Anspruch auf Gewährung von Halbwaisenrente; Früherer Rentenbeginn nach einem Beratungsfehler; Objektive Beweislast der Hinterbliebenen
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerinnen gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Halbwaisenrente
ab dem 01.01.2003 haben.
Die Klägerinnen sind die leiblichen Töchter des 1959 geborenen und seit Mai 1997 verschollenen Versicherten S.
Am 30.10.2007 beantragte die leibliche Mutter der Klägerinnen, Frau A., für , geb. 1987 (Kl. zu 2), und für , geb. 1995 (Kl.
zu 1), die Gewährung von Halbwaisenrente. Für war angegeben, dass sie sich seit 07.09.2007 bis voraussichtlich 31.07.2008
in Schulausbildung befinde. Zur Antragstellung war von der Beklagten vermerkt worden, dass Herr S. im April 1997 verschollen
sei. Frau A. sei von 1986 bis 1997 seine Lebenspartnerin gewesen. Im Mai 1997 habe Frau A. das letzte Mal etwas vom Versicherten
gehört, seitdem sei er verschollen. Frau A. habe den Versicherten für Tod erklären lassen wollen, jedoch seien seit seinem
Verschwinden noch keine 10 Jahre vergangen, deshalb sei die Todeserklärung zurückgestellt worden. Herr S. habe mit Frau A.
2 Töchter. Sie seien nicht verheiratet gewesen. Frau A. habe bisher keinen Antrag auf Waisenrente gestellt, da ihr bei ihrer
eigenen Rentenbeantragung gesagt worden sei, dass Herr S. erst für Tod erklärt werden müsste, damit ein Rentenanspruch für
die Kinder abgeleitet werden könne.
Mit Beschluss des Amtsgerichts A. - Zweigstelle D. - vom 23.03.2007 wurde der am 30.01.2007 von den Klägerinnen und A. gestellte
Antrag auf Todeserklärung des Herr S. zurückgewiesen, da seit dem Ende des Jahres, in dem der Verschollene nach den vorhandenen
Nachrichten noch gelebt habe, zehn Jahre noch nicht verstrichen seien. Der letzte persönliche Kontakt sei im Jahr 1997 gewesen.
Eine Todeserklärung sei nicht vor 2008 möglich.
Im Rahmen einer internen Prüfung stellte die Beklagte fest, dass Frau A. das letzte Lebenszeichen im Mai 1997 erhalten habe
und auch im Versicherungskonto des Versicherten seit 14.04.1997 keine weiteren Eintragungen mehr vorhanden seien. Auch das
Kreisjugendamt habe keine Kenntnis vom Verbleib des Versicherten. Es werde deshalb aufgrund des §
49 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) vom 31.05.1997 als mutmaßlichem Todeszeitpunkt ausgegangen. Mit Bescheid vom 20.11.2007 bewilligte die Beklagte der Kl.
zu 2 Halbwaisenrente ab dem 01.10.2007 in Höhe von monatlich 102,26 EUR, zunächst zeitlich befristet infolge der Schulausbildung
(Berufsschule) bis zum 31.07.2008 und mit Bescheid vom 13.11.2007 an die Kl. zu 1 ab dem 01.10.2006. Die Bescheide wurden
bestandskräftig.
Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts A. vom 15.04.2009 (Gz. 4 UR II 30/08) der Todeszeitpunkt des Herr S. auf den 31.12.2002, 24.00 Uhr festgestellt worden war, beantragte die Mutter der Klägerinnen
am 12.06.2009 die Überprüfung, ob sie für ihre beiden Kinder rückwirkend ab dem festgestellten Todestag 31.12.2002 Halbwaisenrente
gewährt bekommen könnte. Sie habe erst 2007 den Rentenantrag stellen können, da sie vorher noch keinen Nachweis über den Tod
hätte vorlegen können.
