Anerkennung einer Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Vorliegen eines Bandscheibenschadens
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage 1
der
Berufskrankheitenverordnung (
BKV).
Der 1949 geborene Kläger verrichtete während seines Berufslebens in Deutschland von September 1969 bis September 2003 verschiedene
Tätigkeiten als Hilfsbauarbeiter, Produktionsmitarbeiter und Monteur im Fensterbau, als Bauschlosser im Fenster- und Heizungsbau
und als Reparatur-Schlosser im Bereich Haustechnik; von 1992 an war er als Außendienstmonteur mit der Wartung und Reinigung
von Lüftungsanlagen betraut und ab 1996 als Außendienst-Monteur im Bereich Brandschutz mit der Wartung und Reparatur von Löschwasseranlagen
beschäftigt. Nach seinen eigenen Angaben (Fragebogen der Beklagten vom 17.November 2003) traten bei ihm erstmals im Jahre
1972 Wirbelsäulenbeschwerden auf, und zwar Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein.
Nachdem die AOK Hessen bei der Beklagten im Oktober 2003 eine Berufskrankheit angezeigt und einen Erstattungsanspruch angemeldet
hatte, ließ die Beklagte durch ihren Präventionsdienst im August 2004 eine Gefährdungsanalyse und Berechnung der Gesamtbelastung
(Lebensdosis) BK 2108 durchführen. Nach diesen Feststellungen waren die arbeitstechnischen Voraussetzungen nach dem sogenannten
Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) mit 15,3 MNh nicht erfüllt. Mit Bescheid vom 27. September 2004 und Widerspruchsbescheid
vom 1. Dezember 2004 lehnte die Beklagte nach Anhörung des Landesgewerbearztes die Anerkennung einer BK Nr. 2108 ab, da eine
geeignete schädigende Einwirkung nicht bewiesen sei.
Mit seiner am 27. Dezember 2004 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhobenen Klage hat der Kläger sein
Begehren auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 weiter verfolgt und u.a. den Entlassungsbericht der Ärzte
der Klinik HS., NQ., der Deutschen Rentenversicherung Bund, vom 3. April 2007, einen Magnet-resonanztomogramm(MRT)-Befund
der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 5. Oktober 2007, eine Liste der AOK über Arbeitsunfähigkeitszeiten ab 1971 sowie einen MRT-Befund
der Halswirbelsäule (HWS) vom 23. Dezember 2009 eingereicht. In dem MRT vom 5. Oktober 2007 wird das Vorliegen eines Bandscheibenprolaps
L2/L3 aktuell subligamentär paramedian rechts nach kranial sequestriert mit konsekutiver Kompression der L3-Wurzel rechts
am Abgang beschrieben ("deutliche Befundprogredienz zur Voruntersuchung 2006") sowie eine diskrete Zunahme auch des medianen
Bandscheibenvorfalls L4/L5, jedoch keine Nervenwurzelkompression, eine Bandscheibenprotrusion L5/S1, rechts betont, mit geringer
Pelottierung der S1-Wurzel rechts am Abgang und eine Spondylarthrose.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Mai 2008 aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
zum MDD das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 anerkannt;
nach der letzten Stellungnahme ihres Präventionsdienstes liege die Gesamtbelastungsdosis mit 20,3 über dem Wert von 12,5 MNh.
Auf Wunsch des Klägers hat die Beklagte während des Klageverfahrens hinsichtlich der medizinischen Voraussetzungen der BK
Nr. 2108 ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. QQ vom 22. Januar 2009 sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme
zu diesem Gutachten von dem Chirurgen und Unfallchirurgen Dr. WW. vom 30. März 2009 eingeholt und zu den Gerichtsakten eingereicht.
Dr. QQ hat bei dem Kläger ein lumbales Wurzelsyndrom mit sensibler Nervenwurzelreizung rechts bei polysegmentalem Bandscheibenvorfall
L2/L3 und L4/L5 diagnostiziert. Er hat das Vorliegen einer Begleitspondylose bejaht und einen Kausalzusammenhang der von ihm
festgestellten Erkrankungen der LWS mit der beruflichen Wirbelsäulenbelastung angenommen. Dr. WW. hat ausgeführt, er könne
Dr. QQ nicht folgen, die vorliegende Erkrankung ließe sich nicht schlüssig mit einer von außen einwirkenden Belastung begründen.
