Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung
Keine Verlängerung der zeitlichen Grenze des 27. Lebensjahres bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Waisenrente.
Die am 00.00.1963 geborene Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Marokko. Sie ist die Tochter des am
00.00.1930 geborenen und am 00.09.2017 gestorbenen C N (im Folgenden: Versicherter).
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 27.12.2017 die Gewährung einer Waisenrente gemäß §
48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI).
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 16.1.2018 ab und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin eine Waisenrente
nur dann erhalten könne, wenn bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt seien. Die persönlichen Voraussetzungen seien
nicht gegeben, weil die Klägerin bereits ihr 27. Lebensjahr vollendet habe.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 7.2.2018 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie ausführte, dass sie sehr große
gesundheitliche Probleme habe. Sie leide an psychischen Erkrankungen und bitte daher um Hilfe.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.6.2018 zurück. Ein Anspruch auf Waisenrente bestehe nur
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Die Klägerin sei am 00.00.1963 geboren und habe ihr 27. Lebensjahr bereits am 00.00.1990
vollendet. Eine Zahlung von Waisenrente aus der Versicherung des Versicherten sei deshalb nicht möglich.
Dagegen hat die Klägerin am 6.8.2018 Klage erhoben, mit der sie ihr auf die Gewährung von Waisenrente gerichtetes Begehren
weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat sie erneut auf ihre psychischen Erkrankungen hingewiesen.
Die Beklagte hat dagegen die Ansicht vertreten, dass ein Anspruch nicht bestehe und auf ihre Ausführungen im Verwaltungs-
und Widerspruchsverfahren Bezug genommen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Dortmund die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.7.2019 abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente habe, weil sie die Voraussetzungen
des §
48 SGB VI nicht erfülle. Mit Blick auf die eindeutige Regelung des §
48 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 SGB VI komme die Bewilligung einer Waisenrente höchstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres in Betracht und zwar unabhängig
davon, ob (unverändert) gesundheitliche Beeinträchtigungen im Sinne des §
48 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 d)
SGB VI vorlägen. Mithin sei es der Beklagten von Gesetzes wegen unmöglich gewesen, der Klägerin, die bereits im Jahr 1990 ihr 27.
Lebensjahr vollendet habe, eine Waisenrente zu bewilligen.
Gegen den ihr am 4.9.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 7.10.2019 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass
sie bis zum Tod des Versicherten unter dessen Obhut gestanden habe. Nunmehr habe sie keine Ressourcen und keine Hilfe mehr.
Sie leide unter psychischen Erkrankungen und erbitte Hilfe.
Die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigte sind jeweils per Einschreiben mit Rückschein zum Termin zur mündlichen Verhandlung
geladen und darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden könne.
Die Bevollmächtigte der Klägerin hat sich in einem Schreiben vom 5.8.2020 gemeldet und mitgeteilt, dass sie nicht teilnehmen
könne, da es schwierig sei, ein Visum zu erhalten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 1.9.2020 ist für die Klägerin niemand erschienen.
Die Beklagte hat sich nicht weiter zum Berufungsverfahren geäußert.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 27.1.2020 das Verfahren auf den Berichterstatter zur Entscheidung
mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Dieser Beschluss ist der Beklagten am 6.2.2020 und der Klägerin per Einschreiben
mit Rückschein am 4.3.2020 zugestellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten Bezug, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet in der Besetzung mit dem Berichterstatter und den ehrenamtlichen Richtern (sog. kleine Richterbank),
§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Nach dieser Vorschrift kann der Senat in den Fällen des §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG (Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid) durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der
zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.Vorliegend hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden.
Der Senat hat die Übertragung - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - nach pflichtgemäßem Ermessen beschlossen. Es handelt
sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Verfahren, das keine Fragen aufwirft, die einer Mitwirkung der vollen
Richterbank des Senats (vgl. §
33 Abs.
1 Satz 1
SGG) bedürfen.
Der Senat kann trotz Nichterscheinens der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung
entscheiden. Denn die Klägerin ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§
63 Abs.
1 und
2 SGG,
175 Zivilprozessordnung i.V.m. Art. 31 Abs. 1 Satz 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens [DMSVA] vom 25.3.1981, in Kraft seit dem 1.8.1986, BGBl II
1986; 550 ff, 562, 772) auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden
werden könne (§§
153 Abs.
1,
110 Abs.
1 Satz 2
SGG). Das Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 5.8.2020 hat keine Veranlassung geboten, den Termin zu verlegen, weil die
Bevollmächtigte einen solchen Antrag nicht gestellt hat.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist nach den §§
143,
144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht eingelegt (§
151 Abs.
1 und Abs.
2 Satz 1
SGG).
Die Berufung ist aber nicht begründet.
Das Sozialgericht Dortmund hat die Klage gegen den Bescheid vom 16.1.2018in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.6.2018
zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten nach §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.
Gemäß §
48 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 SGB VI (in der hier maßgeblichen Fassung seit dem 1.7.2015) wird die Waisenrente - unter näher bestimmten Voraussetzungen - längstens
bis zum 27. Lebensjahr gewährt. Die Klägerin hat aber bereits am 00.00.1990 ihr 27. Lebensjahr vollendet. Bereits aus diesem
Grund kann keine Waisenrente gewährt werden; auf die übrigen im Gesetz genannten Voraussetzungen kommt es nicht an; sie mussten
vom Senat daher auch nicht weiter geprüft werden.
Die in §
48 Abs.
4 Satz 1 Nr.
2 SGB VI enthaltene zeitliche Grenze zur Inanspruchnahme einer Waisenrente kann durch Tatbestände nach §
48 Abs.
5 SGB VI verlängert werden, etwa durch die Ableistung der Wehrpflicht, des Zivildienstes oder eines gleichgestellten Dienstes. Diese
Tatbestände sind hier jedoch offenkundig nicht einschlägig und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 Satz 1,
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, §
160 Abs.
2 SGG. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil für die Entscheidung die konkreten Umstände des Einzelfalls
ausschlaggebend sind.