Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens; Bewertung der Terminanberaumung sowie
der Zeiten der Erkrankung eines Richters als Zeiten der gerichtlichen Aktivität; Vorbereitungs- und Bedenkzeiten im Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Az. S 52 AL 2549/08 geführten Verfahrens.
Am 30. April 2008 erhob die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage gegen einen Bewilligungsbescheid der Bundesagentur
für Arbeit, mit dem ihr ab dem 01. Januar 2008 für 360 Tage Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines fiktiven täglichen Bemessungsentgelts
in Höhe von 57,98 € gewährt worden war. Die Auszahlung wurde wegen eines Ruhens des Anspruchs aufgrund des Eintritts einer
Sperrzeit, einer Entlassungsentschädigung sowie Urlaubsabgeltung jedoch erst zum 07. April 2008 aufgenommen. Die Auszahlung
erfolgte letztlich nur bis zum 30. April 2008, weil die Klägerin ab Mai 2008 eine von der damaligen Beklagten mit einem Gründungszuschuss
geförderte selbständige Tätigkeit aufnahm. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes
unter Ansatz eines täglichen Bemessungsentgelts in Höhe von 118,87 €, das sie aus dem im Zeitraum vom 27. Oktober 2004 bis
zum 26. Oktober 2005 erzielten Beschäftigungsentgelt errechnete. Sie sah es als verfassungs- und europarechtswidrig an, dass
sich der Lohnersatz durch das Arbeitslosengeld nicht anhand des vor der Unterbrechung ihres Berufslebens durch Mutterschaft
und Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts, sondern nach dem aktuell voraussichtlich erzielbaren Lohn bemesse.
Zugleich beantragte sie mit Schriftsatz vom 30. April 2008, die Bundesagentur für Arbeit im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
gemäß §
86 b des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zu verpflichten, ihr einen Vorschuss auf das Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts i.H.v.
118,87 € sowie einen Vorschuss auf einen Gründungszuschuss auf der Grundlage dieses Betrages zu zahlen.
Unter dem 05. Mai 2008 bestätigte das Sozialgericht den Eingang der zunächst unter dem Aktenzeichen S 56 AL 2549/08 registrierten Klage und forderte die damalige Beklagte zur Erwiderung innerhalb eines Monats auf. Diese ging am 19. Juni
2008 ein. Am selben Tage verfügte der Kammervorsitzende eine Weiterleitung an die Klägerin zur Stellungnahme und eine Wiedervorlagefrist
von zwei Monaten. Hierzu notierte er sich "Urteilsgründe BSG?". Ob diese Verfügung ausgeführt wurde, ist nach Aktenlage nicht ersichtlich. Jedenfalls verfügte der Richter am 07. Juli
2008, die Sache zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu nehmen.
In diesem unter dem Aktenzeichen S 56 AL 2549/08 ER geführten Verfahren hatte die Beklagte, nachdem sie der Klägerin zwischenzeitlich Arbeitslosengeld nach einem auf 82,83
€ erhöhten Bemessungsentgelt (Bescheid vom 06. Juni 2008) gewährt hatte, am 11. Juni 2009 eine abschließende Stellungnahme
abgegeben. Der Kammervorsitzende hatte der Klägerin daraufhin unter Beifügung der Seite 2 des Terminberichts Nr. 25/08 des
Bundessozialgerichts eine Rücknahme des Antrages nahegelegt. Nachdem die Klägerin dieser Empfehlung nicht gefolgt war, lehnte
das Sozialgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2008 den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ab.
Mit am 07. August 2008 eingegangenem Schriftsatz meldete sich der Ehemann der Klägerin für beide Verfahren als Bevollmächtigter
und legte am 22. August 2008 Beschwerde gegen den im Eilverfahren ergangenen Beschluss ein. Mit ihm am 25. September 2009
zugestelltem Beschluss vom 19. September 2008 wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die Beschwerde zurück (L 14 B 298/08 AL ER). Am 17. Oktober 2008 lagen die Akten wieder beim Sozialgericht vor.
Mit Schreiben vom 13./18. November 2008 fragte der Kammervorsitzende unter Fristsetzung von einem Monat bei der Klägerin an,
ob die Klage im Hinblick auf den Beschluss des Landessozialgerichts zurückgenommen werde. Mit am 16. Dezember 2008 eingegangenem
Schriftsatz lehnte die Klägerin dies ab und beantragte stattdessen, die Sprungrevision zuzulassen, und regte an, einen nahen
Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.
Ab dem 17. Dezember 2008 wurde der Rechtsstreit mehrmals verfristet (Verfügungen vom 17. Dezember 2008, 6. Oktober 2009, 15.
Juli und 18. Oktober 2010, 21. Januar, 18. April, 25. Juli und 25. Oktober 2011 sowie 25. Januar 2012).
Unter dem 23. Mai 2012 wurden die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung auf den 19. Juni 2012 geladen. Am 12. Juni 2012 bat
die Klägerin, die Anordnung ihres persönlichen Erscheinens zum Termin aufzuheben, hilfsweise den Termin zu vertagen, da sie
am 19. Juni 2012 ein vielversprechendes Bewerbungsgespräch habe. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde daraufhin am
13. Juni 2012 auf den 11. September 2012 verlegt. Dieser Termin wurde am 10. September 2012 wegen Erkrankung des Vorsitzenden
aufgehoben. Am 20. November 2012 verfügte der Vertreter des Kammervorsitzenden den Rechtsstreit wieder in das so genannte
E-Fach (Entscheidungs-Fach). Am 25. Februar 2013 erfolgte eine nochmalige Verfristung.