Nach dem MRT Befund vom 5. Oktober 2007 sei das Bewegungssegment L5/S1 sehr gering verschleißverändert, das Segment L4/L5
ebenfalls gering verschleißverändert, aber etwas mehr als das Segment L5/S1, während das Segment L2/L3 ausgeprägtere Veränderungen
zeige. Es könne indes nicht als belastungsadäquat angesehen werden, wenn das Segment L5/S1 geringer verändert sei, als die
darüber liegenden Bandscheiben. Im Übrigen habe Dr. QQ nicht berücksichtigt, dass bei dem Kläger bereits 1972 bzw. 1973 Rückenschmerzen
aufgetreten seien.
Das Sozialgericht hat zu der Stellungnahme von Dr. WW. eine ergänzende Stellungnahme des Dr. QQ vom 27. April 2009 eingeholt,
in der dieser bei seiner Auffassung geblieben ist, die berufliche Exposition sei wesentliche Bedingung bei der Entstehung
der bandscheibenbedingten Erkrankung. Das Verteilungsbild der bandscheibenbedingten Veränderungen entspreche der von der Konsensuskonferenz
vorgeschlagenen Konstellation B1.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat das Sozialgericht von dem Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Prof. Dr. Dr. EE. ein arbeitsmedizinisches Gutachten
vom 6. Juli 2010 eingeholt nebst einem Zusatzgutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. RR., CQ.-Klinik
NR., vom 26. April 2010 und einem weiteren Zusatzgutachten des Facharztes für Radiologie Dr. TT. vom 27. April 2010.
Dr. RR. hat bei dem Kläger eine zervikale Myelopathie nach chronischer Densfraktur (MRT der HWS vom 23. Dezember 2009) sowie
eine degenerative HWS- und LWS-Erkrankung mit sensiblen Wurzelschädigungen und einem chronischen Schmerzsyndrom mit depressiver
Begleitreaktion diagnostiziert.
Dr. TT. hat nach Auswertung der seit 1987 vorliegenden Ergebnisse bildgebender Verfahren folgende Feststellungen getroffen:
Auf der CT der LWS vom 28. November 1987 im Segment L5/S1 Nachweis einer breitbasigen Bandscheibenvorwölbung (Grad IIa-Prolaps-Grenzbefund),
auf der CT der LWS vom 20. September 1996 im Segment L5/S1 breitbasige Bandscheibenvorwölbung (altersuntypischer, zweitgradiger
Prolapsbefund), auf der CT der LWS vom 3. Dezember 2002 zweitgradiger, altersuntypischer Prolapsbefund im Segment L4/L5, auf
der MRT der LWS vom 13. Juli 2006 im Segment L2/L3 subligamentäre Bandscheibenvorwölbung (Grad IIa-Prolaps-Grenzbefund), auf
der MRT der LWS vom 5. Oktober 2007 drittgradiger, altersuntypischer Sequester im Segment L2/L3. Es bestehe im Übrigen kein
Hinweis für eine Begeleitspondylose im Bereich der LWS und kein Nachweis einer "black disc".
