Anspruch auf Arbeitslosengeld; Rücknahme eines rechtswidrigen Erstattungsbescheides im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren
bei unterbliebener Aufhebung des Bewilligungsbescheides
Tatbestand
Der Kläger wendet sich im Rahmen eines Zugunstenverfahrens gegen die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung
von Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 06.02.2006 bis 21.02.2007 in Höhe
von insgesamt 17.352,92 EUR.
Der 1973 geborene Kläger war in der Zeit vom 09.10.1997 bis 31.12.2005 bei der Firma D. C. AG in Stuttgart als Kokillengießer
versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 24.09.2005 bis 29.11.2005 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und vom 02.12.2005
bis 31.12.2005 nahm er unbezahlten Urlaub. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch eine "Ausscheidensvereinbarung" zum 31.12.2005
aus betriebsbedingten Gründen beendet. Der Kläger erhielt eine im Januar 2006 fällige Abfindung in Höhe von 67.140,07 EUR.
Der Kläger meldete sich am 08.02.2006 bei der Beklagten persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 14.06.2006 stellte die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruchs wegen des Bezugs einer Entlassungsentschädigung
gemäß § 143 a
SGB III bis zum 30.06.2006 fest.
Mit weiterem Bescheid vom 14.06.2006 stellte die Beklagte das Ruhen des Leistungsanspruchs für die Dauer von 90 Tagen infolge
einer Sperrzeit wegen des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages fest.
Schließlich bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14.06.2006 Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der festgestellten
Ruhenstatbestände ab dem 08.02.2006 für die Dauer von 360 Tagen. Der tägliche Leistungsbetrag bezifferte sich ab dem 01.07.2006
auf 59,32 EUR.
Mit Aufhebungsbescheid vom 22.02.2007 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab dem 22.07.2007 wegen des
Endes der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall auf (Bl. 25 der Senatsakte).
Mit Schreiben vom 18.02.2008 teilte das Hauptzollamt Ulm der Beklagen mit, im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger
wegen des Verdachts des Betruges könne anhand aufgefundener Tachoscheiben bzw. Fahraufträge nachgewiesen werden, dass er während
des Zeitraums des Bezuges von Arbeitslosengeld vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 als Busfahrer/Unternehmer tätig gewesen sei.
Insbesondere sei er in den Jahren 2006 und 2007 nahezu jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag im Linienverkehr zwischen
Deutschland und Serbien als Fahrer unterwegs gewesen, was eine Tätigkeitszeit von mehr als 15 Stunden wöchentlich bedeute.
Mit zwei Schreiben vom 21.02.2008 hörte die Beklagte den Kläger zur möglichen Aufhebung und Erstattung des Arbeitslosengeldes
nebst Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 an (Bl. 38 und 41 der SG-Akte).
Ferner erstellte die Beklagte am 21.02.2008 einen "Leistungsnachweis/Entgeltbescheinigung". Darin ist der Zeitraum vom 08.02.2006
bis 21.02.2007 aufgelistet. Die Beklagte führte hierzu aus: "Die Zahlung der unten genannten Leistung wurde eingestellt. Grund:
Sie erhalten hierzu weitere Nachricht." (Bl. 70 der SG-Akte).
Weitere Schreiben oder Bescheide der Beklagten vom 21.02.2008 gibt es nicht.
Am 06.03.2008 erließ die Beklagte einen als "Erstattungsbescheid" bezeichneten Bescheid. Darin führte sie wörtlich aus: "Sie
haben Arbeitslosengeld gemäß §
117 SGB III bis 21.02.2007 erhalten. Die Leistungsvoraussetzungen sind entfallen. Grund: Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Die
Bewilligung ist deshalb ab 01.07.2006 aufgehoben worden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. §
330 Abs.
3 SGB III), siehe Änderungs-/Aufhebungsbescheid vom 21.02.2008. 13.702,92 EUR sind zu viel gezahlt worden. Den Betrag in Höhe von 13.702,92
EUR müssen Sie nach § 50 SGB X erstatten." (Bl. 44 der SG-Akte).