Am 10.06.2009 beantragte die Kl. zu 2 die Weiterzahlung der Waisenrente über den bisherigen Zeitraum hinaus, weil sie eine
Ausbildung zur Landwirtin aufnehmen wollte. Gleichzeitig wurde ein höherer Freibetrag u. a. wegen ihrer am 25.05.2004 geborenen
Tochter A. geltend gemacht. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 29.06.2009 weiterhin Halbwaisenrente in Höhe von 112,15
EUR monatlich.
Am 26.06.2009 teilte Frau A. der Beklagten mit, dass die Waisenrentenanträge erst 2007 gestellt worden seien, weil nach Auskunft
der A/B-Stelle A. Frau L./Herr P. ein Antrag erst nach 10 Jahren möglich sei. Diese Auskunft habe sie bei Vorsprache wegen
ihrer Erwerbsminderungsrente (vor ca. 7 Jahren) erhalten. Im Rahmen einer internen Befragung bei der Beklagten wurde von der
A/B-Stelle A. mit Schreiben vom 16.07.2009 mitgeteilt, dass Frau L. ebenso wie Herr P. vor 7 Jahren noch nicht in der A/B-Stelle
in A. gearbeitet hätten. Frau L. habe erst im Februar 2005 ihre Ausbildung beendet und sei damals noch in der A/B-Stelle N.
tätig gewesen. Sie sei damals auch noch nicht verheiratet gewesen und habe den Namen H. getragen. Sie sei erst ab 2005 in
A. gewesen. Ab dem 01.04.2006 sei ihr Dienstsitz nach A. verlegt worden. Sie sei bis 31.03.2008 Beraterin der DRV Bund gewesen
und habe fast ausschließlich Versicherte der DRV Bund beraten. Aus einer beigefügten Statistik könne entnommen werden, dass
Beratungen zum Fall Herr S. erst ab 2007 konkret erfasst seien. In einer gesonderten Stellungnahme vom 16.07.2009 erklärte
Herr P., dass er vor 7 Jahren auch nicht in A. tätig gewesen sei. Aus den Akten ergebe sich, dass Frau A. am 13.09.2002 Erwerbsminderungsrente
beantragt habe, er jedoch nicht Antragsannehmender gewesen sei. Deshalb habe er auch nichts zu einer Hinterbliebenenrente
wegen Verschollenheit erläutern können. Vor dem 13.10.2005 habe er mit Frau A. keinerlei Beratungen durchgeführt. Erst am
13.10.2005 habe er einen Weitergewährungsantrag für ihre eigene Erwerbsminderungsrente in der A/B-Stelle A. aufgenommen. Bei
diesem Termin sei nichts bezüglich der Verschollenheit des Herrn S. gefragt und deshalb seien hierzu auch keine Auskünfte
gegeben worden. Erstmalig am 10.06.2009 habe er wegen eines Weitergewährungsantrags einer Waisenrente mit diesem Fall zu tun
gehabt. Hierbei habe er Frau A. auf die Möglichkeit der Überprüfung hingewiesen und auch einen entsprechenden Antrag gestellt.
Mit Bescheid vom 24.07.2009, adressiert an Frau A., lehnte die Beklagte eine frühere Rentengewährung ab. Die Voraussetzungen
für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könnten nicht gesehen werden. Anhaltspunkte für eine Falschberatung im September
2002 lägen nicht vor. Die beiden benannten Mitarbeiter Frau L. und Herr P. hätten zu diesem Zeitpunkt nicht in A. gearbeitet.
