Streitwertfestsetzung
Nichterreichen des Beschwerdewertes
Änderungsbefugnis
Korrektur einer als unrichtig erkannten Streitwertfestsetzung
Gründe
I.
Die Beklagte wendet sich gegen die Festsetzung des Streitwerts auf 1.316,22 EUR durch das Sozialgericht (SG) Aachen.
Mit am 30.07.2013 erhobener Klage hat der Kläger einen Vergütungsanspruch "für die in dem Zahlungsavis vom 28.01.2010 aufgeführten
Behandlungsfälle" i.H.v. 658,11 EUR zzgl. Zinsen geltend gemacht. Die Beklagte habe gegen die sich daraus ergebende Forderung
i.H. des strittigen Betrags mit einem Erstattungsanspruch aus der Behandlung des bei der Beklagten Versicherten B. mit der
Begründung aufgerechnet, dass die Abrechnung des Klägers im Fall B. und die von der Beklagten hierauf geleistete Zahlung dementsprechend
zu hoch ausgefallen seien. Zur Begründung seiner Klage hat sich der Kläger auf das nach seiner Auffassung aus § 15 Abs. 4
Satz 2 des Landesvertrages resultierende Aufrechnungsverbot gestützt. Dieses erlaube die Aufrechnung nur bei Beanstandungen
rechnerischer Art, der Rücknahme einer Kostenzusage oder im Fall einer auf unzutreffenden Angaben des Krankenhauses basierenden
Abrechnung. Keiner dieser Fälle formeller Unrichtigkeit liege hier vor.
Die Beklagte hat den Klageanspruch anerkannt, die streitigen 658,11 EUR zzgl. Zinsen an den Kläger angewiesen und zugleich
auf denselben Betrag nebst Zinsen gerichtete Widerklage erhoben. Der Kläger habe in dieser Höhe im Fall B. zu hoch abgerechnet,
die darauf geleistete Zahlung i.H.v. 658,11 EUR sei zu erstatten.
Der Kläger hat den Rechtsstreit hinsichtlich der mit seiner Klage geltend gemachten Hauptforderung für erledigt erklärt und
sich gegen den mit Widerklage geltend gemachten Anspruch inhaltlich gewehrt. Nach Beweisaufnahme u.a. über die Notwendigkeit
der stationären Behandlung des B. hat der Kläger den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch anerkannt; die Beklagte
hat das Anerkenntnis angenommen.
Das SG hat den Streitwert endgültig und insgesamt auf 1.316,22 EUR festgesetzt (Beschluss vom 31.03.2016). Der Beschluss ist der
Beklagten am 12.04.2016 zugestellt worden. Hiergegen hat sie am 03.05.2016 Beschwerde erhoben und sich gegen die Festsetzung
des Streitwerts auf den doppelten Betrag der Klageforderung gewandt. Die mit Klage und Widerklage geltend gemachten Ansprüche
seien nicht zusammenzurechnen, da sie den denselben Gegenstand beträfen.
II.
1. Die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der vorliegenden Angelegenheit (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 6 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG)).
2. Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des SG ist nicht statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands, wie der Kläger zu Recht ausführt, 200,00 EUR nicht übersteigt
(§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) und das SG die Beschwerde auch nicht zugelassen hat (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 GKG). Der Wert der Beschwerde der Beklagten ergibt sich aus der Differenz zwischen den von ihr bei den jeweiligen Streitwerten
zu tragenden Kosten. Diese Differenz liegt deutlich unter 200,00 EUR. Bei einem Streitwert von 658,11 EUR ergeben sich 45,00
EUR Gerichtskosten (Gebühr nach Nr. 7111 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG, da der Rechtsstreit durch Anerkenntnis bzw. Erledigung endete), bei einem Streitwert von 1.316,22 EUR fallen 65,00 EUR Gerichtskosten
an. Die Gebühren für den Bevollmächtigten des Klägers belaufen sich auf 217,18 EUR bzw. 336,18 EUR; die letztgenannten Gebühren
hat der Kläger zutreffend berechnet, während er im ersten Fall eine um eine Stufe zu geringe Gebühr in Ansatz gebracht zu
haben scheint. Die Differenz beläuft sich somit auf lediglich 139,00 EUR (401,18 EUR (65,00 EUR + 336,18 EUR) - 262,18 (45,00
EUR + 217,18 EUR)). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, dass sich der Beschwerdewert durch die Kostentragungsquote weiter
reduziert.