Prof. Dr. Dr. EE. hat unter Berücksichtigung der von Dr. TT. erhobenen Befunde ausgeführt, einen Zusammenhang zwischen der
beruflichen Einwirkung und dem 11/1987 diagnostizierten Bandscheibenprolaps L5/S1 nehme er nicht mit Wahrscheinlichkeit an,
weil der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt nur einer MDD-Gesamtdosis in Höhe von 9,4 MNh ausgesetzt war. Er gehe aber davon aus,
dass die Entwicklung des Bandscheibenprolaps L4/L5 12/2002 und des Bandscheibenprolaps L2/L3 7/2006 im Sinne der Verschlimmerung
eines anlagebedingten Leidens durch die berufliche Entwicklung zu interpretieren sei. Wegweisend sei nach den Konsensempfehlungen
bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit der Befund zum Zeitpunkt der Aufgabe dieser Tätigkeit,
vorliegend somit der 7. Oktober 2003. Zu diesem Zeitpunkt habe nach dem radiologischen Zusatzgutachten bei dem Kläger eine
bisegmentale altersuntypische Bandscheibenschädigung in Form eines Bandscheibenprolaps L5/S1 (Erstdiagnose am 28. November
1987) und eines Bandscheibenprolaps L4/L5 (Erstdiagnose am 3. Dezember 2002) vorgelegen. Da somit bei dem Kläger zum Zeitpunkt
der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit ein Bandscheibenprolaps an mehreren Bandscheiben (L5/S1 und L4/L5) vorgelegen
habe, sei das erste Zusatzkriterium der B2 Konstellation der Konsensempfehlungen erfüllt. Da die Konsensempfehlungen beim
Vorliegen dieser Fallkonstellation die Anerkennung einer Berufskrankheit vorsähen, empfehle er ebenfalls bei dem Kläger die
Anerkennung dieser Berufskrankheit. Die bei dem Kläger vorliegende Dens-Fraktur mit zervikaler Myelopathie sei nach den Konsensempfehlungen
keine bekannte außerberuflich bedingte konkurrierende Ursache für die Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der
LWS.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 27. September 2010 führt der Sachverständige Prof. Dr. Dr. EE. aus, die Tatsache, dass
der Bandscheibenprolaps L2/L3 erst zwei Jahre und neun Monate nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit am 7. Oktober 2003
am 13. Juli 2006 diagnostiziert worden sei, spreche nicht gegen einen beruflichen Zusammenhang. Die Konsensempfehlungen enthielten
keine Festlegung, ab welcher Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung der
Bandscheibenschaden nicht mehr wahrscheinlich auf berufliche Einwirkungen zurückgeführt werden könne. Zwischenzeitlich habe
eine Auswertung der Deutschen Wirbelsäulen-Studie ergeben, dass auch bei Beschäftigten, bei denen zwischen Unterlassung der
gefährdenden Tätigkeit und erstmaliger Diagnose der Erkrankung eine expositionsfreie Zeit von zehn Jahren klaffe, ein erhöhtes
beruflich bedingtes Prolapsrisiko nachzuweisen sei.
Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. ZZ. vom 3. November 2010
zu dem Gutachten und der Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. EE. vorgelegt. Die Beratungsärztin führt darin aus,
im Zeitpunkt der Berufsaufgabe am 7. Oktober 2003 habe bei dem Kläger an der LWS keine Begleitspondylose, aber ein Bandscheibenvorfall
im Segment L4/L5 und L5/S1 vorgelegen. Prof. Dr. Dr. EE. schätze eine solche bisegmentale Schädigung als Konstellation B2
ein, dies sei aber zweifelsfrei in den Konsensempfehlungen nicht gemeint. Soweit es in dem ersten Zusatzkriterium der B2 Konstellation
in den Konsens-Empfehlungen heiße "Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben", bedeute dies nicht Schädigung
an zwei, sondern an mindestens drei Bandscheiben. "Angrenzend" in dieser Fallgruppe bedeute Schädigung im Segment L4/L5 und
L3/L4, dies liege hier aber nicht vor, insofern bestehe kein anerkennungsfähiges Schadensbild. Zusätzlich spreche das Auftreten
des Bandscheibenvorfalles außerhalb der Belastungszeit für eine innere Genese und eine Neigung zu degenerativen Veränderungen,
zumal an der HWS degenerative Veränderungen der unteren HWS gesichert seien und ein Bandscheibenvorfall trotz nicht vorliegender
Exposition.
Prof. Dr. Dr. EE. hat dazu (Stellungnahme vom 3. Dezember 2010) ausgeführt, dem Bericht der Konsensus-Arbeitsgruppe zur Fallkonstellation
B2 sei eine unmittelbare Definition des Begriffes "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" nicht zu entnehmen.