Hiergegen legten die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen mit Schreiben vom 18.08.2009 Widerspruch mit der Begründung
ein, die Todeserklärung sei nachträglich durch das AG A. zum 31.12.2002 erfolgt. Die Klägerinnen müssten deshalb ab dem 31.12.2002
rückwirkend Rente erhalten. Ein Abweichen von der Ausschlussfrist des §
99 Abs
2 S 3
SGB VI sei hier gerechtfertigt.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 24.09.2009 stellte die Beklagte mit weiteren Bescheiden vom 20.10.2009 gegenüber der Kl. zu
1 und gegenüber der Kl. zu 2 die Halbwaisenrenten neu fest, da sich infolge des späteren Todeszeitpunktes eine kürzere Zurechnungszeit
ergeben habe. Die laufenden Halbwaisenrenten beliefen sich nur noch auf jeweils 79,30 EUR monatlich. Die beiden Bescheide
wurden nach §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens erklärt.
Aufgrund eines weiteren Bescheids vom 06.11.2009 wurde die Halbwaisenrente der Kl. zu 2 nochmals korrigiert, da der Zeitpunkt
der Aufnahme der Schulausbildung fehlerhaft auf den 01.10.2007 statt auf den 01.08.2007 festgestellt worden war. Es ergab
sich hieraus eine Nachzahlung für den Zeitraum vom 01.08.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von 161,87 EUR. Auch dieser Bescheid
wurde nach §
86 SGG zum Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens erklärt. Trotzdem erhoben die damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen
gegen die Bescheide vom 20.10.2009 und den Bescheid vom 06.11.2009 Widerspruch.
Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, dass die Kl. zu 2 am 31.01.2010 ihre Berufsausbildung zur Landwirtin vorzeitig abgebrochen
hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 04.05.2010 den Bescheid vom 20.10.2009 mit Wirkung zum Ablauf des Monats Januar 2010
nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und forderte von der Kl. zu 2 überzahlte Halbwaisenrente in Höhe von 237,90 EUR nach § 50 SGB X zurück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 wurde schließlich der Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.07.2009 in der Gestalt
der Bescheide vom 20.10.2009 und 06.11.2009 als unbegründet bzw. unzulässig zurückgewiesen. Aufgrund von §
49 SGB VI sei von einem mutmaßlichen Todestag am 31.05.1997 ausgegangen und unter Annahme dieses Leistungsfalles die Halbwaisenrenten
der Klägerinnen berechnet worden. Aufgrund des vom Amtsgericht A. festgesetzten Todeszeitpunktes, dem 31.12.2002, sei auf
den Antrag der Mutter der Klägerinnen die Rente neu berechnet worden. Dies habe aufgrund geänderter rentenrechtlicher Zurechnungszeiten
zu einer niedrigeren Rente geführt. Eine rückwirkende Rentengewährung könne nur auf der Grundlage des §
99 Abs
2 S 3
SGB VI erfolgen, der eine gesetzliche Ausschlussfrist beinhalte. Diese sei beachtet worden. Eine hiervon abweichende Rentengewährung
sei lediglich bei Vorliegen der Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs möglich. Diese seien aber nicht
nachgewiesen. Es sei nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht feststellbar, dass die Mutter der Klägerinnen
im September 2002 in der A/ B-Stelle in A. tatsächlich falsch beraten worden sein könnte. Die gegen die Bescheide vom 20.10.2009
und den Bescheid vom 06.11.2009 eingelegten Widersprüche seien unzulässig, da die Bescheide bereits zum Gegenstand des laufenden
Widerspruchsverfahrens erklärt gewesen seien.
Hiergegen haben die damaligen Prozessbevollmächtigten am 20.12.2010 für die Kl. zu 1 und am 21.12.2010 für die Kl. zu 2 Klage
zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, die zunächst unter den Aktenzeichen S 20 R 1547/10 und S 12 R 1554/10 geführt wurden. Zur Begründung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen darauf hingewiesen, dass eine rechtskräftige
Feststellung des Todeszeitpunktes erst am 15.04.2009 erfolgt sei. Danach habe die Mutter der Klägerinnen unverzüglich die
rückwirkende Bewilligung der Halbwaisenrente ab dem 01.01.2003 beantragt. Es sei eine unbillige Härte, wenn die Beklagte an
der Ausschlussfrist des §
99 Abs
2 S 3
SGB VI festhalte.