Die Beklagte erließ ebenfalls am 06.03.2008 einen weiteren als "Erstattungsbescheid" bezeichneten Bescheid, in dem sie wörtlich
ausführte: "Gemäß §
335 Abs.
1 SGB III haben Sie der Agentur für Arbeit die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten, soweit Arbeitslosengeld gemäß
§
117 SGB III zurückgefordert worden ist. Der Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld gemäß §
117 SGB III wurde rückwirkend für die Zeit vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 aufgehoben, weil die Voraussetzungen für die Leistung weggefallen
sind. Die überzahlten Leistungen wurden zurückgefordert (Erstattungsbescheid vom 06.03.2008)." Die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
in Höhe von insgesamt 3.650 EUR seien vom Kläger zu erstatten. (Bl. 47 der SG-Akte).
Mit am 01.04.2008 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 30.03.2008 legte der Kläger Widerspruch gegen die Erstattung
zu viel gezahlter Leistungen ein.
Die Beklagte wies den Widerspruch in Bezug auf die Erstattung des Arbeitslosengeldes mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2008
(W 767/08) als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei während des Bezuges von Arbeitslosengeld im Zeitraum
vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 als Busfahrer zwischen Deutschland und Serbien tätig gewesen, was anhand der Tachoscheiben nachweisbar
sei. Nach der "gängigen Rechtsprechung" sei die Beklagte nicht verpflichtet, die einzelnen Arbeitstage bzw. Tage der Ortsabwesenheit
zu ermitteln, wenn der Kläger ständig während des Leistungsbezuges tageweise beschäftigt oder ortsabwesend gewesen sei. Die
Rückforderung stütze sich auf § 45 Abs. 2 SGB X. In diesen Fällen sei der Bewilligungsbescheid gemäß §
330 Abs.
2 SGB III von Anfang an zurückzunehmen. Die bereits gezahlten Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 SGB X in der geltend gemachten Höhe zu erstatten (Bl. 56 der Verwaltungsakte).
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 16.04.2008 (W 768/08) wies die Beklagte den Widerspruch in Bezug auf die Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als unbegründet
zurück. Zur Begründung führte sie aus, da die Bewilligung mit Bescheid vom 06.03.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 16.04.2008 mit der Nummer W 767/08 zurückgenommen worden sei, sei es nicht zu beanstanden, dass die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurückgefordert
worden seien (Bl. 59 der Verwaltungsakte). Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 15.07.2008 beantragte der Kläger die Überprüfung wegen der Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
im Zeitraum vom 01.07.2006 bis 21.02.2007. Zur Begründung trug er vor, er habe für die Hilfeleistung als Fahrer kein Entgelt
bekommen. Zudem sei er stets erreichbar gewesen und habe jeden Termin pflichtbewusst wahrgenommen.
Mit Bescheid vom 24.07.2008 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Eine Überprüfung des Bescheides vom 06.03.2008
habe ergeben, dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei (Bl. 71 der Verwaltungsakte). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Der Kläger wurde am 09.04.2009 vom Amtsgericht Göppingen wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen à
20 EUR verurteilt. Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren wegen des Verdachts des Betruges zum Nachteil der Beklagten
wurde in der Hauptverhandlung am 09.04.2009 gemäß §
154 StPO eingestellt (Urteil des Amtsgerichts Göppingen vom 09.04.2009; Geschäftsnr.: 9 Ds 34 Js 4675/08).
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 06.05.2009 beantragte der Kläger unter Berufung auf die Aktenzeichen W 767/08 und W 768/08 und die Einstellung des Strafverfahrens sinngemäß die Überprüfung der Bescheide vom 06.03.2008 in der Fassung der Widerspruchsbescheide
vom 16.04.2008. Zur Begründung führte er aus, die von der Beklagten angeführten Aufhebungsgründe hätten tatsächlich nicht
vorgelegen, weshalb dem Kläger für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis 21.02.2007 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zustehe (Bl.
73 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 06.07.2010 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Überprüfung
des Bescheides vom 06.03.2008 habe ergeben, dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei. Die Beklagte verwies auf die Begründung
im Bescheid vom 24.07.2008 und führte weiter aus, an dem Ermittlungsergebnis des Hauptzollamtes Ulm habe sich durch das Urteil
des Amtsgerichts Göppingen nichts geändert. Die Beklagte gehe weiterhin davon aus, dass der Kläger 2006 und 2007 nahezu jedes
Wochenende als Busfahrer im Linienverkehr zwischen Deutschland und Serbien unterwegs gewesen sei, was einer Tätigkeit von
mehr als 15 Stunden pro Woche entspreche (Bl. 85 der Verwaltungsakte).
Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen Widerspruch ein, welchen die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2010 als unbegründet zurück wies (Bl. 92 der Verwaltungsakte).
Dagegen erhob der Kläger am 30.08.2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG). Zur Begründung wiederholte er seinen Vortrag aus den Verwaltungsverfahren und führte vertiefend aus, aus den Ermittlungsergebnissen
des Hauptzollamtes lasse sich eine wöchentliche Tätigkeitzeit von mindestens 15 Stunden nicht entnehmen. Dem Kläger stehe
im Zeitraum zwischen Februar 2006 und Februar 2007 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu. Zu berücksichtigen sei allenfalls
ein Ruhen des Anspruchs für den Zeitraum bis 30.06.2006 wegen des Erhalts einer Entlassungsentschädigung.
Nach Beiziehung der Akten des Hauptzollamtes Ulm (Geschäftszeichen SV 3300-EV 157/08), des Finanzamtes S. -Steuerfandung-
(Aktenzeichen StfL 207/2007) und der Staatsanwaltschaft Ulm (Aktenzeichen S 34 Js 4675/08) hob das SG mit Urteil vom 30.04.2014 den Bescheid der Beklagten vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2010
auf und verpflichtete die Beklagte, die Bescheide vom 06.03.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.04.2008 (W 767/08, W 768/08) zurückzunehmen. Zur Begründung führte das SG im Wesentlichen aus, die Beklage habe mit den Bescheiden vom 06.03.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.04.2008
lediglich die Erstattung von Arbeitslosengeld sowie der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.07.2006
bis 21.02.2007 verfügt, nicht jedoch die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab dem 01.07.2006. Eine Aufhebung
der Bewilligung des Arbeitslosengeldes sei auch nicht mit anderen Bescheiden verfügt worden. Somit seien die Voraussetzungen
des § 50 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt, weshalb das Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 nicht zu erstatten sei. Dasselbe gelte
für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien erfüllt, weshalb die Beklagte verpflichtet sei, die Erstattungsbescheide vom 06.03.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 16.04.2008 zurückzunehmen.
Gegen das der Beklagten am 19.05.2014 zugestellte Urteil hat diese am 10.06.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg
(LSG) eingelegt. Zur Begründung ihrer Berufung führt sie aus, es könne bei Fehlen eines Korrekturbescheides der Korrekturbescheid
konkludent in der Rückforderung gesehen werden, sofern die Voraussetzungen der Korrekturnorm erfüllt seien und der Wille der
Behörde zur Abänderung der ursprünglichen Entscheidung erkennbar werde. In der Geltendmachung der Rückforderung könne unter
Umständen gleichzeitig die Aufhebung (Rücknahme) des leistungsbewilligenden Verwaltungsaktes gesehen werden, insbesondere
dann, wenn die Verwaltung durch den Gesamtzusammenhang der Darstellung im Bescheid ihren Willen zum Ausdruck bringe, nicht
mehr am Bewilligungsbescheid festhalten zu wollen. Hierzu beruft sie sich auf die Kommentierung im Beck'schen Online-Kommentar
zum SGB X sowie im Kasseler Kommentar und auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29.10.1992 - 10 RKg 4/92 - ; Die Beklagte habe im Bescheid vom 06.03.2008 eindeutig ihren Willen zum Ausdruck gebracht, an dem Bewilligungsbescheid
vom 14.06.2006 nicht mehr festhalten zu wollen. Die im Anhörungsschreiben vom 21.02.2008 angekündigte Entscheidung über die
Aufhebung und Erstattung nach Aktenlage sei mit Bescheid vom 06.03.2008 unmissverständlich erfolgt. Die gewählte Formulierung
"ist aufgehoben worden" im Bescheid vom 06.03.2008 führe entgegen der Auffassung des SG zu keinem anderen Ergebnis. Auch der Verweis auf den Änderungs-/Aufhebungsbescheid vom 21.02.2008, bei dem es sich um eine
Leistungsmitteilung handele, ändere hieran angesichts der eindeutigen Willensbekundung mit Verweis auf die einschlägigen Rechtsgrundlagen
im Erstattungsbescheid nichts. Der Kläger habe keinesfalls mehr davon ausgehen können, dass die Beklagte von der Aufhebung
und Erstattung habe absehen wollen. Insofern habe die Beklagte folgerichtig in ihren Widerspruchsbescheiden vom 16.04.2008
(wegen: Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Erstattung von Leistungen) die Widersprüche als unbegründet zurückgewiesen
und habe nicht nochmals eine Aufhebung verfügen müssen. Der Kläger habe dies offensichtlich auch so verstanden und gegen die
Widerspruchsbescheide keine Rechtsbehelfe eingelegt. Ferner liege die Beweislast hinsichtlich des Umfangs der selbständigen
Tätigkeit des Klägers im vorliegenden Zugunstenverfahren beim Kläger.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30.04.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf den erstinstanzlichen Vortrag und die Ausführungen im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30.04.2014.
