Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen
Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs
Grundsätzliche Unanfechtbarkeit
Ausnahmen bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Pflicht zur Nachzahlung
von Sozialversicherungsbeiträgen von zuletzt (Stand: 9.3.2017) 119 941,41 Euro (inklusive Säumniszuschlägen iHv 27 079 Euro).
Der Kläger befasste sich bis 2015 für Anbieter von Nahrungsmitteln mit der Organisation von verkaufsfördernden Maßnahmen durch
so genannte Promoter (m/w) in Supermärkten. Nach einer Betriebsprüfung stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Braunschweig/Hannover
fest, dass die Promoter keine freien Mitarbeiter, sondern vom Kläger beschäftigt worden seien. Sie forderte vom Kläger für
den Zeitraum 2006 bis 2009 Sozialversicherungsbeiträge iHv 542 826,87 Euro, inklusive Säumniszuschlägen, nach (Bescheide vom
22.11.2011 und 3.8.2012, Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012, Bescheide vom 22.4.2013 und 23.6.2015). Erstinstanzlich ist
die Klage erfolglos geblieben (SG-Urteil vom 24.6.2015). Mit seiner Berufung hat der Kläger überwiegend Erfolg gehabt (LSG-Urteil vom 21.12.2016). Grund hierfür
war, dass das LSG zwar davon ausgegangen ist, dass die Promotoren beim Kläger beschäftigt waren. Es hat allerdings entschieden,
dass in der überwiegenden Zahl der Fälle wegen Geringfügigkeit (§
8 SGB IV) keine Versicherungspflicht gegeben war bzw die angefochtenen Bescheide zum Teil wegen einer unzureichenden Anhörung formell
rechtswidrig waren. In Ausführung des Berufungsurteils setzte die Beklagte den Nachforderungsbetrag durch Bescheid vom 9.3.2017
in der eingangs genannten Höhe fest.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG durch seinen Prozessbevollmächtigten Beschwerde eingelegt
und zugleich zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung
seines Prozessbevollmächtigten sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (seiner Klage) bis zur Entscheidung über seine
Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.
II
1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Nach §
73a SGG iVm §
114 ZPO kann einem Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es. Dabei kann offenbleiben, ob die Beschwerde zumindest zum Teil unzulässig ist, jedenfalls
ist sie unbegründet. Ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund liegt nicht vor.
2. Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).
Der Kläger macht in der Beschwerdebegründung vom 27.4.2017 ausschließlich Verfahrensmängel geltend.
a) Der Kläger rügt eine fehlerhafte Besetzung des erkennenden Senats des LSG, weil dessen geschäftsplanmäßig vorgesehener
Vorsitzender trotz dessen Befangenheit mitgewirkt habe. Zwar seien seine Ablehnungsgesuche durch Beschlüsse vom 1.6.2016 und
21.12.2016 abgelehnt worden. Beide Beschlüsse des LSG verstießen jedoch gegen das Willkürverbot und gegen den Anspruch auf
den gesetzlichen Richter. Der Vorsitzende habe seine Pflichten zur Unparteilichkeit, Neutralität und Distanz verletzt, indem
er
"- die Einzugsstellen aufgefordert hatte, mitzuteilen, ob und ggf. aus welchen Gründen sie auf eine Vollstreckung verzichten
würden, und sich damit in das Vollstreckungsverfahren eingemischt hat, obwohl keiner der Beteiligten das Gericht dazu angerufen
hat,
- die Beigeladenen materiell-rechtlich dahingehend belehrt hat, dass sich ihre Rentenansprüche erhöhen könnten, wenn das Gericht
zu dem Ergebnis käme, dass sie beim Beschwerdeführer abhängig beschäftigt gewesen seien und
- dem Beiladungsbeschluss an die Beizuladenden vom 20.09.2016 den ablehnenden Aussetzungsbeschluss des LSG vom 06.10.2016
wörtlich - zu Recht - wiedergegeben hat, ohne jedoch den Beizuladenden (zugleich oder danach) auch die Klagebegründung des
Beschwerdeführers zu übersenden, damit diese die Möglichkeit erhielten, auch die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers zur
Kenntnis zu nehmen."
Zu Unrecht habe das LSG in den Ablehnungsbeschlüssen angenommen, die "Einmischung in das Vollstreckungsverfahren" sei unter
dem Aspekt der Sachverhaltsaufklärung gerechtfertigt gewesen. Auch habe es sich nicht mit der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden
hinreichend befasst. Schließlich habe es nicht berücksichtigt, dass die Beigeladenen durch die Maßnahmen des Vorsitzenden
davon abgehalten worden sein könnten, der vom Gericht im summarischen Verfahren vertretenen Auffassung, dass abhängige Beschäftigungen
vorlägen, entgegenzutreten. Beide Beschlüsse über die Ablehnung der Ablehnungsgesuche seien aus den genannten Gründen nicht
nur fehlerhaft, sondern "greifbar gesetzeswidrig". Beide Entscheidungen könnten daher "nur als willkürlich" angesehen werden.