Mit Schreiben vom 24.01.2011 hörte die zwischenzeitlich für das Verfahren S 20 R 1547/10 zuständig gewordene Vorsitzende der 18. Kammer des SG die Beteiligten zu einer beabsichtigten Verbindung der beiden Klageverfahren "aus Gründen der Zweckmäßigkeit" an. Nachdem
die Beteiligten dies ebenfalls für zweckmäßig erachteten und auch die Vorsitzende der 12. Kammer ihr Einverständnis erklärt
hatte, wurden die beiden Klageverfahren mit Beschluss der 18. Kammer vom 16.02.2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbunden und unter dem Aktenzeichen S 18 R 1547/10 fortgeführt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2011 hat Frau A. angegeben, dass sie bereits im Jahr 2003 in der Beratungsstelle
in A. von einem Herrn auf Nachfrage, ob ihre Kinder nicht vielleicht eine Halbwaisenrente beziehen könnten, die Auskunft erhalten
habe, dass da "unter 10 Jahren nichts laufe". Sie habe damals dem Mitarbeiter der Beratungsstelle mitgeteilt, dass der Vater
der Töchter bereits seit 1997 verschollen sei. Sie selber sei in der Beratungsstelle zur Verlängerung ihrer Erwerbsminderungsrente
gewesen. An das genaue Datum könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie könne jedoch beschwören, dass sie diese Auskunft erhalten
habe. Nach Ablauf der 10 Jahre habe sie dann im Jahr 2007 erstmals einen Antrag auf Halbwaisenrente für ihre Töchter gestellt.
Die Klägerin A. gab an, dass sie ihre Mutter einmal zur Beratungsstelle begleitet habe, als sie ca. 20 Jahre alt gewesen sei.
Also hätte es ungefähr im Jahr 2006/ 2007 gewesen sein können. Dort hätten sie einen stämmigen Mann mittleren Alters gefragt,
ob ihnen auch eine Halbwaisenrente zustehen könnte. Dieser habe kurz geantwortet: "nicht unter 10 Jahren". Das Gespräch sei
äußerst kurz gewesen.
Das SG hat sodann mit Urteil vom 10.05.2011 die Klage abgewiesen. Streitig sei der Bescheid der Beklagten vom 24.07.2009 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010, mit welchem der Überprüfungsantrag der Klägerinnen mit dem Begehren, die Halbwaisenrente
bereits ab dem 01.01.2003 zu erhalten, abgelehnt worden sei. Die ursprünglichen Bewilligungsbescheide der Beklagten seien
bestandskräftig und könnten nur im Wege des § 44 SGB X korrigiert werden. Die Bewilligungsbescheide der Beklagten bezüglich der Hinterbliebenenrente der Klägerinnen seien rechtlich
nicht zu beanstanden. Die Mutter der Klägerinnen habe am 30.10.2007 einen Antrag auf Hinterbliebenenrente gestellt. Die Kl.
zu 2 habe zum damaligen Zeitpunkt bereits das 18. Lebensjahr vollendet gehabt und sich erst wieder ab dem 01.08.2007 in Berufsausbildung
befunden. Die Kl. zu 1 sei noch minderjährig gewesen, so dass die Gewährung von Halbwaisenrente unter Berücksichtigung des
§
99 Abs
2 S 3
SGB VI ihr gegenüber ab dem 01.10.2006 habe erfolgen können. Nach §
49 SGB VI habe die Beklagte wegen der Verschollenheit des Vaters den mutmaßlichen Todeszeitpunkt bestimmen müssen. Eine frühere Rentenbewilligung
komme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht gegeben seien. Der Nachweis
für eine fehlerhafte Beratung durch die Beklagte müsse von den Klägerinnen im Wege des Vollbeweises erbracht werden, was hier
nicht der Fall sei. Die Mutter der Klägerinnen sowie die Kl. zu 2 seien im Termin zur mündlichen Verhandlung nochmals eingehend
gehört worden. Bereits die Angaben von Mutter und Tochter widersprächen sich nachhaltig in den zeitlichen Angaben. Zum anderen
aber komme schon allein wegen § 44 Abs 4 SGB X ein Anspruch auf Halbwaisenrente ab dem 01.01.2003 nicht in Betracht.