Bei einer Aufhebung und Erstattung handele es sich um zwei verschiedene Verwaltungsakte, die auch in einem Schreiben erfolgen
könnten, was auch die Beklagte regelmäßig so handhabe. Im Anhörungsschreiben vom 21.02.2008 habe die Beklagte lediglich eine
Entscheidung über die Aufhebung und Erstattung einer Leistung angekündigt. Trotz der konkreten Ankündigung habe die Beklagte
dann aber im Bescheid vom 06.03.2008 nur einen Erstattungsbescheid erlassen. Eine Aufhebung des zugrunde liegenden Bewilligungsbescheides
sei nicht erfolgt. Die fehlende Aufhebung könne auch nicht konkludent im Erstattungsbescheid gesehen werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Bl. 23 und 46 der Senatsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligen wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten,
die Akte des SG Ulm sowie die Prozessakte des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §§
143,
144 SGG zulässig, aber nicht begründet.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2010 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, ihre beiden Bescheide vom 06.03.2008
jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2008 zurückzunehmen. Das SG hat mit Urteil vom 30.04.2014 zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.07.2010 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Bescheide vom 06.03.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 16.04.2008 zurückzunehmen.
Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2010 ist
§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X, der im Fall von Rückforderungen von Sozialleistungen analog anzuwenden ist (zuletzt BSG, Urteil vom 13.02.2014 - B 4 AS 19/13 R- [...] RdNr. 14 m.w.N.; Waschull in LPK - SGB X, 3. Aufl., § 44 RdNr. 13).
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit
zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes
unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen.
Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller
bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m. w. H.).
Aus den Entscheidungen des 9. und des 4. Senats des BSG (BSG vom 3. Februar 1988 - 9/9a RV 18/86 - BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr. 33 und BSG vom 3. April 2004 - B 4 RA 22/00 R - BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr. 20), die in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. §§
578 ff der
Zivilprozessordnung) oder an § 51 VwVfG ein abgestuftes Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder Erkenntnisse - Prüfung derselben, insbesondere ob sie erheblich
sind - Prüfung, ob Rücknahme zu erfolgen hat - neue Entscheidung) fordern, folgt nichts Anderes. Unabhängig von der Frage,
inwieweit der Rechtsprechung zu einem abgestuften Prüfungsverfahren gefolgt werden kann, ist insbesondere darauf hinzuweisen,
dass § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen anführt, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder
es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann
es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren, wie oben dargestellt, ankommen. Bei der
ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten
des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (vgl.
BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).
Vorliegend geht der Senat nicht davon aus, dass die Beklagte einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der sich als unrichtig
erweist, jedoch hat sie das Recht unrichtig angewandt.
Es ist aufgrund der aktenkundig gewordenen Beweisergebnisse des Hauptzollamts hinreichend überzeugend, dass die Beklagte vom
Nachweis ausgehen durfte, dass der Kläger tatsächlich nahezu jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag im Linienverkehr zwischen
Deutschland und Serbien als Busfahrer unterwegs gewesen ist und damit zu Beginn des Rückforderungszeitraums am 06.02.2006
eine Tätigkeit von über 15 Stunden pro Woche ausgeübt hat, so dass er bereits aus diesem Grund keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld
hat (vgl. §
119 Abs.
1 Satz 1 und Abs.
3 Satz 1
SGB III in der hier gültigen Fassung vom 23.12.2003). Selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Wochenstundenzahl sich reduziert
hätte, wäre mangels erneuter persönlicher Arbeitslosmeldung der Bezug von Leistungen ab diesem Zeitpunkt von der alten Arbeitslosengeldbewilligung
nicht gedeckt. Eine regelmäßige mindestens 15 Stunden pro Woche dauernde Beschäftigung des Klägers im streitgegenständlichen
Zeitraum vom 06.02.2006 bis 21.02.2007 ist auch nicht deshalb zweifelhaft, weil zu dem vom Hauptzollamt mitgeteilten Fahraufträgen
zu dem Fahrzeug mit dem Kennzeichen NP-554-24 an den Freitagen am 03.02.2006 und 10.02.2006 keine Lenkzeiten ermittelt sind.
