Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob ein Arbeitsunfall des Klägers vom 9. Juni 1995 zu einer Rotatorenmanschettenruptur und zu anhaltenden
Funktionsstörungen im Bereich des rechten Schultergelenkes geführt hat.
Der 1964 geborene Kläger ist Zimmermeister und Dachdecker und leitet einen eigenen Betrieb. Er erlitt am Nachmittag des 9.
Juni 1995 einen Unfall als er beim Grabenausheben für ein Starkstromkabel auf seinem Grundstück abrutschte. Dabei wurde der
rechte Arm hochgerissen. Der Kläger verspürte sofort erhebliche Schmerzen. Am 10. Juni stellte er sich gegen 9.30 Uhr beim
Durchgangsarzt Dr. D. im Kreiskrankenhaus Eschwege vor. Dieser stellte im Bereich der rechten Schulter keine äußeren Verletzungszeichen
fest. Die Beweglichkeit war deutlich eingeschränkt. Die Seithebe war bis 35 Grad, die Vorhaltebewegung bis 40 Grad möglich,
die Drehung war erheblich gemindert. Es bestand ein Druckschmerz über der Schulterhöhe und der vorderen Gelenkkapsel. Die
Röntgenuntersuchung der Schulter in zwei Ebenen zeigte keine Knochenverletzung und eine gelenkgerechte Stellung. Die Schultersonographie
ergab keinen Hinweis für eine Rotatorenmanschettenruptur. Es wurde eine starke Schulterzerrung rechts diagnostiziert und ein
Gilchristverband für 5 Tage angelegt. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit wurde auf 10 Tage geschätzt. Der Kläger stellte sich
noch einmal am 16. Juni 1995 bei Dr. D. vor. Eine Wiedereinbestellung erfolgte zum 21. Juni 1995. Der Kläger stellte sich
jedoch weder an diesem Tage noch später in der Sprechstunde des Dr. D. vor, so dass dieser die Behandlung am 16. Juni 1995
als abgeschlossen betrachtete. Er teilte der Beklagten mit, Arbeitsfähigkeit bestehe wieder ab dem 21. Juni 1995. Der Kläger
machte in einem Formular der Beklagten am 27. Juni 1995 Angaben zu seiner Arbeitsunfähigkeit und gab an, er habe die Arbeit
vom 10. bis 20. Juni 1995 ausgesetzt.
Am 31. Januar 2010 erlitt der Kläger einen weiteren Unfall, der die rechte Schulter betraf. Laut Durchgangsarztbericht des
Dr. D., Kreiskrankenhaus Eschwege, vom gleichen Tage ereignete sich der Unfall auf schneeglattem Untergrund auf dem Hof vor
dem Anwesen des Klägers. Der Kläger hatte in einer Halle für den eigenen Betrieb Arbeiten erledigt. Nach dem Verlassen der
Halle rutschte er auf schneeglattem Untergrund aus und verletzte sich an der rechten Schulter als er versuchte, den Sturz
abzufangen (so die Angaben im Durchgangsarztbericht). Dr. D. stellte einen eher diffusen Druckschmerz im Bereich der rechten
Schulter vor allem ventral am Deltoideus radiales fest. Ein Hämatom oder eine Hautverletzung konnte er nicht feststellen.
Durchblutung, Motorik und Sensibilität waren ohne Befund. Die Beweglichkeit war stark schmerzhaft eingeschränkt. Die Abduktion
war bis 90 Grad zunehmend schmerzhaft, danach die Elevation schmerzarm. Die Außen- und Innenrotation war eingeschränkt, der
Nacken- und Schürzengriff waren mühsam möglich. Die Röntgenuntersuchung der Schulter in zwei Ebenen gab keinen Anhalt für
eine Fraktur oder arthrotische Veränderungen. Wegen des Verdachts auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts erfolgte am 4.
