Anerkennung weiterer Unfallfolgen aufgrund eines Arbeitsunfalls
Verschiebung der Wesensgrundlage bei einem posttraumatischen Kopfschmerz
Anspruch auf Verletztenrente
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung weiterer Unfallfolgen aufgrund eines von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten
Ereignisses vom 6. September 2010 und ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente streitig.
Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 6. September 2010 Altersrentner und in einer Agrargenossenschaft geringfügig
mit einer monatlichen Vergütung von 400 Euro beschäftigt. Am Unfalltag durchfuhr der Kläger mit einem Jeep einen Graben, kam
zum Stehen und verspürte seitdem Kopfschmerzen und ein Krankheitsgefühl. Der am Vormittag des 7. September 2010 aufgesuchte
Hausarzt M1 diagnostizierte eine Schädel- und Gesichtsprellung. Er veranlasste am Folgetag eine Klinikeinweisung wegen eines
Verdachts auf eine Hirnblutung. Daraufhin befand sich der Kläger vom 8. bis 28. September 2010 in stationärer Behandlung im
S1-Klinikum. Ausweislich eines CT-Befundes vom 8. September 2010 wurde ein akutes subdurales Hämatom diagnostiziert. Anschließend
erfolgte die Verlegung zur Absolvierung einer Rehabilitationsmaßnahme nach L. In einem Fragebogen vom 19. September 2010 schilderte
der Kläger den Unfallhergang dergestalt, dass er am Unfalltag plötzlich einen Graben durchfahren und nicht mehr rechtzeitig
habe bremsen können. Er habe deswegen starke Stauchungen und Prellungen sowie Verletzungen im Kopfbereich erlitten. Nach Entlassung
aus der Reha-Maßnahme in L am 3. November 2010 stellte sich der Kläger wiederholt bei Ärzten wegen anhaltender Kopfschmerzen
vor. Ein CT-Befund vom 18. Januar 2010 erbrachte keinen Nachweis eines erneuten Subduralhämatoms. Ein MRT-Befund des Schädels
vom 26. Januar 2011 ergab im Vergleich zum Vor-CT vom 8. September 2010 eine annähernd vollständige Resorbierung der subduralen
Einblutungen. Verblieben seien noch geringe Hämosiderinauflagerungen bei Zustand nach subduralen Einblutungen. Die Neurologin
und Psychiaterin T berichtete in einem Behandlungsbericht vom 23. Mai 2011 über einen anhaltenden Dauerkopfschmerz. Ebenso
lassen sich dem Zwischenbericht des H1-Klinikums vom 10. Oktober 2011 anhaltende Kopfschmerzanfälle entnehmen. Am 26. Oktober
2011 erfolgte eine Untersuchung im Schmerzzentrum des Klinikums B. Dort wurde ein atypischer posttraumatischer gemischter
Kopfschmerz diagnostiziert. Vorgeschlagen wurde die Durchführung einer multimodalen stationären Schmerztherapie. Diese erfolgte
im Klinikum B im Zeitraum 7. bis 22. November 2011. Ab dem 16. Januar 2012 befand sich der Kläger aufgrund einer akuten Hirnblutung
im H2 Klinikum E in neurochirurgischer Behandlung. Im Rahmen der Behandlung erfolgte eine Hämatomabsaugung. Ein CT des Kopfes
vom 18. Januar 2012 ergab einen Zustand nach intrakranieller Blutung unter Falithrom mit Hämatomausräumung. Vom 27. Januar
bis 17. Februar 2012 schloss sich eine Rehabilitationsmaßnahme in L an.
Nach Anhörung des Klägers erstellte der Chirurg W1 am 30. Juli 2012 im Auftrag der Beklagten ein Gutachten zur Klärung der
Zusammenhangsfrage. Darin führte er aus, dass das Ereignis vom 6. September 2010 geeignet gewesen sei, eine Hirnblutung wesentlich
teilursächlich zu verursachen. Begünstigt worden sei die Blutung durch die langjährig vorbestehende gerinnungshemmende Therapie.
Die MdE wurde auf 50 v. H. geschätzt. In einem neurologischen Zusatzgutachten vom 21. September 2012 diagnostizierte die Nervenärztin
R ein hirnorganisches Psychosyndrom, einen posttraumatischen Kopfschmerz, eine reaktive Depression und einen Zustand nach
Subduralblutung als Unfallfolge. Die MdE wurde mit 50 v. H. eingeschätzt. Im Oktober 2013 schlug die Beklagte dem Kläger weitere
Sachverständige zur Durchführung einer erneuten Zusammenhangsbegutachtung vor. Auf Vorschlag des Klägers beauftragte die Beklagte
daraufhin den Leiter des Neurozentrums des Klinikums B M2 mit der Erstellung eines neurologischen Gutachtens. In seinem Hauptgutachten
vom 30. März 2014 stellte M2 als Unfallfolgen ein chronisches Kopfschmerzsyndrom verbunden mit einer Schmerzsymptomatik und
ein aufgehobenes Riechvermögen fest. In einem Gutachten vom 28. April 2014 legte er dar, dass bezüglich der Unfallbedingtheit
des Kopfschmerzes auf das neurochirurgische Hauptgutachten zu verweisen sei. Klinisch sei zurzeit mittelgradig eine ausgeprägte
depressive Symptomatik festzustellen. Berichtet wurde über eine Anosmie (fehlende Geruchswahrnehmung). Der Psychologe U legte
in einem Gutachten vom 23. Juni 2014 dar, dass die erhobenen kognitiven Defizite nicht auf das Unfallereignis vom 6. September
2010 zurückzuführen seien. Beim Kläger liege eine mittelgradige depressive Episode vor, welche sich im Verlauf einer fehlenden
Anpassung an eine persistierende Kopfschmerzsymptomatik entwickelt habe. Sofern die Kopfschmerzen vom Hauptgutachter als Unfallfolge
anerkannt würden, sei die depressive Episode unfallbedingt und die MdE mit 20 v. H. zu beziffern. In einer ergänzenden Stellungnahme
vom 9. Juli 2014 hielt M2 an seiner Einschätzung fest, dass die Anosmie unfallbedingt sei.
