage zum 24. Januar 2016 (Bl. 255)
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Januar 2016
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15. Januar 2016: Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten zum gerichtlichen Hinweis (256 f.);
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18. Januar 2016: Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an den Beklagten zur Kenntnis; gleichzeitige Verfügung des
Verfahrens ins Sitzungsfach durch den Berichterstatter (Bl. 257 Rückseite)
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Februar 2016
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März 2016
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April 2016
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Mai 2016
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24. Mai 2016: Ladungsverfügung durch die Vorsitzende zum 11. Juli 2016, um 12:00 Uhr (260f.)
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Juni 2016
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16. Juni 2016: Prozessbevollmächtigte der Klägerin bat um Mitteilung, ob und welche Zeugen das Gericht zur Verhandlung geladen
habe (Bl. 262);
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17. Juni 2016: Verfügung des Berichterstatters: Antwort durch den Berichterstatter und Festlegung der Wiedervorlage zum Termin
(Bl. 262 Rückseite)
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Juli 2016
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8. Juli 2016: Prozessbevollmächtigte der Klägerin rügt, dass infolge der fehlenden Mitteilung über den Inhalt des Verhandlungstermins,
eine Vorbereitung nicht möglich gewesen sei; die Klägerin sei unter anderem aufgrund der Verfahrensdauer verhandlungsunfähig
(Bl. 272 ff.);
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11. Juli 2016: Fertigung eines Telefonvermerks durch den Berichterstatter: Die Kanzlei habe mitgeteilt, dass kein Bevollmächtigter
erscheine (Bl. 279);
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11. Juli 2016: Mündliche Verhandlung der Sache (Bl. 280 ff.),
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11. Juli 2016: Urteil: Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom
21. November 2013 (Bl. 296 ff.)
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August 2016
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5. August 2016: Prozessbevollmächtigter der Klägerin fordert erneut den Nachweis über den gesetzlichen Richter (Bl. 291 ff.);
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11. August 2016: Verfügung einer Ablichtung des Schreibens an den Beklagten zur Kenntnis durch den Berichterstatter/ überdies
Verfügung zur Wiedervorlage zum 29. August 2016 zur Urteilsabsetzung (Bl. 292 Rückseite);
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29. August 2016: Wiedervorlage durch die Serviceeinheit (Bl. 292 Rückseite)
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September 2016
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Oktober 2016
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November 2016
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Dezember 2016
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14. Dezember 2016: Zustellung des Urteils (Bl. 309)
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Am 14. Juni 2017 hat die Klägerin Entschädigungsklage beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben und die unangemessene
Dauer des Berufungsverfahrens L 6 AS 210/13 beanstandet. Das Verfahren habe drei Jahre gedauert. Vor dem Hintergrund gegebenenfalls älterer und vorrangig zu bearbeitender
Verfahren könne lediglich eine zwölfmonatige Bearbeitungszeit gerechtfertigt sein. Eine signifikante Verfahrensförderung sei
nicht erfolgt. Nach der Begründung der Berufung im März 2014 sei das Gericht bis zum Juni 2015 nicht ersichtlich tätig geworden.
Insbesondere sei auf die Sachstandsanfrage im Juni 2014 zwei Monate lang nicht reagiert worden. Allein die Mitteilung im Oktober
2014, dass eine zeitnahe Terminierung aufgrund von Überlastung nicht möglich sei, habe die Besorgnis der Überlänge begründen
können. Überdies sei allgemein bekannt, dass die Sozialgerichte überlastet seien. Erstmals im Juni 2015 seien Hinweise des
Gerichts erfolgt. Auch nach Erhebung der Verzögerungsrüge im August 2014 sei bis zum Mai 2015 nichts geschehen. Nachdem das
Ablehnungsgesuch im September 2015 zurückgewiesen worden sei, hätte das Verfahren im Oktober 2015 weitergehen können. In diesem
Monat sei nichts geschehen. Nach entsprechendem klägerischen Sachvortrag im Januar 2016 sei in den folgenden drei Monaten
wiederum eine Verfahrensförderung nicht ersichtlich gewesen. Auch in den Monaten August 2016 bis einschließlich November 2016
sei wiederum Stillstand eingetreten. Zeiten der Untätigkeit hätten zwischen Juni 2014 bis Mai 2015, im Oktober 2015, von Februar
2016 bis zum April 2016, im Juni 2016 und in den Monaten August 2016 bis November 2016 vorgelegen. Dies ergebe insgesamt 21
Monate der Untätigkeit. Abzüglich von zwölf Monaten für die Vorbereitungs- und Bedenkzeit ergebe sich damit jedenfalls eine
überlange Verfahrensdauer von neun Monaten.
