Höhe des Gegenstandwerts in einem Widerspruchsverfahren über die Bildung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Kosten bzw. um die Höhe des Gegenstandwerts in einem erfolgreich
durchgeführten Widerspruchsverfahren.
Mit Beschluss vom 20. Februar 2008 lehnte der Zulassungsausschuss für Ärzte den Antrag der Klägerin auf Genehmigung einer
überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der Internistin Dr. S in H ab.
Der hiergegen von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingelegte Widerspruch war erfolgreich: Mit Beschluss vom 25. Juni
2008 genehmigte der Beklagte die Bildung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft.
Mit Schreiben vom 22. September 2008 beantragte die Klägerin, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für
notwendig zu erklären und bat - auf der Basis eines Gegenstandwerts von 200.000 Euro - um Erstattung von Kosten in Höhe von
insgesamt 5.317,16 Euro.
Mit Beschluss vom 8. Oktober 2008, der Klägerin zugestellt am 6. Dezember 2008, erklärte der Beklagte die Hinzuziehung eines
Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig und setzte die zu erstattenden Aufwendungen auf 847,64 Euro fest. Zugrundezulegen
sei ein Gegenstandwert in Höhe des Auffangwerts von 5.000 Euro gemäß § 23 RVG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Anders als die Klägerin meine, dürfe der Gegenstandswert nicht wie bei einer Statusentscheidung im Zulassungsverfahren bemessen
werden. Der Wert der Bildung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft und die damit einhergehenden wirtschaftlichen
Vorteile (Synergieeffekte etc.) ließen sich nicht konkret beziffern, weshalb es beim Auffangwert bleiben müsse.
Mit der am 23. Dezember 2008 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel, die Festsetzung von zu erstattenden Aufwendungen
in Höhe von insgesamt 5.317,16 Euro auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 200.000 Euro zu erreichen, weiter. Zur Begründung
hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Wie bei dem vertragsärztlichen Zulassungsverfahren entspreche das wirtschaftliche Interesse
beim Zulassungsverfahren einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft dem Jahresgewinn der Gesellschaft. Weil dieser im
Jahre 2008 800.000 Euro betragen habe, sei die Ansetzung von 200.000 Euro noch sehr niedrig. Jedenfalls gehe der wirtschaftliche
Wert einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft weit über den Auffangstreitwert von 5.000 Euro hinaus.
Der Beklagte ist dem entgegen getreten und hat erklärt, es gebe im vorliegenden Falle gerade keine genügenden Anhaltspunkte
für die Bestimmung des Gegenstandwerts, so dass der Auffangwert aus § 52 Abs. 2 GKG heranzuziehen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2009, der Klägerin zugestellt am 10. Juli 2009, hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zu Recht habe der Beklagte den Gegenstandwert für das Widerspruchsverfahren
mit 5.000 Euro bemessen und die zu erstattenden Kosten auf dieser Grundlage berechnet. Die Rechtsprechung zum Streitwert in
Zusammenhang mit der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung sei auf die Bildung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft
nicht übertragbar. Maßgeblich könne nur der Wert sein, der aus der Zusammenführung bisher getrennt erwirtschafteter Gewinne
resultiere. Ein bloßer Vergleich der Einnahme-Überschuss-Rechnungen vor und nach dem Zusammenschluss sei aber für die Ermittlung
dieses wirtschaftlichen Vorteils nicht tauglich. Letztlich sei der Wert einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft nicht
bezifferbar und von der Klägerin auch nicht hinreichend beziffert worden, so dass es bei dem Auffangstreitwert von 5.000 Euro
bleiben müsse.
Am 10. August 2009 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nach wie vor hält sie einen Gegenstandswert von 200.000 Euro für angemessen.
Das Sozialgericht habe alle Aspekte außer acht gelassen, die der Bildung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft im
Falle der Klägerin besonderen wirtschaftlichen Wert beigemessen hätten. Allein der Vergleich der Einnahme-Überschuss-Rechnungen
vor und nach dem Zusammenschluss gebe den wirtschaftlichen Wert hinlänglich genau wieder. Während der Gewinn der Klägerin
zuvor rund 560.000 Euro betragen habe, seien es danach rund 800.000 Euro gewesen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2009 aufzuheben, den Beschluss des Beklagten vom 8. Oktober 2008
zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, die für das Widerspruchsverfahren zu erstattenden Aufwendungen unter Zugrundelegung
eines Gegenstandswerts von 200.000 Euro auf insgesamt 5.317,16 Euro festzusetzen.
Die Beklagte hat sich nicht zu der Berufung geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der
Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen
ist.
Entscheidungsgründe:
Im schriftlich erklärten Einverständnis der Beteiligten durfte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung und an Stelle
des Senats entscheiden, §
124 Abs.
2 SGG i.V.m. §
153 Abs.
1 SGG sowie §
155 Abs.
3 und Abs.
4 SGG.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Zu Recht hat die erstinstanzliche Entscheidung die im Widerspruchsverfahren
zu erstattenden Aufwendungen nicht nach einem Gegenstandswert von 200.000 Euro bemessen, sondern den Auffangstreitwert herangezogen.