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 11. November 2014 widersprach der Neurologe und Psychiater S2 diesen Feststellungen.
Seiner Ansicht nach bestünden auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet keine vollbeweislich gesicherten Unfallfolgen. Eine
Anosmie sei bereits vollbeweislich nicht gesichert. Der Hauptgutachter äußere sich nicht dazu, ob die Kopfschmerzen unfallabhängig
seien. Daraufhin beauftragte die Beklagte den Chefarzt der HNO-Klinik G mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens.
Dieser stellte in seinem Sachverständigengutachten vom 12. Dezember 2014 fest, dass die Anosmie zeitlich nach dem angeschuldigten
Ereignis liege und die Beschwerden erst nach der Hirnblutung 2012 geäußert worden seien. Wann der Tinnitus links aufgetreten
sei, könne nicht ermittelt werden. Die Kombination einer Anosmie infolge eines Schädel-Hirn-Traumas mit einem kompletten Verlust
des Geschmackvermögens sei nicht bekannt. Eine Kombination beider Schäden durch ein Schädel-Hirn-Trauma sei nach derzeitigem
wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht gesichert. Nach dem Trauma sei weder über einen Riech- noch einen Geschmacksverlust
geklagt worden.
Daraufhin erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Februar 2015 das Ereignis vom 6. September 2010 als Arbeitsunfall mit
der Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit subduralen Hämatom sowie Prellungen der linken Schulter, der Lendengegend und der
Finger 3 und 4 rechts an. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit wurde für die Zeit vom 6. September
bis 2. November 2010 anerkannt. Darüber hinausgehend wurde eine Entschädigung abgelehnt. Ein Anspruch auf Gewährung einer
Verletztenrente wurde ebenfalls abgelehnt. Nach Auswertung der medizinischen Befundberichte sowie nach den gutachterlichen
Untersuchungen seien keine Folgen des geringgradigen Schädel-Hirn-Traumas vom 6. September 2010 verblieben. Die weiterhin
geklagten Beschwerden seien nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Diesbezüglich bestehe weder ein inhaltlicher noch
ein zeitlicher Zusammenhang. Das Schädel-Hirn-Trauma mit subduralem Hämatom sei vollständig ausgeheilt. Hiergegen legte der
Kläger Widerspruch ein. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 14. Oktober 2015 teilte der leitende Oberarzt des Neurozentrums
K1 mit, dass nach dem Ergebnis der HNO-Begutachtung die Riechstörung bei der Beurteilung der Gesamt-MdE nicht mehr zu berücksichtigen
sei. Hinsichtlich der chronischen Kopfschmerzen liege sowohl ein zeitlicher als auch ein medizinischer Zusammenhang zum Unfallereignis
vor. Hinsichtlich der medikamentös verursachten Kopfschmerzsymptomatik handle es sich um eine indirekte Unfallfolge. Bedingt
durch die spontane Hirnblutung im weiteren Verlauf seien die Schäden nur schwer abzugrenzen. Eine Gesamt-MdE von 20 v. H.
sei zumindest bis zum Auftreten der spontanen Hirnblutung am 16. Januar 2012 anzunehmen. Ob die Folgen dieser zweiten Hirnblutung
im weiteren Verlauf überwiegend zur Aufrechterhaltung der Kopfschmerzsymptomatik beigetragen hätten, sei ggf. auf neurologischem
Fachgebiet zu überprüfen. Daraufhin holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Nervenheilkunde
W2 vom 20. Oktober 2015 ein. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 6. September 2010 unter dem Einfluss von
blutgerinnungshemmenden Medikamenten gestanden habe, sei hinsichtlich der Hirnblutung das Unfallereignis nur als wesentlich
teilursächlich anzusehen. Die Hirnblutung am 15. Januar 2012 stehe zum vorangehenden Schädelanpralltrauma am 6. September
2010 in keinem Zusammenhang. Hinsichtlich der Kopfschmerzen sei es durch die spontane Hirnblutung am 15. Januar 2012 zu einer
Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen. Daraufhin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. November 2015 den
Widerspruch des Klägers zurück. Eine substantielle Hirnschädigung sei durch das Unfallereignis nicht eingetreten. Die Unfallverletzungen
seien Ende Oktober 2010 ausgeheilt und die unfallbedingte Behandlung sei abgeschlossen gewesen. Die Hirnblutung am 16. Januar
2012 stehe mit dem Unfallereignis in keinem Zusammenhang. Auch die Beeinträchtigungen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet seien
nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Erst nach der Mitte Januar 2012 aufgetretenen Hirnblutung sei ein Riech- und
Geschmacksverlust beklagt worden.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, weitere Unfallfolgen auf neurologischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet festzustellen
und eine Verletztenrente zu erhalten. Das Sozialgericht hat nach Beiziehung umfangreicher Befund- und Behandlungsberichte
den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie K2 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten
vom 11. Mai 2018 aus, dass ein initiales Trauma im Kopfbereich beim Kläger vollbeweislich durch das Unfallereignis nicht gesichert
sei. Das beim Kläger vorliegende hirnorganische Psychosyndrom mit psychomotorischer Verlangsamung und der multifaktoriell
bedingte Kopfschmerz einschließlich des Riechverlustes beidseits mit synästhetischer Geschmacksstörung könnten daher nicht
auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Das Unfallereignis sei bereits nicht geeignet gewesen, eine Hirnblutung auszulösen.
