Feststellung einer Versicherungspflicht als Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
9/10 - Belegung von Mitglieds- oder Versicherungszeiten
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage
sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung
im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit)
ist.
2. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht, wenn diese zwar höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, sich die
Antwort darauf aber zweifelsfrei aus dem Gesetz erschließt.
3. Nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) sind Personen versicherungspflichtig, "die
die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt
haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel
der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren".
4. Weshalb trotz dieses eindeutigen, an die Versicherung in der GKV in der "zweiten Hälfte" des Erwerbslebens anknüpfenden
Gesetzeswortlauts auch "nennenswerte Zeiten" einer Versicherung in der GKV in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben die Versicherungspflicht
als Rentner begründen sollen, ist nicht ersichtlich.
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, dass er seit dem
15.5.2014 als Rentner, hilfsweise nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei der Beklagten unterliegt. Die Beklagte lehnte
dies ab, weil der Kläger in der zweiten Hälfte seines Erwerbslebens nicht zu mindestens 90 vH Mitglied der GKV und zuletzt
in einer privaten Krankenversicherung versichert gewesen sei (Bescheid vom 12.9.2014, Widerspruchsbescheid vom 23.4.2015).
Das SG Nürnberg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.9.2015), das Bayerische LSG unter Bezugnahme auf die erstinstanzliche
Urteilsbegründung die Berufung zurückgewiesen. Ein Verstoß gegen Art
3 Abs
1 GG liege in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zur Vorgängerregelung des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a
RVO nicht vor (Beschluss vom 17.8.2016). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde vom
22.9.2016.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 SGG). Der Kläger hat entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich
ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung
im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit)
ist (stRspr, vgl nur BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach
dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 25.10.1978 - 8/3 RK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger misst der Frage,
"ob ein Rentner in Abweichung von §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V Anspruch auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner haben kann, wenn er zwar nicht 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums
seiner Berufstätigkeit Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung war, gleichwohl aber nennenswerte Zeiten - hier mehr
als 93 % - des gesamten Zeitraums seiner Berufstätigkeit Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung war",
eine grundsätzliche Bedeutung bei.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die Klärungsfähigkeit und Breitenwirkung der aufgeworfenen Frage aufgezeigt hat.
Jedenfalls ist deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt worden. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann
nicht, wenn diese zwar höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, sich die Antwort darauf - wie hier - aber zweifelsfrei
aus dem Gesetz erschließt (BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 §
72 Nr
5 RdNr
11). Nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) sind Personen versicherungspflichtig,
"die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente
beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens
neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren". Weshalb trotz dieses eindeutigen,
an die Versicherung in der GKV in der "zweiten Hälfte" des Erwerbslebens anknüpfenden Gesetzeswortlauts auch "nennenswerte
Zeiten" einer Versicherung in der GKV in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben die Versicherungspflicht als Rentner begründen
sollen, zeigt der Kläger nicht auf. Insoweit genügt nicht der Hinweis auf "eine offensichtliche Differenz zwischen dem seinerzeitigen
gesetzgeberischen Willen und der Formulierung, welche im Gesetz Niederschlag gefunden hat", weil der "gesetzgeberische Wille,
das System der GKV zu stabilisieren", gerade nicht durch Außerachtlassung der ersten Hälfte des Erwerbslebens gefördert werde.
Unabhängig davon, dass diese Einschätzung nicht näher begründet wird, soll §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V vermeiden, dass die Versichertengemeinschaft mit Krankheitskosten von Personen belastet wird, die während der zweiten Hälfte
ihres Erwerbslebens der GKV nicht längere Zeit angehört haben (BT-Drucks 11/2237 S 159 zu § 5 Abs 1 und 2). Dem Anliegen des
Gesetzgebers, bei der Zugehörigkeit zur GKV an die Zeit unmittelbar vor Rentenantragstellung anzuknüpfen, trägt aber der Wortlaut
des §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V gerade Rechnung. Damit hat sich der Kläger nicht auseinandergesetzt.
Soweit der Kläger darlegt, es sei "diskriminierend und eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art.
3 Abs.
1 GG, dass aufgrund des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988 die Zugangsvoraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) insoweit eingeschränkt worden sind,
als nur auf die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung in der zweiten Hälfte des Zeitraums der Berufstätigkeit
abgestellt wird", ist ebenfalls die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargetan. Wird die
Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, genügt allein dessen Behauptung nicht. Vielmehr ist unter Einbeziehung
der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB BSG vom 2.6.2009 - B 12 KR 65/08 B - Juris RdNr 9 mwN). Daran fehlt es hier.
An die Stelle des Erfordernisses der Halbbelegung mit Zeiten der Mitgliedschaft in der GKV während des gesamten Erwerbslebens
(§ 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a
RVO) trat zum 1.1.1989 mit §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V durch das GRG vom 20.12.1988 (BGBl I 2477) das Erfordernis der Neun-Zehntel-Belegung während der zweiten Hälfte des Erwerbslebens. Durch
das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der GKV (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) sind als anrechenbare Vorversicherungszeiten nur noch Zeiten einer Pflichtversicherung oder
einer Familienversicherung aufgrund einer Pflichtversicherung anerkannt worden. Diese Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen
für die Mitgliedschaft in der KVdR ist vom BVerfG (Beschluss vom 15.3.2000 - 1 BvL 16/96 - BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42 = NJW 2000, 2730) als mit Art
3 Abs
1 GG unvereinbar angesehen worden. Gleichzeitig hat das BVerfG festgestellt, dass sich der Zugang zur KVdR ab dem 1.4.2002 wieder
nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V in der Fassung des GRG bestimme, falls es zuvor nicht zu einer gesetzlichen Neuregelung komme. Mit dieser Entscheidung des BVerfG, die verfassungsrechtliche
Bedenken an der mangels erlassener Neuregelung seit 1.4.2002 wieder - und damit auch für den Kläger - maßgebenden Vorschrift
nicht erkennen lässt, setzt sich der Kläger ebenfalls nicht auseinander.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.