Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer
Festlegung einer angemessenen Verfahrensdauer
Vorbereitungs- und Bedenkzeit
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Kläger Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Verfahrens vor dem Sozialgericht haben.
Die Kläger erhoben am 13. April 2011 beim Sozialgericht Klage (Az.: S 22 AS 1246/11) gegen die Bescheide des Jobcenters, mit denen dieses die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge ab 1. November 2011 wegen
Wegfalls der Rentenversicherungspflicht für Arbeitslosengeld II-Bezieher abgelehnt hatte. Die Klagschrift wurde am 18. April
2011 an das Jobcenter zur Kenntnisnahme übersandt, gleichzeitig wurde von den Klägern die Klagbegründung angefordert. Am 30.
Mai 2011 wurden die Kläger an die Klagbegründung erinnert, am 6. Juli 2011 wurde das Jobcenter zur Stellungnahme gemäß §
104 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) aufgefordert. Diese Stellungnahme nebst Verwaltungsakte ging am 1. August 2011 beim Sozialgericht ein und wurde am 3. August
2011 an die Kläger weitergeleitet. Mit Beschluss vom 2. August 2011 bewilligte das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe
unter Beiordnung von Rechtsanwalt W ... Dieser beantragte am 8. August 2011 Akteneinsicht, die ihm am 12. August 2011 gewährt
wurde. Der Bevollmächtigte holte die Akten am 19. August 2011 ab, am 22. August 2011 gingen sie wieder beim Sozialgericht
ein. Am 30. August 2011 ging sodann die Klagbegründung ein, die am 1. September 2011 an die Beklagte übersandt wurde. Deren
Stellungnahme ging am 9. September 2011 ein und wurde am 14. September 2011 an den Bevollmächtigten der Kläger zur Kenntnis
übersandt. Die gleichzeitig eingetragene interne Frist von sechs Wochen wurde am 27. Oktober 2011 um weitere sechs Wochen
verlängert. Auf eine Anfrage des Bevollmächtigten vom 31. Oktober 2011 teilte das Sozialgericht ihm am 7. November 2011 mit,
dass ein Termin zur mündlichen Verhandlung wegen vorrangiger älterer Verfahren nicht benannt werden könne. Am 20. Januar 2012
beantragten die Kläger einen Prozesskostenhilfe-Vorschuss. Der Vorsitzende der Kammer 22 verfügte am 24. Januar 2012 die Abgabe
des Vorgangs an die Urkundsbeamtin, die mit Beschluss vom 2. März 2012 über den Vorschuss entschied. Der Bevollmächtigte der
Kläger wurde mit Schreiben vom 15. März 2012 über die Vorschussgewährung informiert. Der Bevollmächtigte stellte sodann weitere
Sachstandsanfragen vom 5. März 2011, 25. Juni 2011 und 4. Januar 2013, die vom Sozialgericht jeweils dahin gehend beantwortet
wurden, dass eine mündliche Verhandlung vorgesehen sei, der Termin wegen vorrangiger älterer Verfahren aber noch nicht benannt
werden könne.
Am 29. Januar 2013 erhoben die Kläger eine Verzögerungsrüge.
Am 6. Juni 2013 erfolgte die Ladung zum Erörterungstermin am 24. Juni 2013, in dem die Klage zurückgenommen wurde.
Am 13. September 2013 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Sie tragen vor, das Ausgangsverfahren sei von durchschnittlicher
Schwierigkeit und Bedeutung gewesen. Es sei vom Gericht nie gefördert worden. Ein Entschädigungsanspruch könne aber nur ab
Eingang der Verzögerungsrüge, also ab Januar 2013, bestehen, sodass für eine dem Land zuzurechnende Verzögerung von vier Monaten
die pauschalisierte Entschädigung von 400 EUR zu beanspruchen sei. Den Klägern stünden außerdem Prozesszinsen nach §§
288 Abs.
1,
291 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) zu.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 400 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, denn die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht sei
nicht unangemessen im Sinne von §
198 Abs.
1 S. 1
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) gewesen. Die dortige Beklagte habe nach Übersendung des klägerischen Schriftsatzes vom 8. September 2011 Gelegenheit zur
Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gehabt, sodass noch mindestens bis zum 27. Oktober 2011 eine ordnungsgemäße Förderung
erfolgt sei. Es könne letztlich dahin stehen, ob die Zeit der Sichtung und Prüfung unverhältnismäßig gewesen sei, da sie jedenfalls
durch die geringe Gesamtverfahrensdauer von etwas über 26 Monaten kompensiert worden sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte des vorliegenden Verfahrens sowie auf die Prozessakte
des Verfahrens S 22 AS 1246/11 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Für das Klageverfahren sind die Vorschriften der §§
198 ff.
