Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers; Erfordernis der rechtzeitigen Antragstellung des Leistungsempfängers
1. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht
ohne weiteres beantworten lässt.
2. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist oder praktisch von vornherein
außer Zweifel steht.
3. Nach der Rechtsprechung des BVerwG hängt das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nicht davon ab, dass der Leistungsempfänger
rechtzeitig einen Antrag an den Erstattungsverpflichteten gestellt hat, zumindest wenn die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht
des Leistungsempfängers nicht durch das Antragserfordernis geschützt werden soll.
Gründe
I.
Streitig ist der Anspruch auf Erstattung der von nachrangig verpflichteten Klägerin an die Leistungsempfängerin (A.) erbrachten
Leistungen durch die Beklagte. Die Klägerin hat an A. Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung (u.a. Unterkunft und Betreuung)
gemäß §§ 27, 34 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) für die Zeit ab 27.10.2011 erbracht. Für die am 08.12.2014 beginnende Maßnahme "BvB Pro" bewilligte die Beklagte an A. aufgrund
eines rechtzeitigen Antrages der A. Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von zunächst 879,00 EUR monatlich. Am 04.02.2015 beantragte
die Klägerin die Erstattung der während der Ausbildung der A. zur Fachlageristin Kfz-Teile-Großhandel (Ausbildungsdauer: 01.09.2013
bis zum Abbruch am 07.12.2014) von ihr an die A. erbrachten Leistungen bei der Beklagten. Die Beklagte teilte der Klägerin
mit Schreiben vom 10.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2015 mit, dass eine Förderung für die Zeit
bis 07.12.2014 mangels rechtzeitigen Antrages nicht möglich sei. Mit der zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen allgemeinen Leistungsklage hat die Klägerin die Erstattung erbrachter Leistungen für die Zeit vom 04.02.2014 bis
07.12.2014 in Höhe von 8233,30 EUR begehrt. Unter Beachtung der Ausschlussfrist des § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 23.01.2014 - 5 C 8/13 - hänge der Erstattungsanspruch nicht von einer - rechtzeitigen - Antragstellung der A. gegenüber der Beklagten ab. Das SG hat mit Urteil vom 14.01.2016 die Beklagte verpflichtet, die von der Klägerin an A. geleistete Berufsausbildungsbeihilfe
in der gesetzlichen Höhe unter Beachtung der Jahresfrist des § 111 SGB X für die Zeit vom 04.02.2014 bis 07.12.2014 zu erstatten. Darauf, ob A. einen Antrag an die Beklagte auf diese Leistungen
- rechtzeitig - gestellt habe, komme es nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht an. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen. Dagegen hat die Beklagte zunächst Berufung und nach Hinweis des Senats Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer.
Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Berufung hat die Beklagte zurückgenommen. Die Berufung sei jedoch wegen grundsätzlicher
Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X auch ein rechtzeitig gestellter Leistungsantrag erforderlich sei, sei zwar vom BVerwG entschieden worden. Diese Entscheidung
werde aber vom LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.12.2015 - L 4 P 1171/15 - und von Kater (Kasseler Kommentar, SGB X, § 104 Stand 12/2015 Rn. 9 b) für nicht überzeugend gehalten. Die Rechtsfrage sei daher wegen ihrer Breitenwirkung klärungsbedürftig
und auch klärungsfähig. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bei der
vorliegenden Erstattungsstreitigkeit übersteigt nicht 10.000,00 EUR (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-). Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse
nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG, 11.Aufl, §
144 Rn. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur
nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten
ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4). Die vorliegend von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, denn sie ist nach dem Stand
der Rechtsprechung geklärt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 23.01.2014 - 5 C 8/13 - veröffentlicht in [...]) hängt das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nicht davon ab, dass der Leistungsempfänger rechtzeitig
einen Antrag an den Erstattungsverpflichteten gestellt hat, zumindest wenn - wie vorliegend (vgl. §§ 95, 97 SGB VIII) - die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsempfängers nicht durch das Antragserfordernis geschützt
werden soll (vgl. hierzu die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 22.04.1998 - B 9 VG 6/96 R - und diese Rechtsprechung weiterentwickelnd im Urteil vom 28.04.1999 - B 9 V 8/98 R - beide veröffentlicht in [...]). Ein Klärungsbedarf besteht daher im streitgegenständlichen Verfahren nicht, denn die Rechtsprechung
des BVerwG - "auch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts kann Klärungsbedarf ausschließen" (vgl. Leitherer
a.a.O. § 160 Rn. 8) - und des BSG stimmen insoweit überein. Die Ausführungen des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.12.2015 - L 4 P 1171/15 - veröffentlicht in [...]) macht hingegen diese Rechtslage nicht erneut klärungsbedürftig (vgl. dazu Leitherer a.a.O. § 160
Rn. 8 b), denn diese Entscheidung stützt sich zum einen auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen
(Urteil vom 03.09.2012 - 12 A 1082/12 - veröffentlicht in [...]), die aber durch BVerwG mit der Entscheidung vom 23.01.2014 - 5 C 8/13 - gerade aufgehoben worden ist. Zudem ist die Rechtsfrage zumindest durch das Urteil des BSG vom 28.04.1999 (a.a.O.). geklärt, denn auch wenn dieses Urteil nicht zu § 104 SGB X ergangen ist (so LSG Baden-Württemberg a.a.O.), so ist es zur Auslegung vergleichbarer Regelungen heranzuziehen und gibt
ausreichend Anhaltspunkte dafür, wie die konkret aufgeworfene Rechtsfrage zu beantworten ist (vgl. dazu Leitherer aaO § 160
Rn. 8). In der Literatur selbst wird die Auffassung des LSG Baden-Württemberg nur vereinzelt (Kater a.a.O.) gestützt. Nachdem
das SG auch nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweicht und Verfahrensfehler weder erkennbar noch geltend gemacht worden
sind, war die Beschwerde mit der Folge zurückzuweisen, das das Urteil des SG rechtskräftig ist (§
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Die Kostenentscheidung des SG (gestützt auf §
193 SGG) kann nach Zurückweisung der Beschwerde vom Senat nicht geändert werden (vgl Leitherer a.a.O. § 193 Rn. 2a).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197 a Abs.
1 Halbs. 1
SGG i.V.m. §§
63 Abs.
2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).