Rechtmäßigkeit einer Gerichtskostenfeststellung im Sinn eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG im sozialgerichtlichen Verfahren
Auslegung gerichtlicher Schreiben
Gründe
I.
Streitig ist die Anforderung von Gerichtskosten durch die Kostenbeamtin im Rahmen eines Klageverfahrens zur Durchsetzung eines
Anspruchs auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinn von §§
198 ff.
Gerichtsverfassungsgesetz.
In dem unter dem Aktenzeichen beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) geführten Klageverfahren (im Folgenden: Hauptsacheverfahren)
macht die dortige Klägerin und jetzige Erinnerungsführerin einen Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines
sozialgerichtlichen Verfahrens geltend. Am 20.01.2016 verfügte der Richter im Hauptsacheverfahren (im Folgenden: Hauptsacherichter)
einen vorläufigen Streitwert in Höhe von 5.000,- EUR und bat die Kostenbeamtin um Anforderung einer "Gerichtskostenvorauszahlung"
bei der Erinnerungsführerin.
Anschließend forderte die Kostenbeamtin mit Schreiben vom 25.01.2016 bei der Erinnerungsführerin unter Zugrundelegung eines
Streitwerts von 5.000,- EUR Gerichtskosten in Höhe von 584,- EUR an; das Schreiben ist als "Kostennachricht" bezeichnet. Der
Rechnungsbetrag von 584,- EUR wurde als am 23.03.2016 fällig bezeichnet. Im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf
hingewiesen, dass "gegen diesen Kostenansatz ... Erinnerung eingelegt werden" könne, die Erinnerung aber "nicht von der Verpflichtung,
den geforderten Betrag vorläufig zu bezahlen", entbinde.
Dagegen hat die durch ihren Ehemann vertretene Erinnerungsführerin mit Schreiben vom 16.03.2016 Erinnerung eingelegt. Zur
Begründung hat sie vorgetragen, dass im Hauptsacheverfahren ein Entschädigungsbetrag von ihr nicht angegeben worden sei, sondern
nur die Zeiten des Klageverfahrens. Der Wert des Streitgegenstands könne nicht rein willkürlich durch Interpretation in der
Weise festgesetzt werden, dass der Entschädigungsklägerin die Klage durch eine maßlos überhöhte Streitwertfestsetzung unmöglich
gemacht werde. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass ihr Ehemann Schwerkriegsbeschädigter sei und im bestehenden Verfahren
Themen behandelt würden, die ausschließlich die Verzögerung im sozialen Entschädigungsrecht in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz beträfen. Die Festsetzung einer Vorauszahlung erachte sie für rechtswidrig. Ein beschwerdefähiger Beschluss nach § 67 Gerichtskostengesetz (GKG) und/oder § 68 GKG liege nicht vor.
Die von der Erinnerungsführerin beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Erinnerung hat der Senat
mit Beschluss vom 09.08.2016 und der Begründung, dass für das Verfahren der Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gesetzlich nicht vorgesehen sei, abgelehnt.
Beigezogen worden sind die Akten des Hauptsacheverfahrens.
II.
Das als "Kostennachricht" bezeichnete Schreiben der Kostenbeamtin des LSG vom 25.01.2016 stellt, wie seine Auslegung ergibt,
eine Gerichtskostenfeststellung im Sinn eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG dar. Eine solche hätte nicht erfolgen dürfen, da sie nicht vom Hauptsacherichter verfügt worden ist.
1. Prüfungsumfang bei der Erinnerung
Eine Erinnerung gemäß § 66 Abs. 1 GKG kann nur auf eine Verletzung des Kostenrechts gestützt werden (vgl. Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 13.02.1992, Az.: V ZR 112/90, und vom 20.09.2007, Az.: IX ZB 35/07; Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 29.06.2006, Az.: VI E 2/06; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 01.08.2014, Az.: L 15 SF 90/14 E; Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl. 2015, § 66 GKG, Rdnr. 18; Meyer, GKG/FamGKG, 15. Aufl. 2016, § 66, Rdnr. 13), nicht aber auf die (vermeintliche oder tatsächliche) Unrichtigkeit einer im Hauptsacheverfahren getroffenen Entscheidung.
Die im Hauptsacheverfahren getroffenen Entscheidungen sind wegen der insofern eingetretenen Bestandskraft (§
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
158 Verwaltungsgerichtsordnung bzw. § 68 Abs. 1 GKG) einer Überprüfung im Kostenansatzverfahren entzogen (ständige Rspr., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 18.12.2014, Az.:
L 15 SF 322/14 E - m.w.N.). Gleiches gilt grundsätzlich auch für die dort getroffenen Verfügungen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 07.10.2014,
Az.: L 15 SF 61/14 E, und vom 05.12.2014, Az.: L 15 SF 202/14 E).