Entscheidend sei hier die konkurrierende Kausalität in Form der Einnahme eines blutgerinnungshemmenden Medikaments. Durch
das Unfallereignis vom 6. September 2010 sei der Kopf von der Belastung her überhaupt nicht erreicht worden. In ergänzenden
Stellungnahmen vom 17. Juli und 17. September 2018 verweist K2 auf die erheblichen Mängel in den im Verwaltungsverfahren eingeholten
Vorgutachten. Es bleibe dabei, dass das Unfallereignis nicht geeignet gewesen sei, eine Hirnblutung auszulösen. Entscheidend
sei die konkurrierende Kausalität in Form der Einnahme des blutverdünnenden Medikaments. Eine initiale Verletzung der Schädelkalotte
sei nicht dokumentiert. Es fehle daher bereits an einem adäquaten Erstschadensbild. Daher sei aus seiner Sicht die Anerkennung
eines subduralen Hämatoms durch die Beklagte medizinisch nicht nachvollziehbar. Das hirnorganische Psychosyndrom sei aufgrund
der unfallunabhängigen Hirnblutung im Januar 2012 entstanden. Soweit sich im Verwaltungsverfahren der Chirurg W1 zur Verursachung
der Hirnblutung geäußert habe, bewege sich dieser außerhalb seiner fachärztlichen Kompetenz. Zudem sei eine lokale Verletzung
am Kopf nicht dokumentiert.
Durch Urteil vom 4. Februar 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die beim Kläger auf neurologischem und psychiatrischem
Fachgebiet vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis
vom 6. September 2010 zurückzuführen. Soweit die Beklagte ein akutes Subduralhämatom als Unfallfolge anerkannt habe, seien
sämtliche Folgen dieser Hirnblutung spätestens im November 2010 ausgeheilt gewesen. Es bedürfe daher keiner Auseinandersetzung,
ob dieses Subduralhämatom überhaupt als Unfallfolge angenommen werden könne, bzw. ob die von K2 geäußerten Zweifel zutreffend
seien. Die weitere Hirnblutung im Januar 2012 könne keinesfalls auf das Ereignis vom 6. September 2010 zurückgeführt werden.
Dies stehe in Übereinstimmung mit allen gehörten medizinischen Sachverständigen sowohl im Verwaltungs- als auch im Klageverfahren.
K2 habe auch nachvollziehbar das Vorliegen einer depressiven Symptomatik verneint. Ferner könne die Kopfschmerzsymptomatik
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen zurückgeführt werden. Darüber hinaus hätten auf das Unfallgeschehen
zurückzuführende Kopfschmerzen nur bis zur Entlassung aus der Reha-Maßnahme Anfang November 2010 angehalten. Der Geruchs-
und Geschmacksverlust könne nach den Ausführungen des Sachverständigen G ebenfalls nicht durch das Unfallereignis begründet
werden. Bei dieser Sachlage bestehe kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Sozialgericht verkenne bei seiner Entscheidung den genauen
Hergang des Unfalls. Ausweislich der Mitteilung des Hausarztes des Klägers, welcher den Kläger als erster nach dem Unfallereignis
untersucht habe, sei eine Schädelprellung dokumentiert. Bereits kurze Zeit nach Aufsuchen des Hausarztes seien eine akutmedizinische
Versorgung des Klägers und eine sofortige Überführung in das S1 Klinikum erforderlich geworden. In allen Behandlungsberichten
der aufgesuchten Fachärzte als auch Kliniken sei von starken Kopfschmerzen berichtet worden. So hätten auch teilweise Therapien
wegen zu großer Kopfschmerzen abgebrochen werden müssen. Außen vorgelassen werde auch die Behandlung im Schmerzzentrum des
berufsgenossenschaftlichen Klinikums B. Das Gutachten von K2 sei nicht überzeugend. Insbesondere könne nicht von einer Ausheilung
im November 2010 ausgegangen werden. K2 vernachlässige die Dokumentation einer Schädelprellung durch den Hausarzt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 4. Februar 2019 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten
vom 10. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2015 als weitere Folge des Arbeitsunfalles
vom 6. September 2010 die Kopfschmerzen, den Geruchs- und Geschmacksverlust, eine depressive Störung sowie ein hirnorganisches
Psychosyndrom festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den
9. November 2010 hinaus, insbesondere eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger habe auch in der Berufungsbegründung nicht überzeugend darlegen können, warum dem Gutachten von K2 nicht zu folgen
sei.
Der Senat hat den Neurochirurgen S3 mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage beauftragt. S3 führt
in seinem Gutachten vom 6. September 2020 aus, dass beim Kläger ein chronischer posttraumatischer und ein arzneimittelindizierter
Kopfschmerz vorliege. Ferner sei sowohl eine Anosmie als auch ein Ageusie gegeben. Des Weiteren liege ein organisches Psychosyndrom
nach Schädel-Hirn-Trauma und eine sonstige organische Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit, Schädigung
oder Funktionsstörung des Gehirns vor. Im Gegensatz zu der von verschiedenen Gutachtern in diesem Verfahren geäußerten Auffassung,
dass das Ereignis vom 6. September 2010 tatsächlich nicht geeignet gewesen sei, eine Beteiligung des Schädels zu bedingen,
sei eine Beteiligung des Schädels durch das Unfallgeschehen nachgewiesen. Der zuerst aufgesuchte Hausarzt M1 habe in seinem
Bericht vom 7. September 2010 einen Druckschmerz über dem linken Jochbein, d. h. in Bezug zum Schädel, dokumentiert. Daraufhin
habe er in nachvollziehbarer Weise die Diagnose Schädelprellung gestellt. Das beschriebene Verletzungsmuster sei durch das
Unfallgeschehen absolut nachvollziehbar. Es sei daher mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Anpralltrauma des
Schädels im Fahrzeuginneren gekommen. Die sich anschließende Frage, ob ein derartiges Anpralltrauma die sich im Folgenden
ausbildenden intrakraniellen Verletzungen, insbesondere das Subduralhämatom, habe entstehen lassen können, sei zu bejahen.