Februar 2010 eine kernspintomographische Untersuchung. Laut Befundbericht der Radiologin Dr. E. vom 4. Februar 2010 zeigte
sich bei der Untersuchung einen komplette Ruptur der Supraspinatussehne, eine Teilruptur der Infraspinatussehne und eine Teilruptur
des Muskulus subscapularis im Ansatzbereich mit Einblutung, ein Humeruskopfhochstand, eine AC-Gelenkarthrose mit Gelenkhypertrophie
und Verschmälerung des Subacrominalraumes. Zudem wurde ein Gelenkerguss und eine Bursitis in der Bursa subdeltoidea subacromialis
festgestellt. Am 9. Februar 2010 stellte sich der Kläger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main
vor. Nach Beurteilung der MRT-Aufnahmen wurde die Supraspinatussehnenruptur als alt bewertet, da sich bereits eine fettige
Degeneration und eine Retraktion der Sehne zeigten. Außerdem wurden eine Infraspinatusdegeneration, eine degenerative Omarthrose
und eine AC-Gelenkarthrose diagnostiziert. Am 22. März 2010 stellte sich der Kläger erneut in der Berufsgenossenschaftlichen
Unfallklinik Frankfurt am Main vor. Trotz inzwischen durchgeführter Krankengymnastik war es zu keiner signifikanten Besserung
gekommen. Die Beweglichkeit der rechten Schulter war deutlich schmerzhaft eingeschränkt. Aktiv gelang eine Vorelevation bis
80 Grad und seitlich die Abduktion bis 70 Grad. Die Außenrotation war komplett aufgehoben. Fremdtätig konnte nach vorne sowie
zur Seite der Arm bis zur Horizontalen angehoben werden. Anlässlich eines Konsils der Chirurgen/Unfallchirurgen und des Sportorthopäden
Dr. F. wurden die MRT- und Röntgenaufnahmen nochmals besprochen. Es bestand Einigkeit, dass auf den MRT-Aufnahmen weitgehend
degenerative Veränderungen zu finden seien und ausgeprägte frische Einblutungen nicht vorlägen. Auch auf den Röntgenaufnahmen
wurden ausgeprägte degenerativen Veränderungen diagnostiziert mit tropfenförmiger Ausziehung des unteren Anteils der Oberarmkalotte
sowie einer leichten spitzzipfligen Veränderung des Tuperculum majus als Ausdruck einer degenerativen Veränderung. Der subacromiale
Raum war deutlich eingeengt und es bestand ein ausgeprägter Oberarmkopfhochstand, daneben eine deutliche Arthrose. Vorgeschlagen
wurde eine arthroskopische Revision der rechten Schulter mit dem Versuch einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion.
Die Arthroskopie des rechten Schultergelenkes erfolgte am 15. April 2010. Es wurde eine komplette Ruptur der Sehne des Supraspinatus
sowie des Infraspinatus mit Retraktion bis hinter das Glenoid gesehen. Die Sehnen des Supraspinatus und Infraspinatus zeigten
deutliche Veränderungen und fettige Degeneration. Es zeigten sich außerdem eine Knorpelglatze am Humeruskopf und im Bereich
des anterio-inferioren Glenoidrandes III.- bis IV.-gradige Knorpelschäden. Der obere Bizepsanker wies eine deutliche Auffaserung
sowie eine Partialruptur der langen Bizepssehne und eine Bizepssehnentenotomie auf. Die Sehne des Musculus subscapularis zeigte
sich etwas aufgefasert, jedoch ohne Rupturnachweis.