Aus dem Zusammenhang ergebe sich zwar, dass damit sicherlich kein monosegmentaler Befall mit Chondrose und/oder Vorfall in
den Segmenten L5/S1 oder L4/L5 gemeint sei, weil dabei zusätzlich "black disc" in mindestens zwei angrenzenden Segmenten verlangt
werde. Daraus ergebe sich aus seiner Sicht unmittelbar nach den Gesetzen der Logik, dass unter dem Begriff der "Höhenminderung
und/oder des Prolaps an mehreren Bandscheiben" der Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint sein müsse. Würde die Vorstellung
zutreffen, dass der Befall von mehreren Bandscheiben ein solcher sei, bei dem mindestens drei Bandscheiben betroffen seien,
wäre der bisegmentale Befall von der Konsensus-Arbeitsgruppe bei der Betrachtung der Konstellation B2 außer Acht gelassen
worden, was angesichts der Häufigkeit des bisegmentalen Befalls keinen Sinn mache. Es sei auch nicht plausibel, wenn Frau
Dr. ZZ. eine Bandscheibenschädigung der HWS, die über sechs Jahre nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit diagnostiziert
wurde, als Grund gegen die Anerkennung einer BK Nr. 2108 anführe; denn maßgeblich seien die beruflichen und außerberuflichen
Faktoren zum Zeitpunkt der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit.
Mit Urteil vom 7. Februar 2011 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine BK Nr. 2108 mit den Gesundheitsschäden,
Bandscheibenvorfällel L5/S1, L4/L5 und L2/L3 anzuerkennen und dem Kläger Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
von 20 v.H. zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Sachverständige
Prof. Dr. Dr. EE. habe zutreffend begründet, dass auch der Bandscheibenvorfall L2/L3 beruflich verursacht worden sei, obgleich
dieser Schaden erst etwa drei Jahre nach Aufgabe der Beschäftigung festgestellt worden sei; denn die nachwirkende Schädigung
sei durchaus möglich. Den Bandscheibenvorfall L5/S1 habe der Sachverständige nicht als berufsbedingt angesehen, weil zurzeit
der Erstdiagnose im November 1987 noch keine ausreichende Gesamtbelastung nach dem MDD vorgelegen habe. Dem folge das Gericht
indes nicht, weil das Auftreten der Erkrankung nicht das Erreichen der vollen Gesamtbelastung zur Voraussetzung haben könne.
Zur Diskussion von Prof. Dr. Dr. EE. und Frau Dr. ZZ., was unter "mehreren Bandscheiben" im Sinne des ersten Zusatzkriteriums
der B2 Konstellation zu verstehen sei, folge das Sozialgericht der Auffassung von Prof. Dr. Dr. EE., dass darunter auch nur
"zwei" zu verstehen seien. Die Forderung nach mindestens drei Bandscheibenschäden würde die Anerkennungsmöglichkeit auf nur
wenige, seltene, schwere Fälle reduzieren. Davon halte das Sozialgericht nichts. Prof. Dr. Dr. EE. überzeuge auch deshalb,
weil er an führender Stelle Mitverfasser der Konsensempfehlungen gewesen sei.