Zur Begründung der hiergegen am 30.06.2011 beim SG Nürnberg eingelegten Berufung, die am 21.07.2011 zum Bayerischen Landessozialgericht
weitergeleitet wurde, tragen die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen nach gewährter Akteneinsicht vor, dass entgegen
der Ansicht des SG der Nachweis für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erbracht worden sei, da die Mutter der Klägerinnen und die
Klägerin zu 2 übereinstimmend ausgesagt hätten, dass eine Falschberatung durch die Beklagte erfolgt sei. Damit sei die fehlerhafte
Beratung durch die Beklagte nachgewiesen. Auf ein ausführliches Schreiben des Senats vom 22.09.2011 zur Frage des Nachweises
der Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches im vorliegenden Fall teilten die Prozessbevollmächtigten
der Klägerinnen im Schreiben vom 02.11.2011 mit, dass die Kl. zu 2 und deren Mutter "nunmehr übereinstimmend erklären, dass
sie entweder am 18.11.2003 oder am 08.03.2004 bei der Sozialbehörde in A. gewesen" seien. Der zuständige Sachbearbeiter der
Rentenstelle A., offensichtlich habe es sich hierbei um Herrn P. gehandelt, habe der Klägerin im Beisein ihrer Mutter erklärt,
es käme nichts dabei raus einen Antrag zu stellen, da vor Ablauf eines Zeitraums von mehr als 10 Jahren keine Leistung zu
erwarten sei. Zum Beweis hierfür würden "Frau A. sowie S. zu laden über die Klägerin und die Mutter der Kl. zu 2), Frau A.,
A-Straße, E., als Zeugen" benannt.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.05.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 24.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 24.11.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 20.11.2007 und 13.11.2007 zu verurteilen, den
Klägerinnen bereits ab dem 01.01.2003 Halbwaisenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.05.2011 zurückzuweisen.
Sie weist mit Schriftsatz vom 09.11.2011 auf die widersprüchlichen Angaben der Kl. zu 2 und ihrer Mutter in der mündlichen
Verhandlung des SG vom 10.05.2011 hin. Die nunmehr behaupteten Vorsprachetermine 18.11.2003 oder 08.03.2004 seien wohl unmittelbar aus der Beklagtenakte,
Bl 100, entnommen und würden nunmehr nach Ablauf einer Zeit von 7 bzw. 8 Jahren übereinstimmend erklärt.
In der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2014 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen angegeben, dass den Klägerinnen
und ihrer Mutter zur Sachverhaltsaufklärung Kopien der ihm vom Senat zur Einsicht überlassenen Akten mit nach Hause gegeben
worden seien. Diese seien dann nach 14 Tagen zu ihm gekommen und man hätte den Schriftsatz vom 02.11.2011 mit den von den
Klägerinnen vermuteten Besprechungsdaten gefertigt.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 SGG). Auch die von der 18. Kammer des SG mit Beschluss vom 16.02.2011 vorgenommene kammerübergreifende Verbindung der Streitsachen ist nach §
113 SGG zulässig, da es sich bei beiden Klageverfahren um Streitigkeiten aus der gesetzlichen Rentenversicherung handelt und die
funktionelle Zuständigkeit des §
12 SGG nicht tangiert wird. Durch die kammerübergreifende Verbindung wird lediglich die Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichts
verändert, was aber mit der vorliegenden Zustimmung der Verfahrensbeteiligten und auch der Vorsitzenden der 12. Kammer rechtlich
nicht zu beanstanden ist.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klägerinnen haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Halbwaisenrente
bereits ab dem 01.01.2003.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, dass es in dem Verfahren
ausschließlich um die Frage geht, ob infolge der amtlichen Todeserklärung des Vaters der Klägerinnen zum 31.12.2002 ein Halbwaisenrentenanspruch
der Klägerinnen bereits ab dem 01.01.2003 besteht. Die während des laufenden Widerspruchsverfahrens von der Beklagten erlassenen
weiteren Bescheide, die sich mit der Höhe der laufenden Rente beschäftigten, würden nicht angegriffen. Es kann somit dahin
gestellt bleiben, ob die Beklagte diese Bescheide zu Recht nach §
86 SGG zum Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens gemacht hatte, ob der Widerspruchsbescheid insoweit rechtmäßig war und
auch, ob das SG den Streitgegenstand des Verfahrens zutreffend erfasst und hierüber auch entschieden hatte.