Während der Arthroskopie entnommene Präparate der langen Bizepssehne und der Supraspinatussehne wurden im Institut für Pathologie
des Klinikums Offenbach untersucht. Dabei zeigte sich beim Präparat der langen Bizepssehne mikroskopisch kollagenes Bindegewebe
mit gestörtem Richtungsverlauf, frischen flammenzungenartigen Einrissen, überwiegend jedoch glatten Risskanten, begrenzt von
Mesenchymzell- und Kapillarprofliferaten. In der Berliner-Blau- Reaktion zeigte sich kein Nachweis von Eisen. In der AP-Färbung
eine mukoide Degeneration. Das Präparat der Supraspinatussehne zeigte kollagenes Bindegewebe mit frischen flammenzungenartigen
Einrissen, überwiegend jedoch älteren Risskanten mit Kapillar- und Mesenchymzellprolieferaten. In der Berliner-Blau-Reaktion
zeigte sich ein Nachweis von Eisen. Außerdem fand sich eine mukoide Degeneration. Es wurde jeweils eine mehrzeitige Sehnenruptur
(frisch und überwiegend älter) und rissbenachbart eine mukoide Degeneration diagnostiziert.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. G. ein. Dieser empfahl am 30. Juni 2010 unter Bezugnahme
auf seine frühere Stellungnahme vom 10. März 2010 "die Teilruptur im Bereich der Subscapularismuskulatur mit umschriebener
Einblutung als unfallbedingt verursacht zu akzeptieren". Nicht wahrscheinlich sei, dass die Ruptur der Supraspinatussehne
sowie die Teilruptur der Infraspinatussehne unfallursächlich seien. Zum einen sei der zu unterstellende direkte Anprall nicht
geeignet, einen solchen Schaden zu verursachen, zum anderen sei auch eine gleichzeitige indirekte Gewalteinwirkung im Sinne
einer Distorsion und Stauchung der rechten Schultergelenksregion als nicht geeignet zu bezeichnen, die substanzielle Schädigung
dieser beiden Sehnen zu verursachen. Dies habe auch Bestand, wenn feingeweblich eine als frisch bezeichnete Komponente beschrieben
sei. Für eine unfallunabhängige Ursache der Schädigung dieser Sehnen spreche auch die deutliche Retraktion der Sehnenstrukturen
mit fettiger Degeneration im Einklang mit dem chronisch-entzündlichen Reizzustand benachbarter Schleimbeutel sowie der arthrotischen
Veränderungen im Schultereckgelenk und die als viertgradig bezeichnete Arthrose des Gelenkes. Die Beklagte teilte daraufhin
dem Kläger mit, das Heilverfahren zu ihren Lasten werde mit sofortiger Wirkung abgebrochen.
Der Chefarzt der Unfallchirurgie und orthopädischen Chirurgie Prof. Dr. J. und der Facharzt der Chirurgie und Unfallchirurgie
sowie Notarztmedizin und Oberarzt der Notaufnahme Dr. H., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Frankfurt am Main, erstatteten
am 8. Oktober 2010 nach Untersuchung des Klägers ein Gutachten zur Zusammenhangfrage. Die Sachverständigen gelangten zu dem
Ergebnis, im Bereich des rechten Schultergelenkes bestehe eine Zerrüttung der Rotatorenmanschette, eine Degeneration des Schulterdaches
und des Oberarmkopfes im Sinne der Omarthrose. Bei dem Ereignis vom 31. Januar 2010 sei es zu einer Prellung des Schultergelenkes
gekommen, jedoch zu keiner daraus resultierenden Belastung der Rotatorenmanschette. Schon vor dem Ereignis habe mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine Zerrüttung der Rotatorenmanschette der rechten Schulter bestanden. Im Gegensatz zu dem Ereignis vom
31. Januar 2010 sei das Ereignis aus dem Jahre 1995 von dem Unfallhergang her durchaus geeignet gewesen, eine Zusammenhangstrennung
der Rotatorenmanschette zu verursachen. Bei der Untersuchung wurden folgende Bewegungsmaße gemessen: "Arm seitwärts/körperwärts
aktiv 80-0-30, passiv 180-0-30; Arm rückwärts/vorwärts 45-0-170; Arm auswärts-/einwärtsdrehend bei anliegendem Oberarm 20-0-90;
Arm auswärts/einwärts bei 90 Grad seitwärts abgehobenen Oberarm 40-0-35.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2011 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 31. Januar 2010 als Arbeitsunfall an und stellte fest,
unfallbedingt sei es zu einer Prellung des rechten Schultergelenkes mit Einblutung in die Muskulatur gekommen. Die Zerrüttung
der Rotatorenmanschette (Muskel- und Sehnenplatte im Schulterbereich) mit Riss der Supraspinatussehne und Teilriss der Infraspinatussehne,
umformenden Veränderungen (Degeneration) des Schulterdaches und des Oberarmes rechts im Sinne einer Omarthrose (Gelenkverschleiß