Nachdem der Rechtsstreit zwischenzeitlich in den Zuständigkeitsbereich der 52. Kammer übergegangen war und nunmehr unter dem
Aktenzeichen S 52 AL 2549/08 geführt wurde, beraumte die neue Kammervorsitzende am 05. März 2013 einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 06. Juni
2013 an. Die Ladungen gingen eine Woche später ab. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin mit am 10. März 2013 eingegangenem
Schriftsatz erneut Verzögerungsrüge erhoben.
Am 06. Juni 2013 verhandelte das Sozialgericht die Sache und wies die Klage mit Urteil vom selben Tage ab. Am 12. Juni 2013
wurden dem Bevollmächtigten der Klägerin die schriftlichen Urteilsgründe zugestellt.
Am 07. Juli 2013 erhob die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde, die beim Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 14 AL 144/13 NZB registriert wurde. Dieses bestätigte unter dem 09. Juli 2013 deren Eingang, erteilte dem Bevollmächtigten einen rechtlichen
Hinweis, forderte die damalige Beklagte zur Erwiderung innerhalb eines Monats auf und setzte sich intern eine Wiedervorlagefrist
von sechs Wochen. Die am 28. August 2013 eingehende Erwiderung der damaligen Beklagten wurde der Klägerin zwei Tage später
zur Kenntnisnahme übersandt und der Rechtsstreit um zwei Monate verfristet. Mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am
03. Dezember 2013 zugestelltem Beschluss vom 29. November 2013 wies das Landessozialgericht die Beschwerde schließlich zurück.
Am 02. Juni 2014 hat die Klägerin - wiederum vertreten durch ihren Ehemann - eine Entschädigungsklage gegen das Land Berlin
erhoben und die überlange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens beklagt. Sie meint, bei einer Verfahrensdauer von mehr als
fünf Jahren für einen einfach gelagerten Fall über einen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld bei einem unstreitigen Sachverhalt
liege offensichtlich eine überlange Verfahrensdauer vor. Eine aktive Verfahrensgestaltung sei bereits zwischen der Klageerhebung
und dem 14. Dezember 2008 nicht zu erkennen. In den sich anschließenden gut dreieinhalb Jahren bis zum 23. Mai 2012 habe definitiv
jegliche Aktivität gefehlt. Auch im Folgenden sei eine aktive Verfahrensgestaltung nur kurz in den Terminierungen zum 19.
Juni 2012 und 11. September 2012 zu erkennen. Sodann habe das Verfahren ohne jegliche Aktivität wiederum bis zur erneuten
Terminierung am 05. März 2013 sechs Monate lang geruht. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der anberaumte Termin am 19.
Juni 2012 gegen ihren ausdrücklichen Wunsch verlegt worden sei; ihr Prozessbevollmächtigter hätte zur Verfügung gestanden.
Die Anordnung ihres persönlichen Erscheinens sei weder erforderlich noch zweckdienlich gewesen, da es im Verfahren ausschließlich
um die Klärung einfach gelagerter Rechtsfragen gegangen sei. Das Gericht habe somit mit der Vertagung des Termins selbst gegen
das Gebot der Beschleunigung des zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich verzögerten Verfahrens verstoßen. Gleiches gelte für
die Terminierung erst zum 11. September 2012. Auch die Krankheit des Kammervorsitzenden ab dem 11. September 2012 entschuldige
die Verzögerung nicht. Zum einen sei das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich verzögert gewesen, zum anderen hätte
das Gericht nunmehr eine besondere Beschleunigung des Verfahrens herbeiführen müssen. Zudem sei entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan
jede Richterstelle mit einer Vertretung besetzt. Der Termin hätte daher durch den geschäftsplanmäßigen Vertreter durchgeführt
werden müssen. Zumindest hätte das Gericht spätestens zu dem Zeitpunkt, als bekannt geworden sei, dass die Erkrankung länger
andauere, umgehend eine Vertretung benennen müssen. Spätestens am 24. September 2011 sei klar gewesen, dass für das bereits
erheblich verzögerte Verfahren kurzfristig eine Lösung gefunden werden müsse. Soweit das sich anschließende Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
selbst nicht als verzögert zu bewerten sei, sei es umgekehrt jedoch auch nicht dazu angetan, die überlange Dauer des erstinstanzlichen
Verfahrens auch nur teilweise zu kompensieren.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung, zumindest aber 4.900,00 Euro
wegen überlanger Dauer des beim Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 52 AL 2549/08 geführten Verfahrens nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem 02. Juni 2014 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, dass das streitgegenständliche Ausgangsverfahren zwar lange, nicht jedoch zu lange gedauert habe. Es sei zu beachten,
dass nach der von der Klägerin erbetenen Verlegung des zunächst anberaumten Termins eine erneute umgehende Terminierung zum
11. September 2012 erfolgt sei. Wegen einer Erkrankung des Vorsitzenden habe dieser Termin aufgehoben werden müssen. Da die
Erkrankung länger gedauert habe, sei der Rechtsstreit nach einem Kammerwechsel am 05. März 2013 zum 06. Juni 2013 terminiert
worden. Es sei zu berücksichtigen, dass jede erneute Terminierung schon wegen der Ladungsfristen und Zustellzeiten längere
Zeiträume in Anspruch nehme. Zudem stelle die länger dauernde Erkrankung des Vorsitzenden keinen strukturellen Mangel dar,
der geeignet sei, Entschädigungsansprüche nach §
198 GVG zu begründen. Bei einem nach Erkrankung des vormaligen Vorsitzenden erforderlich gewordenen Kammerwechsel sei eine erneute
Terminierung innerhalb von weniger als sechs Monaten und ein Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens binnen weniger als
neun Monaten nach der Erkrankung nicht unangemessen. Hierbei sei auch zu beachten, dass nicht auf jede Erkrankung sofort mit
einem Präsidiumsbeschluss im Sinne einer Übertragung des Verfahrens an einen anderen Vorsitzenden reagiert werden könne, was
schon die Beachtung des Gebots des gesetzlichen Richters (Art.