Streitig ist deshalb vorliegend allein der Überprüfungsantrag der Mutter der Klägerinnen, Frau A., vom 12.06.2009, mit dem
diese die Gewährung der Halbwaisenrente an die Klägerinnen zu 1 und 2 bereits ab dem 01.01.2003 begehrte und der mit Bescheid
vom 24.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 abgelehnt wurde. Die Mutter der Klägerinnen war als gesetzliche
Vertreterin der Kl. zu 1 und als gewillkürte Vertreterin der Kl. zu 2 auch empfangsbevollmächtigt, so das die Bekanntgabe
des Bescheids vom 24.07.2009 auch an sie erfolgen durfte und der Bescheid nach § 39 SGB X wirksam wurde.
Gemäß § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch wenn er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich
im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht
erhoben wurden. Die Bescheide vom 13.11.2007 und 20.11.2007, mit denen den Klägerinnen Halbwaisenrente nach dem verschollenen
Versicherten Herr S. ab dem 01.10.2006 bzw. 01.08.2007 zuerkannt wurde, sind rechtlich hinsichtlich des Zeitpunkts der Rentengewährung
nicht zu beanstanden. Die Mutter der Klägerinnen beantragte am 30.10.2007 die Gewährung von Halbwaisenrente wegen der Verschollenheit
des Kindsvaters Herr S. Mangels Nachweis des Todes des Versicherten kam eine Rentengewährung nur auf der Grundlage des §
48 in Verbindung mit §
49 SGB VI in Betracht. Danach gelten Ehegatten oder Elternteile, die verschollen sind, als verstorben, wenn die Umstände ihren Tod
wahrscheinlich machen und seit einem Jahr Nachrichten über ihr Leben nicht eingegangen sind. Dabei ist der Träger der Rentenversicherung
berechtigt, für die Rentenleistung den nach den Umständen mutmaßlichen Todeszeitpunkt eigenständig festzustellen, um im Hinblick
auf den Unterhaltscharakter der Waisenrente eine möglichst kurzfristige Rentengewährung zu ermöglichen, und zwar unabhängig
von den personenstandsrechtlichen Feststellungen und Fristen nach den Vorschriften der §§ 3 ff. Verschollenheitsgesetz (VerschG).
Die Beklagte hatte unter Auswertung der Angaben von Frau A., den Eintragungen im Versichertenkonto sowie aufgrund der Angaben
weiterer Sozialleistungsträger einen mutmaßlichen Todeszeitpunkt Mai 1997 angenommen und auf dieser Grundlage die Halbwaisenrenten
an die Klägerinnen zu 1 und 2 berechnet. Die Rentengewährung erfolgte aufgrund der Minderjährigkeit der Kl. zu 1 unter Berücksichtigung
des §
99 Abs
2 S 3
SGB VI zutreffend ab dem 01.10.2006, gegenüber der Kl. zu 2 jedoch zunächst ab dem 01.10.2007, weil diese nach ihren eigenen Angaben
ab dem 07.09.2007 eine Schulausbildung (Berufsschule) aufnahm. Später wurde mit Bescheid vom 06.11.2009 nachträglich die Rente
auch für die Monate August und September 2007 gewährt und die Leistungen entsprechend nachgezahlt, so dass faktisch die Rente
an die Kl. zu 2 ab dem 01.08.2007 gewährt wurde. Die Rentengewährung erfolgt nach §
99 Abs
1 SGB VI in der Regel ab dem Monat der Antragstellung. Eine Ausnahme ist in §
99 Abs
2 S 3
SGB VI für Hinterbliebenenrente vorgesehen. Danach kann die Rente für längstens 12 Monate vor dem Antrag rückwirkend gewährt werden.