im Schultergelenk) seien nicht Unfallfolge. Eine Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit infolge der Prellung habe
nicht bestanden. Maßgebend sei der degenerative Vorschaden gewesen.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 2. Februar 2011 Widerspruch ein und trug vor, er sei am 31. Januar 2010 auf die
rechte Körperhälfte (Arm- und Schulterbereich) gefallen. Dadurch sei es zu den im Bereich der rechten Schulter vorhandenen
Schäden der Rotatorenmanschette gekommen. Der Kläger verwies außerdem zur Begründung auf ein zu den Akten gereichtes arbeitsmedizinisches
Gutachten des Dr. K., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in Hessen, vom 25. November 2010 sowie auf eine Stellungnahme
des Dr. K. vom 24. Februar 2011. Dr. K. vertrat die Auffassung, die Ruptur der Supraspinatussehne sowie die Teilruptur der
Infraspinatussehne seien nicht als Unfallfolgen aufzufassen, da es sich hier um Altbefunde handele. Die bei dem Kläger vorhandene
Schultersteife könne jedoch nicht auf diese degenerativen Veränderungen zurückgeführt werden. Der Kläger sei vor dem Unfall
symptomfrei gewesen. Auch ein heftiger Prellungsmechanismus könne zu einer Schultersteife führen. Prof. Dr. J. habe sich damit
in seinem Gutachten nicht befasst, obwohl die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in früheren Stellungnahmen davon ausgegangen
sei, dass das eigentliche Krankheitsbild eine posttraumatische Schultersteife sei.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. L. als Beratungsarzt eingeholt. Dieser hat ausgeführt,
bei leerem Vorerkrankungsverzeichnis sei es möglich, dass eine körpereigene Kompensation geeignet war, den funktionellen Verlust
der zerrütteten Sehnen der Rotatorenmanschette auszugleichen. Es sei nicht selten der Fall, dass eine Prellung des Schultergelenkes
dazu führe, dass dieses Stadium der Kompensation nicht wieder erreicht werde und Beschwerden erhalten blieben, die möglicherweise
erst viel später, dann aber auch ohne den Unfall aufgetreten wären. Das Unfallereignis sei dann geeignet, dieses Versagen
der körpereigenen Kompensation vorzuverlegen, wenn es tatsächlich auch ein wesentliches äußeres Trauma gewesen sei, was bei
einem Sturz auf eisglattem Untergrund auf die Schulter zumindest vermutet werden könne. In der Regel heile eine Schulterprellung
folgenlos aus, es sei denn, es entwickele sich das Bild der sogenannten frozen shoulder. Hierfür gebe es im vorliegenden Fall
aber wohl keinen Anhalt. Im Übrigen verwies er darauf, dass seines Erachtens der Unfall aus dem Jahre 1995 nochmals beleuchtet
werden müsse.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011 zurück. Die Schäden im Bereich der
Rotatorenmanschette und damit einhergehenden Beschwerden hätten ihre Ursache nicht in dem angeschuldigten Ereignis vom 31.
Januar 2010.
Mit einem weiteren Bescheid vom 12. Januar 2011 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 9. Juni 1995 als Arbeitsunfall an und
stellte als Unfallfolgen eine Zerrung der rechten Schulter fest, die zum 20. Juni 1995 folgenlos ausgeheilt sei. Die Schädigung
der Rotatorenmanschette sei nicht Unfallfolge.
Der Kläger legte hiergegen am 1. Februar 2011 Widerspruch ein und berief sich ebenfalls auf das Gutachten des Dr. K. vom 24.
Februar 2011, in dem dieser die Meinung vertreten hatte, möglicherweise habe der Unfall vom 9. Juni 1995 zu einem Schaden
im Bereich der Rotatorenmanschette geführt. Die Beklagte wies diesen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011
zurück. Es gebe keinen Beweis für eine Sehnenruptur im Jahre 1995. Die Sonographie habe keinen Hinweis auf einen Rotatorenmanschettenriss
ergeben, auch die Röntgenuntersuchung habe keine knöchernen Verletzungen gezeigt. Es sei nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit
nachweisbar, dass die 2010 festgestellten Schäden auf das Ereignis aus dem Jahre 1995 zurückzuführen seien. Arbeitsunfähigkeit
habe bis zum 20. Juni 1995 bestanden, die damalige Zerrung sei folgenlos ausgeheilt.
Der Kläger hat gegen die Bescheide - die Unfälle aus 1995 und 2010 betreffend - jeweils am 14. Juni 2011 beim Sozialgericht
Kassel Klage erhoben.