GVG sowie die §§
183,
197a und
202 SGG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG)
vom 24. November 2011 (BGBl. I 2302) maßgebend. Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht zuständig
(§
201 Abs.
1 S. 1
GVG i.V.m. §
202 S. 2
SGG).
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§
54 Abs.
5 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden.
Die Einlegungsfrist des §
198 Abs.
5 S. 2
GVG, wonach die Klage spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, erhoben werden muss,
haben die Kläger eingehalten. Sie haben ebenso die Wartefrist des §
198 Abs.
5 S. 1
GVG eingehalten, wonach eine Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann,
denn zwischen der Erhebung der Verzögerungsrüge (29. Januar 2013) und der Klagerhebung (13. September 2013) liegen mehr als
sechs Monate.
Die Klage ist auch begründet.
Gemäß §
198 Abs.
1 S. 1
GVG wird entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.
Die Angemessenheit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des
Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§
198 Abs.
1 S. 2
GVG). Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens
gerügt hat (Verzögerungsrüge, §
198 Abs.
3 S. 1
GVG). Dies ist der Fall, denn die Kläger haben am 29. Januar 2013 eine Verzögerungsrüge erhoben.
Der Entschädigungsanspruch ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich das Ausgangsverfahren etwa fünf Monate nach Erhebung
der Verzögerungsrüge und damit vor Ablauf der Wartefrist des §
198 Abs.
5 S. 1
GVG durch Rücknahme erledigt hat. Nach dem Bundesfinanzhof (Urteil vom 17.04.2013 - X K 3/12 - Juris) erfolgt ein solcher Anspruchsausschluss jedenfalls in den Fällen nicht, in denen eine Verzögerung bereits vor Inkrafttreten
des ÜGG eingetreten ist, da den Betroffenen anderenfalls hierfür kein wirksamer Rechtsbehelf und kein Entschädigungsanspruch
zustünde, was mit den aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) folgenden und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands nicht vereinbar wäre (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013
- L 37 SF 82/12 EK R - Juris). Nichts anderes kann aber in Fällen gelten, in denen eine Verzögerung erst nach Inkrafttreten des ÜGG eingetreten
ist. Sinn der Verzögerungsrüge und der sich anschließenden Wartefrist ist, dass dem Gericht die Möglichkeit gegeben werden
soll, das Verfahren zu fördern und eine weitere Verzögerung zu verhindern (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Der bereits eingetretenen
Verzögerung kann es allerdings nicht mehr abhelfen, sodass dem Betroffenen insoweit auch der Rechtsschutz nicht abgeschnitten
werden darf. Eine zügige Erledigung des Verfahrens nach Erhebung der Verzögerungsrüge lässt den Entschädigungsanspruch wegen
bereits eingetretener Verzögerung daher nicht mehr entfallen (ebenso: Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Auflage, §
202 Rn. 53).
Die Verzögerungsrüge ist auch wirksam erhoben worden. Sie kann gemäß §
198 Abs.
3 S. 2
GVG erst dann erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen
wird. Sinn dieser Regelung ist, zu verhindern, dass Verzögerungsrügen bereits höchst vorsorglich mit der Klageinreichung erhoben
werden. Eine verfrüht erhobene Rüge ist demgemäß unwirksam und bleibt dies auch, wenn später tatsächlich eine Verfahrensverzögerung
eintritt (Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Auflage, §
202 Rn. 40; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.06.2014 - L 11 SF 364/12 VE AS). Die Voraussetzungen des §
198 Abs.
3 S. 2
GVG sind nach den Gesetzesmaterialien erfüllt, wenn der Betroffene bereits Anhaltspunkte hatte, dass das Verfahren keinen zügigen
Fortgang nehmen werde, also die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung bestand. Zur Gewissheit verdichtet muss diese Möglichkeit
im Zeitpunkt der Rüge noch nicht gewesen sein (BT-Drs. 17/3802 S. 20).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Erhebung der Verzögerungsrüge gingen bereits vier Sachstandsanfragen des Bevollmächtigten
voraus, die jeweils dahin gehend beantwortet worden waren, dass ein Termin wegen vorrangiger älterer Verfahren nicht benannt
werden könne. Darüber hinaus hatten die Kläger seit der Mitteilung über den Prozesskostenhilfe-Vorschuss vom 15. März 2012
keine weiteren Mitteilungen oder Informationen vom Gericht mehr erhalten.