Die Einnahme des blutgerinnungshemmenden Medikaments Falithrom stehe dem nicht entgegen. Diese Einnahme sei ohne Zeichen einer
Überdosierung erfolgt. Von chronischen subduralen Hämatomen sei bekannt, dass bei älteren Patienten bereits ein Bagatelltrauma
zu deren Entstehung ausreiche. Durch die vorbestehende Einnahme blutgerinnungshemmender Medikamente sei es dann aber nicht,
wie in sonstigen Fällen, zu einer Resorption des Hämatoms, sondern zur Ausbildung eines großvolumigen akuten Subduralhämatoms
gekommen. Soweit in wissenschaftlichen Untersuchungen neurologischen Defiziten eine wesentliche Rolle bei der Kausalitätsbeurteilung
zugewiesen werde, seien diese hier gesichert. Es bestehe daher kein Zweifel, dass das Ereignis vom 6. September 2010 zu einer
Hirnblutung geführt habe. Zu beachten sei auch, dass bereits am folgenden Tag Brückensymptome nachzuweisen gewesen seien.
Zudem zeigten die bildgebenden Befunde unmittelbar nach dem Unfallereignis das Bild einer erheblichen Kompression der linken
Großhirnhemisphäre durch die Einblutungen. Es liege daher ein deutliches Schädigungsbild vor. Keiner der Vorgutachter habe
erkannt, dass es am Ort der höchsten Kompression bereits zu einer eindeutig als posttraumatisch zu wertenden Parenchymläsion
gekommen sei. Diese habe auch in den folgenden Untersuchungen noch 1 1/2 Jahre später Bestand gehabt. Daher liege ein Substanzschaden
im linken Großhirn vor. In der Folgezeit habe sich eine chronifizierende Kopfschmerzsymptomatik entwickelt. Soweit andere
Sachverständige einen medikamentenindizierten Kopfschmerz diskutieren würden, sei zu beachten, dass diesem immer ein idiopathischer
Kopfschmerz oder ein Kopfschmerz infolge eines Traumas zugrunde liege. Möglich sei auch, dass die Chronifizierung des Kopfschmerzbildes
aufgrund degenerativer Veränderungen im HWS-Bereich aufrechterhalten worden sei. Die später berichtete Anosmie und Ageusie
könne dem Unfallereignis nicht zugeordnet werden. Theoretisch könne durch die Schädelprellung eine Irritation der Riechnerven
erfolgen. Trotz neurologischer Untersuchung im Rahmen der Reha-Maßnahmen sei aber zu keinem Zeitpunkt direkt nach dem Unfallereignis
eine Anosmie oder Ageusie beschrieben worden. Entscheidend sei des Weiteren die im Januar 2012 auftretende spontane Blutung.
Diese habe ein erhebliches Ausmaß erreicht. Diese Gehirnblutung habe die Gesamtsituation modifiziert und einen erheblichen
Anteil an der weiteren Chronifizierung gehabt. Die Hirnblutung am 16. Januar 2012 habe mit dem am 8. September 2010 festgestellten
Subduralhämatom in keinem wie auch immer gearteten Zusammenhang gestanden. Folge dieses Hirntraumas sei im Hinblick auf den
posttraumatischen Kopfschmerz eine Überlagerung auch vor dem Hintergrund der vertebragenen Komponente gewesen. Diesem Ereignis
sei daher ein erheblicher Anteil an der später dargestellten chronifizierten Schädigung zuzusprechen.
Die Beklagte hat daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme von W2 vom 30. November 2020 vorgelegt. Darin führt dieser
aus, dass zu klären sei, weshalb im Fall des Klägers ein CT des Schädels bereits am 25. Januar 2010, also neun Monate vor
dem Unfallereignis angefertigt worden sei. Soweit S3 einen traumatischen Kopfanprall annehme und daraus die Entstehung eines
akuten Subduralhämatoms ableite, sei ihm zuzustimmen. Zu beachten sei, dass es im Januar 2012 zu einer spontanen Blutung in
der rechten Hirnhemisphäre gekommen sei, welche eine große Defektzone herbeigeführt habe. Daher seien die Ausführungen des
Sachverständigen S3 nachvollziehbar, dass in Bezug auf die verbleibenden Beschwerden das Ereignis vom 6. September 2010 zunehmend
in den Hintergrund getreten sei. Ab dem Zeitpunkt des Hinzutretens dieser schwerwiegenden Hirnschädigung sei von einer eindeutigen
Verschiebung der Wesensgrundlage auszugehen. Daher könne wegen der posttraumatischen Kopfschmerzen allenfalls eine zeitlich
befristete MdE nach dem 6. September 2010 bis zur Hirnblutung im Januar 2012 angenommen werden.
