SGB-II-Leistungen
Übernahme von Mietschulden als Darlehen
In den Bezug von SGB-II-Leistungen neu eintretende Hilfeberechtigte
6-Monats-Regelschutzfrist
1. Aus der Gesamtkonzeption des § 22 SGB II ergibt sich, dass bei neu in den Bezug von SGB-II-Leistungen Eintretenden zunächst die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe zu übernehmen sind.
2. Erst wenn es dem Hilfeberechtigten binnen sechs Monaten nach einem Hinweis des Leistungsträgers nicht gelingt, die KdUH
auf ein angemessenes Niveau zu senken, ist der Leistungsträger danach berechtigt, nur noch in angemessener Höhe zu zahlen.
3. Diese gesetzgeberische Konzeption würde verfehlt, wenn der Leistungsträger der Übernahme von vor dem Eintritt in den Leistungsbezug
aufgelaufenen Mietschulden in jedem Fall entgegenhalten könnte, die laufenden KdUH seien unangemessen.
4. Damit würde die in § 22 Abs. 1 Satz 3 vorgesehene Regelschutzfrist von sechs Monaten zur Absenkung der KdUH möglicherweise
erheblich verkürzt.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2017 aufgehoben. Der
Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Mietschulden des Antragstellers in Höhe von 1.034,07
EUR als Darlehen zu übernehmen und den genannten Betrag unmittelbar an die Vermieterin M F auszuzahlen.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers, über die nach Ablauf der dem Antragsgegner gesetzten Erwiderungsfrist zu entscheiden war,
ist begründet.
Dem Antragsteller steht ein nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG einstweilen zu sichernder Anspruch auf darlehensweise Übernahme der im Tenor bezeichneten Mietschulden aus der Zeit vor Beginn
des Leistungsbezugs bei dem Antragsgegner zu, die unmittelbar an die Vermieterin auszuzahlen sind.
Der Anordnungsanspruch folgt aus § 22 Abs. 8 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Nach dieser Vorschrift sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit
einzutreten droht. Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm vorliegen, besteht im Regelfall ein Rechtsanspruch auf
Hilfe. Drohende Wohnungslosigkeit ist hier schon deshalb anzunehmen, weil die Vermieterin eine Kündigung des Mietverhältnisses
in Aussicht gestellt hat (vgl Schreiben vom 15. August 2017). Damit ist zu besorgen, dass der Antragsteller mit den Kosten
einer Räumungsklage belastet werden könnte, was im Eilrechtsverfahren zu berücksichtigen ist. Es darf insoweit nicht allein
auf die Erhebung einer Räumungsklage abgestellt werden (vgl BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 - 1 BvR 1910/12 - juris).
Die Übernahme der Mietschulden ist im vorliegenden Einzelfall auch gerechtfertigt und notwendig iSv § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II, und zwar ungeachtet dessen, dass der Mietzins der Wohnung des Antragstellers nicht angemessen iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sein dürfte (vgl die insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss). Dies folgt aus
folgenden Erwägungen:
Aus der Gesamtkonzeption des § 22 SGB II ergibt sich, dass bei neu in den Bezug von SGB II-Leistungen Eintretenden zunächst die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) in voller Höhe zu übernehmen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Erst wenn es dem Hilfeberechtigten binnen sechs Monaten nach einem Hinweis des Leistungsträgers nicht gelingt, die KdUH
auf ein angemessenes Niveau zu senken, ist der Leistungsträger danach berechtigt, nur noch in angemessener Höhe zu zahlen.
Diese gesetzgeberische Konzeption würde verfehlt, wenn der Leistungsträger der Übernahme von vor dem Eintritt in den Leistungsbezug
aufgelaufenen Mietschulden in jedem Fall entgegenhalten könnte, die laufenden KdUH seien unangemessen. Damit würde die in
§ 22 Abs. 1 Satz 3 vorgesehene Regelschutzfrist von sechs Monaten zur Absenkung der KdUH möglicherweise erheblich verkürzt.
Vorliegend kommt hinzu, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, einen Teil seiner Regelleistung zur Deckung der laufenden
KdUH einzusetzen, soweit dadurch nicht sein unerlässliches Existenzminimum gefährdet wird. Hiervon ist auch in Ansehung der
gesetzlich vorgeschriebenen Aufrechnung in § 42a Abs. 2 SGB II iHv 10 vH des maßgebenden Regelbedarfs auszugehen, zumal bei dem Antragsteller auch die Zahlung von Arbeitslosengeld zu erwarten
steht und der Antragsgegner dem Grunde nach ohnehin verpflichtet sein dürfte, jedenfalls bis Februar 2018 die vollen laufenden
KdUH zu übernehmen (vgl auch Kostensenkungsaufforderung vom 22. August 2017). Es ist daher auch im Hinblick auf die Höhe der
Mietschulden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine dauerhafte Sicherung der Unterkunft zu erwarten. Dass der Antragsteller
die Notlage gezielt zu Lasten des Leistungsträgers herbeigeführt hätte, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dem Antragsteller war in Anwendung von §
73 a SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung keine Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil er wegen des verlautbarten Kostenerstattungsanspruches gegen den Antragsgegner
insoweit nicht als bedürftig anzusehen ist.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).