Nichtzulassungsbeschwerde
Grundsätzliche Bedeutung
Unabweisbarkeit eines Vaterschaftstests
Gründe:
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 beantragte der Kläger, der von dem Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhält, bei diesem die Gewährung von Kosten zur Erstellung eines Vaterschaftstestes i.H.v. 448,00 EUR. Er gab dazu an, mit
Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 29. Juni 2006 sei festgestellt worden, dass er der Vater des am 30. Dezember
2003 geborenen Kindes A B sei. Dieses Urteil sei gesprochen worden, ohne dass zum damaligen Zeitpunkt ein Vaterschaftstest
durchgeführt worden sei. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27. Februar 2012 ab und führte zur Begründung unter anderem aus, dem Antrag auf Übernahme von Kosten für den Gentest zur
Vaterschaftsanerkennung könne nicht entsprochen werden. Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasse insbesondere
Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie Bedarfe des täglichen Lebens. Die Zahlung des Regelbedarfs
erfolge pauschaliert nach den festgesetzten Regelsätzen. Könne im Einzelfall ein von dem genannten Regelbedarf umfasster und
nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht gedeckt werden, könne dem Leistungsberechtigten
bei entsprechendem Nachweis der Bedarf als Sach- oder Geldleistung in Form eines entsprechenden Darlehens gewährt werden (§
24 Abs. 1 SGB II). Die von dem Kläger beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt und stelle nach den vorliegenden
Unterlagen keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar, so dass eine Übernahme der Kosten nicht möglich
sei.
Die Klage gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2013 hat das
Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 28. April 2016 abgewiesen. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist dem Kläger
am 11. Mai 2016 zugestellt worden.
Die gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegte Beschwerde vom 13. Juni 2016 (Montag) hat der Kläger u. a. damit begründet,
die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, auch Mittellose und sozial Schwache müssten die Möglichkeit erhalten, Klarheit
über ihre familiäre Situation zu erlangen. Insbesondere, wenn nach willkürlicher Feststellung der Vaterschaft materiell-rechtlich
gegen die Betroffenen - mit Zwangsvollstreckungen wegen Unterhaltsleistungen - vorgegangen werde. Zudem würden weitergehende
Elternrechte elementar verletzt.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß §
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Geld- oder Sachleistung oder einem entsprechenden Verwaltungsakt 750,00
EUR nicht übersteigt (Abs. 1 Nr. 1) und es sich nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr handelt.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2016 ist danach nicht berufungsfähig, denn weder geht es um Leistungen
für mehr als ein Jahr noch wird ein Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR erreicht, da der Kläger von dem Beklagten
die einmalige Zahlung von 448,00 EUR begehrt.
Die Berufung war auch nicht zuzulassen. Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Abs. 2 Nr. 1),
2. das Urteil von einer obergerichtlichen Entscheidung abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Abs. 2 Nr. 2)
3. oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung
beruhen kann (Abs. 2 Nr. 3).
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 für eine Zulassung der Berufung ist weder ersichtlich noch
von dem Kläger vorgetragen worden.
Soweit der Kläger der Ansicht ist, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und sei daher gemäß §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen, kann der Senat dem nicht folgen. Das Bundessozialgericht hat in seinem Beschluss vom 1. April 2016 (Az.: B 14 AS 286/15 B, zitiert nach juris) für die entsprechende Vorschrift zur Revisionszulassung Folgendes ausgeführt:
"Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl. BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160 a Nr. 11).
Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach
§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, IX. Kapitel, Rn. 181).
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit
in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der
aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch weitere Ausgestaltung, Erweiterung
oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint
(vgl. Krasney/Udsching, a. a. O., IX. Kapitel, Rn. 65 f.). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen
Interesse erforderlich ist (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit)
ist (vgl. BSG SozR 3 1500 § 160 a Nr. 16)."