Gegen das ihr am 15. März 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. April 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht
in Darmstadt eingelegt. Sie ist der Auffassung, zu Unrecht habe das Sozialgericht die beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenveränderungen
der Klassifikation B2 im Abschnitt "Zusammenhangsbeurteilung bei typischen Fallkonstellationen" zugeordnet. Die Grundvoraussetzungen
nach den Konsensempfehlungen für die Annahme einer B2 Konstellation erfülle der deutlich nach dem Ende der Einwirkung diagnostizierte
Bandscheibenvorfall L2/L3 schon nicht im Hinblick auf seine Lokalisation und der am 28. November 1987 diagnostizierte Vorfall
L5/S1 nicht im Hinblick auf die zu fordernde Korrelation zwischen Belastung und Erkrankung. Der Bandscheibenvorfall L4/L5
erfülle zwar die Grundvoraussetzungen; mit dem Schaden allein an einer Bandscheibe werde die Fallkonstellation B2 der Konsensempfehlungen
unstreitig nicht erfüllt. Im Übrigen folge sie der Beratungsärztin Dr. ZZ., dass für das erste Zusatzkriterium der B2 Konstellation
("mehrere Bandscheiben") zwei Bandscheibenvorfälle/Höhenminderungen allein nicht ausreichten. Auch die Fallkonstellation B3
lasse sich bei dem Kläger nicht feststellen, denn der schon sehr früh aufgetretene erste Bandscheibenvorfall L5/S1 spreche
für eine anlagebedingte Schwäche der Wirbelsäule, in diese Richtung deute auch der später aufgetretene Vorfall L2/L3 sowie
der im Bereich der HWS festgestellte Vorfall C6/C7 und letztlich auch die bereits anfangs der 70er-Jahre aufgetretenen Wirbelsäulenbeschwerden.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten in dem Erörterungstermin vom 31. Januar 2012 über die Rechtsauffassung und ständige Rechtsprechung
des Senats zur Auslegung der Konsensempfehlungen unterrichtet. Die Beteiligten haben sich in dem Termin mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten (Band I bis IV), dort insbesondere auf die
Ausführungen und Unterlagen der Beklagten zur Berechnung und Nachberechnung der arbeitstechnischen Voraussetzungen nach dem
MDD (Bl. 184 ff. und Bl. 636 ff.), sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen
worden ist.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich. Das erstinstanzliche Urteil war aufzuheben, denn der Kläger hat keinen Anspruch
auf Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV und - da ein Versicherungsfall nicht gegeben ist - auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach §
56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung -
SGB VII.
Berufskrankheiten sind nach §
9 Abs.
1 S. 1
SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur
BKV sind unter Nr. 2108 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch
langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Berufskrankheiten
bezeichnet.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden
Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen
sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an
Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale
zweifelt (BSGE 6, 144; Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage, §
118 Rdnr. 5 m.w.N.). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche
Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).
Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende
schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität)
und diese Einwirkung muss die als BK zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (sog. haftungsausfüllende Kausalität
- dazu: Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung,
SGB VII, Kommentar, Anm. 54 zu §
8 SGB VII). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheiten gilt dabei, wie auch
sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 - juris). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie,
nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog.
condicio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur
solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
"Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige,
sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange
die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises
die Wahrscheinlichkeit, d. h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die
für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die
Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542
RVO a.F.). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich
ist (BSGE 60, 58, 59).
Zur Überzeugung des erkennenden Senats steht gemessen an diesen Kriterien fest, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für
die Anerkennung seiner Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV nicht vorliegen. Der Kläger war zwar während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß §
2 Abs.
1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 2108 ausgesetzt. Er erfüllt
unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht in dessen Urteil vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R - juris) dazu festgesetzten Richtwerte unstreitig die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen mit einer von der Beklagten
errechneten MDD-Gesamtdosis von 25,1 MNh. Auch die Erkrankungen, für die der Kläger Entschädigungsleistungen beansprucht,
nämlich Bandscheibenvorfälle in L5/S1, L4/L5 und L2/L3 sind im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Denn sowohl hinsichtlich
des Vorliegens dieser Wirbelsäulenerkrankungen als auch hinsichtlich des Zeitpunkts des jeweiligen Auftretens der Bandscheibenvorfälle
stimmen die während des Klageverfahrens dazu gehörten Ärzte, der Orthopäde Dr. QQ, der Radiologe Dr. TT. und der Arbeitsmediziner
Prof. Dr. Dr. EE., überein.
Nach Auffassung des Senats sind die bei dem Kläger an der LWS vorliegenden Bandscheibenerkrankungen indes nicht mit Wahrscheinlichkeit
auf die physikalischen Einwirkungen zurückzuführen, denen er während seines Berufslebens ausgesetzt gewesen ist. Vorliegend
überwiegen nicht (deutlich) die Erwägungen, die für einen (wesentlichen) Ursachenzusammenhang sprechen.