101 Abs.
1 Satz 2
Grundgesetz -
GG -) verbiete. Im Übrigen dürften Anordnungen des Präsidiums im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen
Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung
einzelner Richter nötig werde. Vor der Änderung sei den betroffenen Richtern Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben. Allein
diese gesetzlichen Anforderungen an einen Kammerwechsel zeigten, dass im Ausgangsverfahren keine Verzögerung in dem Verfahrensstadium,
welches sich an die Erkrankung des vormaligen Vorsitzenden anschloss, gesehen werden könne. Zudem sei nicht jede Abweichung
vom Optimum ausreichend für eine unangemessene Verfahrensdauer, sondern vielmehr die deutliche Überschreitung der äußersten
Grenze des Angemessenen erforderlich. Schließlich sei zu beachten, dass es in dem Ausgangsverfahren entgegen der Auffassung
der Klägerin nicht um einfache Rechtsfragen gegangen sei. Die Klägerin habe vielmehr im Ausgangsverfahren selbst angeregt,
die Sprungrevision zuzulassen. Auch das Urteil des Bundessozialgerichts, welches letztlich für die Begründung des klageabweisenden
Urteils maßgeblich gewesen sei, sei erst im Laufe des Ausgangsverfahrens ergangen. Insofern sei im vorliegenden Fall eine
Liegezeit von mehr als zwölf Monaten durchaus angemessen. Letztlich sei die Dauer des Ausgangsverfahrens durch die sehr kurze
Dauer des sich anschließenden Beschwerdeverfahrens kompensiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
A. Die auf Gewährung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig.
I. Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§
198 ff.
GVG sowie die §§
183,
197a und
202 SGG, jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht
um einen Amtshaftungsanspruch im Sinne des Art.
34 GG. Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in
dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in §
202 Satz 2
SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des
GVG (§§
198-
201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle
des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der
Zivilprozessordnung das
SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig.
II. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §
202 Satz 2
SGG sind die Vorschriften des
SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß §
54 Abs.
5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn
ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Klägerin macht angesichts der Regelung des §
198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.d. §
54 Abs.
5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl.
§
198 Abs.
5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz
1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger
geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch
eine Verpflichtung handelt.
III. Zweifel an der Wahrung der gemäß §
90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform bestehen ebenso wenig wie an der Einhaltung der in §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG normierten Sechsmonatsfrist für eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.
Nach Zustellung des die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschlusses am 03. Dezember 2013 wurde die Entschädigungsklage
am 02. Juni 2014, mithin binnen sechs Monaten erhoben.
B. Auch ist die Zahlungsklage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung für das beim Sozialgericht Berlin am 30. April 2008 eingeleitete und mit Zustellung
der Urteilsgründe am 12. Juni 2013 erstinstanzlich beendete Verfahren. Mit Blick auf die Dauer dieses Verfahrens macht sie
ausschließlich einen Nachteil geltend, der kein Vermögensnachteil ist, und begehrt eine Entschädigung in Höhe von mindestens
4.900,00 €. Eine Entschädigung steht ihr indes zur Überzeugung des Senats lediglich in Höhe von 2.800,00 € zu.
I. Zu Recht richtet sich die Klage gegen das hier passivlegitimierte Land Berlin. Denn nach §
200 Satz 1
GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Da der geltend
gemachte Entschädigungsanspruch lediglich die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens betrifft, erfolgt die Vertretung des
Landes Berlin durch die Präsidentin des Sozialgerichts, obwohl das streitgegenständliche Ausgangsverfahren letztlich auf die
Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin auch vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bearbeitet werden musste (§ 29
Abs. 1 Satz 1 und 2 der Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz
und Verbraucherschutz vom 22. Oktober 2012, Amtsblatt Berlin 2012, 1979). Die Übertragung der Vertretung durch eine Verwaltungsanweisung
ist nicht zu beanstanden (so Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 17.04.2013, X K 3/12, juris, Rn. 30 ff. für die vorher geltende Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung
für Justiz vom 20.09.2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641).
II. Allerdings steht der Klägerin nicht die von ihr geforderte Entschädigung in Höhe von mindestens 4.900,00 €, sondern lediglich
eine solche in Höhe von 2.800,00 € zu.
Grundlage für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ist §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter
einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit
nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4 GVG ausreichend ist (§
198 Abs.
2 S. 2
GVG).Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer
des Verfahrens gerügt hat (§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG). Dies gilt nach Art. 23 Satz 2 bis 5 GRüGV für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge
unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch
nach §
198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Die Klägerin hat am 20. Dezember 2011 - und damit unverzüglich (vgl. zur insoweit zu wahrenden Frist von drei Monaten ab Inkrafttreten
des GRüGV am 03. Dezember 2011: Urteile des BFH vom 07.11.2013, X K 13/12, Rn. 31 ff. sowie vom 20.08.2014, X K 9/13, Rn. 23, des Bundesgerichtshofes [BGH] vom 10.04.2014, III ZR 335/13, Rn. 23 ff. sowie des Bundessozialgerichts [BSG] vom 03.09.2014, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 23 und vom 05.05.2015, B 10 ÜG 8/14
R, Rn. 21, alle zitiert nach juris)- Verzögerungsrüge erhoben. Auch weist das streitgegenständliche Verfahren eine überlange
Dauer auf, dies allerdings nicht in dem von der Klägerin beklagten Umfang.