Der Kläger hat den Ausführungen des Sachverständigen S3 insoweit zugestimmt, als die Entstehung der Hirnblutung durch das
Unfallereignis bestätigt worden sei.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Verletztenrente nicht bestehe. Der Kläger habe bis zum Eintritt der
weiteren Hirnblutung im Januar 2012 und sogar noch darüber hinaus keinen Einkommensverlust erlitten, sondern seine Entlohnung
aus der geringfügigen Beschäftigung erhalten. Daher ruhe ein Anspruch auf Verletztengeld und ein Anspruch auf Verletztenrente
habe nicht entstehen können.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat der Auffassung des Sachverständigen S3, dass eine Verschiebung der Wesensgrundlage
vorliege, widersprochen. Dieses Institut betreffe lediglich eine psychische Erkrankung, vorliegend gehe es um eine organische
Erkrankung. Es sei von einer eindeutigen Trennbarkeit der Erkrankungen auszugehen. Dass der Arbeitgeber die 400 Euro weiter
geleistet habe, sei allein seine Angelegenheit. Zumindest habe eine Differenzberechnung vorgenommen werden müssen.
Der Senat hat des Weiteren eine Auskunft des Arbeitgebers des Klägers beigezogen. Aus dieser ergibt sich, dass bis November
2012 der arbeitsvertraglich vereinbarte Lohn in Höhe von 400 Euro gezahlt worden ist.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß §
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10. November 2015 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§
54 SGG), als er Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen hat. Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid das Ereignis
vom 6. September 2010 als Arbeitsunfall mit der Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit subduralem Hämatom sowie Prellung der
linken Schulter, der Lendengegend und der Finger 3 und 4 rechts anerkannt und unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bis
2. November 2010 bejaht. Darüber hinaus hat der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung eines Substanzschadens im linken Großhirn
im Sinne einer Parenchymläsion und eines posttraumatischen Kopfschmerzes. Ein Anspruch auf Anerkennung des Geruchs- und Geschmacksverlustes,
einer depressive Störung sowie eines hirnorganischen Psychosyndroms als Unfallfolge besteht hingegen ebenso nicht wie ein
Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.
Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach
§
54 Abs.
1 SGG und §
55 Abs.
1,
3 SGG.
Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und
feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und
„Gesundheitsschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger
die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige
Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit
wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden
(haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens
(haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, zitiert nach Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen
so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden
kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R, BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, beide zitiert nach Juris).
Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass über die durch Bescheid vom 10. Februar 2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2015 anerkannten Unfallfolgen hinaus eine Substanzschädigung im linken Großhirn
im Sinne einer Parenchymschädigung und ein posttraumatischer Kopfschmerz festzustellen sind. Der Substanzschaden im linken
Großhirn im Sinne eines substantiellen Parenchymschadens liegt nach den Ausführungen des neurochirurgischen Sachverständigen
S3 in seinem Gutachten vom 6. September 2020 vollbeweislich gesichert vor. Dieser führt in seinem Gutachten nachvollziehbar
aus, dass bislang von keinem der vorher befassten Gutachter erkannt worden ist, dass es im Bereich des linken Großhirns zu
einer als posttraumatisch zu wertenden Parenchymläsion gekommen ist, welche auch in den nachfolgenden bildgebenden Befunden
und sogar noch nach Eintritt der weiteren Hirnblutung im Januar 2012 Bestand hatte. Soweit die Vorgutachter eine solche substantielle
Schädigung des linken Hirns bislang verneint haben, hat dem S3 in seinem Gutachten zu Recht entgegen gehalten, dass diese
alle nicht hinreichend berücksichtigt haben, dass der nach dem Unfallereignis am 7. September 2010 zuerst aufgesuchte Hausarzt
des Klägers M1 in seinem Befundbericht vom gleichen Tage einen Druckschmerz über dem linken Jochbein diagnostiziert hat. Dies
belegt die erforderliche Schädelbeteiligung. Daher ist nach den Ausführungen von S3 die Diagnose Schädelprellung nachvollziehbar.
Im Einklang mit den Ausführungen von S3 geht der Senat davon aus, dass dieses Verletzungsmuster durch das beschriebene Unfallgeschehen
im Sinne eines Anpralltraumas nachvollziehbar ist. Soweit sich daran anschließend die Frage stellt, ob ein solches Anpralltrauma
des Schädels zu einer derartigen substantiellen Hirnschädigung führen kann, hat sich der Sachverständige S3 mit der Einnahme
des blutgerinnungshemmenden Medikaments Falithrom und dessen Einfluss auf das Entstehen einer solchen Verletzung beschäftigt.
Insoweit führt er im Einklang mit der medizinischen Literatur aus, dass bei der Einnahme gerinnungshemmender Medikamente auch
ein weniger schweres Anpralltrauma zur Ausbildung eines großvolumigen akuten Hämatoms führen kann. Auch unter Berücksichtigung
der Ausführungen von S3, dass unter dem Einfluss blutgerinnungshemmender Medikamente Bagatelltraumen bereits ausreichen können,
um ein subdurales Hämatom zu verursachen, lässt sich daraus nicht ableiten, dass das Unfallereignis demgegenüber so weit zurücktritt,
dass dieses für die Entstehung der Einblutung und des großflächigen Hämatoms vernachlässigt werden könnte. Das Ereignis ist
nicht wegzudenken, ohne dass sich die Blutung realisiert hat. Eine spontane Einblutung allein aufgrund der Einnahme blutgerinnungshemmender
Medikamente hat er sowohl vom zeitlichen Zusammenhang her als auch dem sogenannten INR-Wert als extrem unwahrscheinlich eingestuft.
