Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Vormerkungsbescheid nach §
149 Abs.
5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI).
Mit Bescheid vom 4. November 2003 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf des Klägers für den Zeitraum bis zum 31.
Dezember 1996 enthaltenen Zeiten verbindlich fest. Hiergegen erhob dieser mit am 21. November 2003 bei der Beklagten eingegangenem
Schreiben ohne weitere Begründung Widerspruch, den er auch nach Aufforderung nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom
24. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Daraufhin hat der Versicherte Klage erhoben und angekündigt, eine
Begründung nachreichen zu wollen, dies jedoch trotz Aufforderung des Sozialgerichts nicht getan. Auf die ihm am 29. November
2006 zugestellte Anhörung zum Erlass eines Gerichtsbescheides hat er sich dahingehend eingelassen, dass für ihn - den Kläger
- der Sachverhalt nicht geklärt sei. Demgegenüber scheine für das Gericht die Entscheidung schon festzustehen.
Mit dem Kläger am 19. Juni 2007 zugestelltem Gerichtsbescheid vom 15. Juni 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Sie sei nicht begründet worden. Es sei deshalb für das Gericht nicht ersichtlich, inwieweit die Feststellung der Daten im
Versicherungskonto der Rechtslage nicht entspreche. Am 27. Juni 2007 hat der Kläger zum Aktenzeichen L 1 R 115/07 Berufung eingelegt und nach Erhalt der Eingangsbestätigung die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Eine Begründung
des Rechtsmittels hat er indessen auch trotz mehrfacher Aufforderung nicht gegeben. Durch Beschluss vom 11. Februar 2008 hat
der erkennende Senat den auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag unter Hinweis auf das Fehlen einer hinreichenden
Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt. Mangels einer irgendwie gearteten Begründung von Widerspruch, Klage und Berufung fehle
es an greifbaren Anhaltspunkten für eine Fehlerhaftigkeit des Bescheides.
Mit dem Kläger am 21. August 2008 zugestellter gerichtlicher Verfügung ist dieser letztmalig aufgefordert worden, die Berufung
zu begründen und diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert
fühle. Gleichzeitig ist er darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nach §§
102 Abs.
2 Satz 1,
153 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) als zurückgenommen gilt, wenn er das Verfahren trotz dieser Aufforderung länger als drei Monate nicht betreibe, d.h. die
Berufung nicht begründe. Unter dem 16. Dezember 2008 hat das Berufungsgericht - nachdem eine Begründung der Berufung nicht
erfolgt war - die Fiktion der Berufungsrücknahme im Verfahren L 1 R 115/07 festgestellt. Der Kläger hat - nachdem er hiervon Kenntnis erhalten hatte - gebeten, dem Verfahren Fortgang zu geben. Er
habe seine Berufung nicht zurückgenommen. Vielmehr warte er auf einen Gerichtstermin. Offenbar sei das "Gericht zu faul",
einen solchen anzuberaumen. Unter dem Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens ist daraufhin der Rechtsstreit zunächst mit
Ziel, über die Fiktion der Rücknahme der Berufung zu befinden, fortgesetzt worden.
In dem fortgesetzten Berufungsverfahren trägt der Kläger vor, der ihm erteilte Versicherungsverlauf sei fehlerhaft festgestellt,
und gibt im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18. März 2009 hierzu im einzelnen an, es fehle eine Angabe zum 24. November
1991. In dieser Zeit sei er aber arbeitslos gemeldet gewesen. Auch am 1. März 1992 sei dies der Fall gewesen. Gleichwohl finde
sich auch für diesen Tag keine Angabe im Versicherungsverlauf.
Er beantragt,
das Verfahren L 1 R 115/07 fortzusetzen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung
ihres Bescheides vom 4. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 zu verpflichten, weitere
rentenrechtliche Zeiten unter Berücksichtigung seiner nunmehr gemachten Angaben festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Verfahren L 1 R 115/07 durch Berufungsrücknahme beendet ist,
hilfsweise
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Verfahren durch Rücknahme für beendet, erklärt sich jedoch ungeachtet dessen bereit, den angefochtenen Bescheid
einer Überprüfung zu unterziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte
und die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung vom 18. März 2009 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Auf den auf Fortsetzung des Verfahrens gerichteten Antrag des Klägers ist die Beendigung des Berufungsverfahrens in entsprechender
Anwendung der Rücknahmefiktion des §
102 Abs.
2 SGG durch Urteil festzustellen. Nach dieser Vorschrift gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger sie trotz Aufforderung
des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Sie gilt nach Auffassung des erkennenden Gerichts gemäß §
153 Abs.
1 SGG für das Berufungsverfahren entsprechend. Die Vorschriften über das Berufungsverfahren ergeben insoweit im Sinne von §
153 Abs.
1 (a.E.)