Im Erinnerungsverfahren zum Kostenansatz kann daher lediglich geprüft werden, ob die im Hauptsacheverfahren erfolgten Festlegungen
kostenrechtlich richtig umgesetzt worden sind.
2. Überprüfung des angegriffenen Kostenansatzes
Die Anforderung von Gerichtskosten vom 25.01.2016, die einen Kostenansatz im Sinn des § 19 GKG darstellt, ist aufzuheben. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Einwänden der Erinnerungsführerin, jedoch bei der darüber
hinaus von Amts wegen vorgenommenen Prüfung.
2.1. Auslegung der gerichtlichen Anforderung von Gerichtskosten vom 25.01.2016
Das als "Kostennachricht" bezeichnete Schreiben des Gerichts vom 25.01.2016 stellt, wie seine Auslegung ergibt, eine Gerichtskostenfeststellung
im Sinn eines Kostenansatzes gemäß § 19 GKG dar, nicht die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung im Sinn von § 12 a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 GKG.
Bei der Auslegung gerichtlicher Schreiben sind die gleichen Maßstäbe zu Grunde zu legen, wie sie auch für die Auslegung von
Prozesserklärungen der Beteiligten gelten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 02.03.2016, Az.: L 15 SB 237/15 B, vom 14.03.2016, Az.: L 15 RF 2/16, und vom 22.03.2016, Az.: L 15 RF 6/16). Danach ist Maßstab der Auslegung der Empfängerhorizont
eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, Az.: B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 29.11.1995,
Az.: X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist im Rahmen der Auslegung sicherzustellen, dass dem Begehren des Beteiligten nach Rechtsschutz möglichst
umfassend Rechnung getragen wird (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, Az.: B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art.
19 Abs.
4 Satz 1
Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen
Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003,
Az.: 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, Az.: 1 BvR 461/03).
Bei Beachtung dieser Vorgaben kann die Anforderung von Gerichtskosten im Schreiben vom 25.01.2016 nur als Kostenansatz gemäß
§ 19 GKG verstanden werden.
Dies ergibt sich schon daraus, dass sich das als Kostennachricht bezeichnete Schreiben der Kostenbeamtin vom 25.01.2016 mit
Ausnahme des Wortes "Kostennachricht" in nichts von den ansonsten in gerichtlichen Anforderungen von Gerichtskosten als "Gerichtskostenfeststellung"
bezeichneten Kostenansätzen im Sinn von § 19 GKG unterscheidet. Lediglich aus den verwendeten unterschiedlichen Bezeichnungen - "Kostennachricht" einerseits und "Gerichtskostenfeststellung"
andererseits - ist für den Empfänger einer derartigen Anforderung von Gerichtskosten nicht ersichtlich, ob es sich dabei um
eine fällige und nach Ablauf der Fälligkeit vollstreckbare Anforderung von Gerichtskosten im Sinn eines Kostenansatzes gemäß
§ 19 GKG, bezüglich derer eine Verpflichtung zur Zahlung besteht, oder nur um von ihm vorauszuzahlende und nicht zwangszuvollstreckende
Gerichtskosten gemäß § 12 GKG handelt, für die nur eine Obliegenheit zur Zahlung besteht; denn wenn der Beteiligte die angeforderte Vorauszahlung nicht
einzahlt, wird seine Klageschrift regelmäßig nicht dem Prozessgegner zugestellt (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG) mit der Folge, dass - zumindest im zivilgerichtlichen Verfahren - keine Rechtshängigkeit eintritt (§§
253 Abs.
1,
261 Zivilprozessordnung) (zu den Änderungsbestrebungen dahingehend, für das sozialgerichtliche Verfahren eine entsprechende gesetzliche Regelung
zu schaffen - vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 06.07.2016 zu dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung - Drucksache 18/6985 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren
Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - Bundestags-Drucksache 18/9092, S. 21 f.). Dies gilt umso mehr, als die verwendeten Bezeichnungen "Kostennachricht" einerseits
und "Gerichtskostenfeststellung" andererseits bereits der Formulierung nach aus dem objektivierten Empfängerhorizont eines
Beteiligten keine klaren Differenzierungskriterien erahnen lassen. Auch die Rechtsbehelfsbelehrung im Schreiben der Kostenbeamtin
vom 25.01.2016, die auf die Möglichkeit hinweist, "Erinnerung" (gemäß § 66 GKG) einzulegen, liefert einen Beleg dafür, dass ein Kostenansatz im Sinn von § 19 GKG erfolgt ist, nicht aber die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung, von deren Einzahlung das weitere Tätigwerden des
Gerichts abhängig gemacht wird. Bestätigt wird diese Auslegung schließlich dadurch, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung des
Schreibens vom 25.01.2016 selbst darauf hingewiesen wird, dass es sich beim Schreiben vom 25.01.2016 um einen Kostenansatz
(im Sinn von § 19 GKG) handelt ("Gegen diesen Kostenansatz ...".)
