Übernahme der für ein Gutachten verauslagten Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren durch die Staatskasse
Gründe:
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Bf.) begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach
§
43 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) über den 31. Dezember 2007 hinaus, die die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 31. März 2008 abgelehnt hatte. Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hat das Sozialgericht München vom Amts wegen ein
Gutachten des Orthopäden Dr. T. vom 12. August 2008 eingeholt, der ein Leistungsvermögen des Bf. für leichte körperliche Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes ab 1. Januar 2008 von acht Stunden täglich angenommen hat. Dabei seien betriebsübliche Pausen
ausreichend. Insgesamt bestehe nur eine mäßige Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule (LWS) bei relativ insuffizienten
LWS-Muskulaturen.
Der auf Antrag des Bf. nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gehörte Orthopäde Prof. Dr. D. hat die Diagnosen des Vorgutachters im Wesentlichen bestätigt und ist in seinem Gutachten
vom 23. Februar 2009 ebenfalls zu keiner quantitativen Leistungsminderung des Bf. gelangt; leichte Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes könnten grundsätzlich noch sechs Stunden täglich verrichtet werden. Bei einer leichten Tätigkeit mit Wechsel
zwischen Gehen, Stehen und Sitzen seien keine über das normale Maß hinausgehenden Pausen notwendig.
Das Sozialgericht hat daraufhin die Klage mit Urteil vom 15. Oktober 2009 abgewiesen. Sowohl Dr. T. als auch Prof. Dr. D.
seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bf. zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
sechs Stunden und mehr verrichten könne. Hiergegen ist eine Berufung des Bf. anhängig, zu deren Begründung sich dieser vor
allem auf die Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen berufen hat. Er habe derzeit einen Schonarbeitsplatz inne; auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt wäre er "chancenlos".
Mit Beschluss vom 4. Februar 2010 hat das Sozialgericht ferner einen Antrag auf Übernahme der Kosten für das Gutachten von
Prof. Dr. D. nach §
109 SGG auf die Staatskasse abgelehnt. Dieses Gutachten habe keine neuen Erkenntnisse erbracht und damit nichts zur Sachaufklärung
beigetragen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Bf. damit begründet, dass der Sachverständige sein Gutachten grundlegend hätte
revidieren müssen, wenn das Sozialgericht seinem Antrag auf Anhörung des Gutachters gefolgt wäre. Das Gericht hätte dann seiner
Klage stattgeben müssen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Kosten einer Begutachtung nach §
109 SGG von dem Antragsteller zu tragen sind, steht im Ermessen des Gerichts. Die Ermessensentscheidung ist im Beschwerdeverfahren
beschränkt darauf nachprüfbar, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten sind.
Die Übernahme der für ein Gutachten nach §
109 Abs.
1 SGG verauslagten Kosten auf die Staatskasse im Wege einer "anderen Entscheidung" ist gerechtfertigt, wenn das Gutachten die Aufklärung
objektiv gefördert hat und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung gewonnen hat. Dabei spielt weder der Ausgang
des Verfahrens noch die Frage eine Rolle, ob das Gutachten die Erledigung des Rechtsstreits ohne Urteil gefördert und damit
dem Rechtsfrieden gedient hat. Entscheidend ist vielmehr, ob durch das Gutachten beispielsweise neue beweiserhebliche Gesichtspunkte
zu Tage getreten sind oder die Leistungsbeurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Prozessbeteiligten
überzeugendere Grundlage gestellt wurde.
Diese Voraussetzungen liegen bei dem Gutachten des Prof. Dr. D. vom 23. Februar 2009 nicht vor. Bereits der gemäß §
106 SGG gehörte Gutachter Dr. T. hat in seinem Gutachten einen umfassenden Untersuchungsbefund erstellt und eine schlüssige Beurteilung
des medizinischen Sachverhaltes vorgenommen. Wesentliche Abweichungen in der Diagnose und der grundsätzlichen Leistungsbeurteilung
ergeben sich zwischen diesen beiden Gutachten nicht. Wie Prof. Dr. D. unternahm auch Dr. T. bereits umfangreiche Untersuchungen
einschließlich der Anfertigung von Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule. Insgesamt schloss sich Prof. Dr. D. in der Leistungsbeurteilung
ausdrücklich dem Vorgutachter Dr. T. an.
Weitgehende Übereinstimmung besteht auch, dass zusätzliche, betriebsunübliche Pausen nicht erforderlich sind. Dr. T. hat in
seinem Gutachten dargelegt, dass leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes "mit den betriebsüblichen
Pausen vollschichtig" verrichtet werden können. Prof. Dr. D. ist ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass "bei einer eher leichten
Tätigkeit mit Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen keine über das normale Maß hinausgehenden Pausen notwendig" sind.
Auch wenn das Gutachten des Prof. Dr. D. als sorgfältig und überzeugend anzusehen ist, sind dadurch keine neuen beweiserheblichen
Gesichtspunkte zu Tage getreten. Soweit der Bf. hinsichtlich des Gutachtens noch Erläuterungsbedarf gesehen hat, betrifft
dieser vor allem eine angebliche Diskrepanz zu dem in einem früheren sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten des
Dr. W., der eine Ruhepause von 30 Minuten bei einem Leistungsvermögen von sechs bis unter acht Stunden für erforderlich gehalten
hat. Dies entspricht jedoch einer betriebsüblichen Pause (vgl. § 5 Abs. 2 der Arbeitszeitverordnung). Auch der weitere Einwand des Bf., Prof. Dr. D. möge sich dazu äußern, "was er unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses
Arbeiter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt versteht", stellt eine rechtliche Bewertung dar. Der Sachverständige hat hierzu
im Übrigen dargelegt, dass leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen möglich sind; nur längeres
Gehen über eine Stunde, Stehen über eine Stunde oder Sitzen über eine Stunde sind danach ohne Pausen nicht zumutbar. Es bestehen
auch keine Einschränkungen für das Arbeiten im Freien; Tätigkeiten in nasser Kälte sollten jedoch wegen der Gefahr der Verstärkung
von Schmerzen bei Wirbelsäulenpatienten vermieden werden. Damit hat der Gutachter in seinem Gutachten ein klares Bild der
noch zumutbaren Tätigkeiten gezeichnet. Im Ergebnis kann der Senat jedoch offen lassen, ob die Einwendungen des Bf. gegen
das Gutachten eine Anhörung gerechtfertigt hätten, da sich aus den gestellten Fragen nicht ergibt, dass bei Beantwortung durch
das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten wären oder die Leistungsbeurteilung auf eine wesentlich
breitere und für das Gericht und die Prozessbeteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden wäre.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar und ergeht kostenfrei (§
183 SGG).