Bereits die erste Verzögerungsrüge sei wirksam gewesen. Hierbei sei die Verfahrensdauer der ersten Instanz zu berücksichtigen
gewesen. Das erstinstanzliche Verfahren habe sich bereits über fünf Jahre erstreckt. Dem Gericht sei so eine wesentlich kürzere
Zeitspanne als Bedenkzeit einzuräumen gewesen. Es komme nicht darauf an, dass das Verfahren bereits lange dauern würde, sondern
es genüge die Besorgnis. Eine Verzögerungsrüge könne nicht wirksam erst nach zwölf Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit erhoben
werden.
Ebenso sei die zweite Verzögerungsrüge wirksam gewesen. Das Gericht habe das Verfahren zwischen Juni 2014 bis Oktober 2014
und sodann bis zum Juni 2015 nicht gefördert. Weiterhin sei ab Januar 2016 bis zur mündlichen Verhandlung keine Förderung
des Verfahrens erfolgt. Auch die verzögerte Absetzung des Urteils unter Ausschöpfung der Fünfmonatsfrist sei zu berücksichtigen.
Zu bedenken sei, dass das Gericht bereits im Oktober 2014 mit der Bewilligung über die Prozesskostenhilfe den Sachverhalt
summarisch geprüft habe. Bereits danach sei das Gericht davon ausgegangen, dass das Verfahren sitzungsreif sei. Es sei unklar,
aus welchen Gründen das Verfahren dann noch zwei Jahre gedauert habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 1.300,00 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat erwidert, die Klägerin habe bereits keine wirksame Verzögerungsrüge erhoben. Zudem sei das Ausgangsverfahren
auch nicht von unangemessener Dauer. Eine Besorgnis, das Verfahren werde nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden,
habe im Zeitpunkt der ersten Verzögerungsrüge am 22. August 2014 noch nicht bestanden. Zwar sei die Berufung bereits am 18.
Dezember 2013 eingelegt worden. Die Begründung sei hingegen erst am 14. März 2014 erfolgt. Das Gericht habe seinerseits zunächst
die Stellungnahme des beklagten Jobcenters abwarten können, die mit Verfügung vom 18. März 2014 erbeten worden sei. Überdies
habe das Gericht zunächst über den PKH-Antrag der Antragstellerin zu befinden gehabt, der mit Antrag vom 7. Februar 2014 gestellt
worden sei. Im August 2014, also nur fünf Monate nach der Berufungsbegründung, sei eine unangemessene Verfahrensdauer nicht
absehbar gewesen. Die Verzögerungsrüge vom 20. August 2014 sei verfrüht gewesen und daher ins Leere gegangen.
Auch die Verzögerungsrüge vom 17. November 2015 (Eingang bei Gericht am 23. November 2015) sei zur Begründung eines Entschädigungsanspruchs
nicht geeignet. Es komme nicht darauf an, ob mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer ein verzögerter Abschluss zu erwarten
sei. Die erneute Rügepflicht knüpfe vielmehr daran an, ob weiterer Anlass zur Besorgnis bestehe, dass das Verfahren in dieser
Instanz nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde. Immerhin sei zunächst der PKH-Antrag zu bearbeiten gewesen, über den
das Gericht bereits mit Beschluss vom 2. Oktober 2014 entschieden habe. Bereits mit Ladungsverfügung vom 3. Juni 2015 sei
ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden. Dieser Termin sei auf Veranlassung des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin aufgehoben worden. Auf das Schreiben des Gerichts vom 10. Juni 2015 habe die Klägerin mit dem Ablehnungsgesuch vom
6. Juli 2015 reagiert, dass mit Beschluss vom 3. September 2015 zurückgewiesen worden sei. Sodann sei auf das Hinweisschreiben
des Gerichts mit der erneuten Verzögerungsrüge geantwortet worden. Auch wenn es sich dabei um zulässiges Prozessverhalten
handele, könnten diese selbst herbeigeführten Verfahrensverzögerungen keine Besorgnis begründen, dass das Gericht das Verfahren
nicht zügig abschließen werde.