Der Beschluss vom 1.6.2016 sei "auch deshalb gesetzeswidrig", weil der erkennende Senat des LSG aus anderen Gründen nicht
ordnungsmäßig besetzt gewesen sei. Beide mitwirkenden Richterinnen hätten "entgegen der Bestimmungen im Geschäftsverteilungsplan"
hieran nicht mitwirken dürfen. Sie hätten als verbliebene Senatsangehörige über die Befangenheit ihres Vorsitzenden zu entscheiden
gehabt. Dabei hätten sie sich möglicherweise in einem "inneren Zwiespalt" befunden, weil der Vorsitzende durch Beurteilungsbeiträge
ihre Karrieren hätte beeinflussen können. Es sei geboten, §
45 ZPO für Spruchköper dahingehend auszulegen, dass über die Ablehnung des Vorsitzenden eines Spruchkörpers ein anderweitiger Spruchkörper
des Gerichts zu entscheiden habe.
Der daraus hergeleitete Verfahrensmangel liegt nicht vor. Der erkennende Senat des LSG war ordnungsgemäß besetzt. Der Vorsitzende
war weder von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen noch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Zurückweisung
eines Ablehnungsgesuchs ist grundsätzlich gemäß §
202 S 1
SGG iVm §
557 Abs
2 ZPO als unanfechtbare Vorentscheidung im Rechtsmittelverfahren nicht überprüfbar, es sei denn, der Verfahrensfehler haftet wegen
seiner Schwere der angegriffenen Entscheidung selbst an. Dies ist der Fall, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf
willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht oder das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 S 2
GG (gesetzlicher Richter) grundlegend verkannt hat (BSG Beschluss vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 7 ff mwN), uU auch bei Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
60 RdNr 14b mwN). Entgegen der Bewertung des Klägers lässt seine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die wiederholte Ablehnung
seiner Befangenheitsgesuche weder willkürlich noch greifbar gesetzeswidrig erscheinen.
b) Weiterhin rügt der Kläger eine mangelhafte Sachverhaltsermittlung durch das LSG (§
103 S 1
SGG). Die vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Ausgangssituation entspreche nach seinem schriftlichen Vortrag und seinem
in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht den Tatsachen. Diesem Vorbringen hätte das LSG zur Aufklärung
des Sachverhalts nachgehen sollen und müssen.
Der Kläger führt auf Seite 18 der Beschwerdebegründung insoweit aus, er habe in der mündlichen Verhandlung am 21.12.2016 ua
beantragt:
"zum Beweis der Tatsache, dass die Industrie den Kläger lediglich mit der Vermittlung von Werbedamen beauftragt habe, die
in dem zu Protokoll gegebenen Aufzeichnungen 'Industriepartner/Auftraggeber Prüfungszeitrum 2006 bis 2009' aufgeführten Personen
der dort genannten Unternehmen als Zeugen zu hören."
Die Aufzeichnung "Industriepartner/Auftraggeber Betriebsprüfungszeitraum 2006 - 2009" habe sein Prozessbevollmächtigter dem
LSG mit dem Hinweis "Ich hoffe, dass die handschriftlich aufgeführten Namen für Sie lesbar sind" übergeben. Der Vorsitzende
habe die Aufzeichnung entgegengenommen. Dabei habe er nicht zu erkennen gegeben, dass die handschriftlich aufgeführten Namen
für ihn oder die beisitzenden Richter nicht lesbar seien. Der "Beweisantrag" stehe im Zusammenhang mit seinen Schreiben vom
14.11.2016 und 18.12.2016, mit denen er textlich und mittels der beigefügten Erklärungen der genannten Industrieunternehmen
klargestellt habe, dass er keine Werbeaktionen durchgeführt habe, sondern nur beauftragt worden sei, Promotor/innen für Werbeaktionen
der betreffenden Industrieunternehmen zu vermitteln.
Mit der Ablehnung der begehrten Zeugenvernehmung hat das LSG nicht gegen §
103 S 1
SGG verstoßen. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn der Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung
nicht gefolgt ist. Bei dem im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Antrag handelt es sich allerdings nicht um einen
Beweisantrag, sondern allenfalls um eine Beweisanregung. Schon die Formulierung der beantragten Ermittlungen lässt einen konkreten
Bezug zur Ermittlung einer entscheidungserheblichen Tatsache nicht erkennen.
c) Im Zusammenhang mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten "Beweisantrag" führt der Kläger aus, der Vorsitzende sei
nach §
106 SGG verpflichtet gewesen, "den (angeblich) unklaren Antrag zu erläutern und dafür zu sorgen, dass sachdienliche Anträge, ungenügende
Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentliche Erklärungen
abgegeben werden". Demgegenüber habe der Vorsitzende den "Beweisantrag" lediglich zu Protokoll genommen, ohne diesen zu erläutern
oder darauf hinzuweisen, dass der Antrag möglicherweise unzureichend sei. Mit dem Verstoß gegen die Verfahrensregelungen des
§
106 Abs
1 SGG würde im Übrigen die gerügte Befangenheit des Vorsitzenden gegenüber dem Kläger deutlich.
Soweit man darin zugunsten des Klägers die Rüge einer Verletzung von §
106 SGG sieht, ist ein entsprechender Verfahrensverstoß nicht gegeben. Es ist schon fraglich, worauf konkret der Vorsitzende bzw
der Senat den anwaltlich vertretenen Kläger hätte hinweisen sollen, wenn bereits beim Prozessbevollmächtigten des Klägers
Zweifel an der Lesbarkeit der im Rahmen des "Beweisantrags" übergebenen Liste bestanden haben. Auch ist eine Pflicht des Vorsitzenden,
den "Beweisantrag" eines Beteiligten zu erläutern, nicht ersichtlich.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage war abzulehnen, da seine Nichtzulassungsbeschwerde
keinen Erfolg hat.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2, §
162 Abs
3 VwGO.