Es handelt sich hierbei - wie vom SG zutreffend ausgeführt - um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die einer möglichen Unkenntnis des konkreten Todesfalles
und einer daraus resultierenden verspäteten Antragstellung Rechnung tragen soll (vgl. Kater, in: KassKomm §
99 SGB VI Rdnr 22 ff. m. w. N.). Ein Abweichen von dieser Ausschlussfrist aus Billigkeitsgründen, wie von den Prozessbevollmächtigten
der Klägerin angeregt, ist eben wegen des Charakters als Ausschlussfrist grundsätzlich nicht möglich.
Ein früherer Rentenbeginn kann - auch dies hat das SG zutreffend erkannt - nur dann in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben
wären, wobei § 44 SGB X nicht generell eine frühere Rentengewährung ausschließen würde, sondern nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung
auch auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch entsprechend anzuwendenden Norm des § 44 Abs 4 SGB X eine Rentengewährung rückwirkend für maximal 4 Jahre erfolgen könnte (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rdnr 33 m.w.N.). Die Klägerinnen und ihre Mutter können jedoch nicht nachweisen, dass sie durch eine fehlerhafte Beratung
der Beklagten daran gehindert geworden wären, den Antrag auf Gewährung der Halbwaisenrenten früher zu stellen. Hierfür tragen
die Klägerinnen die objektive Beweislast. Die Prüfung, ob ein Beratungsfehler im Sinne der §§
14,
15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I - vorliegen könnte, setzt zumindest einen schlüssigen und dann auch objektivierbaren Sachvortrag voraus, dass die Klägerinnen
oder ihre Mutter ein konkretes Auskunftsersuchen an die Beklagte hinsichtlich der Gewährung einer Halbwaisenrente bei Verschollenheit
gerichtet hatten. Es muss nachvollziehbar sein, mit wem und wann ein Beratungsgespräch stattgefunden haben könnte oder hat,
wofür entsprechende Anhaltspunkte auch aus den Verwaltungsakten der Beklagten entnommen werden könnten. Ferner muss der Gesprächsinhalt
nachvollziehbar sein. Allein der Umstand, auf den der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen hinweist, dass die Klägerin zu
2 und ihre Mutter übereinstimmend erklärt haben, falsch beraten worden zu sein, reicht gerade nicht aus, um die Voraussetzungen
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als erfüllt anzusehen. Weder die Mutter der Klägerinnen noch die Kl. zu 2 können
angeben, wann, wo und mit wem ein solches Beratungsgespräch stattgefunden haben soll, welchen konkreten Inhalt das Beratungsgespräch
gehabt haben soll und welche konkrete (fehlerhafte) Auskunft in diesem Beratungsgespräch gegeben worden sein soll. Die Mutter
der Klägerinnen hat zunächst angegeben, dass sie bei der Beantragung ihrer eigenen Erwerbsminderungsrente im Jahr 2002 bereits
wegen Waisenrenten bei Verschollenheit nachgefragt haben wollte. Nachweislich haben aber die von ihr benannten möglichen Gesprächspartner
in der A/B-Stelle A. zu diesem Zeitpunkt dort noch nicht gearbeitet und Frau L. hatte auch noch einen anderen Namen. Im SG-Verfahren gab die Klägerin an, im Jahr 2003 zu einem Beratungsgespräch bei der A/B-Stelle A. gewesen zu sein, und zwar anlässlich
der Verlängerung ihrer Erwerbsminderungsrente, in Begleitung der Kl. zu 2 und dort von einem Mann mittleren Alters beraten
worden zu sein. Die Verlängerung der Erwerbsminderungsrente wurde jedoch nicht 2003, sondern am 13.10.2005 beantragt. Dies
ergibt sich aus den Beratungsprotokollen der Beklagten. Die Kl. zu 2 hat im SG-Verfahren angegeben, dass sie ihre Mutter nur einmal zur A/B-Stelle begleitet hatte, als sie ca. 20 Jahre alt gewesen wäre.