3. Die Unzulässigkeit der Streitwertbeschwerde hindert den Senat indes nicht, den erstinstanzlichen Streitwert von Amts wegen
anderweitig, und zwar wie von der Beklagten der Sache nach zu Recht verlangt, festzusetzen.
Rechtsgrundlage dafür ist § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Nach dieser Vorschrift kann die im erstinstanzlichen Verfahren erfolgte Festsetzung des Streitwerts dann vom Rechtsmittelgericht
von Amts wegen geändert werden, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den
Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
Es kann zunächst nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden, dass im Falle einer Streitwertbeschwerde das Verfahren "wegen
der Entscheidung über den Streitwert" in der Rechtsmittelinstanz "schwebt" (so Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen, Beschluss
vom 05.10.2007 - 5 E 191/07 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.07.2010 - 8 OA 117/10 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.08.2011 - 1 E 684/11 - m.w.N., OVG Hamburg, Beschluss vom 04.04.2014 - 2 So 18/14 -). Aus dem Gesetz ergibt sich auch keine Einschränkung der
von § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG eingeräumten Änderungsbefugnis dahin, dass diese dann nicht bestehen soll, wenn eine erhobene Streitwertbeschwerde sich als
unzulässig erweist und auf sie hin deshalb keine Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts zum Streitwert ergehen kann. §
63 Abs. 3 Satz 1 GKG selbst enthält eine derartige Beschränkung nicht. Auch systematische Erwägungen rechtfertigen es nicht, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG gegen seinen Wortlaut entsprechend einschränkend auszulegen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Überlegung, dass
die Beschwerdebeschränkung des § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG leerliefe, wenn das Rechtsmittelgericht auch bei einer unzulässigen Beschwerde eine Streitwertänderung von Amts wegen vornehmen
könnte (so z.B. OVG Hamburg, Beschluss vom 07.12.2009 - 5 So 192/09 -). Denn die Regelungsbereiche des § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG und die Vorschriften über die Zulässigkeit einer Streitwertbeschwerde unterscheiden sich deutlich voneinander. Während §
68 Abs. 1 Satz 1 GKG allein die Möglichkeiten des Rechtsmittelführers beschränken, dem Rechtsmittelgericht in jedem Fall eine Sachentscheidung
über den Streitwert abverlangen zu können, eröffnet § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG dem Rechtsmittelgericht unabhängig von den Erfolgsaussichten einer anhängigen Streitwertbeschwerde die Befugnis, eine als
unrichtig erkannte Streitwertfestsetzung zu korrigieren (so OVG Sachsen, Beschluss vom 05.10.2007 a.a.O.; Oberlandesgericht
Celle, Beschluss vom 16.07.2009 - 2 W 188/09 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.07.2010 a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.08.2011 a.a.O. m.w.N., OVG
Hamburg, Beschluss vom 04.04.2014 a.a.O.; einschränkend nur für den Fall der offensichtlichen Unrichtigkeit: OVG der Freien
Hansestadt Bremen, Beschluss vom 22.07.2010 - 2 S 132/10 -).
4. Die danach mögliche Änderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts von Amts wegen ist vorliegend geboten, weil
sich die Streitwertfestsetzung des SG als fehlerhaft erweist.