Ob ein Verfahren als überlang anzusehen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Vielmehr regelt §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie
das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt.
Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer ist - so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
(BT-Drucks. 17/3802, S. 18 f. zu § 198 Abs. 1) - unter dem Aspekt einer möglichen Mitverursachung zunächst die Frage, wie
sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat. Außerdem sind insbesondere zu berücksichtigen die
Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falles sowie die Bedeutung des Rechtsstreits, wobei nicht nur die Bedeutung
für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern
auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Diese Umstände sind darüber hinaus in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen
(vgl. dazu BSG, Urteile vom 21.02.2013, B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.). Denn schon aus der
Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art.
19 Abs.
4 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit wird deutlich, dass es auf
eine gewisse Schwere der Belastung ankommt. Ferner sind das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art.
97 Abs.
1 GG) sowie das Ziel, inhaltlich richtige Entscheidungen zu erhalten, zu berücksichtigen. Schließlich muss ein Rechtsuchender
damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, sodass
ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist. Insgesamt reicht daher zur Annahme der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht
jede Abweichung vom Optimum aus, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen
(BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 33).
1. Ausgangspunkt der Angemessenheitsprüfung bildet die - in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definierte - Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss, auch wenn
ein Kläger oder eine Klägerin - wie hier - nur die Überlänge eines Verfahrensabschnitts zum Gegenstand seiner/ihrer Entschädigungsklage
macht. Nicht von Bedeutung für das Entschädigungsverfahren ist hingegen die Dauer eines Widerspruchsverfahrens (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 25, 27).
Das streitgegenständliche Verfahren wurde mit Erhebung der Klage am 30. April 2008 eingeleitet und war mit Zustellung der
Urteilsgründe des Sozialgerichts am 12. Juni 2013 erstinstanzlich erledigt. Sodann schloss sich ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
an, das mit Zustellung des zurückweisenden Beschlusses am 03. Dezember 2013 seinen Abschluss fand. Das Verfahren hat sich
mithin insgesamt über fünf Jahre und gut sieben Monate hingezogen.
2. Bei dem gegenständlichen Rechtsstreit handelte es sich um ein Verfahren von unterdurchschnittlicher Bedeutung, das von
unterdurchschnittlicher Komplexität und allenfalls durchschnittlicher Schwierigkeit war.
a) Dem streitgegenständlichen Ausgangsverfahren ist eine nur unterdurchschnittliche Bedeutung beizumessen.
Für die Allgemeinheit kam ihm keinerlei Bedeutung zu. Im Gegenteil war die dem Verfahren zugrunde liegende Rechtsfrage, welches
tägliche Bemessungsentgelt einem Anspruch auf Arbeitslosengeld zugrunde zu legen ist, wenn der Bemessungszeitraum infolge
von Mutterschutz- und Erziehungszeiten keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält und sich die Bemessung des Arbeitslosengeldes
sodann fiktiv nach Qualifikationsgruppen bestimmt, zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits beim Bundessozialgericht zur Entscheidung
anhängig und einen Monat später entschieden.
Auch für die Klägerin selbst hatte das Verfahren nur unterdurchschnittliche Bedeutung. Maßgeblich ist insoweit zum einen die
allgemeine Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen des Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung
der Sache im Sinne von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung
bei. Wesentlich ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw. der
Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen auswirkt
(BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 31, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 35, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 38, jeweils
zitiert nach juris). Für die Klägerin ging es im Ausgangsverfahren letztlich um die Bewilligung höheren Arbeitslosengeldes
lediglich für die Zeit vom 07. bis zum 30. April 2008. Soweit sich der Differenzbetrag zwischen dem von der damaligen Beklagten
angesetzten und dem nach Auffassung der Klägerin anzusetzenden täglichen Bemessungsentgelt zum Zeitpunkt der Klageerhebung
noch auf 60,89 € belief, hat die damalige Beklagte bereits mit Bescheid vom 06. Juni 2008, mithin einen guten Monat nach Klageerhebung,
höhere Leistungen nunmehr unter Ansatz von täglich 82,83 € gewährt, sodass der Differenzbetrag nur noch 36,04 € betrug. Im
Erfolgsfalle hätte die Klägerin damit letztlich - bezogen auf den Zeitraum vom 07. bis zum 30. April 2008 - einen um 293,04
€ (vgl. zur Berechnung den Beschluss des Landessozialgerichts im Ausgangsverfahren vom 29. November 2013) höheren Leistungsanspruch
gehabt. Dass es sich hierbei um einen für sie bedeutsamen Betrag handeln könnte, wird von ihr selbst nicht geltend gemacht
und ist auch sonst nicht ersichtlich. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es letztlich um eine reine Rechtsfrage ging,
sodass sich der Zeitablauf nicht nachteilig auf die Verfahrensposition der Klägerin und das geltend gemachte Recht ausgewirkt
hat.
b) Umgekehrt ist mit Blick auf die für die Verfahrensdauer weiter bedeutsame Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens
festzustellen, dass das Verfahren, nachdem das Bundessozialgericht über die wesentliche Frage mit Urteil vom 29. Mai 2008
(B 11a AL 23/07 R) entschieden hatte, jedenfalls einen Monat nach Klageerhebung keine besonderen Schwierigkeiten mehr aufgewiesen
hat. Mangels erforderlicher Ermittlungen oder gar einer Beweisaufnahme war das Verfahren, dem ein überschaubarer Sachverhalt
zugrunde lag, schließlich auch von nur unterdurchschnittlicher Komplexität.