Aus den aktenkundlichen Fahraufträgen vom 23.06.2006 und 05.01.2007 an den Kläger sind für die 3-tägigen Fahrten über das
Wochenende nach Zielorten in Serbien ebenfalls keine Lenkzeiten ermittelt. Die Tatsache der Linienfahrten über das Wochenende
hat der Kläger auch anfänglich selbst nicht bestritten. Aus den der Beklagten vom Hauptzollamt Ulm mit Schreiben vom 18.02.2008
übermittelten Auswertung aufgefundener Schaublätter (Tachoscheiben) bzw. Fahraufträge für den Kläger (vgl. Bl. 44 bis 46 der
Verwaltungsakte) ergeben sich im streitgegenständlichen Zeitraum darüberhinaus folgende Lenkzeiten: Vom 20.-22.10.2006 insgesamt
11,75 Stunden, am 28.01.2007 insgesamt 5,25 Stunden, am 29.01.2007 3,25 Stunden, am 02.02.2007 3,25 Stunden, am 03.02.2007
2,25 Stunden, am 04.02.2007 6,75 Stunden, am 05.02.2007 1,25 Stunden, am 08.02.2007 6,5 Stunden, am 09.02.2007 5 Stunden und
am 11.02.2007 8,75 Stunden. Grundsätzlich sind Ruhezeiten, Wartezeiten oder Bereitschaftsdienst, was insbesondere bei Fahrten
ins Ausland gelten muss, Arbeitszeiten. Damit dürfte eine regelmäßige mindestens 15 Stunden pro Woche andauernde Beschäftigung
des Klägers bereits zu Beginn des Rückforderungszeitraums hinreichend nachgewiesen sein. Umstände, die jedenfalls rückschauend
eine andere Schlussfolgerung zulassen, sind vom Kläger auch nicht vorgetragen. Einen Beweis dafür, dass ein unrichtiger Sachverhalt
unterstellt worden ist, hat der Kläger nicht erbracht.
Dies kann jedoch offenbleiben, da die Beklagte jedenfalls mit den Bescheiden vom 06.03.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 16.04.2008 das Recht im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X falsch angewandt hat.
Rechtsgrundlage für die Bescheide vom 06.03.2008 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 16.04.2008 ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Eine Erstattungsforderung
setzt mithin die Aufhebung eines entsprechenden Bewilligungsbescheides voraus. Vorliegend hat die Beklagte jedoch mit den
angefochtenen Bescheiden vom 06.03.2008 keine Aufhebung der ursprünglich mit Bescheid vom 14.06.2006 verfügten Bewilligung
von Arbeitslosengeld und den entsprechenden Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung vorgenommen, so dass dem Kläger
alleine wegen des nicht aufgehobenen bestandskräftigen Bewilligungsbescheides vom 14.06.2006 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld
zusteht.