Die Klage, den Unfall vom 31. Januar 2010 betreffend, wurde unter dem Aktenzeichen S 9 U 75/11 und die Klage, den Unfall vom 9. Juni 1995 betreffend, unter dem Aktenzeichen S 9 U 74/11 geführt.
Das Sozialgericht hat in den Klageverfahren ein fachorthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten des Dr. C. vom 24. Oktober
2012 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 18. März 2013 und 4. November 2013 eingeholt. Dr. C. ist zu der Beurteilung gelangt,
sowohl nach dem Unfall vom 9. Juni 1995 als auch nach dem vom 31. Januar 2010 habe für maximal zwei Wochen eine Arbeitsunfähigkeit
und Behandlungsbedürftigkeit bestanden. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) habe nie vorgelegen. Hinsichtlich
des Unfalls vom 31. Januar 2010 hat er ausgeführt, der biomechanische Ablauf des Unfallereignisses könne nicht mehr exakt
rekonstruiert werden. Deshalb stelle der biomechanische Ablauf weder ein Argument für, noch ein Argument gegen einen Kausalzusammenhang
dar. Der klinische Erstbefund vom Unfalltag aus dem Krankenhaus in Eschwege dokumentiere einen diffusen Druckschmerz am rechten
Schultergelenk. Ein Hämatom oder Hautverletzungen würden nicht nachgewiesen. Es werde zudem ausgeführt, dass die Beweglichkeit
am Schultergelenk stark schmerzhaft eingeschränkt sei. Die Abduktion sei bis 90 Grad zunehmen schmerzhaft möglich gewesen,
danach sei die Elevation schmerzarm möglich gewesen. Anhand des klinischen Erstbefundes könne kein konkreter Funktionsverlust
am rechten Schultergelenk festgestellt werden. Insofern spreche der Erstbefund gegen einen Kausalzusammenhang. Der erste Röntgenbefund
habe keine knöchernen Verletzungen, jedoch bereits beginnende arthrotische Veränderungen im Schultergelenk, insbesondere am
Schultereckgelenk gezeigt. Der kernspintomographische Befund drei Tage nach dem Unfallereignis stelle ein deutliches Argument
gegen einen Kausalzusammenhang zwischen der Rotatorenmanschettenverletzung und dem Unfallereignis vom 31. Januar 2010 dar.
Die MRT-Aufnahme zeige kein pathologisches Knochenmarksignal im Schultergelenkbereich (Bone bruise), welches vorhanden sein
müsste, wenn das Unfallereignis eine rechtlich wesentliche Ursache für die Rotatorenmanschettenverletzung gewesen sei. Die
Kernspintomographie zeige einen Humeruskopfhochstand des rechten Schultergelenks. Ein solcher Humeruskopfhochstand entstehe
selbst bei einer kompletten Rotatorenmanschettenruptur nicht innerhalb von drei Tagen. Ein solcher Hochstand sei frühestens,
selbst bei einer kompletten Rotatorenmanschettenruptur, nach ca. sechs Wochen nachzuweisen. Die bei dem Unfallereignis am
31. Januar 2010 erlittene Prellung des rechten Schultergelenkes sei selbst bei prolongiertem Verlauf aufgrund der vorgeschädigten
Schulter längstens nach zwei Wochen ausgeheilt. Darüber hinaus bestehende Beschwerden am rechten Schultergelenk seien nicht
mehr Folge der erlittenen Prellung, sondern Folge der degenerativen Rotatorenmanschettenruptur am rechten Schultergelenk.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2013 hat Dr. C. zu den Argumenten des Dr. K. Stellung genommen und ausgeführt,
eine Schulterteilsteife könne nach Prellungstraumen, Luxationen oder Operationen am Schultergelenk auftreten. Letztendlich
komme bei dem Kläger als einzige Möglichkeit eine Prellung des rechten Schultergelenkes als Ursache für die Schultersteife
in Betracht. Eine schwere Prellung sei jedoch anhand der Kernspintomographie auszuschließen. In diesem Fall seien kleinere
Einblutungen in die Muskulatur oder auch ein Knochenmarködem am Oberarmkopf oder am Schultereckgelenk zu erwarten. Die Kernspintomographie
weise jedoch ausschließlich degenerative Veränderungen nach und keine Unfallfolgen. Zum klinischen Befund der Schultergelenke
hat der Sachverständige in seinem Gutachten mitgeteilt, äußerlich zeigten sich im Bereich beider Schultergelenke regelrechte
seitengleiche Konturen. Bei der klinischen Untersuchung bestehe ein leichter Druckschmerz über dem ventralen Schultergelenkspalt
auf der rechten Seite, linksseitig sei dies nicht der Fall. Über dem Akromioklavikulargelenk bestehe beidseits kein Druckschmerz.