Dies würde auf eine Vorsprache im Jahr 2007 hinweisen. Diese Angaben widersprechen jedoch den Aufzeichnungen des Mitarbeiters
der Beklagten, Herrn P. Dieser hat angegeben, die Mutter der Klägerinnen erstmals bei der Verlängerung ihrer Erwerbsminderungsrente
im Jahr 2005 in der A/B-Stelle in A. beraten zu haben. Hierbei sei jedoch nicht von der Verschollenheit des Lebenspartners
gesprochen worden. Erst im Zusammenhang mit einer Verlängerung einer Waisenrente im Jahr 2009 sei erstmals die Thematik zwischen
ihm und der Mutter der Klägerin erörtert und der Überprüfungsantrag gestellt worden, auf den er die Mutter der Klägerin aufmerksam
gemacht hatte. Dieser Zeitpunkt deckt sich mit dem Antrag der Kl. zu 2 auf Weitergewährung ihrer Halbwaisenrente am 10.06.2009
wegen Aufnahme einer Ausbildung zur Landwirtin. Unmittelbar zuvor war mit Beschluss des Amtsgerichts A. vom 15.04.2009 der
Todeszeitpunkt des Herrn S. personenstandsrechtlich auf den 31.12.2002 festgestellt worden, so dass eine entsprechende Nachfrage
im Hinblick auf einen früheren Rentenbeginn am 10.06.2009 - wie von Herrn P. angegeben - durchaus nachvollziehbar erscheint.
Die Mutter der Klägerinnen hatte ursprünglich bei der Beklagten selbst angegeben, keinen früheren Antrag gestellt zu haben,
weil sie vor dem Jahr 2007 keinen Nachweis über den Tod des Vaters der Klägerinnen hätte vorlegen können. Mangels nachvollziehbaren
Anknüpfungspunkten für ein konkretes Auskunftsersuchen kann auch dahingestellt bleiben, ob ein Mitarbeiter der Beklagten tatsächlich
die Auskunft erteilen würde, dass eine 10-Jahres-Frist abzuwarten sei, die erkennbar wegen §
49 SGB VI für die Rentengewährung bei Verschollenheit des Versicherten keine Rolle spielen kann.
Die im Berufungsverfahren erstmals von den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen genannten Vorsprachetermine am 18.11.2003
oder 08.03.2004 wurden von den Klägerinnen offenbar aus Bl 100 der Rentenakte entnommen, ohne dass hierfür noch konkrete Erinnerungen
der Mutter der Klägerinnen und der Klägerinnen selbst vorliegen würden. Dies ergibt sich auch aufgrund der Angaben des Prozessbevollmächtigten
in der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2014. Die nochmalige Einvernahme der Mutter der Klägerinnen und der Klägerin zu 2
war für den Senat somit nicht erforderlich. Auch eine Einvernahme der weiteren benannten Zeugin S. war nicht erforderlich,
da es insoweit an einem wirksamen Beweisantrag gefehlt hat und der Senat eine Einvernahme der benannten Zeugin für die Sachverhaltsaufklärung
nicht für erforderlich hielt.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.05.2011 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision nach §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.