3. Mit Blick auf den Verfahrensablauf ist festzustellen, dass weder die Klägerin noch die damalige Beklagte als Verfahrensbeteiligte
vorwerfbar zu Verzögerungen des Verfahrens beigetragen haben.
Soweit es - auch wenn dies in §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG als Kriterium zur Bestimmung der Angemessenheit nicht ausdrücklich erwähnt wird - für eine Verletzung des Art. 6 EMRK durch den Beklagten wesentlich darauf ankommt, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens
geführt haben, sind allein Verzögerungen maßgeblich, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere
aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 41). Vor diesem Hintergrund sind die während des Verfahrens aufgetretenen
aktiven und inaktiven Zeiten der Bearbeitung konkret zu ermitteln. Kleinste relevante Zeiteinheit ist im Geltungsbereich des
GRüGV dabei stets der Monat (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 25, B 10 ÜG 2/13, Rn. 24, jeweils zitiert nach juris)
im Sinne des Kalendermonats (BSG, Urteil vom 12.02.2015, B 10 ÜG 11/13 R, 2. Leitsatz und Rn. 34).
Zu beachten ist dabei, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher)
Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt.
Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken
generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57).
Weiter ist insoweit zu berücksichtigen, dass generell auch ein Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen
Verfahren als Zeiten der aktiven Bearbeitung anzusehen seien können, wenn nämlich zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren
Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind, oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen
ausdrücklich zustimmen (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 47).
Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet, um das
Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts
hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung
und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die
Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet
und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen,
ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Grundrechts aus Art.
19 Abs.
4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung
abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 36, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 39, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 43, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 42,
jeweils zitiert nach juris). Denn ungeachtet richterlicher Unabhängigkeit besteht eine richterliche Grundpflicht zur stringenten
und beschleunigten Verfahrensgestaltung (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 49). Dies bedeutet, dass die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets
die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten müssen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem
Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und
dessen Beendigung zu bemühen. Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt
(weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung. Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens
grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können
bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa
für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme, den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme
des Gerichts und ohnehin für so genannte Schiebeverfügungen (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 37, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 40, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 44, zitiert jeweils nach juris).
Gemessen daran gilt hier mit Blick auf das streitgegenständliche Ausgangsverfahren Folgendes:
Anders als die Klägerin meint ist es nicht bereits ab Klageeingang am 30. April 2008 zu einer Phase der gerichtlichen Inaktivität
gekommen. Im Gegenteil hat das Sozialgericht den Eingang der Klage wenige Tage später - unter dem 05. Mai 2008 - bestätigt
und die damalige Beklagte zur Stellungnahme innerhalb eines Monats aufgefordert. Nach deren Eingang Mitte Juni verfügte der
Kammervorsitzende eine Weiterleitung des Schriftsatzes an die Klägerin zur Rückäußerung innerhalb eines Monats. Ob diese Verfügung
ausgeführt wurde, ist letztlich bedeutungslos. Denn wäre dies der Fall, wäre der Juli 2008 bereits deshalb als Aktivitätsmonat
anzusehen, weil der Ablauf der eingeräumten Stellungnahmefrist abgewartet werden musste. Wäre die Verfügung nicht ausgeführt
worden, wäre der Juli letztlich - ebenso wie im Folgenden die Monate August und Oktober 2008 - im Hinblick auf das Abwarten
des Ausgangs des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens als Zeit der gerichtlichen Aktivität zu bewerten. Denn auch wenn sich
die Streitgegenstände im Hauptsache- sowie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht absolut deckten, war insbesondere
vor dem Hintergrund der Ende Mai 2008 ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts durchaus zu erwarten, dass mit dem
einstweiligen Rechtsschutzverfahren letztlich auch die Hauptsache ihren endgültigen Abschluss finden würde.
Auch der Monat November 2008 ist nicht als Phase der Inaktivität anzusehen. Denn nachdem das Sozialgericht die Akten vom Landessozialgericht
zurückerhalten hatte, hat es im November 2008 bei der Klägerin angefragt, ob die Sache vor dem Hintergrund des Ausgangs des
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens überhaupt fortgesetzt werden soll. Die ihr gesetzte Stellungnahmefrist von einem Monat
reichte bis in den Dezember hinein, sodass auch dieser Monat, in dessen Mitte letztlich die Stellungnahme dann auch einging,
noch als aktive Phase anzusehen ist.
Anderes hat hingegen für die Zeit ab Januar 2009 bis einschließlich April 2012 zu gelten. In diesen 40 Kalendermonaten ist
nicht ersichtlich, dass dem Verfahren in irgendeiner Weise Fortgang gegeben worden wäre.
Soweit die Klägerin meint, dass es im Folgenden auch nur zu jeweils kurzfristiger gerichtlicher Aktivität gekommen sei, folgt
der Senat ihr hingegen nicht.