Hierzu hat das SG ausführlich und zutreffend ausgeführt, dass bereits die ausdrückliche Bezeichnung der Bescheide vom 06.03.2008 als "Erstattungsbescheid"
gegen eine Aufhebungsentscheidung spricht. Die Beklagte hat dagegen nicht die ansonsten regelmäßig von ihr verwendete Bezeichnung
als "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid" gewählt. Weiter hat das SG zutreffend ausgeführt, dass nicht angenommen werden kann, dass die Beklagte in den Bescheiden vom 06.03.2008 entgegen der
ausdrücklich gewählten Bezeichnung die Aufhebung der Bewilligung zumindest für die Zeit vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 verfügen
wollte. Denn die Beklagte hat in dem Bescheid vom 06.03.2008, mit welchem sie die Erstattung des Arbeitslosengeldes geltend
machte, die Formulierung gewählt, "die Bewilligung ist deshalb ab dem 01.07.2006 aufgehoben worden". Demgegenüber hat die
Beklagte ausdrücklich nicht formuliert, "die Bewilligung des Arbeitslosengeldes wird aufgehoben". Aufgrund der gewählten Vergangenheitsform
ist davon auszugehen, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheides von einer (vermeintlich) bereits verfügten Aufhebung der
Leistungsbewilligung ausgegangen ist. Diese Ansicht wird insbesondere durch den Verweis auf einen - nicht existenten - Änderungs/Aufhebungsbescheid
vom 21.02.2008 gestützt. Daran ändert auch der Umstand, dass die Beklagte in dem Bescheid vom 06.03.2008 auch auf § 48 SGB X Bezug nahm angesichts dieser Gesamtumstände nichts. Vielmehr stellt sich dies lediglich als Ergänzung zur Verweisung auf
den vermeintlichen Bescheid vom 21.02.2008 dar. Weiter hat das SG zutreffend ausgeführt, dass sich aus dem Erstattungsbescheid vom 06.03.2008 betreffend die Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
auch nichts anderes ergibt. Auch hier ist lediglich darauf hingewiesen worden, dass die Bewilligung des Arbeitslosengeldes
für die Zeit vom 01.07.2006 bis 21.02.2007 aufgehoben "wurde". Die Beklagte hat hier ebenfalls die Vergangenheitsform gewählt.
Ferner hat sie ausgeführt, "die überzahlten Leistungen wurden zurückgefordert (Erstattungsbescheid vom 06.03.)". Auch hiermit
hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem ersten Bescheid vom 06.03.2008 lediglich eine Erstattung verfügen wollte.
Eine Aufhebung hat die Beklagte auch nicht in den Widerspruchsbescheiden vom 16.04.2008 verfügt. Die Beklagte hat damit lediglich
die Widersprüche als unbegründet zurückgewiesen. Eine ausdrückliche Formulierung, dass das Arbeitslosengeld nunmehr für die
Vergangenheit aufgehoben wird, enthalten die Bescheide darüber hinaus auch in den Entscheidungsgründen nicht. Die Benennung
des § 45 SGB X genügt hierfür nicht.
Ferner hat die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes auch nicht mit anderen Bescheiden verfügt. Insbesondere
hat die Beklagte entgegen der Angabe im Erstattungsbescheid unter dem 21.02.2008 keinen Aufhebungsbescheid erlassen. Vielmehr
hat sie unter diesem Datum lediglich zwei Anhörungsschreiben bzw. einen "Leistungs-/Entgeltnachweis" erstellt. Der Aufhebungsbescheid
vom 22.02.2007, welchen die Beklagte im Übrigen ausdrücklich als solchen bezeichnete, bezieht sich lediglich auf die Zeit
ab dem 22.02.2007, nicht aber auf die hier streitgegenständliche davor liegende Zeit.
Diesen Ausführungen des SG schließt sich der Senat aufgrund eigener Überprüfung und zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß §
153 Abs.
2 SGG insoweit an.
Lediglich ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen bleibt folgendes auszuführen:
Zwar ist der Beklagten insofern Recht zu geben, als ein fehlender Korrekturbescheid konkludent in einer Rückforderung gesehen
werden kann, sofern die Voraussetzungen der Korrekturnorm erfüllt sind und der Wille der Behörde zur Abänderung der ursprünglichen
Entscheidung erkennbar wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dem von der Beklagten zitierten Urteil vom
29.10.1992 - 10 RKG 4/92 -; [...] Rn. 23 kann es wie vorliegend bei einem Rückforderungsbescheid nach § 50 Abs. 1 SGB X gerechtfertigt sein, in der Geltendmachung einer Rückforderung regelmäßig die entsprechende Rücknahme des leistungsbewilligenden
Verwaltungsaktes zu sehen, insbesondere dann, wenn die Verwaltung ihren Willen zum Ausdruck bringt, an dem Bewilligungsbescheid
nicht mehr festhalten, ihn also beseitigen zu wollen.
