Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes höhere Leistungen nach dem
AsylbLG.
Der 1999 geborene, ledige Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Pashtunen. Er reiste am 10.09.2019
in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte am 16.09.2019 erstmals ein Asylgesuch. Am 08.10.2019 stellte er einen förmlichen
Asylantrag. Durch einen Abgleich der Fingerabdrücke des Antragstellers mit der EURODAC-Datenbank wurde festgestellt, dass
der Antragsteller zuvor bereits in Italien registriert worden war. Am 14.10.2019 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin
III-Verordnung an Italien gerichtet, das von den italienischen Behörden nicht fristgerecht beantwortet wurde. Die Zuständigkeit
zur Durchführung des Asylverfahrens ging daher auf Italien über. In einer Anhörung gab der Antragsteller an, in Deutschland
bleiben zu wollen. Sein Bruder lebe hier.
Der Antragsteller war zunächst in die Erstaufnahmeeinrichtung C aufgenommen worden; am 24.10.2019 wurde er in die Zentrale
Unterbringungseinrichtung in E verteilt. Er erhielt dort Grundleistungen gemäß §
3 Abs.
2 AsylbLG in Form von Sachleistungen. Nur die Leistungen zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs wurden im Rahmen einer wöchentlichen
Barauszahlung als Geldleistung (sog. Taschengeld) erbracht, ohne dass dem Antragsteller ein entsprechender Bewilligungsbescheid
erteilt wurde.
Mit Bescheid vom 16.12.2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag des Antragstellers ab,
stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen, und ordnete die Abschiebung nach Italien an.
Mit Bescheid vom 15.01.2020 beschränkte die Antragsgegnerin daraufhin den Leistungsbezug des Antragstellers gemäß §
1a Abs.
7 AsylbLG ab dem 15.01.2020 auf Leistungen zur Deckung seines Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper-
und Gesundheitspflege, stellte also die Taschengeldzahlungen ein. Die Leistungseinschränkung wurde auf sechs Monate befristet.
Am selben Tag erhob der Antragsteller gegen den Bescheid Widerspruch. Zugleich hat er bei dem Sozialgericht Aachen um einstweiligen
Rechtschutz nachgesucht. Er habe gegen die Entscheidung des BAMF Klage beim Verwaltungsgericht B erhoben. Das Jugendamt O
habe ihn überdies am 22.01.2020 darum gebeten, schnellstmöglich nach O zu kommen, um die vier Kinder seines Bruders zu betreuen.
Dessen Ehefrau müsse ins Krankenhaus, der Bruder selbst könne wegen einer Erkrankung nicht für die Kinder sorgen, es drohe
ansonsten die Inobhutnahme und Unterbringung der Kinder in verschiedenen Pflegefamilien. Er habe auf Grund der eingestellten
Taschengeldzahlungen kein Geld für das Zugticket nach O, allerdings habe er den erforderlichen Betrag aus Spenden erhalten.
Mit Beschluss vom 30.01.2020 hat das Sozialgericht den Antrag, den es als solchen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs vom 15.01.2020 sowie auf Aufhebung der Vollziehung ausgelegt hat, abgelehnt. Der Kürzungsbescheid der Antragsgegnerin
sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Auch eine besondere Härte liege nicht vor.
Gegen den ihm am 03.02.2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 03.03.2020 Beschwerde eingelegt. Am 06.02.2020
sei durch das Verwaltungsgericht B die aufschiebende Wirkung seiner Klage angeordnet worden. Er bitte daher, die Kürzung seines
Taschengeldes (wöchentlich 32,43 EUR) aufzuheben.
Tatsächlich hat das Verwaltungsgericht B mit Beschluss vom 06.02.2020 (Az. xxx) die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers
(Az. xxx) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des BAMF vom 16.12.2019 angeordnet.
Der Antragsteller beantragt daher,
den Beschluss des Sozialgerichts Aachen zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm ab 15.01.2020 vorläufig Leistungen
i.H.v. 32,43 EUR wöchentlich zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat mit Abhilfebescheid vom 11.03.2020 den Bescheid vom 15.01.2020 aufgehoben und dem Antragsteller Asylbewerberleistungen
in Höhe von 32,43 EUR pro Woche ab dem 06.02.2020 bewilligt. Sie hat daraufhin das Verfahren für erledigt erklärt.
Auf Grund der inzwischen erfolgten Zuweisung des Antragstellers nach N konnte der Abhilfebescheid zunächst nicht zugestellt
werden. Die Antragsgegnerin hat diesbezüglich auf telefonische Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass der Abhilfebescheid mit
neuem Datum (18.03.2020) versehen an die Stadt N mit der Bitte um Aushändigung übersandt worden sei.