Reibegeräusche ließen sich beidseits nicht nachweisen. Der Impingementtest nach Neer sei rechts positiv, links negativ, der
Apprehensionstest sei beidseits negativ, ein Hinweis auf eine Instabilität im Bereich beider Schultergelenke bestehe nicht.
Der Schürzen- und Nackengriff sei rechts zur Hälfte eingeschränkt, links problemlos möglich. Ein schmerzhafter Bogen bestehe
beidseits nicht. Die passive Beweglichkeit beider Schultergelenke sei nicht eingeschränkt. Aktiv könne der rechte Arm bis
maximal 90 Grad seitwärts und vorwärts erhoben werden.
Der Kläger hat ein Gutachten des Prof. Dr. M., Institut für Medizinische Gutachten in der Klinik Sonnenblick Marburg, vom
28. Juli 2014 zu den Akten gereicht, das Prof. Dr. M. in dem Rechtsstreit des Klägers gegen die O. Versicherung vor dem Landgericht
Kassel erstattet hat. In seinem Gutachten hat Prof. Dr. M. die Auffassung vertreten, es sei davon auszugehen, dass es durch
den zweiten Unfall am 31. Januar 2010 zu einer zusätzlichen traumatischen Schädigung der Infraspinatussehne in Form einer
Teilruptur gekommen sei, die sich dann zu der in der Arthroskopie festgestellten kompletten Ruptur ausgeweitet habe. Auch
der Musculus subscapularis habe bei dem Ereignis vom 31. Januar 2010 eine Traumatisierung erlitten. Der Anteil der Funktionseinschränkung
des rechten Armes durch den Unfall vom 30. Januar 2010 sei mit einem Armwert von 2/7 einzustufen. Der hauptsächliche Anteil
der durch die beiden Unfälle verursachten Funktionseinschränkungen des rechten Armes beruhe auf den Unfall vom 9. Juni 1995.
Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bereits bei dem Unfall am 9. Juni 1995 eine Verletzung
der Rotatorenmanschette am Schultergelenk erlitten habe. Das Unfallereignis sei geeignet gewesen, eine Rotatorenmanschettenläsion
zu verursachen. Auch die sofortige starke Schmerzhaftigkeit und die am 10. Juni 1995 bestehende erhebliche Bewegungseinschränkung
sprächen dafür. Allerdings werde im D-Arztbericht kein Drop-Arm-Zeichen beschrieben, was als Zeichen für einen schweren Funktionsausfall
der Rotatorenmanschette durch eine ausgedehnte Rissbildung zu werten sei. Jedoch sprächen die 5 bis 6-wöchige Arbeitsunfähigkeit
nach dem Unfall mit der vom Kläger angegebenen regelmäßigen durchgangsärztlichen Kontrolle für eine über eine starke Schulterzerrung
hinaus gehende Traumatisierung. Auch die Aussage im Durchgangsarztbericht, dass sich sonographisch kein Hinweis auf eine Rotatorenmanschettenruptur
ergeben habe, sei kein tragfähiges Argument gegen eine solche Verletzung, da kleinere Rupturen in der Akutphase auch von in
der Sonographie Erfahrenen schwer zu diagnostizieren seien. Ein kleiner Riss, der hauptsächlich die Supraspinatussehne betreffe,
von einer solchen Verletzung sei bei dem Kläger auszugehen, beeinträchtige meist die biomechanische Belastbarkeit der Rotatorenmanschette
zunächst unwesentlich. Aber unter fortgesetzter starker Belastung der Schulter, von der bei dem Kläger in seinem Beruf als
Dachdecker und Zimmermann auszugehen sei, komme es zu einer langsamen Vergrößerung der Rissstelle. Dieser Zustand könne über
Jahre funktionell weitgehend kompensiert werden, wenn die anderen Rotatorenmanschettenanteile intakt geblieben seien. Der
Zustand gehe aber meistens mit Beschwerden einher, insbesondere bei Überkopfarbeiten. Mit Zunahme des Defektes in der Supraspinatussehne
im Laufe der Zeit gehe deren Steuerungsfunktion für den Oberarmkopf nach und nach verloren, was einen Hochstand des Humeruskopfes
zur Folge habe und zu arthrotischen Veränderungen führe. Als Hinweis auf diesen Verlauf seien die vom Kläger nur zögerlich
und erst auf intensive Befragung hin getätigten Angaben zu werten, dass ihm die rechte Schulter immer mal wieder Probleme
bereite und bei stärkerer Belastung vermehrt geschmerzt habe, er habe sich deswegen nur selten in ärztliche Behandlung begeben.