Vorliegend ergibt sich jedoch gerade aus der Formulierung der Bescheide vom 06.03.2008 und der Gesamtschau, dass eine (konkludente)
Aufhebung der mit Bescheid vom 14.06.2006 erfolgten Bewilligung von Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung
durch die Bescheide vom 06.03.2008 eben gerade nicht erfolgt ist. Zunächst zeigt die eindeutige Formulierung in dem Bescheid
vom 06.03.2008, mit dem die Erstattung von Arbeitslosengeld geltend gemacht wird, dass die Beklagte selbst davon ausgeht,
dass dieser Bescheid gerade keine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 14.06.2006 enthält. Zunächst ist wie vom SG bereits zu Recht ausgeführt der Bescheid klar und eindeutig als Erstattungsbescheid und eben gerade nicht als Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid bezeichnet. Zudem formuliert die Beklagte in dem Bescheid "die Bewilligung ist deshalb ab 01.07.2006
aufgehoben worden, siehe Änderungs-/Aufhebungsbescheid vom 21.02.2008." Diese Formulierung zeigt, dass die Beklagte selbst
davon ausgeht, dass eine Aufhebung mit einem gesonderten Bescheid und eben gerade nicht mit dem Bescheid vom 06.03.2008 bereits
erfolgt ist. Dass es sich dabei um eine irrige Annahme handelt, da es keinen Aufhebungsbescheid vom 21.02.2008 gibt, sondern
lediglich einen "Leistungsnachweis/Entgeltbescheinigung", welcher aber auch keine Aufhebung beinhaltet, ändert daran nichts.
Ferner ist der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 14.06.2006 in dem Bescheid vom 06.03.2008 nicht erwähnt, was auch gegen
eine Aufhebung der mit dem Bescheid vom 14.06.2006 erfolgten Bewilligung von Arbeitslosengeld und den entsprechenden Beiträgen
zur Kranken- und Pflegeversicherung spricht.
Auch das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 21.02.2008 zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattung enthält keine Aufhebung
des Bescheids vom 14.06.2006.
Schließlich enthalten auch die beiden Widerspruchsbescheide vom 16.04.2008 keine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung.
Zwar ist im Widerspruchsbescheid formuliert "wegen Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Erstattung von Leistungen".
Im Tenor des Widerspruchsbescheids (W 767/08) wird der Widerspruch lediglich als unbegründet zurückgewiesen. Auch den Entscheidungsgründen kann keine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung
entnommen werden. Der bloße Bezug auf § 45 Abs. 2 SGB X genügt nach Auffassung des Senats in der Zusammenschau insbesondere auch mit der Formulierung des Bescheids vom 06.03.2008
nicht.
Nach alledem hat die Beklagte nach Auffassung des Senats weder eine ausdrückliche noch insbesondere eine konkludente Aufhebung
der Bewilligungsentscheidung vom 14.06.2006 verfügt. Damit kann sie auch keine Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X geltend machen, da diese eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung voraussetzt. Folglich hat die Beklagte bei Erlass der
Erstattungsbescheide vom 06.03.2008 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 16.04.2008 das Recht unrichtig angewandt,
weswegen diese Bescheide gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zwingend zurückzunehmen sind.
Der Anspruch auf eine Zugunstenentscheidung ist auch nicht nach den auch im öffentlichen Recht anzuwendenden Grundsätzen von
Treu und Glauben gemäß §
242 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) ausgeschlossen. Grundsätzlich fehlt das schutzwürdige Interesse an der Geltendmachung eines Rechts, wenn das Verlangte alsbald
wieder zurückzugewähren ist (Grundsatz der Pflicht zur alsbaldigen Rückgewährung: "dolo agit, qui petit, quod statim redditurus
est"), d.h. vorliegend, wenn die Beklagte im Nachhinein einen Aufhebungsbescheid erlassen und hierauf gestützt erneut die
Leistungen zurückfordern könnte. Der allein wegen des unterbliebenen Aufhebungsbescheids rechtswidrige Rückforderungsbescheid
der Beklagten ist aber nicht durch Nachholen des Aufhebungsbescheids durch einen neuen Bescheid zu ersetzen. Die von Anfang
an rechtswidrigen Bewilligungsbescheide vom 14.06.2006 können nicht mehr innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zurückgenommen werden, da diese mit dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 21.02.2008 zur möglichen Aufhebung, spätestens
jedoch mit Darstellung der Sachlage mit Widerspruch des Klägers vom 01.04.2008 zu laufen begonnen hat, und daher bereits abgelaufen
ist.