Als wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK Nr. 2108 legt der Senat nach seiner
ständigen Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteil des Senats vom 18. August 2009 - L 3 U 202/04 - juris) die Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften
(HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe ("Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten
der Lendenwirbelsäule", Bolm-Audorff, Franz, Grosser, Schröter, Seidler u.a., Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.)
zugrunde, in denen typische Fallkonstellationen definiert und die Einschätzung der Experten zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs
entsprechend der jeweiligen Befundkonstellation wiedergegeben sind.
Zur Überzeugung des Senats ist vorliegend nicht eine der in den Konsensempfehlungen definierten Befundkonstellationen gegeben,
bei denen ein Zusammenhang als wahrscheinlich beurteilt werden muss. Insbesondere nimmt der Senat entgegen dem Sozialgericht
nicht an, dass die bei dem Kläger bestehenden Wirbelsäulenerkrankungen der Konstellation B1 oder B2 nach den Konsensempfehlungen
zugeordnet werden können. Für sämtliche B-Konstellationen wird nach den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte)
bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als
Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Für sämtliche Fallkonstellationen nach den Konsensempfehlungen wird im
Übrigen als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhanges zwischen Erkrankung und beruflicher Belastung
verlangt, dass die berufliche Belastung eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung
aufweist ("z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt
mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab"). Bei bereits länger
zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit ist nach den Konsensempfehlungen der Befund zum Zeitpunkt der belastenden
Tätigkeit wegweisend.
Zum Zeitpunkt der Aufgabe seiner belastenden Tätigkeit am 7. Oktober 2003 lagen bei dem Kläger Bandscheibenschäden in den
Segmenten L5/S1 und L4/L5 vor, die nach Lokalisation und Ausprägung (jeweils altersuntypischer zweitgradiger Prolaps) für
die Zuordnung zu einer B-Konstellation in Betracht kommen. Der bei dem Kläger vorliegende Bandscheibenvorfall in L5/S1 erfüllt
indes nicht die Grundvoraussetzung der plausiblen zeitlichen Korrelation. Nach dem Gutachten des Radiologen Dr. TT. ist ein
Schaden an diesem Segment erstmals im CT der LWS vom 28. November 1987 festzustellen. Nach Auffassung des Senats hat der Sachverständige
Prof. Dr. Dr. EE. daher bezüglich dieser Erkrankung zutreffend festgestellt, er nehme einen Zusammenhang mit der beruflichen
Einwirkung nicht an, da der Kläger bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Diagnose 1987 (Grad IIa-Prolaps-Grenzbefund) nur einer
MDD-Gesamtdosis ausgesetzt gewesen ist, die den BSG-Grenzwert von 12,5 MNh deutlich unterschritten hat.
Der Befund am Segment L4/L5 erfüllt die Grundvoraussetzung der plausiblen zeitlichen Korrelation, da zum Zeitpunkt der Erstdiagnose
im CT der LWS vom 3. Dezember 2002 die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2108 unstreitig vorgelegen
haben. Entgegen der Auffassung des Dr. QQ in seinem Gutachten vom 22. Januar 2009 liegt aber nicht die Konstellation B1 vor.
Diese Konstellation setzt das Vorliegen einer Begleitspondylose voraus. Dr. TT. hat in seinem radiologischen Gutachten das
Vorliegen einer Begleitspondylose entsprechend ihrer Definition in den Konsensempfehlungen für den Senat überzeugend verneint.
Dr. QQ, der das Vorliegen einer solchen Begleitspondylose bejaht hat, kann nicht gefolgt werden, da er - worauf Prof. Dr.
Dr. EE. zu Recht hinweist - nicht begründet, warum bei dem Kläger eine Begleitspondylose vorliegen soll.