Den weiteren Ausführungen von S3 in seinem Gutachten vom 6. September 2020 ist zu entnehmen, dass der Schädelanprallverletzung
und damit im Ergebnis dem Unfallereignis eine nicht unerhebliche Rolle bei der Entstehung des großflächigen Hämatoms im linken
Großhirnbereich zuzusprechen ist. Soweit in seinem Gutachten anschließend auf Grundsätze der Begutachtung in der privaten
Unfallversicherung und dortige prozentuale Einschätzungen hinsichtlich der Verursachungskausalität verwiesen wird, so finden
diese in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Anwendung. Vielmehr verhält es sich so, dass nach der Rechtsprechung des
BSG auch unterdurchschnittliche Einwirkungsursachen als rechtlich wesentlich angesehen werden können. Insoweit ist darauf zu
verweisen, dass sich auch der beratungsärztlichen Stellungnahme von W2 vom 30. November 2020 entnehmen lässt, dass das Hämatom
im Großhirnbereich sowohl anteilig durch den traumatischen Kopfanprall als auch teilweise unter dem Einfluss der einwirkenden
blutgerinnungshemmenden Substanzen zustande gekommen ist. Damit steht für den Senat im Gesamtergebnis fest, dass die Defektzone
im Bereich des linken Hinterhorns im Großhirnbereich beim Kläger wesentlich durch das Unfallereignis vom 6. September 2010
im Rechtssinne entstanden ist.
Darüber hinaus ist auch der beim Kläger vollbeweislich gesichert vorliegende posttraumatische Kopfschmerz (ICD-10 G44.3) als
Unfallfolge anzuerkennen. Eine Kopfschmerzproblematik ist relativ zeitnah bereits nach dem Unfallereignis vom 6. September
2010 in einer Reihe von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte und Kliniken aufgeführt worden. Daher sind für den
Senat die Ausführungen in den verschiedenen, im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, wonach eine Kopfschmerzsymptomatik
beim Kläger nicht im ausreichenden Umfang gesichert sei, nicht nachvollziehbar. Insoweit folgt der Senat erneut den schlüssigen
Ausführungen des Sachverständigen S3 in seinem Gutachten vom 6. September 2020. Darin legt S3 unter Bezugnahme auf die AWMF-Leitlinie
Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirn-Trauma im Erwachsenenalter, Stand Juli 2018, dar, dass die Diagnose eines posttraumatischen
Kopfschmerzes beim Kläger gerechtfertigt ist. Insoweit verweist er zu Recht darauf, dass nach der Leitlinie die Diagnose eines
über mehr als 6 bis 12 Monate anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerzes in der Regel ausschließlich dann zu stellen ist,
wenn eine traumatische Hirnschädigung nachgewiesen ist. Dies ist aufgrund der vom Sachverständigen herausgearbeiteten Hirnparenchymläsion
im Bereich des linken Großhirns der Fall. Diese hat er zu Recht als substantielle Schädigung des Großhirns eingeordnet. Der
Einwand verschiedener Gutachter im Verwaltungsverfahren, es sei in der Phase der Nichteinnahme bestimmter Medikamente eine
Abschwächung des Kopfschmerzbildes zu verzeichnen gewesen, steht dem nicht entgegen. Der übermäßige Einsatz bestimmter Medikamente
kann nach den Ausführungen von S3 nur dann einen Kopfschmerz auslösen, wenn vorher ein posttraumatisch zu wertender Kopfschmerz
bestanden hat. S3 ordnet die chronifizierten Kopfschmerzen im Fall des Klägers einem multifaktoriellen Geschehen zu, einschließlich
des vertebragenen Anteils im Hinblick auf die degenerativen Veränderungen in der Halswirbelsäule. Das Schmerzbild als solches
lässt sich aber nach seinen nachvollziehbaren Ausführungen nicht losgelöst von dem primär als posttraumatisch zu wertenden
Schmerzbild beurteilen. Jedenfalls bis zum Eintritt der weiteren Hirnblutung im Januar 2012 ist die Kopfschmerzsituation des
Klägers daher in rechtlich wesentlichem Maße dem Unfallgeschehen vom 6. September 2010 zuzuordnen. Die Stellungnahme des Beratungsarztes
der Beklagten W2 vom 30. November 2020 steht dieser Annahme nicht entgegen. Soweit dieser geklärt haben möchte, auf welcher
Grundlage eine CT-Diagnostik des Schädels beim Kläger am 25. Januar 2010 und damit zeitlich deutlich vor dem Unfallereignis
vorgenommen worden ist, ergibt sich aus dem Befund, dass dieses vom Hausarzt veranlasst worden ist, vor dem Hintergrund der
Einnahme der blutgerinnungshemmenden Medikamente. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits vor dem 6. September 2010 unter
Kopfschmerzbeschwerden gelitten hat, existieren nicht. Insoweit hält auch der Beratungsarzt W2 die Diagnose eines posttraumatischen
Kopfschmerzes und sogar eine damit verbundene MdE zumindest bis zur Hirnblutung im Januar 2012 für möglich.
Für die Frage der Anerkennung weiterer Unfallfolgen ist es unerheblich, ob es im Hinblick auf die Kopfschmerzsymptomatik durch
die Hirnblutung am 16. Januar 2012 zu einer sogenannten Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen ist. Dies ändert nichts
daran, dass der Kläger zunächst einen Anspruch auf Feststellung der entsprechenden Unfallfolge hat.
