SGB-II-Leistungen
Untätigkeitsklage
Erfordernis vorheriger Antragstellung
Fehlendes Rechtsschutzinteresse
1. Ein entsprechender Antrag ist für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage nach §
88 Abs.
1 SGG unerlässlich, deren Sinn darin liegt, der Behörde auf der einen Seite eine angemessene Zeit für die beantragte Entscheidung
einzuräumen, Antragstellern andererseits Rechtsschutz bei unangemessener Verzögerung des Verwaltungsverfahrens zu ermöglichen,
das für Leistungen nach dem SGB II erst mit Antragstellung eingeleitet wird.
2. Wurde kein Antrag gestellt, fehlt es grundsätzlich am Rechtsschutzinteresse für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes
wegen vermeintlicher Untätigkeit der Behörde.
3. Der durch §
88 SGG abgesicherte Bescheidungsanspruch ist insofern kein Selbstzweck, sondern soll gewährleisten, dass Betroffene nicht durch
Untätigkeit der Verwaltung in ihren Rechten verletzt werden.
4. Solches kommt allerdings von vornherein nicht in Betracht, wenn sich diese mit einem entsprechenden Begehren auf Vornahme
eines Verwaltungsakts nicht zuvor an die - gegebenenfalls auch unzuständige - Behörde gewandt haben.
Tatbestand:
Die Kläger machen Untätigkeit des Beklagten geltend.
Die Kläger bezogen vom Jobcenter R-S in S-A bis Mitte Mai 2008 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Wegen eines
geplanten Wohnungswechsels beantragten sie Mitte Mai 2008 eine Umzugskostenbeihilfe nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die ihnen der Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2008 bewilligte.
Der frühere Vermieter der Kläger forderte von ihnen mit einer Betriebskostenabrechnung vom 20. November 2009 eine Nachzahlung
in Höhe von 1.075,67 EUR für ihre seinerzeitige Wohnung in H (S).
Mit ihrer Untätigkeitsklage vom 18. Juni 2012 machen die Kläger geltend, sie hätten beim Beklagten die Übernahme der Betriebskostennachforderung
beantragt und hieran mit einem Schreiben vom 24. Oktober 2011 erinnert, ohne dass zwischenzeitlich über den Antrag entschieden
worden sei.
Das Sozialgericht Potsdam (SG) hat mit Gerichtsbescheid vom 25. Februar 2016 die Klage, die unzulässig sei, abgewiesen. Untätigkeit des Beklagten liege
nicht vor. Ein Antrag auf Übernahme einer Betriebskostennachzahlung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 sei bei
diesem nicht eingegangen. Letztlich wäre auch das Recht der Kläger zur Erhebung einer Untätigkeitsklage 30 Monate nach angeblicher
Antragstellung verwirkt.
Mit ihrer Berufung machen die Kläger geltend, sie hätten den Antrag bei dem früheren Leistungsträger, dem Beklagten gestellt,
der ihrer Auffassung nach für die Übernahme der Betriebskosten für die alte Wohnung weiterhin zuständig gewesen sei. Ihr Antrag,
ggf. wie er sich aus der erhobenen Untätigkeitsklage ergebe, sei daher auch noch vom Beklagten zu bescheiden.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Februar 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihren Antrag
auf Übernahme der Betriebskostennachforderung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Untätigkeit liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die
Gerichtsakten, auf die Gerichtsakten des SG Potsdam S 23 AS 1561/12 und die Leistungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung, mit der die Kläger ihre erstinstanzlich erhobene Untätigkeitsklage gemäß §
88 Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz -
SGG - weiterverfolgen und über die die Berichterstatterin entsprechend den vorliegenden Einverständnissen der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung hat entscheiden können (vgl. §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2,
155 Abs.
3 und
4 SGG), ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da sie unzulässig ist.
Eine Untätigkeitsklage ist nach §
88 Abs.
1 Satz 1
SGG zulässig, wenn seit der Stellung eines Antrags auf Vornahme eines Verwaltungsakts sechs Monate vergangen sind; sie ist begründet,
wenn der Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Untätigkeit des Beklagten
in vorstehendem Sinne liegt jedoch nicht vor, weil es bereits an dem von den Klägern behaupteten Antrag auf Vornahme eines
Verwaltungsakts - anders als in dem zwischenzeitlich erledigten Gerichtsverfahren S 23 AS 1561/12 - fehlt. Ein solcher wurde auch zur Überzeugung des Senats vor Klageerhebung nicht beim Beklagten von den Klägern gestellt.
Denn die - soweit ersichtlich - vollständigen Originalleistungsakten des Beklagten enden im Juni 2008, wohingegen die Betriebskostennachforderung
erst mit einem Schreiben des früheren Vermieters der Kläger vom 25. November 2009 an diese versandt wurde. Es ist bereits
nicht vorgetragen geschweige denn aus den Akten ersichtlich, von wann der Antrag beim Beklagten datieren soll. Auch aus dem
vermeintlichen Erinnerungsschreiben der Kläger vom 24. Oktober 2011, das sich ebenso wenig in den Leistungsakten des Beklagten
befindet, sondern erstmals mit der vorliegenden Klage übersandt worden ist, obgleich es angeblich dem Beklagten mittels Einschreibens
zugestellt worden sei, lässt sich auf einen früheren Antrag nicht schließen. Indes ist ein entsprechender Antrag - anders
als die Kläger meinen - für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage nach §
88 Abs.
1 SGG unerlässlich, deren Sinn darin liegt, der Behörde auf der einen Seite eine angemessene Zeit für die beantragte Entscheidung
einzuräumen, Antragstellern auf der andererseits Rechtsschutz bei unangemessener Verzögerung des Verwaltungsverfahrens zu
ermöglichen, das für Leistungen nach dem SGB II erst mit Antragstellung eingeleitet wird (vgl. §§ 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 18 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X -). Wurde kein Antrag gestellt, fehlt es grundsätzlich am Rechtsschutzinteresse für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes
wegen vermeintlicher Untätigkeit der Behörde. Der durch §
88 SGG abgesicherte Bescheidungsanspruch ist insofern kein Selbstzweck, sondern soll gewährleisten, dass Betroffene nicht durch
Untätigkeit der Verwaltung in ihren Rechten verletzt werden. Solches kommt allerdings von vornherein nicht in Betracht, wenn
sich diese - wie hier die Kläger - mit einem entsprechenden Begehren auf Vornahme eines Verwaltungsakts nicht zuvor an die
- gegebenenfalls auch unzuständige (vgl. §
16 Abs.
1 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (
SGB I) - Behörde gewandt haben (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. April 2011 - L 5 SB 203/10 - juris Rn. 28; LSG Bayern, Urteil vom 30. September 2013 - L 1 SV 2/12 - juris Rn. 33; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
88 Rn. 2f.; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte,
SGG 2. Auflage 2014, §
88 Rn. 2). Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.