Die hier zu berücksichtigende Bandscheibenerkrankung im Segment L4/L5 erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Konstellation
B2. Bei dieser Konstellation fehlt die Begleitspondylose und der Zusammenhang wird nur dann als wahrscheinlich angesehen,
sofern mindestens eines der in der betreffenden Konstellation genannten Zusatzkriterien erfüllt ist. Die Zusatzkriterien "besonders
intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" liegen hier nicht vor. Der Senat stützt sich für diese Feststellung
auf die insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. EE ... Auch das Zusatzkriterium "Höhenminderung
und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im MRT
in mindestens 2 angrenzenden Segmenten" ist nicht erfüllt. Da zum Zeitpunkt der Berufsaufgabe nur ein monosegmentaler Vorfall
in L4/L5 zu berücksichtigen ist, bedarf es einer "black disc" im MRT, für die es nach dem überzeugenden Gutachten des Radiologen
Dr. TT. keinen Hinweis gibt.
Im Ergebnis kommt es damit auf den im Berufungsverfahren im Vordergrund stehenden Streit der Beteiligten, ob das Zusatzkriterium
der B2 Konstellation "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" schon beim Vorliegen eines bisegmentalen Schadens
erfüllt ist oder ob mit "mehreren" Bandscheiben mindestes drei gemeint sind, nicht an. Selbst wenn man aber mit Prof. Dr.
Dr. EE. den Vorfall am Segment L5/S1 trotz der fehlenden zeitlichen Korrelation mit der Begründung einbezieht, dieser Schaden
habe sich unter der weiteren beruflichen Belastung verschlimmert, und somit einen bisegmentalen Schaden zugrunde legt, wäre
das betreffende Zusatzkriterium der B2 Konstellation nicht erfüllt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. u. a. Urteil
vom 18. August 2009 - L 3 U 202/04 - juris) sind mit "mehreren" Bandscheiben mindestens drei gemeint. Für diese Auslegung spricht schon die Systematik der in
den Konsensempfehlungen definierten Fallkonstellationen. Alle B-Konstellationen gehen schon von einer Lokalisation der bandscheibenbedingten
Erkrankung bei L5/S1 und/oder L4/L5 aus, also an einer oder zwei Bandscheiben. In der B1 Konstellation muss sodann die Begleitspondylose
als Positivkriterium hinzukommen, um einen Zusammenhang wahrscheinlich zu machen. In der B2 Konstellation wird das Fehlen
der Begleitspondylose durch die dort genannten Zusatzkriterien ersetzt, so dass mit "mehreren" Bandscheiben über die in den
B-Konstellationen grundsätzlich vorausgesetzten Veränderungen hinausgehend mindestens drei betroffene Bandscheiben gemeint
sind.
Die Konstellation, in der lediglich ein mono- oder bisegmentaler Schaden an den beiden untersten LWS-Segmenten vorliegt und
weder eine Begleitspondylose noch ein Zusatzkriterium festzustellen sind, entspricht vielmehr der Konstellation B3, bei der
es bezüglich der Beurteilung des Zusammenhangs keinen Konsens unter den Teilnehmern der Arbeitsgruppe gab. Der Senat hält
bei dieser Konstellation grundsätzlich den Zusammenhang nicht für wahrscheinlich, da für ihn die Argumente der Mitautoren
der Konsensempfehlungen überzeugender sind, die der Begleitspondylose als Positivkriterium maßgebliche Bedeutung beimessen
und nach denen ihr Fehlen in der Konstellation B3 gegen eine Expositionsabhängigkeit der bandscheibenbedingten Erkrankung
spricht (vgl. auch Urteil des Senats vom 18. August 2009, aaO.). In Anhang 1 der Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten
Fallkonstellationen weisen Grosser/Schröter auf Studien hin, nach denen deutliche Höhenminderungen von Bandscheiben in allen
Segmenten der LWS bei Schwerarbeitern deutlich häufiger als in der Normalbevölkerung seien. Auch die Häufigkeit von Spondylosen
sei in der belasteten Gruppe in allen Segmenten der LWS deutlich erhöht. Die Konstellation B3, bei der lediglich ein mono-
oder bisegmentaler Befall der beiden unteren LWS-Segmente vorliege, sei indessen die häufigste Manifestationsform eigenständiger
Bandscheibenerkrankungen innerer Ursache an der LWS. Es existierten keinerlei epidemiologische Arbeiten, welche nachweisen
würden, dass bei Schadensbildern, die der Konstellation B3 entsprechen, bei beruflich Exponierten im Vergleich zur Normalbevölkerung
statistisch eine relevante Risikoerhöhung bestehe. Die epidemiologische Literatur zu berufsbedingten Bandscheibenerkrankungen
bestätige eine relative Häufung von Chondrosen bei schwerer im Vergleich zu leichter Arbeit an der mittleren und oberen LWS
und eine absolute Häufung in den unteren beiden LWS-Segmenten; dies entspreche auch der aus biomechanischer Sicht zu erwartenden
Entwicklung eines mehrsegmentalen Befalls der LWS mit Betonung der unteren LWS, während ein mono- und bisegmentaler Befall
biomechanisch kaum plausibel sei (Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 219 ff.). Schließlich räumen auch die Autoren der Arbeitsgruppe
(Seidler/Bolm-Audorff), die dem Fehlen einer Begleitspondylose keinen hohen Stellenwert beimessen, ein, dass Patienten mit
Chondrose und Spondylose ein höheres berufliches Erkrankungsrisiko aufwiesen als Patienten mit Chondrose ohne zusätzliche
Spondylose (Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 221 f.).