Diese vom Bundessozialgericht dargestellten Grundsätze gelten auch für die Berufungszulassung gemäß §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG (Leitherer in: Meyer Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
144 Rn. 28).
Eine bestimmte abstrakte Rechtsfrage hat der Kläger und Beschwerdeführer nicht formuliert. Soweit er sinngemäß eine Rechtsfrage
grundsätzlicher Bedeutung darin erblickt, dass ungeklärt sei, in welchem Falle ein begehrter Vaterschaftstest unabweisbar
i.S. des § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) sei, ist diese Frage im vorliegenden Verfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Zu der Frage des Tatbestandsmerkmals
der Unabweisbarkeit existiert eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen, für die nur exemplarisch auf die Kommentierung im
Lehr- und Praxiskommentar, SGB II, 5. Auflage, von Boetticher/Münder zu § 24 Rn. 10 ff verwiesen wird. Klärungsbedarf grundsätzlicher Art zum Tatbestandsmerkmal der Unabweisbarkeit besteht deshalb nicht.
Die Frage, wann die Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmals im Hinblick auf die Klärung einer Vaterschaft erfüllt sind,
ist ganz offensichtlich eine Frage des Einzelfalls und schon deshalb im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig. Nur beispielhaft
sei als Beleg aufgeführt, dass die Situation sich schon dann komplett anders darstellt als im vorliegenden Fall, wenn der
Antragsteller die Feststellung zur Ausübung seiner Vaterschaftsrechte erst erstreiten will. Die Sache kann dann durchaus eilen
und in diesem Sinne unabweisbar sein. Im vorliegenden Fall dagegen kann der Beschwerdeführer seine aus der Vaterschaft folgenden
Rechte ohne weiteres ausüben. Ein unabweisbarer Bedarf ist schon deshalb nicht denkbar. Dass er wegen seiner Pflichten, z.B.
der Unterhaltszahlung, in Anspruch genommen werden könnte, ist angesichts seiner finanziellen Situation fernliegend. Auch
insoweit lässt sich Unabweisbarkeit nicht begründen. "Drohten" tatsächlich Unterhaltszahlungen bestünde wegen des dann anzunehmenden
Einkommens kein Bedarf. Schon diese kurzen Überlegungen zeigen, dass die Beantwortung der Frage, wann die Kosten eines Vaterschaftstest
nach § 24 Abs. 1 SGB II begehrt werden können, allein von den Umständen des Einzelfalls abhängt und schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung
bejaht werden kann.
Soweit der Beschwerdeführer der Ansicht ist, dass auch Mittellose und sozial Schwache die Möglichkeit erhalten müssten, Klarheit
über ihre familiäre Situation zu erlangen, stimmt der Senat dem zu. So ist ihm auch das Wiederaufnahmeverfahren nach § 185 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) bei Vorlage eines Vaterschaftstests nicht verschlossen. Mangels Unabweisbarkeit i.S. des § 24 SGB II wird der Beschwerdeführer allerdings nicht umhin kommen, die Kosten des Tests aus der Regelleistung anzusparen.
Nicht zu verkennen ist insoweit aber auch, dass der Beschwerdeführer seine nun reklamierten Rechte schon einmal hätte geltend
machen können, bzw. geltend gemacht hat. Um diese zu gewährleisten hat der Gesetzgeber das in §
1600 d des
Bürgerlichen Gesetzbuches geregelte Vaterschaftsfeststellungsverfahren geschaffen, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Das Verfahren steht auch
Mittellosen und sozial Schwachen offen, ist vorliegend durchgeführt und durch Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel
vom 29. Juni 2006 mit der Feststellung der Vaterschaft des Klägers beendet worden. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich in dem
Vaterschaftsfeststellungsverfahren zu äußern und hat dieses Recht auch wahrgenommen, indem er sich mit Schreiben vom 09. Juni
2004 auf eine Anfrage des Jugendamtes vom 26. Mai 2004 geäußert hat und intime Beziehungen im Zeitraum der gesetzlichen Empfängniszeit
zu der Kindsmutter eingeräumt hat. Dem vom Kläger "formulierten Grundsatz", dass auch Mittellose und sozial Schwache die Möglichkeit
erhalten müssen, Klarheit über ihre familiäre Situation zu erlangen, wird damit ausreichend Rechnung getragen.
Nach alledem war die Berufung daher nicht zuzulassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Dieser Beschluss ist nach §
177 SGG nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2016 ist damit rechtskräftig.