Gegen diese Auslegung spricht nicht, dass, wie den Akten des Hauptsacheverfahrens zu entnehmen ist, der Hauptsacherichter
tatsächlich die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung verfügt hat. Ausgehend davon, dass der Hauptsacherichter den
inneren Willen dazu gehabt hat, das weitere Tätigwerden des Gerichts von der Einzahlung von Gerichtskosten durch die Erinnerungsführerin
abhängig zu machen, ist dieser Wille jedenfalls nicht nach außen zum Ausdruck gebracht und damit für den Empfänger nicht erkennbar
geworden. Damit verbietet es sich, einen solchen inneren Willen in die Auslegung einer Erklärung einfließen zu lassen. Denn
in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den anerkannten Grundsätzen der Auslegungslehre kommt es
nicht auf den inneren, sondern auf den nach außen erklärten Willen an, wie er sich bei objektiver Betrachtungsweise und nach
Treu und Glauben im Rechtsverkehr darstellt (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008, Az.: 2 BvR 1926/07; BFH, Urteil vom 18.02.1997, Az.: VII R 96/95; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.10.2014, Az.: 8 B 99/13; Beschluss des Senats vom 02.03.2016, Az.: L 15 SB 237/15 B). Im Übrigen fehlt auch ein Beschluss des Hauptsachegerichts dahingehend, dass die Tätigkeit des Gerichts von der vorherigen
Zahlung von Kosten abhängig gemacht werde (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG).
Gegen diese Auslegung spricht auch nicht, dass der Begriff der "Kostennachricht" (zumindest früher und außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit)
als rechtstechnischer Begriff für die Anforderung einer Vorauszahlung von Gerichtskosten verwendet worden ist (vgl. die bis
zum 31.03.2014 geltende Kostenverfügung des Bundesministeriums der Justiz vom 26.08.2009, Az.: RB5-5607-R3 228/2008, BAnz
2009, 137 3245, dort § 31 Abs. 1, wobei sich in der aktuell geltenden Kostenverfügung des Bundesministeriums der Justiz und
für Verbraucherschutz vom 06.03.2014 in der Fassung vom 10.08.2015, Az.: RB5 - 5607 - R3 131/2014, BAnz 2014, AT 07.04.2014
B1, der Begriff der Kostennachricht nicht mehr wiederfindet, sondern durch die Formulierung "Anforderung der Kosten ohne Sollstellung"
[§ 26] ersetzt worden ist). Denn es handelt sich hierbei um eine Formulierung, deren Bedeutungsgehalt allein durch verwaltungsinterne
Regelungen festgelegt worden ist, die sich aber nicht im allgemeinen Sprachgebrauch festgesetzt hat und daher bei einer Auslegung
aus dem Empfängerhorizont eines in Bezug auf die Verwaltung außenstehenden Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens nicht
berücksichtigt werden kann.
2.2. Prüfung des Kostenansatzes gemäß § 19 GKG
Der Hauptsacherichter hat - bindend auch für das Kostenansatzverfahren - nicht die Erhebung von Gerichtskosten im Wege eines
Kostenansatzes gemäß § 19 GKG verfügt, sondern die Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung im Sinn des § 12 a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 GKG. Aufgrund dieser Verfügung hätte die angefochtene Gerichtskostenfeststellung nicht erfolgen dürfen (vgl. Beschluss des Senats
vom 01.08.2014, Az.: L 15 SF 90/14 E).
Der Kostenansatz vom 25.01.2016 ist daher infolge der Erinnerung aufzuheben.
Darauf, dass es die Gesetzeslage durchaus zugelassen hätte, bei entsprechender Verfügung des Hauptsacherichters im Hauptsacheverfahren
einen entsprechenden Kostenansatz zu erlassen, kommt es infolge der anderslautenden Verfügung des Hauptsacherichters nicht
an.
Mit der Frage, ob eine Anforderung einer Gerichtskostenvorauszahlung in gleicher Höhe zu beanstanden gewesen wäre, wie es
der Hauptsacherichter verfügt hat, hat sich der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu befassen, da eine entsprechende Anforderung
nicht ergangen ist (vgl. oben Ziff. 2.1.). Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren,
wenn der Weg über § 12 a
GVG i.V.m. § 12 GKG gegangen werden sollte, ohnehin ein Beschluss des Hauptsachesenats dazu ergehen wird, dass die Tätigkeit des Gerichts von
der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht werde (, und in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch eine gerichtliche
Festsetzung zum Streitwert erfolgen wird), wobei ein solcher Beschluss als Grundlage für ein weiteres Tätigwerden des Kostenbeamten
erforderlich sein dürfte.
Die Erinnerung hat daher Erfolg; der Kostenansatz vom 25.01.2016 ist aufzuheben.
Das Bayer. LSG hat über die Erinnerung gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1, 1. Halbsatz GKG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Er ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 66 Abs. 8 GKG).