Das Ausgangsverfahren sei auch nicht von unangemessener Dauer gewesen. Die 36-monatige Verfahrensdauer sei nicht im Wesentlichen
auf die Untätigkeit des Gerichts zurückzuführen. Sie sei vielmehr erkennbar dem Prozessverhalten der Beteiligten geschuldet
(späte Berufungsbegründung, Befangenheitsgesuch, weitere Anträge im Schriftsatz vom 17. November 2015, Verfahren über Prozesskostenhilfe,
Reaktion auf den Wunsch nach Schweigepflichtentbindungserklärung). Zwar sei das Verfahren am 17. November 2014 ins Stocken
geraten, jedoch bereits mit Verfügung vom 3. Juni 2015 sei die Terminierung erfolgt. Die allenfalls acht Monate gerichtlicher
Inaktivität hielten sich im entschädigungsrechtlich unbedenklichen Rahmen. Auch die weiteren vier Monate zwischen Januar 2016
und der erneuten Terminierung seien von der zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit umfasst. Angesichts der Verfahrensführung
seitens der Klägerin sei dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 18 Monaten zuzubilligen gewesen.
Mit Beschluss vom 3. Januar 2019 hat der Senat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Entschädigungsverfahren abgelehnt.
In der mündlichen Verhandlung am 24. Januar 2020 hat der Bevollmächtigte der Klägerin zunächst "die Kammer" wegen der Besorgnis
der Befangenheit abgelehnt. Nach Unterbrechung hat der Senat mit Beschluss das Befangenheitsgesuch als unzulässig verworfen.
Mit einem weiteren Befangenheitsgesuch hat der Bevollmächtigte der Klägerin die Richter abgelehnt, die die Prozesskostenhilfe
verweigert haben. Auch dieses Befangenheitsgesuch hat der Senat mit Beschluss abgelehnt. Auch ein erneutes Befangenheitsgesuch
gegen die Vorsitzende ist mit Beschluss in anderer Besetzung abgelehnt worden. (Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift:
Bl. 100 der Gerichtsakte verwiesen.)
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der des Ausgangsverfahrens L 6 AS 210/13 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
Es handelt sich um eine statthafte allgemeine Leistungsklage. Maßgebend für das Entschädigungsklageverfahren sind die §§
198 ff.
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) sowie die §§
183,
197a und
202 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), jeweils in der Fassung vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) und des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554). Nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i. V. m. §
202 Satz 2
SGG sind die Vorschriften des
SGG über das Verfahren im ersten Rechtszug heranzuziehen. Nach §
54 Abs.
5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn
ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Klägerin stützt die Entschädigungszahlung auf §
198 Satz 1
GVG, wonach angemessen entschädigt wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter
einen Nachteil erleidet. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.
Die Klagefrist des §
198 Abs.
5 GVG (frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge und spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der
verfahrensbeendenden Entscheidung oder einer anderen Erledigung des Verfahrens) ist hier gewahrt. Die Verzögerungsrügen sind
am 22. August 2016 bzw. am 23. November 2015 erhoben worden. Die Klägerin hat am 14. Juni 2017, also nach Ablauf von sechs
Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrügen Entschädigungsklage erhoben. Das Urteil ist der Klägerin am 14. Dezember 2016
zugestellt worden, sodass schon aus diesem Grund die Klagefrist gewahrt ist (unabhängig von der danach eingereichten und zu
diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Nichtzulassungsbeschwerde).
Das beklagte Land ist passivlegitimiert (§
200 Satz 1
GVG).
Die Klage ist in tenoriertem Umfang begründet. §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG setzt voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet.
Für einen Nachteil, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen
des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist (§
198 Abs.
2 Satz 2, §
198 Abs.
4 GVG).
Die Entschädigungsklage beschränkt sich auf die zweite Instanz als Ausgangsverfahren und erfasst nicht auch dessen erste Instanz.
Diese Beschränkung auf die Überprüfung einer möglichen Überlänge bezüglich der zweiten Instanz ist rechtlich möglich (Sächsisches
LSG, Urteil vom 29. März 2017 - L 11 SF 70/16 EK, juris Rn. 13). Eine Entschädigungsklage kann in zulässiger Weise auf jede einzelne Instanz des Ausgangsverfahrens (Bundesverwaltungsgericht
[BVerwG], Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1/13 D, juris Rn. 11 ff.; Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D, juris Rn. 61) und sogar auf einzelne Verfahrensabschnitte (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen
Gerichtsverfahren, §
198 GVG Rn. 52, 252) beschränkt werden. Hier hat die Klägerin eine Beschränkung der Entschädigungsklage zwar nicht ausdrücklich erklärt.