Dokumentiert sei in den medizinischen Unterlagen nur eine mehrmalige ärztliche Behandlung wegen Schulterproblemen und zwar
2005, 2006 und 2009. Deutlich hinweisend auf einen Vorschaden an der Rotatorenmanschette bereits vor dem zweiten Unfall seien
die am 31. Januar 2010 angefertigten Röntgenaufnahmen der rechten Schulter mit feststellbaren arthrotischen Veränderungen
und nahezu beweiskräftig zu belegen sei der vorbestehende Rotatorenmanschettenschaden durch den Oberarmkopfhochstand.
Das Sozialgericht hat in dem Verfahren S 9 U 74/11, den Arbeitsunfall vom 9. Juni 1995 betreffend, durch Urteil vom 4. November 2014 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe am
9. Juni 1995 lediglich eine Zerrung der rechten Schulter erlitten. Die Zerrung sei bis zum 20. Juni 1995 vollständig ausgeheilt
gewesen. Die nach dem Unfallereignis erfolgten Untersuchungen hätten unfallbedingte Schäden im Bereich der rechten Schulter
nicht nachweisen können. Es gäbe auch keinen Beweis dafür, dass der Kläger - wie von ihm gegenüber Prof. Dr. M. angegeben
- über den 16. Juni 1995 hinaus behandlungsbedürftig und über den 20. Juni 1995 hinaus arbeitsunfähig gewesen sei.
Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Dezember 2014 zugestellte Urteil am 23. Januar 2015 beim Hessischen
Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, das Sozialgericht habe sich nicht ausreichend mit dem Gutachten
des Prof. Dr. M. auseinandergesetzt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. November 2014 aufzuheben, unter Änderung des Bescheides der Beklagten vom 12.
Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2011 einen kleinen Riss der Supraspinatussehne als weiteren
Gesundheitserstschaden sowie eine Zerrüttung der Rotatorenmanschette und eine Funktionsstörung des rechten Schultergelenkes
als Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. Juni 1995 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach einer MdE von
20 vom Hundert zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Dr. C. zu dem Gutachten des Prof. Dr. M. eingeholt. In seiner ergänzenden gutachterlichen
Stellungnahme vom 1. Juli 2015 hat Dr. C. ausgeführt, aufgrund des Durchgangsarztberichtes vom 10. Juni 1995 lasse sich ein
Erstschadensbild, welches über eine Zerrung des Schultergelenkes hinaus gehe, nicht nachweisen. Letztlich würden auch im Gutachten
des Prof. Dr. M. bei der Analyse des Unfallereignisses vom 9. Juni 1995 keine Befunde aufgeführt, die eine Rotatorenmanschettenläsion
nachweisen. Abschließend lasse sich die Frage, ob im Rahmen des Unfalls vom 9. Juni 1995 eine Rotatorenmanschettenläsion entstanden
sei, anhand der vorliegenden Unterlagen nicht zu 100 Prozent beantworten. Hierzu wäre eine unfallnah durchgeführte Kernspintomographie
notwendig gewesen.
Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2016 hat der Kläger mitgeteilt, dass er am 22. September 2015 in der Klinik für Schulterchirurgie
des MVZ Bad Neustadt an der rechten Schulter operiert worden ist. Dabei wurde eine Inverse Schulterprothese implantiert. Prof.