SGG auch "nichts anderes". Der Senat folgt nicht der Auffassung von Keller (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9.Aufl. 2008, §
156 Rn. 1b), der für die dem §
92 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) nachgebildete Rücknahmefiktion nach §
102 Abs.
2 SGG vertritt, dass diese ausschließlich für das Klageverfahren gelte, weil das
SGG keine dem §
126 Abs.
2 VwGO entsprechende Fiktion der Rücknahme der Berufung enthalte und es in der
VwGO trotz der in §
126 Abs.
2 VwGO getroffenen Sonderregelung auch eine dem §
153 Abs.
1 SGG entsprechende Vorschrift, nämlich §
125 Abs.
1 VwGO gebe. Wenn nämlich stattdessen für das sozialgerichtliche Verfahren (lediglich) von einer fingierten Klagerücknahme im Berufungsverfahren
ausgegangen wird (vgl. Keller, aaO., § 102 Rn. 8 b), dann werden hiervon diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen ein Kläger
im ersten Rechtszug teilweise obsiegt hat und alsdann das von ihm wegen des Teilunterliegens anhängig gemachte Berufungsverfahren
nicht betreibt. In einem solchen Falle kann bei fehlendem Betreiben im Berufungsverfahren der Weg über die Fiktion der Rücknahme
der Klage nicht beschritten werden. Das Beispiel zeigt, dass der Gesetzgeber offenbar schlicht übersehen hat, dass auch im
Berufungsverfahren fehlendes Betreiben vorliegen kann und hierfür eine gesetzliche Handhabe zu schaffen ist. Hierfür spricht
auch, dass das Problem in den Materialien (BT-Drs. 16/7716, Seite 13, 14 und 19, 20; BR-Drs. 820/07; BT-PPr. 16/136; BT-Drs.
16/8217) keine Erwähnung findet, vielmehr auch dort stets nur von der fingierten Klagerücknahme gesprochen wird.
Ein der entsprechenden Anwendung von §
102 Abs.
2 SGG im Berufungsverfahren entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ist danach nicht festzustellen. Es liegt vielmehr eine unplanmäßige
Lücke vor, die durch entsprechende Anwendung des §
102 Abs.
2 SGG auf das Berufungsverfahren zu schließen ist.
Die Voraussetzungen einer fingierten Berufungsrücknahme liegen auch vor. Der Kläger hat innerhalb der ihm gesetzten Frist
keine das Verfahren fördernde Äußerung gemacht. Einer solchen Äußerung bedurfte es indessen im Hinblick auf den angegriffenen
Vormerkungsbescheid. Versicherte unterliegen nämlich insoweit einer gesteigerten Mitwirkungspflicht. Dem Träger der Rentenversicherung
ist es nicht möglich, ohne eine entsprechende Mitwirkung Daten zu ermitteln, auf die er keinen Zugriff hat. Hier ist der Versicherte
aufgefordert, entsprechende Angaben zu den streitigen Zeiten zu machen. Tut er dies nicht, ist die Ermittlungspflicht des
Versicherungsträgers auf die ihm zugänglichen Daten beschränkt. Dies folgt aus §
149 Abs.
4 und
5 SGB VI. Für das gerichtliche Verfahren bedeutet dies, dass ohne eine Mitwirkung des Versicherten die Überprüfung des Vormerkungsbescheides
nicht sinnvoll möglich ist. Der Berufungsführer ist deshalb mit Verfügung vom 19. August 2008 unter Hinweis auf §
102 Abs.
2 Satz 1,
153 Abs.
1 SGG aufgefordert worden, das Verfahren durch Begründung der Berufung und Angabe von denjenigen Tatsachen, durch die er sich beschwert
fühlt, zu betreiben. Dies hat er nicht binnen 3 Monaten nach Zustellung der Verfügung getan und damit dokumentiert, dass er
kein Interesse mehr an der Fortsetzung des Verfahrens hat, weshalb die Sache am 16. Dezember 2008 zu Recht als aufgrund Rücknahme
erledigt ausgetragen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG). Es bedarf der Klärung, ob §
102 Abs.
2 SGG im Berufungsverfahren entsprechend anwendbar ist.