Aus Klageantrag und Klagevorbringen ergibt sich jedoch mit hinreichender Deutlichkeit, dass eine Entschädigung nur für die
Überlänge des Verfahrens L 6 AS 210/13 vor dem Schleswig-Holsteinischen LSG begehrt wird.
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens
gerügt hat (Verzögerungsrüge, §
198 Abs.
3 Satz 1
GVG). Die Verzögerungsrüge ist materielle Anspruchsvoraussetzung (BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - B 10 ÜG 9/13 B, juris; LSG Thüringen, Urteil vom 26. November 2013 - L 3 SF 1135/12 EK, juris; LSG Bayern, Urteil vom 20. Juni 2013 - L 8 SF 134/12 EK, juris). Eine zur Unzeit erhobene und damit unwirksame Rüge bewirkt, dass der Entschädigungsanspruch materiell-rechtlich
nicht entsteht.
Nach §
198 Abs.
3 Satz 2
GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener
Zeit abgeschlossen wird. Wird die Rüge zur Unzeit erhoben, geht sie nach der Formulierung der Gesetzesbegründung "ins Leere"
(BT-Drucks. 17/3802, S. 20). Sie ist damit endgültig unwirksam und wird auch dann nicht wirksam, wenn später tatsächlich eine
unangemessene Verfahrensdauer eintritt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - L 11 SF 832/14 EK AS PKH, juris).
Zweifelhaft ist, ob bereits im Zeitpunkt der Erhebung der ersten Verzögerungsrüge am 22. August 2014 schon eine Besorgnis
gerechtfertigt war, dass das Gerichtsverfahren wegen einer dem beklagten Land zuzuordnenden Säumnis nicht in angemessener
Zeit abgeschlossen werden würde.
Wann eine Rüge frühestens zu erheben ist, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Allerdings ist die Rüge nur dann mit der Folge
wirksam, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch erfüllt sind, wenn die objektiven Verhältnisse
erwarten lassen, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Aus der Formulierung "Anlass zur Besorgnis
besteht" ist nämlich zu folgern, dass es ähnlich wie bei der Besorgnis der Befangenheit nicht auf die subjektive Einschätzung
des Beteiligten ankommt, sondern auf die objektiven Umstände. Dies wird auch durch die Gesetzesmaterialien bestätigt (BT-Drucksache
17/3802 S. 20 f.). Bestand somit objektiv kein Anlass zur Besorgnis, geht die Rüge ins Leere und ist unwirksam.
Zwar ist die Berufung bereits am 18. Dezember 2013 eingelegt worden. Die Begründung ist hingegen erst am 14. März 2014 erfolgt,
nachdem die Klägerin zunächst eine Berufungsbegründung bis zum 28. Februar 2014 mit Schriftsatz vom 7. Februar 2014 und mit
Schriftsatz vom 26. Februar 2014 bis zum 14. März 2014 angekündigt hatte. Das Gericht hat nach diesem Verfahrensgang seinerseits
zunächst die Stellungnahme des beklagten Jobcenters abwarten können, die mit Verfügung vom 18. März 2014 innerhalb von sechs
Wochen erbeten worden ist. Vor diesem Hintergrund ist trotz unbeantwortet gebliebener Sachstandsanfrage vom 17. Juni 2014
im August 2014, also nur fünf Monate nach der Berufungsbegründung, die Absehbarkeit einer unangemessenen Verfahrensdauer zweifelhaft.
Diese Frage kann der Senat jedoch offen lassen.
Jedenfalls ist die Verzögerungsrüge vom 17. November 2015 (Eingang bei Gericht am 23. November 2015) zur Begründung eines
Entschädigungsanspruchs geeignet.