Nach § 52 Abs. 2 GKG bestimmt sich die Höhe des Streitwertes nach der sich aus dem Antrag des Klägers ergebenden Bedeutung der Streitsache. Maßgebend
ist grundsätzlich dessen wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens (std. Rspr. des Senats, vgl. Beschlüsse vom
26.03.2012 - L 11 KA 134/11 B -, 17.10.2011 - L 11 KA 123/10 -, 29.08.2011 - L 11 KA 27/11 B -, 21.04.2014 - L 11 KA 85/13 B -, 17.05.2016 - L 11 KR 286/15 B -).
a. Mit der Klage hat der Kläger unstreitig allein einen Zahlungsanspruch i.H.v. 658,11 EUR geltend gemacht; Zinsen sind als
Nebenforderung nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 1 GKG).
b. Dieser Streitwert hat sich nicht durch die von der Beklagten erhobene Widerklage erhöht. Allerdings regelt § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG: "In einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden,
werden zusammengerechnet.". Das gilt nach Satz 3 der Norm allerdings nicht, wenn die Ansprüche "denselben Gegenstand betreffen",
dann soll nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend sein.
Entgegen der Auffassung des Klägers und im Ergebnis in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Senats vom 16.10.2013 - L 11 KR 210/13 B - und vom 17.05.2016 - L 11 KR 286/15 B - sowie des 1. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.11.2015 - L 1 KR 286/15 B - betreffen Klage und Widerklage vorliegend denselben Gegenstand. Das ergibt sich aus der (systematischen) Zusammenschau
des § 45 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GKG mit Abs. 3 der Vorschrift. Letzterer lautet: "Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend,
erhöht sich der Streitwert um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.".
Der Gesetzgeber regelt mithin ausdrücklich, dass der Streitgegenstand einer "hilfsweisen" Aufrechnung ein anderer ist als
derjenige, der mit der bestrittenen Hauptforderung geltend gemacht wird; daher soll er sich streitwerterhöhend auswirken.
Daraus folgt im Gegenschluss (argumentum e contrario), dass die "unbedingte", nicht lediglich hilfsweise erklärte Aufrechnung
keinen anderen Streitgegenstand darstellt, sich also nicht streitwerterhöhend auswirkt. Gestritten wird in einem solchen Fall
im Rahmen der Klage nicht über die unbestrittene Klageforderung, sondern allein über das Geltendmachenkönnen dieser Forderung
unter Berücksichtigung der aufgerechneten Gegenforderung (Binz in: Binz/Dörndorfer/Petzold/ Zimmermann, GKG, § 45 Rdn. 23).
So liegt der Fall auch hier. Aus diesem Grund hat der Kläger auch nicht zur eigentlichen Hauptforderung vorgetragen, sondern
diese nur eher nur beiläufig als an sich unstreitig im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den Zahlungsavis erwähnt und ansonsten
zur tatsächlich streitigen Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch aus der stationären Behandlung des Versicherten B. durch
die Beklagte vorgetragen.
Der Wert der streitigen Gegenforderung und Aufrechnung im Klageverfahren belief sich auf 658,11 EUR. Die Widerklage betraf
denselben Anspruch und Lebenssachverhalt (Streitgegenstand) und belief sich dementsprechend ebenfalls auf 658,11 EUR. Dieser
Betrag war nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG festzusetzen.
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Grundsatz des § 52 Abs. 2 GKG, d.h. der Maßgeblichkeit der Bedeutung der Streitsache für den Kläger für den Streitwert. Das wirtschaftliche Interesse des
Klägers sowie der Beklagten lag während des gesamten Verfahrens auch unter Berücksichtigung der Widerklage allein bei 658,11
EUR und nicht beim doppelten Betrag. Die Beklagte hat außergerichtlich sowie in Klage und Widerklage nie behauptet, dass dem
Kläger der Anspruch aus der Vergütung "aus anderen Behandlungen" i.H.v. 658,11 EUR nicht zugestanden habe und ihr daneben
zusätzlich noch ein Erstattungsanspruch in derselben Höhe aus der Abrechnung der Behandlung des Versicherten B. zustehe. Vielmehr
hat sie einzig und allein den Erstattungsanspruch aus der Behandlung des Versicherten B. zunächst gegen den unstreitigen Vergütungsanspruch
des Klägers "aus anderen stationärer Behandlungen von bei der Beklagten versicherten Personen" aufgerechnet und später, als
sie die Unzulässigkeit dieser Aufrechnung erkannt hatte, im Wege der Widerklage geltend gemacht.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.
6. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§§ 68 Abs. 2 Satz 6, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).