Im Mai 2012 wurde der Rechtsstreit für Juni 2012 geladen. Im Mai ist es damit zweifelsohne zu einer verfahrensfördernden gerichtlichen
Handlung gekommen. Gleiches gilt auch für Juni 2012, in dem die Sache umgeladen wurde. Soweit die Klägerin meint, die Monate
ab Juni 2012 seien dem Beklagten schon deshalb als Verzögerungsmonate anzulasten, weil die Terminsaufhebung im Juni 2012 nicht
erforderlich gewesen sei, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Die Klägerin hatte zwar wegen eigener Verhinderung primär
nicht um Terminsverlegung, sondern um Entbindung vom angeordneten persönlichen Erscheinen ersucht. Zur Überzeugung des Senats
hat das Entschädigungsgericht jedoch die Entscheidung des für die Bearbeitung des Ausgangsverfahrens zuständigen Richters,
das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anzuordnen und nachfolgend den Termin zur mündlichen Verhandlung im Falle der
Verhinderung dieses Verfahrensbeteiligten aufzuheben, in aller Regel nicht in Frage zu stellen. Wenn ein Richter oder eine
Richterin es bevorzugt, die Klägerin oder den Kläger persönlich zur mündlichen Verhandlung zu laden, unterfällt dies seiner
von der richterlichen Unabhängigkeit geschützten Gestaltungsfreiheit. Anderes hat vorliegend auch nicht mit Blick auf die
zum fraglichen Zeitpunkt bereits eingetretene Verfahrensdauer von gut vier Jahren zu gelten. Aus einer ex-post-Sicht mag sich
mit Blick auf die weiteren Geschehnisse die Terminsverlegung als ungünstig erwiesen haben. Diese Sicht ist jedoch nicht maßgeblich.
Der Richter hat die Sache vielmehr nach Eingang des Entbindungsgesuchs sofort auf einen etwa drei Monate später liegenden
Verhandlungstermin umgeladen. Es ist nicht ersichtlich, dass er dabei - insbesondere auch unter Beachtung der Bedeutung des
Verfahrens - die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein zügiges Verfahren missachtet haben könnte. Dass er die Sache im
September letztlich aufgrund seiner dann aufgetretenen Erkrankung nicht zum Abschluss bringen würde, konnte er aus seiner
damaligen - und insoweit allein entscheidenden - ex-ante-Betrachtung nicht wissen.
Soweit es in den Monaten Juli und August 2012 in Erwartung des für September 2012 anberaumten Termins nicht zu weiteren gerichtlichen
Aktivitäten gekommen ist, rechtfertigt dies nicht die Annahme, beide Monate seien als Verzögerungsmonate zu bewerten. Wohl
aber sieht der Senat einen der beiden Monate als entschädigungsrelevant an. Hintergrund hierfür ist die Überlegung, dass ein
Richter letztlich die Wahl hat, einen Rechtsstreit zu verfristen bzw. in das so genannte Entscheidungs-Fach zu verfügen und
dann recht kurzfristig zu terminieren oder die Termine weiträumig anzuberaumen. Es führte hingegen zu Wertungswidersprüchen,
wenn in ersterem Fall durch Verfristungen oder Liegezeiten im Entscheidungsfach bedingte Phasen der Inaktivität auch als solche
zu bewerten wären, während im zweiten Fall die Monate zwischen Ladung und Sitzung regelmäßig als Phasen der gerichtlichen
Aktivität angesehen würden, zumal dies letztlich Raum böte, die zur Verfügung stehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeiten durch
eine weiträumige Terminierung zu erweitern. In diesem Spannungsfeld geht der Senat davon aus, dass neben dem Monat, in dem
die Ladung erfolgt, nicht nur der Monat, in dem die Verhandlung stattfinden soll, als Aktivitätsmonat zu bewerten ist, sondern
dazwischen noch ein weiterer. Nicht hingegen hält er es für erforderlich, dass die mündliche Verhandlung - zur Vermeidung
von Inaktivitätszeiten - stets spätestens im Monat nach der Ladung zu erfolgen hat. Insbesondere ist dies nicht aus §
110 Abs.
1 Satz 1
SGG zu folgern, nachdem der Vorsitzende den Beteiligten Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung "in der Regel zwei Wochen vorher"
mitteilt. Schon unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten und der Zeit, die für den Rücklauf der Ladungsnachweise erforderlich
ist, ist diese Frist zu erweitern. Darüber hinaus aber liegt es im Interesse sämtlicher Verfahrensbeteiligter, wenn die Frist
zwischen Ladung und Termin großzügiger bemessen ist. Denn nicht nur ermöglicht dies den Verfahrensbeteiligten eine bessere
Planung und Vorbereitung. Auch besteht bei einer weiträumigeren Terminierung eher die Chance, im Falle einer erforderlich
werdenden Aufhebung einer Sache eine andere - noch unter Einhaltung der Ladungsfrist - nachzuladen, was angesichts knapper
Ressourcen stets wünschenswert ist. Abgesehen davon, kann bei der in der Sozialgerichtsbarkeit üblichen Zuständigkeit eines
Spruchkörpers für in der Regel mehrere Sachgebiete, die teilweise die Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter aus verschiedenen
Kreisen erfordert, letztlich gerade im Falle einer Umladung keinesfalls davon ausgegangen werden, dass bereits im Folgemonat
eine mündliche Verhandlung in der fraglichen Rechtssparte stattfinden wird.