Die erneute Rügepflicht knüpft daran an, ob weiterer Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren in dieser Instanz nicht
in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Im Zeitpunkt der zweiten Verzögerungsrüge am 17. November 2015 ist entscheidend zu
berücksichtigen, dass das Gericht das Verfahren bereits zwölf Monate nicht gefördert hatte. Das auf die Sachstandsanfrage
vom Juni 2014 bis einschließlich September 2014 nicht reagiert worden ist, ist hier spätestens von Bedeutung. Hieraus ergeben
sich bereits vier Monate der Untätigkeit. Ebenso ist das Verfahren in der Zeit vom November 2014 bis zum Mai 2015, weitere
sieben Monate nicht gefördert worden. Dies ist ebenso für den Oktober 2015 einzuschätzen. Zwar ist zunächst der PKH-Antrag
zu bearbeiten gewesen, über den das Gericht mit Beschluss vom 2. Oktober 2014 entschieden hat. Überdies ist bereits mit Ladungsverfügung
vom 3. Juni 2015 ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden. Dieser Termin ist auch auf Veranlassung des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin aufgehoben worden. Auf das Schreiben des Gerichts vom 10. Juni 2015 hat die Klägerin mit dem Ablehnungsgesuch
vom 6. Juli 2015 reagiert, dass mit Beschluss vom 3. September 2015 zurückgewiesen worden ist. Jedoch handelte es sich bei
den Anträgen um ein zulässiges Prozessverhalten seitens des Prozessbevollmächtigten. Zwar können diese selbst herbeigeführten
Verfahrensverzögerungen keine Besorgnis begründen, dass das Gericht das Verfahren nicht zügig abschließen werde. Die bereits
beschriebenen Verzögerungen bleiben hiervon aber unberührt.
Das Ausgangsverfahren hat eine Überlänge von fünf Monaten.
Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten
der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener
Verfahrensdauer bildet die Verletzung des in Art.19 Abs.
4 und Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz (
GG) sowie Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Rechts der Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit. Der unbestimmte
Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze
auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das BVerfG zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art.
19 Abs.
4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art.
2 Abs.
1 i. V. m. Art.
20 Abs.
3 GG) entwickelt haben (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 28ff.).
Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste relevante Zeiteinheit
ist hierbei der Monat. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG genannten Kriterien zu messen. Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände
in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das
Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei geht das BSG davon aus, das vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen
anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung
des Gerichts beruht (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 29ff.).
Das Ausgangsverfahren hat eine Laufzeit vom 18. Dezember 2013 bis zum 14. Dezember 2016 (36 Monate).
Die von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen
und ideellen Interessen der Beteiligten. Der EGMR hat deshalb eine besondere Bedeutung von Verfahren u. a. dann angenommen, wenn es um die finanzielle Versorgung in Renten-
oder Arbeitssachen sowie um andere Verfahren wegen sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ging (vgl. (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 35 ff. m w. N.) Zur Bedeutung der Sache i. S. von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer
raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition
des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt.
Das Berufungsverfahren hatte für die Klägerin eine durchschnittliche Bedeutung. Im vorliegenden Verfahren ging es um Umzugskosten,
Einlagerungskosten und höhere Kosten für Unterkunft und Heizung im Wege des Überprüfungsverfahrens. Zwar geht es um Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass sich mit dem Einzug der Klägerin in die Wohnung die Dringlichkeit der geltend gemachten
Ansprüche (Umzugskosten und Einlagerungskosten) praktisch erledigt hatte. Die höheren Kosten für Unterkunft und Heizung sind
im vorliegenden Verfahren gerade im Wege des Überprüfungsverfahrens und so im Nachhinein begehrt worden. Insofern ist nicht
zu erkennen, dass sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition der Klägerin oder das geltend gemachte Recht ausgewirkt
haben könnte.
Auch die Schwierigkeit des Verfahrens ist als durchschnittlich zu bewerten. Bei der Bewertung der Übernahme von Umzugskosten
handelt es sich um ein Standardproblem des SGB II. Ungeklärte Rechtsfragen sind nicht zu entscheiden gewesen. Die grundsätzlich problematische Frage der Unterkunftskosten
entschärfte sich im vorliegenden Fall dadurch, dass die Klägerin eine Rente auf Dauer bezog und somit die Leistungsvoraussetzungen
der Grundsicherung für Arbeitssuchende schon nicht erfüllt hat.
Überdies kommt dem Verhalten des Entschädigungsklägers im Ausgangsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung einer
Verzögerung ganz wesentliches Gewicht zu (BT-Drucks 17/3802, S. 18). Auch im Rahmen zulässigen Prozessverhaltens vom Kläger
selbst herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in seinen Verantwortungsbereich (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 39ff. m w. N.). Vor diesem Hintergrund hat das Landessozialgericht
beispielsweise die Zeit vom Ablehnungsantrag bis zur Entscheidung hierüber (Juli bis September 2015) nicht zu vertreten. §
198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten
und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art. 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt
haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, vgl. §
200 GVG, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (vgl. BVerfG
Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11, juris).
Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche und personelle Ausstattung der Justiz generell
oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer
strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art. 6 EMRK, Art.
19 Abs.
4 GG aus, wiegt der daraus resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 5.
August 2013 - 1 BvR 2965/10, juris).
Wann und wie das Verfahren - insbesondere in der Zusammenschau mit den sonstigen bei Gericht anhängigen Fällen - am besten
zu fördern ist, entscheidet das Ausgangsgericht in der konkreten Situation aus seiner Kenntnis der Akten, der Beteiligten
und des bisherigen Verfahrensablaufs. Beim Denken und Erarbeiten darf es dabei auch eigene Vorstellungen zum "Wann" miterwägen.
Allerdings müssen die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten. Mit zunehmender
Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig
um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10, juris Rn. 11). Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung (vgl. hierzu Priebe in: Festschrift für Werner von Simson,
S. 287, 302) verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung (vgl.
Stattgebende Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00, juris Rn. 11 und vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12, juris Rn. 32). Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn
auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt
mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme,
den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für sog. Schiebeverfügungen.
Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen
Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art.
97 Abs.
1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen.
Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich
umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht. Bei der Bestimmung der
Angemessenheit einer Verfahrensdauer sind daher keine zu engen zeitlichen Grenzen zu ziehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL, juris Rn. 27). Dem Gericht muss eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit
zugestanden werden, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Verfahrenslaufzeiten,
die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch
bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 46). Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht ohne rechtfertigenden
Grund untätig geblieben ist und das Verfahren weder betrieben noch sonst gefördert hat.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die eingetretene Verfahrensverzögerung bei der Verfahrensführung insgesamt nicht sachlich
gerechtfertigt gewesen.
Die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden
Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG genannten Kriterien erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL, juris).
Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren
und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch
mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige
inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter
zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art.
20 Abs.
3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt. Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits
sowie vom Verhalten des Rechtschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht
eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots
effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen,
persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten
Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung"
einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 52).
Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer
unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (BT-Drucks 17/3802, S. 18, BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL, juris Rn. 25 ff. m. w. N.), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher
Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen
zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener
Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte
vertretbar sind. Das BSG geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren derzeit von folgenden Grundsätzen aus: Die
persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation
der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatwechseln etc.) so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper
die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger
Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist
der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten
der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten.
Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht
durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der
Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht
normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann
vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte
unterteilt sein.
Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung
(z. B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich
durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer
in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am
Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich
inhaltlich betrieben wird oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 51 ff.).
Im Hinblick auf die konkreten Zeiten aktiver und inaktiver Bearbeitung des Ausgangsverfahrens vor dem Hintergrund dieser Ausführungen
ergibt sich folgendes Bild:
Die Zeit von Dezember 2013 bis Mai 2014 ist als aktive Zeit zu bewerten. In dieser Zeit ging die Berufung ein, die erst im
März 2014 begründet wurde. Überdies war es völlig angemessen, der Gegenseite zwei Monate zur Berufungserwiderung zu geben.
Allerdings ist seitens des Gerichts im Juni 2014 bis zum September 2014 keine Bearbeitung des Verfahrens erfolgt (inaktive
Zeit = vier Monate). Auf die Sachstandsanfrage vom Juni 2014, ist in diesem Zeitraum nicht reagiert worden. Erst im Oktober
2014 ist hierzu in aktiver Zeit Stellung genommen worden. Ab November 2014 bis zum Mai 2015 ist wiederum eine Bearbeitung
seitens des Gerichts nicht zu erkennen (inaktive Zeit: sieben Monate). Im Juni ist die Ladung zum 9. Juli 2015 erfolgt. Über
den Ablehnungsantrag der Klägerseite vom Juli 2015 ist im September 2015 entschieden worden, sodass diese Zeiten insgesamt
als aktive Zeiten zu werten sind. Im Oktober ist eine Bearbeitung seitens des Gerichts wiederum nicht zu erkennen (inaktive
Zeit: ein Monat). Im November sind ärztliche Befundberichte eingegangen. Der Zeitraum bis zum Ablauf der Frist für die Entbindung
von der ärztlichen Schweigepflicht ist bis zum Januar 2016 als aktive Zeit anzuerkennen. Im Februar bis einschließlich April
2016 ist eine Bearbeitung wiederum nicht ersichtlich (inaktive Zeit: drei Monate). Im Mai 2016 ist in aktiver Zeit die Ladung
zum 11. Juli 2016 erfolgt. An diesem Tag hat die mündliche Verhandlung stattgefunden. Eine Vorbereitung für die mündliche
Verhandlung von einem Monat (Juni 2016) ist als aktive Zeit anzuerkennen. Weiterhin sind drei Monate zur Absetzung des Urteils
als aktive Zeit zu bewerten. Demnach sind die Monate November und Dezember 2016 wieder als inaktiv zu bewerten (zwei Monate).