Die Dauer des Verfahrens war schließlich auch unangemessen im Sinne von §
198 Abs.
1 S. 1
GVG. Eine allgemeine Festlegung einer angemessenen Verfahrensdauer für ein sozialgerichtliches Verfahren ist schon nach dem Wortlaut
des §
198 Abs.
1 GVG ausgeschlossen, denn gemäß §
198 Abs.
1 S 2
GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit
und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (BSG, Beschluss vom 16. Dezember 2013 - B 10 ÜG 13/13 B - Juris). Soweit das BSG in seinen Urteilen vom 21. Februar 2013 (B 10 ÜG 1/12 KL und B 10 ÜG 2/12 KL, beide Juris) auch an die verfügbaren statistischen
Zahlen über die Dauer von Verfahren vergleichbarer Art angeknüpft hat, hat es ihnen nur eine indizielle, aber keine entscheidende
Bedeutung zugemessen.
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer, wie sie §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definiert. Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind,
bewirken daher nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung
insbesondere zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden. Maßgeblich
ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist. Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende
Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen
Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen,
der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber
zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen
dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen
oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage
als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren
führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich
und wird auch von Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der EMRK nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene
Verfahrensdauer vor (BGH, Urteil vom 23.01.2014 - III ZR 37/13 - Juris).
Das Bundessozialgericht hat dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht
bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf
Monaten eingeräumt werden könne, sodass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer
beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R, B 10 ÜG 9/13 R, B 10 ÜG 2/13 R, zit. nach Terminbericht Nr. 40/14). Die zeitliche
Lage dieser Vorbereitungs- und Bedenkzeit müsse und werde sich in der Regel nicht vollständig direkt an die Erhebung der Klage
bzw. die Einlegung der Berufung anschließen, denn in dieser "Frühphase" sorge das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel
und ziehe Entscheidungsunterlagen bei. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit könne vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz
liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibe die Gesamt-Verfahrensdauer
regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreite, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des
Gerichts beruhe oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht werde, die das Gericht nicht zu vertreten habe (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R, zit. nach Terminbericht Nr. 40/14).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung grundsätzlich an und hält die Anwendung dieser Kriterien auch im
vorliegenden Fall für sachgerecht. Das Ausgangsverfahren war allenfalls von durchschnittlicher Schwierigkeit, denn die angegriffenen
Bescheide beruhten auf einer Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen, wogegen die Kläger allerdings verfassungsrechtliche
Gesichtspunkte vorgebracht haben. Angesichts des Umstandes, dass es den Klägern um ihre spätere Rentenhöhe ging, kann man
- gemessen daran, dass es in sozialgerichtlichen Verfahren sehr häufig um Leistungen zur Sicherstellung des existenziellen
Lebensunterhalts und/oder Dauerleistungen geht - von einer durchschnittlichen Bedeutung für diese ausgehen. Insofern hält
der Senat auch im hier betroffenen Ausgangsfall Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von insgesamt zwölf Monaten noch für gerechtfertigt,
die das Sozialgericht überschritten hat.
Für die Ermittlung des im Einzelfall tatsächlich vorliegenden inaktiven Gesamtzeitraums sind nach Auffassung des Senats die
inaktiven Phasen sowohl vor als auch nach Erhebung der Verzögerungsrüge von Belang. Denn der Sinn der Verzögerungsrüge besteht
- wie bereits ausgeführt - darin, dass dem Gericht die Möglichkeit gegeben werden soll, das Verfahren zu fördern und eine
weitere Verzögerung zu verhindern (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Da das Gericht aber der bereits eingetretenen Verzögerung nicht
mehr abhelfen kann, darf dem Betroffenen insoweit auch der Rechtsschutz nicht abgeschnitten werden. Im Übrigen würde die gegenteilige
Sichtweise dazu führen, dass die Geduld eines Beteiligten bestraft und die frühzeitige Erhebung von Verzögerungsrügen gefördert
würde, was vom Gesetzgeber aber ausdrücklich nicht gewollt ist (BT-Drs. 17/3802 S. 21).