Dieser ist jedoch maßvoll auf seinen dreifachen Wert (15.000 Euro) zu erhöhen, so dass die zu erstattenden Gebühren sich auf
1.572,94 Euro belaufen, die Klägerin mithin 725,30 Euro mehr erhält als bislang vom Beklagten zuerkannt.
Rechtsgrundlage der Forderung der Klägerin ist § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben
hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.
Dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X notwendig war, hat der Beklagte entschieden, so dass die Anwaltskosten der Klägerin für das erfolgreich durchgeführte Vorverfahren
dem Grunde nach erstattungsfähig sind.
Die Höhe der der Klägerin durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen
richtet sich nach dem Gegenstandswert für das Vorverfahren und den Bestimmungen des RVG in der zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Rechtsanwaltsgebühren geltenden Fassung. Da der Gegenstandswert bei der Berechnung
des Erstattungsbetrags nur ein Berechnungselement darstellt und seine gesonderte Festsetzung in § 63 SGB X nicht vorgesehen ist, wird er von der Kostenfestsetzungsbehörde bei der Ermittlung des Erstattungsbetrags inzidenter festgelegt.
Nach der in § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG enthaltenen Verweisung auf die für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften und deren entsprechende Anwendbarkeit
für die Tätigkeit des Rechtsanwalts außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, wenn - wie hier - der Gegenstand der Tätigkeit
auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte (§ 23 Abs. 1 Satz 3 RVG), sind im vorliegenden Fall für die Bestimmung des Gegenstandswerts die besonderen Wertvorschriften der §§ 48 ff. GKG maßgebend (s. hierzu allgemein Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl. 2009, RdNr. 3 zu § 52 GKG; Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, JVEG, München 2007, RdNr. 1 zu § 52 GKG). Nach § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes
bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen. Maßgeblich ist dabei die sich aus dem Antrag des Klägers bei einer objektiven Beurteilung
für ihn ergebende Bedeutung der Sache. Diese entspricht seinem Interesse an der angestrebten Entscheidung, wobei die Auswirkungen
zu berücksichtigen sind, die ein Erfolg des Klagebegehrens auf seine wirtschaftliche Lage hat (Hartmann, aaO., RdNrn. 9 ff.
zu § 52). Hiervon ausgehend ist der Gegenstandswert unter Berücksichtigung der anhand konkreter Anhaltspunkte feststellbaren
Umstände des Falles nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (Dörndorfer, aaO., RdNr. 5 zu § 52 GKG; Hartmann, aaO., RdNr. 14 zu § 52 GKG).
Pflichtgemäßem Ermessen entspricht es vorliegend, den Gegenstandswert mit 15.000 Euro zu bemessen. Zutreffend gehen Beklagter
und Sozialgericht davon aus, dass die Bedeutung der Sache - das Begehren nach Zulassung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft
- hier wertmäßig nicht konkret bezifferbar war. Der von der Klägerseite angelegte Wert von 200.000 Euro erscheint aus der
Luft gegriffen. Zu beziffern gewesen wären die konkreten Synergieeffekte durch Bildung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft.
Ein bloßer Vergleich der Einnahme-Überschuss-Rechnungen vor und nach dem Zusammenschluss ist nicht tauglich, weil hier noch
andere Elemente maßgeblich sein können als die Entstehung der Berufsausübungsgemeinschaft. Grundsätzlich pflichtet der Berichterstatter
daher dem Beklagten und dem Sozialgericht bei, dass vorliegend mit dem Auffangstreitwert aus § 52 Abs. 2 GKG zu arbeiten ist; es handelt sich geradezu um einen klassischen Anwendungsfall für diese Vorschrift. Da aber gleichzeitig
nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Bildung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft für die Klägerin mit nennenswerten
wirtschaftlichen Konsequenzen verbunden war, erscheint eine Verdreifachung des Auffangwerts angemessen. Dieser Wert orientiert
sich insoweit an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Zulassungsverfahren von Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten,
als dort auch ein Dreijahresszeitraum für die Bemessung des Streitwerts angesetzt wird (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil
vom 1. September 2005, B 6 KA 41/04 R). Da es sich bei der Bildung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft gleichzeitig nicht um eine Statusangelegenheit
handelt, die mit Zulassungsverfahren von Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten vergleichbar wäre, verbietet es sich, über
den Auffangstreitwert als Rechengröße hinaus zu gehen und etwa auch auf den Gewinn abzustellen, den die Berufsausübungsgemeinschaft
in den nächsten drei Jahren aus der vertragsärztlichen Tätigkeit erzielen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197 a Abs.
1 SGG i.V.m. §§
154 Abs.
2,
155 Abs.
1 Satz 1
VwGO und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache; die Klägerin begehrte ein Mehr an Kostenerstattung in Höhe von etwa 4.470 Euro
und erhält nun rund 725 Euro mehr als der Beklagte entschieden hatte. Das entspricht einem Obsiegen im Umfange von etwa einem
Sechstel.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach §
160 Abs.
2 SGG vorlag.