Die Jahresfrist ist auch nicht im Hinblick auf das Erkennen der Umstände, die zur Rechtswidrigkeit geführt haben, zu bestimmen.
Zwar hat bislang die Annahme der Beklagten, es läge ein Aufhebungsbescheid vor, den Erlass eines Aufhebungsbescheids verhindert.
Jedoch wird die Jahresfrist nicht erst mit der erkennbaren rechtlichen Würdigung der Gesamtumstände durch die Beklagte in
Gang gesetzt (streitig, vgl. Darstellung des Streitstandes durch Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 45 Rn. 84), da der Wortlaut des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X von "Kenntnis der Tatsachen" und nicht von "Kenntnis der Rechtswidrigkeit" spricht. Die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden
Verwaltungsaktes ist zwar eine Voraussetzung für die Rücknahme nach § 44 und § 45 SGB X, jedoch keine Tatsache im Sinne von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Auch dürfte schwer feststellbar sein, wann sich die Behörde der Rechtswidrigkeit bewusst geworden ist. Schließlich erscheint
es nicht geboten, der Behörde nach Feststellung aller für die Rücknahme erheblichen Umstände noch ein Jahr lang die Entscheidung
über die Rücknahme zu ermöglichen, d.h. eine reine Entscheidungs- nicht Handlungsfrist anzunehmen (so überzeugend Schütze,
a.a.O. § 45 Rn. 82-87). Hierauf kommt es bei der gegebenen Sachlage aber insoweit nicht an als die Beklagte weder die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 45 SGB X noch die Rechtslage falsch eingeschätzt hatte, sondern vielmehr lediglich davon ausgegangen war, den Aufhebungsbescheid bereits
erlassen zu haben. Das "Vergessen" eines Aufhebungsbescheids ist aber keine rechtliche Würdigung im Zusammenhang mit dem Erlass
des Aufhebungsbescheids - allenfalls eine fehlerhafte Würdigung beim Erlass des streitigen Erstattungsbescheids - , was die
Jahresfrist für die Aufhebungsentscheidung jedoch nicht beeinflusst.
Folglich ist die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nach Auffassung des Senats bereits abgelaufen, weshalb dem Anspruch des Klägers auf eine Zugunstenentscheidung auch nicht
der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht.
Ein treuwidriges Verlangen einer Zugunstenentscheidung gemäß § 44 SGB X ist auch nicht aus anderen Gründen abzuleiten. Zwar ist Ziel des § 44 SGB X, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit
zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ob daher auch eine (nur) formale Rechtswidrigkeit in den Fällen des § 44 SGB X eine Aufhebung des (formal) rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigt (so Waschull in LPK - SGB X, 3. Aufl., § 44 Rnr. 29), obwohl § 44 SGB X auf die Herstellung der materiellen Rechtslage abstellt und vorliegend dem Kläger das gezahlte Alg tatsächlich nicht zustand,
mag offen bleiben. Zunächst stellt der Wortlaut der Regelung allein auf die Rechtswidrigkeit ohne Unterscheidung von formeller
und materieller Rechtswidrigkeit ab. Auch geht es vorliegend nicht um bloße Formverstöße, wie Anhörungsfehler etc., sondern
um das Fehlen eines Aufhebungsbescheids. Denn mit der Regelung des § 50 Abs. 1 SGB X können Leistungen nur erstattet verlangt werden, soweit der gesetzesvollziehende Hoheitsakt für die Leistung, hier der Alg-Bewilligungsbescheid
der Beklagten, wegen Aufhebung oder Rücknahme keine Wirksamkeit i.S. des § 39 Abs. 2 SGB X mehr entfaltet. Diese durch Verwaltungsakt gestaltete, aus § 50 SGB X folgende Rechtslage ergibt die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für den Empfang und das Behaltendürfen der gewährten
Leistung. Solange dieser Rechtsgrund fortbesteht, widerspricht der von der Behörde geltend gemachte Erstattungsanspruch materiellem
Recht.
Der Bescheid vom 06.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2010, mit dem die Beklagte eine Rücknahme ablehnt,
ist mithin rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weswegen das SG diese Bescheide zu Recht aufgehoben und die Beklagte verpflichtet hat, die Erstattungsbescheide vom 06.03.2008 in der Fassung
der Widerspruchsbescheide vom 16.04.2008 zurückzunehmen.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe die Zulassung der Revision liegen nicht vor.