Insgesamt ergibt sich eine inaktive Zeit von 17 Monaten. Hiervon sind zwölf Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit abzuziehen.
Es ergibt sich eine Überlänge von fünf Monaten.
Das Ausgangsverfahren war so von unangemessener Dauer. Die Klägerin hat deswegen einen Nachteil i. S. von §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG erlitten und kann dafür eine angemessene Entschädigung verlangen.
Nachteil im Sinne des Abs. 1 sind dabei u. a. sämtliche immateriellen Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach
den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-Drucks
17/3802, S. 19). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach §
198 Abs.
2 Satz 1
GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die geeignet erscheinen, die
gesetzliche Vermutung des §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG zu widerlegen, sind nicht ersichtlich.
Auch ist eine Wiedergutmachung auf andere Weise nach §
198 Abs.
4 GVG nicht ausreichend. Wie das BSG bereits entschieden hat (Urteil vom 21. Februar - B 10 ÜG 1/12 KL, a. a. O.), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens
eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens aber nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise
für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des
Verfahrens beigetragen hat. Hier war immerhin von einer durchschnittlichen Bedeutung gerade auch im Blick auf SGB II-Leistungen auszugehen.
So war für fünf Monate in Anlehnung an §
198 Abs.
2 Satz 3
GVG von 500,00 EUR auszugehen.
Die ausgewiesenen Prozesszinsen folgen aus der entsprechenden Anwendung der §
288 Abs.
1, §
291 Satz 1
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) über die beantragten Prozesszinsen (5 %-Punkte über dem Basiszinssatz) ab Rechtshängigkeit.
Der Senat hat über die Berufung der Klägerin entscheiden können. Der zunächst gestellte Vertagungsantrag ist durch den gestellten
Sachantrag überholt. Im Übrigen war aber auch aus anderen Gründen, diesem nicht stattzugeben. Der Prozessbevollmächtigte war
gemäß der Ladungsverfügung vom 6. Dezember 2019 ordnungsgemäß geladen (Empfangsbekenntnis, Bl. 98 der Gerichtsakte) und ist
zum Termin ohne Angabe von Gründen nicht erschienen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs hat so nicht vorgelegen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt-Keller,
12. Aufl., § 62 Rn. 6d).
Der Senat konnte auch in der Besetzung über die Berufung der Klägerin entscheiden. Abweichend von §
60 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
45 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) darf der abgelehnte Richter selbst über ein missbräuchliches oder sonst offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch mitentscheiden
(Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt-Keller, 12. Aufl., § 60 Rn. 10d). Der erste Befangenheitsantrag war bereits deshalb
unzulässig, weil er sich gegen den gesamten Spruchkörper gerichtet hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt-Keller, 12.
Aufl., § 60 Rn. 10b). Auch der zweite Befangenheitsantrag stellte sich als offensichtlich unzulässig dar. Er war allein auf
den ablehnenden PKH-Beschluss gestützt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt-Keller, 12. Aufl., § 60 Rn. 10b). Unter keinem
denkbaren Gesichtspunkt ist eine Befangenheit begründet, wenn lediglich eine für den Betroffenen ungünstige Rechtsansicht
des Richters beanstandet wird (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt-Keller, 12. Aufl., § 60 Rn. 10b). Überdies war die Vorsitzende
des hiesigen Verfahrens bereits nicht an der Beschlussfassung beteiligt. Der dritte Befangenheitsantrag des Bevollmächtigten
der Klägerin gegen die Vorsitzende ist in anderer Besetzung noch in der mündlichen Verhandlung abgelehnt worden. Im Übrigen
wird ergänzend auf die bereits in der mündlichen Verhandlung erfolgenden Begründungen der entsprechenden Beschlüsse verwiesen
(Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2020).
Gründe, die Revision nach §
160 Abs.
1 SGG gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG durch den Senat zuzulassen, liegen nicht vor.