Ein hirnorganisches Psychosyndrom kann hingegen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Folge des Arbeitsunfalls vom
6. September 2010 anerkannt werden. Dies ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Symptome, die erforderlich sind, um
ein hirnorganisches Psychosyndrom anzunehmen, nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 6. September 2010,
sondern erst nach der weiteren Hirnblutung am 16. Januar 2012 diagnostiziert worden sind. Diese Hirnblutung kann dem Unfallereignis
vom 6. September 2010 nicht zugerechnet werden. Nach den Ausführungen von S3 in seinem Gutachten vom 6. September 2020 handelt
es sich dabei um eine typische spontane intracerebrale Blutung mit erheblichen Auswirkungen. Insoweit ist auch auf das Sachverständigengutachten
von K2 zu verweisen, wonach die intracerebrale Blutung im Januar 2012 ein erhebliches hirnorganisches Psychosyndrom bewirkt
hat. Das am 16. Januar 2012 erlittene intrakranielle Hämatom mit Ventrikeleinbruch steht nach den Ausführungen von S3 nicht
mit dem am 8. September 2010 festgestellten Subduralhämatom im Zusammenhang. Dies ist bereits deshalb nachvollziehbar, weil
hier ein anderer Bereich des Gehirns betroffen war. Insoweit kann das Unfallereignis vom 6. September 2010 auch nicht als
verstärkender Faktor eingeordnet werden.
Soweit der Kläger die Anerkennung einer Anosmie und Ageusie als weitere Unfallfolge begehrt, lassen sich diese Krankheitsbilder
ebenfalls nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 6. September 2010 zurückführen. Dies ergibt
sich aus dem HNO-ärztlichen Sachverständigengutachten von G vom 13. Oktober 2014. Dieser führt in seinem Gutachten aus, dass
die Riech- und Schmeckstörungen zeitlich nach dem angeschuldigten Ereignis liegen und die Beschwerden erst nach der Hirnblutung
2012 dokumentiert worden sind. Wann der Tinnitus links aufgetreten ist, konnte nicht ermittelt werden. Die Kombination einer
Anosmie in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit einem kompletten Verlust des Geschmackvermögens für süß, sauer, salzig und
bitter ist nicht bekannt. Daraus hat der Sachverständige die Schlussfolgerung gezogen, dass eine Kombination beider Schäden
durch ein Schädel-Hirn-Trauma nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht gesichert ist. Daher sind Unfallfolgen
auf HNO-ärztlichem Fachgebiet nicht festzustellen.
Soweit der Senat bei der Entscheidung auf die Erkenntnisse des Gutachtens des G vom 13. Oktober 2014 abstellte, hat er dieses
eingeholte Gutachten im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §§
415 ff. der
Zivilprozessordnung -
ZPO). Verwaltungsgutachten können nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch alleinige Entscheidungsgrundlage
sein, wenn das Gutachten in Form und Inhalt den (Mindest-)Anforderungen entspricht, die an ein wissenschaftlich begründetes
Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 2 U 25/17 R, Rn. 14 m.w.N., nach Juris). Das ist bei den vorliegenden Gutachten des G vom 13. Oktober 2014 gegeben. Es erfüllt die förmlichen
und inhaltlichen Anforderungen eines ordnungsgemäßen Sachverständigengutachtens, stellt insbesondere den Krankheitsverlauf
auf HNO-Gebiet dar. Insbesondere werden Art und Ausmaß der hier in Streit befindlichen gesundheitlichen Verhältnisse auf HNO-Gebiet
festgestellt, weiter wird konkret und eingehend der Ursachenzusammenhang erörtert. Gründe, die gegen die Verwertung dieses
Gutachtens sprechen sind nicht ersichtlich. Auch die Besonderheiten des Urkundenbeweises (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
415 ZPO), wie z.B. die fehlende Verantwortlichkeit des Verwaltungsgutachters gegenüber dem Gericht (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§ 404a, 407a
ZPO), die fehlende Strafandrohung der §§
153 ff. des
Strafgesetzbuches (
StGB) und die fehlende Möglichkeit der Beeidigung (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
410 ZPO), das fehlende Ablehnungsrecht (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
406 ZPO) und insbesondere das fehlende Fragerecht (§§
116 Satz 2,
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§
397,
402,
411 Abs.
4 ZPO; §
62 SGG) begründen hier nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Nach Aktenlage bestand für die Einholung eines gerichtlichen
Sachverständigengutachtens auf HNO-Gebiet wegen der Vorermittlungen der Beklagten keine Notwendigkeit.
Der Kläger hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. September 2010 keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.
Für den Zeitraum bis zum Eintritt der weiteren Hirnblutung am 16. Januar 2012 folgt dies bereits aus §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII. Danach werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld
endet.
Der Kläger war nach dem Unfallereignis vom 6. September 2010 bis zum Eintritt der weiteren Hirnblutung am 16. Januar 2012
durchgehend arbeitsunfähig, d. h. nicht mehr in der Lage, seiner geringfügigen Beschäftigung weiter nachzugehen. Unmittelbar
vor Beginn dieser Arbeitsunfähigkeit hatte er Anspruch auf Arbeitsentgelt i. H. v. monatlich 400 Euro aus der geringfügigen
Beschäftigung. Ein Anspruch auf Verletztengeld ist gemäß §
45 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII auch bei einer zuvor ausgeübten geringfügigen Beschäftigung möglich (BSG, Urteil vom 20. August 2019 - B 2 U 7/18 R, zitiert nach Juris). Das Verletztengeld hat auch nicht vor dem Ablauf der 78. Woche am 16. Januar 2012 geendet. Insbesondere
liegt der Beendigungstatbestand des §
46 Abs.
3 Satz 2 Nr.
2 SGB VII nicht vor. Nach dieser Vorschrift endet das Verletztengeld, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen
ist, mit "Beginn" der in §
50 Abs.
1 Satz 1
SGB V genannten Leistungen, es sei denn, dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehen. Zu den in §
50 Abs.
1 Satz 1
SGB V genannten Leistungen zählt u. a. die Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die der Kläger aber
bereits seit 1. September 2010 bezieht. Dass dieser Rentenbezug bereits vor Entstehung des Anspruchs auf Verletztengeld zu
einem Ende des Verletztengeldanspruchs i. S. des §
46 Abs.
3 Satz 2 Nr.
2 SGB VII führen könnte, lässt sich der Vorschrift nach der Rechtsprechung nicht entnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 2019 - B 2 U 7/18 R, zitiert nach Juris). Eine Rechtsgrundlage für eine vom Kläger angesprochene Differenzberechnung besteht nicht.
Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Kläger aufgrund der Lohnfortzahlung bis November 2012
seiner geringfügigen Beschäftigung durch den Arbeitgeber eine Auszahlung von Verletztengeld nicht beanspruchen kann. Denn
nach §
52 Nr. 1
SGB VII ist das Arbeitseinkommen auf den Verletztengeldanspruch anzurechnen. Der Grundanspruch auf Verletztengeld bleibt aber bestehen.
Konsequenz ist, dass vor dem 16. Januar 2012 ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII nicht entstehen konnte. Durch die Vorschrift des §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII soll die nahtlose Zahlung von Verletztenrente im Anschluss an die Zahlung von Verletztengeld gewährleistet werden. Damit
wird ein fortlaufender Ausgleich des unfallbedingten Schadens sichergestellt. Während das Verletztengeld den konkreten unfallbedingten
Einkommensverlust bis zur möglichen Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ersetzen soll, wird die Verletztenrente zum Ausgleich
des abstrakten Schadens aufgrund einer unfallbedingt geminderten Erwerbsfähigkeit und zur Kompensation immaterieller Schäden
gewährt. So wird die Verletztenrente auch dafür geleistet, dass ggf. größere Anstrengungen erbracht werden müssen, um die
bisherigen Einnahmen zu erwirtschaften (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2015, B 2 U 6/14 R, BSGE 119, S. 204 ff.).
Für die Zeit ab dem 16. Januar 2012 kann der Kläger hingegen deshalb bereits keine Verletztenrente beanspruchen, weil ein
rentenberechtigender Grad der MdE hinsichtlich der Unfallfolgen unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Verschiebung der Wesensgrundlage
nicht mehr festgestellt werden kann. Jedenfalls war die Erwerbsfähigkeit des Klägers ab dem 16. Januar 2012 nicht mehr aufgrund
der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 6. September 2010 um wenigstens 20 v. H. gemindert. Aufgrund einer Verschiebung
der Wesensgrundlage waren die Auswirkungen der beim Kläger nach wie vor bestehenden Kopfschmerzsymptomatik zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr dem Versicherungsfall zuzurechnen. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage beinhaltet einen Wechsel der Ursache für
nach wie vor bestehende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund eines neuen oder vorbestehenden Gesundheitsschadens der unverändert
gebliebenen Krankheitserscheinungen. Dies erfordert den Nachweis, dass die alte, früher bestehende Ursache für die Kopfschmerzsymptomatik
als wesentlicher Faktor weggefallen und dass eine andere Ursache später an deren Stelle getreten ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020, B 2 U 10/19 R, zitiert nach Juris). Vorliegend ist nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen S3 in seinem Gutachten
vom 6. September 2020 festzustellen, dass die beim Kläger fortbestehende Kopfschmerzsymptomatik ab dem 16. Januar 2012 auf
einer anderen Erkrankung nämlich der intercerebralen Blutung am 16. Januar 2012 beruht und diese Erkrankung keine Unfallfolge
ist. Der unter dem Begriff Verschiebung der Wesensgrundlage erörterte nachträgliche Wechsel der Ursache ist nach der Kausalitätslehre
dabei unter zwei Gesichtspunkten denkbar. Entweder ist ab einem bestimmten Zeitpunkt das Unfallereignis nicht einmal mehr
im Sinne einer Conditio sine qua non ursächlich, oder dem Unfallereignis ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nur die rechtliche
Wesentlichkeit für den fortbestehenden Gesundheitsschaden abzusprechen (Bayerisches LSG, Urteil vom 9. Dezember 2015, L 2 U 496/12, Juris). S3 führt insoweit in seinem Gutachten aus, dass es im Januar 2012 zu einem zweiten Ereignis gekommen ist, bei dem
eine erhebliche intracerebrale Blutung ausgelöst worden ist. Diese zeigte ein erhebliches Volumen mit deutlichen lokalen Druckzeichen
und einer Schädigung an der rechten Hemisphäre. Bereits aus dem Ausmaß dieser Einblutung folgert der Sachverständige, dass
die weiteren neurologischen Defizite hierdurch in erheblichem Umfang bedingt sind. Dies ist auch insbesondere deshalb nachvollziehbar,
weil damals eine Operation mit Ausräumung des Hämatoms zwingend erforderlich war. Aus der Massivität der Einblutung am 16.
Januar 2012 schließt der Sachverständige sodann, dass dieses schlechterdings nicht folgenlos ausheilen konnte. Darin sieht
er eine erhebliche Modifizierung der Gesamtsituation. Diese wird auch vom Beratungsarzt der Beklagten W2 in seiner Stellungnahme
vom 30. November 2020 bejaht. Insoweit ist ferner auf die vorangegangene beratungsärztliche Stellungnahme von W2 vom 20. Oktober
2015 hinzuweisen, wonach Patienten mit stattgehabten größeren Hirnblutungen nach diesen Blutungsereignissen regelmäßig unter
Kopfschmerzen leiden. Damit ist nachgewiesen, dass die beim Kläger nach wie vor vorhandene Kopfschmerzsymptomatik nunmehr
in rechtlich wesentlichem Sinne nicht mehr auf das Unfallereignis vom 6. September 2010 zurückzuführen ist, sondern auf die
weitere massive Hirnblutung am 16. Januar 2012, welche keine auch nur mittelbare Unfallfolge ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 SGG nicht vorliegen.