Sofern man bei der Abwägung, ob hier ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich ist, auch die Erkrankungen des Klägers an der
Wirbelsäule betrachtet, die erst nach der Berufsaufgabe aufgetreten sind, finden sich weitere Argumente für eine innere Genese.
Prof. Dr. Dr. EE. hat in seiner Stellungnahme vom 3. Dezember 2010 zwar bezüglich des im Juli 2006 erstmals diagnostizierten
Vorfalls im Segment L2/L3 ausgeführt, dieser spreche nicht gegen die BK Nr. 2108 bzw. gegen einen ursächlichen Zusammenhang,
da die Erkrankung nur zwei Jahre und neun Monate nach der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit aufgetreten sei. Bei Einbeziehung
des Vorfalls im Segment L2/L3 ergibt sich indes kein belastungskonformes Schadensbild. Darauf hat der Chirurg und Unfallchirurg
Dr. WW. in seiner Stellungnahme vom 30. März 2009 zu Recht hingewiesen. Die Auswertung des MRT der LWS vom 5. Oktober 2007
zeigt nach seinen Feststellungen nur geringe Veränderungen in den Segmenten L5/S1 und L4/L5, indes ausgeprägtere im Segment
L2/L3. Diese Feststellungen werden durch die spätere Auswertung des betreffenden MRT durch den Radiologen Dr. TT. im Zusatzgutachten
vom 7. April 2010 bestätigt, der bezüglich des Segments L2/L3 einen Prolaps mit Sequester (drittgradig, altersuntypisch) beschreibt,
während die Vorfälle in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 nur zweitgradig seien und zu keiner Bedrängung nervaler Strukturen geführt
hätten. Wie oben ausgeführt, wäre indes nach den Konsensempfehlungen aus biomechanischer Sicht ein mehrsegmentaler Befall
der LWS mit Betonung der unteren LWS zu erwarten, welche den höchsten Kompressionskräften ausgesetzt ist (Trauma und Berufskrankheit
2005, S. 220). Überzeugend erscheint dem Senat daher die Bewertung der Ärztin für Chirurgie Dr. ZZ. in ihrer Stellungnahme
vom 3. November 2010, das Auftreten eines Vorfalls vor der Belastung sowie des Bandscheibenvorfalles außerhalb der Belastungszeit
spreche für eine innere Genese und eine Neigung zu degenerativen Veränderungen des Bandscheibensystems, welches auch durch
die an der unteren HWS gesicherten degenerativen Veränderungen und den Bandscheibenvorfall bei nicht vorliegender Exposition
und zudem durch das Auftreten von LWS-Beschwerden schon in den Jahren 1972/1973 gestützt werde.
Ein deutliches Überwiegen der Kriterien, die für einen (wesentlichen) Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung
und den Bandscheibenschäden sprechen und diesen somit wahrscheinlich machen, lässt sich hier jedenfalls nicht feststellen.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2108 sind nicht erfüllt.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 2 und 3
SGG nicht vorgelegen haben.