Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht
Gründe
I
Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Klägerin macht geltend, der Versicherungsfall sei spätestens
am 28.2.1998 eingetreten. Das LSG hat ebenso wie der beklagte Rentenversicherungsträger und das SG einen Rentenanspruch der Klägerin verneint, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Eintritts
des Versicherungsfalls der Erwerbsminderung nicht mehr gegeben seien. Ein solcher sei erst zu einem Zeitpunkt nach dem 28.2.1998
erweislich. Die Revision hat das LSG in seinem Beschluss vom 4.6.2019 nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde zum BSG. Sie beruft sich ausschließlich auf einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG und ist deshalb in entsprechender Anwendung von §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Klägerin beruft sich ausschließlich darauf, das LSG-Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG), weil das LSG gegen seine Aufklärungspflicht nach §
103 SGG verstoßen habe.
Ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen,
dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung
des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu §
162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 §
160 Nr
33 - juris RdNr
23). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer
diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser
Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel
beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.
Zwar trägt die Klägerin in der Beschwerdebegründung vom 11.7.2019 vor, wie schon im erstinstanzlichen Verfahren, habe sie
auch vor dem LSG angeregt bzw mit Schriftsatz vom 6.3.2019 beantragt, die Fachärztin Dr. L. als sachverständige Zeugin zu
hören. Damit legt sie jedoch schon nicht dar, einen formgerechten Beweisantrag gestellt zu haben.
Die Rüge der unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht
ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund
derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe
des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des
LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses
der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen
können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 13 R 73/16 B - juris RdNr 9 mwN).
Ein ordnungsgemäßer Beweisantrag iS des §
118 Abs
1 Satz 1
SGG, §
373 ZPO muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der
ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll
(BSG Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 18a mwN). Denn nur ein solcher Beweisantrag hat die Warnfunktion, die es rechtfertigt, einen Revisionszulassungsgrund anzunehmen,
wenn das LSG dem Antrag zu Unrecht nicht gefolgt ist (vgl BSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 - juris RdNr 6). Je mehr Ermittlungserkenntnisse bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede
und Differenzierungen eingehen (vgl hierzu Fichte, SGb 2000, 653, 656). Allein das vor dem LSG formulierte Begehren nach einem weiteren Gutachten oder - wie hier - nach einer Vernehmung einer
sachverständigen Zeugin reicht insoweit nicht aus. Insbesondere fehlt vorliegend die Angabe eines konkreten Beweisthemas in
dem in der Beschwerdeschrift wiedergegebenen Antrag.
Selbst unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Klägerin zu dem gestellten Antrag, vermag man nicht zu einem Erfolg
der Beschwerde zu gelangen. Die Klägerin präzisiert zwar, was sie durch die Vernehmung habe beweisen wollen und wozu die Ärztin
hätte gehört werden sollen. Inwieweit sie dies auch gegenüber dem LSG dargelegt und damit dem Beweisantrag die benannte erforderliche
Warnfunktion verliehen hat, ergibt sich aus ihren Ausführungen nicht. Sie deutet lediglich an, im Schriftsatz vom 6.3.2019
dem Gericht zur Kenntnis gebracht zu haben, dass anlässlich eines Arztbesuchs bei Dr. L. im Februar/März 2019 diese ihr mitgeteilt
habe, in der Lage zu sein, den Gesundheitszustand der Klägerin seit 1984 beurteilen zu können und gegenüber dem Gericht zu
bestätigen, dass der Versicherungsfall vor dem 28.2.1998 eingetreten sei.
Unabhängig von der Frage des "formgerechten Beweisantrags" fehlt es weiter - anders als erforderlich - in der Beschwerdebegründung
an Ausführungen dazu, dass sich das LSG auf Grundlage seiner Rechtsauffassung zu weiterer Sachaufklärung hätte gedrängt sehen
müssen bzw es im Ergebnis der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.
Die Klägerin führt dazu aus, das LSG sei der Auffassung, die Anhörung der Dr. L. als sachverständige Zeugin sei durch die
Einholung eines Befundberichts und Anforderung medizinischer Unterlagen erfolgt. Diese seien zur Kenntnis genommen und ausgewertet
worden. Zu beachten sei, dass die Ärztin unterschiedliche Angaben zu den Zeitpunkten gemacht habe, zu denen sich die Klägerin
bei ihr in Behandlung befunden haben solle. Zudem habe sie ausdrücklich mitgeteilt, über keine weiteren Unterlagen zu verfügen.
Es sei daher nicht ersichtlich, wie der Nachweis des Eintritts des Versicherungsfalls spätestens am 28.2.1998 durch eine mündliche
Vernehmung der Ärztin erbracht werden könne. Diese Einschätzung des LSG sei - so die Klägerin - schon nach den Denkgesetzen
falsch. Gerade wenn keine Behandlungsunterlagen (mehr) vorlägen, könne eine mündliche Aussage erkenntnisbringend sein. Dass
sich Dr. L. an den Zeitraum vor dem 28.2.1998 erinnern könne, habe sie gegenüber der Klägerin im Februar oder März 2019 bestätigt.
Mit diesen Ausführungen stellt die Klägerin jedoch lediglich ihre eigene Einschätzung der Würdigung der Tatsachen durch das
LSG entgegen. Sie setzt sich nicht damit auseinander, was sich an der Rechtsauffassung des LSG durch die Bestätigung der behaupteten
Aussage der Ärztin ändern könnte. Denn selbst wenn sie vorbringen würde, sich an die Klägerin und deren Gesundheitszustand
vor dem 1.3.1998 erinnern zu können, ändert dies nichts daran, dass sie zuvor - auch nach dem Vortrag der Klägerin - gegenüber
dem Gericht andere Angaben gemacht haben soll. Welche Auswirkungen mithin eine potenzielle Aussage der sachverständigen Zeugin
hierauf haben soll, legt die Klägerin nicht dar. Auch führt die Klägerin nichts dazu aus, wie aus einer Erinnerung der Ärztin
und der Behauptung, den Gesundheitszustand der Klägerin bis zum 28.2.1998 beurteilen zu können, auf eine rentenrechtlich relevante
Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin vor dem 1.3.1998 geschlossen werden könnte. Die abstrakte Behauptung, der
Leistungsfall sei bereits vor dem 28.2.1998 zu bejahen, genügt insoweit nicht.
Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält und zu einer anderen Beweiswürdigung gelangt, kann nicht
zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.