Dr. N., der ihn operiert habe, sei - nachdem er ihm die Ergebnisse aus den Jahren 1995 und 2010 geschildert habe - zu der
Schlussfolgerung gelangt, dass schadensursächlich für die vorgefundenen Verletzungen das Unfallereignis des Jahres 1995 gewesen
sein müsse.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten L 3 U 22/15 und L 3 U 23/15 sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und das Urteil
des Sozialgerichts sind rechtens. Denn der Arbeitsunfall des Klägers vom 9. Juni 1995 hat im Bereich der Rotatorenmanschette
des rechten Schultergelenkes keine Schäden verursacht.
Eine Tatsache ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung
hiervon zu begründen (BSG, Urteil vom 16. Februar 1971 - 1 RA 113/70 - BSGE 32, 203).
Die These des Prof. Dr. M., dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 9. Juni 1995 sich einen Schaden im Bereich der Rotatorenmanschette
in Form eines kleinen Risses der Supraspinatussehne (als Gesundheitserstschaden) zugezogen habe und daraus sich die im Jahr
2010 festgestellten Schäden an der Rotatorenmanschette entwickelt haben, lässt sich nicht im Vollbeweis nachweisen. Weder
die von Dr. D. am 10. Juni 1995 erhobenen Befunde noch der Krankheitsverlauf weisen auf eine am 9. Juni 1995 erfolgte Schädigung
der Rotatorenmanschette hin. Die zur Untersuchung der Rotatorenmanschette durchgeführte Sonographie ergab am 10. Juni 1995
keinen Hinweis auf eine Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette. Es ist zwar möglich, dass durch diese Untersuchung ein
kleiner Riss in der Supraspinatussehne nicht sichtbar wurde. Dieser Umstand kann jedoch das Vorhandensein eines Schadens nicht
positiv belegen. Ein Gesundheitserstschaden in Form eines kleinen Einrisses in der Supraspinatussehne kann dadurch keinesfalls
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Argumentativ stützt sich Prof. Dr. M. im Wesentlichen
auf die ihm gegenüber gemachten Angaben des Klägers, dass er nach dem Unfallereignis vom 9. Juni 1995 für fünf bis sechs Wochen
arbeitsunfähig gewesen sei und unter regelmäßiger durchgangsärztlicher Kontrolle gestanden habe. Diese Angaben, die der Kläger
aus seiner Erinnerung heraus gemacht hat, stimmen mit den tatsächlichen Gegebenheiten, wie sie sich aus der Verwaltungsakte
ergeben, nicht überein. Danach steht fest, dass der Kläger letztmalig am 16. Juni 1995 durchgangsärztlich behandelt worden
ist und eine Arbeitsunfähigkeit, wie von dem Kläger selbst am 27. Juni 1995 bestätigt, lediglich bis zum 20. Juni 1995 bestanden
hat. Auch für die ersten Jahre nach dem Arbeitsunfall vom 9. Juni 1995 gibt es keine Hinweise auf bestehende Beschwerden im
Bereich der rechten Schulter oder Belege für Arztbesuche in diesem Zusammenhang. Nach Aussage des Prof. Dr. M. sind in den
medizinischen Unterlagen mehrmalige ärztliche Behandlungen wegen Schulterproblemen erst ab dem Jahr 2005 dokumentiert. Dieser
Umstand weist zwar daraufhin, wie dies Prof. Dr. M. ausführt, dass bereits vor dem zweiten Unfall ein Vorschaden an der Rotatorenmanschette
bestanden hat, dadurch wird aber nicht belegt, dass dieser Vorschaden bereits am 9. Juni 1995 entstanden ist. Der große zeitliche
Abstand zwischen dem Arbeitsunfall im Jahr 1995 und der ärztlichen Konsultation wegen Schulterproblemen im Jahr 2005 spricht
eher gegen eine bereits erfolgte Schädigung im Jahr 1995.
Da folglich schon nicht bewiesen ist, dass durch den Arbeitsunfall vom 9. Juni 1995 eine Schädigung im Bereich der Rotatorenmanschette
des rechten Schultergelenkes als Gesundheitserstschaden eingetreten ist, können die im Jahre 2010 im Bereich der Rotatorenmanschette
festgestellten Schäden nicht mit Wahrscheinlichkeit als Arbeitsunfallfolgen festgestellt werden. Da der Senat aus den dargelegten
Gründen der Beurteilung des Prof. Dr. M. und des Prof. Dr. N. nicht folgen konnte, war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.