Vorliegend bestand die letzte gerichtliche Aktivität darin, dass den Klägern am 14. September 2011 ein Schriftsatz der Gegenseite
übersandt worden ist. Entgegen dem Vortrag der Beklagten wurde der Schriftsatz nicht "zur Stellungnahme", sondern nur "zur
Kenntnis" übersandt, sodass es für die Eintragung der internen Frist von sechs Wochen und deren Verlängerung am 27. Oktober
2011 um weitere sechs Wochen keinen zwingenden sachlichen Grund gab, sodass die hierdurch eingetretene Verzögerung jedenfalls
in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt. Danach wurden bis zur am 6. Juni 2013 abgesandten Ladung zum Erörterungstermin
am 24. Juni 2013 - also ca. 20,5 Monate - keine verfahrensfördernden Schritte unternommen, sodass die als angemessen zu betrachtende
"inaktive" Zeit von zwölf Monaten um achteinhalb Monate überschritten wurde. Ob - wie die Beklagte offenbar meint - ein Überschreiten
der angemessenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit in Fällen einer sehr kurzen Gesamtverfahrensdauer unschädlich sein kann, kann
vorliegend dahin stehen, da die hier gegebene Gesamtverfahrensdauer von etwas über 26 Monaten für einen verhältnismäßig einfach
gelagerten Fall jedenfalls nicht ungewöhnlich kurz ist.
Ebenfalls dahin stehen kann, ob die Zeit für die Bearbeitung des Antrags auf den Prozesskostenhilfe-Vorschuss als aktive Phase
zu berücksichtigen ist. Denn in diesem Fall würde sich der Gesamtzeitraum der inaktiven Phasen vom Eingang des Antrags auf
den Vorschuss (20. Januar 2012) bis zu dessen abschließender Bearbeitung (15. März 2012) nur um knapp zwei Monate verkürzen,
sodass die von den Klägern geltend gemachte Verzögerung von vier Monaten dennoch in jedem Fall besteht.
Durch diese überlange Verfahrensdauer haben die Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt aus §
198 Abs.
2 S. 1
GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert
hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich und auch von
der Beklagten nicht vorgebracht worden.
Es ist auch nicht erkennbar, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise als durch eine Entschädigung ausreichend wäre (§
198 Abs.
2 S. 2
GVG). §
198 Abs.
4 S. 1
GVG sieht insoweit vor, dass Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich ist durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts,
dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Eine Kompensation des Nichtvermögensschadens durch die bloße Feststellung soll
jedoch nur ausnahmsweise in Betracht kommen (BSG, Urteil vom 21.02.2013, a.a.O., unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR). Ausreichen kann eine schlichte Feststellung der unangemessenen Dauer danach beispielsweise in Verfahren, die für den Entschädigungskläger
keine besondere Bedeutung hatten oder in denen ein Verfahrensbeteiligter durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen
hat (BT-Drs. 17/3802 S. 20; BSG, Urteil vom 21.02.2013, a.a.O.). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor, denn weder hat ein Dritter zur Verzögerung beigetragen
noch ist davon auszugehen, dass das Verfahren für die Kläger nur untergeordnete Bedeutung hatte. Hinzu kommt, dass sich das
Sozialgericht bei den zahlreichen Sachstandsanfragen der Kläger auf Standardantworten beschränkt und den Klägern noch nicht
einmal einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat, ab dem mit einer Verfahrensförderung zu rechnen sei (vgl. BFH, Urteil vom
19. März 2014 - X K 8/13 - Juris). Auch ein Fall des §
198 Abs.
4 S. 3
GVG liegt nicht vor.
Die Entschädigung gemäß §
198 Abs.
2 S. 2
GVG beträgt gemäß §
198 Abs.
2 S. 3
GVG grundsätzlich 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Für Zeiträume unter einem Jahr erfolgt eine zeitanteilige Berechnung
(BT-Drs. 17/3802 S. 20; BSG, Urteil vom BSG, Urteil vom 21.02.2013, a.a.O.). Da die Kläger nur einen Anspruch in Höhe von 400 Euro geltend gemacht haben, ist der ihnen
zuzusprechende Betrag hierauf beschränkt.
Die Entschädigungszahlung ist in entsprechender Anwendung der §§
288 Abs.
1,
291 S. 1
BGB ab Rechtshängigkeit mit 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R, a.a.O.).
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass mit der Zuerkennung einer Entschädigungszahlung kein Schuldvorwurf an die zuständigen
Richter des Ausgangsgerichts verbunden ist. Eine etwaige Überlastung der Richter, die möglicherweise wegen einer Vielzahl
anderer, ebenfalls zu erledigender Verfahren nicht in der Lage waren, die Sache voranzutreiben, kann nicht verhindern, das
Verfahren als unangemessen lang anzusehen. Das Risiko hierfür trägt jedoch das Land, das für eine ausreichend Ausstattung
der Gerichte zu sorgen hat (BSG, Urteil vom 03.09.3014 - B 10 ÜG 2/13 R, zit. nach Terminbericht Nr. 40/14).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.