Entgegen der bei der Klägerin anklingenden Rechtsauffassung sind auch weder der September 2012 noch die Zeit von Oktober bis
einschließlich Dezember 2012 als Monate der Inaktivität anzusehen. Im September 2012 ist der Rechtsstreit tatsächlich nicht
gefördert, im Gegenteil der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben worden. Dies ist jedoch nicht auf Inaktivität
oder eine unzureichende Ausstattung der Justiz im Allgemeinen, sondern auf die unvorhergesehene Erkrankung des damaligen Kammervorsitzenden
zurückzuführen (vgl. in diesem Zusammenhang BGH, Beschluss vom 17.03.2005, 3 StR 39/05, juris, Rn. 17). Soweit die Klägerin meint, die Sitzung hätte in dieser Situation zur Vermeidung von Phasen der gerichtlichen
Inaktivität vom geschäftsplanmäßigen Vertreter wahrgenommen werden müssen, folgt der Senat ihr nicht. Er hält es vielmehr
in der vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Sozialgerichtsbarkeit, in der die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
eine intensive, nicht selten durch das Studium umfangreicher Akten geprägte und daher sehr zeitaufwändige Vorbereitung erfordert,
in der Regel weder für möglich noch auch nur für geboten, dass der reguläre Vertreter im Falle der plötzlichen Erkrankung
des Kammervorsitzenden kurzfristig eine mündliche Verhandlung für diesen wahrnimmt. Wie bereits oben ausführlich dargelegt,
kommt es nicht allein auf einen zügigen Verfahrensabschluss an, sondern ist gleichermaßen das Ziel zu berücksichtigen, einen
Rechtsstreit einer möglichst richtigen Entscheidung zuzuführen. Selbst ein - nicht mit einem eigenen Dezernat belasteter -
Vertreter dürfte jedoch kaum in der Lage sein, ohne jede frühere Kenntnis der Akten von heute auf morgen, was im streitgegenständlichen
Verfahren offenbar erforderlich gewesen wäre, einen vollständigen Sitzungstermin sachgerecht vorzubereiten. Abgesehen davon
erforderte das Vorhalten von Vertretern, die in Krankheitsfällen jederzeit einspringen könnten, eine Personalausstattung,
die mit den Grundsätzen sparsamer Haushaltsführung auch nicht ansatzweise in Einklang zu bringen wäre. Dies insbesondere auch
vor dem Hintergrund, dass eine Terminsverlegung in der Sozialgerichtsbarkeit - anders als möglicherweise in Haftsachen vor
den Strafgerichten - in der Regel keine dramatischen Folgen hat. Ob im Einzelfall einmal anderes zu gelten hat, kann hier
dahinstehen. Jedenfalls erforderte der dem streitgegenständlichen Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt offensichtlich
kein entsprechendes Vorgehen.
Weiter ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass - wie bereits oben ausgeführt - kein Kläger einen Anspruch auf
einen optimalen Verfahrensverlauf hat. Wohl aber erfordert die Erkrankung eines Richters eine Abwägung, welche Schritte einzuleiten
sind, was zunächst einmal eine Kenntnis der Verwaltung davon erfordert, ob es sich voraussichtlich um eine nur kurzzeitige
oder eine längerfristige Erkrankung handeln wird. Denn nur in letzterem Falle ist die Einleitung weiterer Schritte - z.B.
die Bestellung eines besonderen Vertreters oder eine Umverteilung - erforderlich. Dies macht jedoch nach einer der Verwaltung
zuzubilligenden Vorbereitungsphase die Einschaltung des Präsidiums erforderlich, was wiederum Zeit in Anspruch nimmt. Der
Senat geht insoweit davon aus, dass die erforderlichen Schritte binnen drei Kalendermonaten nach Auftreten der Erkrankung
eines Richters einzuleiten sein müssten, und sieht dementsprechend die drei auf das Auftreten der Erkrankung folgenden Kalendermonate
nicht als Phase der gerichtlichen Inaktivität, sondern als von Klägern regelmäßig als "höhere Gewalt" entschädigungslos hinzunehmende
Zeiten an. Vor diesem Hintergrund sind damit lediglich der Januar und Februar 2013 als Phasen der gerichtlichen Inaktivität
zu bewerten.
Im März 2013 wurde die Sache dann für Juni 2013 geladen und in diesem Monat auch zum Abschluss gebracht. In dieser Phase ist
wiederum - den obigen Ausführungen folgend - von einem Verzögerungsmonat auszugehen, da zwischen dem Ladungs- und dem Terminsmonat
nicht nur ein, sondern zwei volle Kalendermonate liegen.
Nach alledem ist es im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens zu 44 Kalendermonaten gekommen, in denen von gerichtlicher Inaktivität
auszugehen ist. Dies heißt jedoch nicht, dass in vorstehendem Umfang tatsächlich eine entschädigungsrelevante Verzögerung
anzunehmen ist. Denn die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund
einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf
die in §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG benannten Kriterien erfolgen. Dabei führt die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht
noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Denn es ist zu beachten, dass einem Rechtschutzsuchenden
- je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels sowie abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits und
von seinem eigenen Verhalten - gewisse Wartezeiten zuzumuten sind, da grundsätzlich jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs-
und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 52). Allerdings muss die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte
einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln
etc.) andererseits so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung
mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate
zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für die Ausstattung
der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn
Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 53, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 46, jeweils zitiert nach juris). Vor diesem Hintergrund
sind - vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten im Umfang von bis zu zwölf
Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte
als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können, und können in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende
Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreitet,
aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter
verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 33, 54 f., B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 47 f., jeweils zitiert nach juris). Die genannten
Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände
ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 56).
Derartige Kriterien vermag der Senat mit Blick auf das erstinstanzliche Verfahren schon unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes,
der eine bevorzugte Erledigung nicht geboten erscheinen ließ, nicht zu erkennen. Angesichts der nur geringen Komplexität und
Schwierigkeit sieht der Senat umgekehrt allerdings auch keine Gründe, die es nunmehr rechtfertigen würden, zum Nachteil der
Klägerin von einer längeren Bearbeitungs- und Bedenkzeit auszugehen. Vor diesem Hintergrund wäre mit Blick auf das erstinstanzliche
Verfahren unter Berücksichtigung der im Umfang von 44 Kalendermonaten festgestellten Zeiten der Inaktivität angesichts der
dem Gericht im Umfang von zwölf Monaten zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei isolierter Betrachtung von einer entschädigungsrelevanten
Verzögerung von 32 Kalendermonaten auszugehen.
Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten
in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden können (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13, Rn. 43, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 43, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 51, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 44, zitiert
jeweils nach juris). Da Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem
rechtskräftigen Abschluss insgesamt ist, bedeutet dies zur Überzeugung des Senats, dass insoweit auch eine instanzübergreifende
Betrachtung zu erfolgen hat, zumal insbesondere in ermittlungsintensiveren Verfahren die Gründlichkeit der Bearbeitung in
der ersten Instanz erhebliche Auswirkungen auf die Dauer des zweitinstanzlichen Verfahrens zumindest haben kann. Dies heißt,
dass in einem erstinstanzlichen Verfahren aufgetretene Verzögerungen noch durch die zügige Bearbeitung im Berufungs- bzw.
Beschwerdeverfahren zu kompensieren sind und umgekehrt im Falle einer sehr zügigen Bearbeitung einer Sache vor dem Sozialgericht
das zweitinstanzliche Verfahren entsprechend länger dauern kann. Dabei können die dem jeweiligen Gericht für seinen Verfahrensabschnitt
zur Verfügung stehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeiten zur Überzeugung des Senats vollumfänglich auf das Verfahren der jeweils
anderen Instanz übertragen werden, soweit sie nicht "aufgebraucht" sind. Anlass, hier eine nur gleichsam anteilige Übertragung
vorzunehmen, sieht der Senat bereits vor dem Hintergrund, dass Anknüpfungspunkt für die Verfahrensdauer das Verfahren insgesamt
ist, nicht. Es wäre aus seiner Sicht auch nicht nachvollziehbar, warum ein Kläger, der ein Verfahren durch zwei Instanzen
betreibt, in deren Verlauf es beispielsweise zu insgesamt 32 Inaktivitätsmonaten kommt, entschädigungsrechtlich in Abhängigkeit
davon anders stehen sollte, in welchem Verfahrensstadium diese Verzögerungszeiten aufgetreten sind und auf welchen Verfahrensabschnitt
er letztlich seinen Entschädigungsanspruchbegrenzt.
Allerdings ist vorliegend zu beachten, dass sich im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren dem Klageverfahren keine Berufung,
sondern eine Nichtzulassungsbeschwerde anschloss. Für ein derartiges Beschwerdeverfahren hält der Senat eine Vorbereitungs-
und Bedenkzeit nicht von in der Regel zwölf, sondern nur von sechs Monaten für angemessen. Dem liegt die Überlegung zugrunde,
dass die Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde keine erneute Vollprüfung erforderlich macht, sodass die Vorbereitungs-
und Bedenkzeit deutlich kürzer zu bemessen ist als im Berufungsverfahren. Umgekehrt aber zeigt bereits die gesetzliche Systematik,
nach der in sozialgerichtlichen Verfahren gemäß §
143 SGG regelmäßig die Berufung statthaft ist und Kläger nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen, nämlich solchen geringerer Bedeutung
(§
144 SGG), auf das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde verwiesen werden können, dass derartige Beschwerden anders als z.B. Beschwerden
in einstweiligen Rechtsschutzverfahren oder auch - angesichts der damit zumeist verbundenen Blockierung des Klageverfahrens
- in Prozesskostenhilfeverfahren keine bevorzugte Erledigung erfordern.
In dem dem hiesigen Entschädigungsverfahren zugrundeliegenden Rechtsstreit ist es im Beschwerdeverfahren im September und
Oktober 2013 - mithin in zwei Monaten - zu Zeiten gerichtlicher Inaktivität gekommen. Die dem Gericht darüber hinaus zustehenden
vier Monate sind mithin geeignet, die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens in besagtem Umfang zu kompensieren.
Nach alledem berechnet sich eine Verzögerung von 28 Monaten. Gründe, hiervon zu Gunsten oder zu Lasten eines der Beteiligten
abzuweichen, sieht der Senat nicht.
4. Durch die überlange Verfahrensdauer hat die Klägerin einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits
aus §
198 Abs.
2 Satz 1
GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert
hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von
dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
5. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Absatz
4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung
des Senats nicht ausreichend (§
198 Abs.
2 Satz 2
GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend
kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat
auch der Beklagte nicht geltend gemacht.
6. Ausgehend von der im Umfang von 28 Monaten überlangen Dauer des erstinstanzlichen Klageverfahrens und dem in §
198 Abs.
2 S. 3
GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 € für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich die der Klägerin zustehende angemessene
Entschädigung auf 2.800,00 €. Gründe, die den Ansatz des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrages unbillig und daher eine
abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich und von den Beteiligten auch nicht geltend
gemacht.
III. Da der Entschädigungsanspruch nach §
198 GVG außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche steht, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des §
44 SGB I grundsätzlich nicht beansprucht werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 52, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 61 und B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 54, alle zitiert nach juris),
war der Beklagte weiter gemäß §§
288 Abs.
1,
291 Satz 1
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) analog zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit,
d.h. nach §
94 SGG ab Klageerhebung am 02. Juni 2014 zu verurteilen.
VI. Die Revision war nach §§
160 Abs.
2,
202 Satz 2
SGG,
201 Abs.
2 Satz 3
GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.