Eine Abschrift des ursprünglichen Abhilfebescheides hat der Senat dem Antragsteller überdies am 20.03.2020 übersandt. Auf
die Anfrage, ob sich das Rechtschutzverfahren damit erledigt habe, hat der Antragsteller nicht reagiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen. Dieser ist
Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
1. Die Beschwerde des Antragstellers hat nur teilweise Erfolg. Soweit der Antragsteller (weiterhin) Leistungen für den Zeitraum
vom 06.02.2020 bis zum 15.07.2020 geltend macht, ist die Beschwerde unzulässig. Im Übrigen ist sie jedoch zulässig und begründet.
a) Sie ist gemäß §§
172,
173 SGG zulässig, insbesondere nicht nach §
172 Abs.
1 und
3 Nr.
1 i.V.m. §
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG ausgeschlossen; denn der Antragsteller begehrt Leistungen nach dem
AsylbLG ab dem 15.01.2020 für sechs Monate (bis zum 15.07.2020, d.h. insgesamt für 26 Wochen) i.H.v. 32,43 EUR wöchentlich, also
843,18 EUR insgesamt und damit mehr als 750 EUR.
Soweit der Antragsteller allerdings Leistungen für die Zeit ab dem 06.02.2020 bis zum 15.07.2020 begehrt, fehlt es ihm (inzwischen)
an einer Antragsbefugnis. Denn die Antragsgegnerin hat mit (Teil-)Abhilfebescheid vom 11. bzw. 18.03.2020 weitere Leistungen
i.H.v. 32,43 EUR wöchentlich ab dem 06.02.2020 - dem Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses - und damit in der
beantragten Höhe bewilligt. Der Antragsteller ist insoweit nicht mehr beschwert. Er hat seine Beschwerde jedoch auf Anfrage
des Senats nicht entsprechend begrenzt.
b) Soweit die Beschwerde demnach nur noch für den Zeitraum vom 15.01.2020 bis zum 05.02.2020 zulässig ist, ist sie auch begründet.
aa) Allerdings hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers zu Unrecht als einen solchen auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs vom 15.01.2020 und Aufhebung der Vollziehung ausgelegt. Denn ein so verstandener Antrag wäre bereits
unzulässig. Eilrechtsschutz richtet sich vorliegend vielmehr nach §
86b Abs.
2 S. 2
SGG, nicht hingegen nach §
86b Abs.
1 SGG; denn statthafte Klageart in der Hauptsache ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4, §
56 SGG). Allein mit der Aufhebung des Bescheides vom 15.01.2020, mit dem die Antragsgegnerin die Taschengeldzahlungen ab diesem
Tag für die Dauer von sechs Monaten eingestellt hat, kann der Antragsteller sein Ziel nicht erreichen. Die zuvor jeweils durch
wöchentliche Auszahlung der Barleistungen ergangenen konkludenten Leistungsbewilligungen entfalteten über die jeweilige Woche
hinaus und damit ab dem 15.01.2020 keine Wirkung mehr.
bb) Der daher meistbegünstigend als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszulegende Antrag (vgl. hierzu Keller
in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 12. Auflage 2017, §
86b Rn. 9b und 26a) hat Erfolg. Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin vom 15.01.2020 bis zum 05.02.2020 vorläufig (weitere)
Leistungen für den persönlichen Bedarf nach §
3a Abs.
1 Nr.
2b AsylbLG beanspruchen.
Nach §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen
Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund)
glaubhaft, d.h. überwiegend wahrscheinlich (vgl. u.a. BVerfG vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 = NVwZ 2004, 95 f.) macht (§
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund allerdings nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr zwischen
beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.
Darüber hinaus können sich aus Art.
19 Abs.
4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht
mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
(also des Bestehens eines Anordnungsanspruchs) die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen.
Das gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt
und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Ist dem Gericht eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch
in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. zu alledem
BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
(1) Für die Zeit vom 15.01.2020 bis zum 05.02.2020 ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller von der Antragsgegnerin
Geldleistungen zur Deckung des persönlichen Bedarfs nach § 3 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 3a Abs. 1 beanspruchen kann (= Anordnungsanspruch
i.S.v. §
86b Abs.
2 S. 2
SGG). Denn das Verwaltungsgericht B hat mit Beschluss vom 06.02.2020 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen
die Abschiebungsanordnung im Bescheid des BAMF vom 16.12.2019 angeordnet. Eine solche Anordnung der aufschiebenden Wirkung
wirkt aber ex tunc auf den Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes zurück (vgl. nur Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/von
Albedyll,
VwGO, 7. Auflage 2018, §80 Rn. 22). Der Antragsteller ist demnach so zu stellen, als habe die aufschiebende Wirkung bereits bei
Erlass des Bescheides vom 16.12.2019 durch das BAMF bestanden. Damit lagen die Voraussetzungen des §
1a Abs.
7 S. 2
AsylbLG vor; die am 15.01.2020 ausgesprochene Kürzung war durch die Antragsgegnerin nicht nur aufzuheben, sondern es waren auch die
Taschengeldleistungen ab diesem Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Dies ergibt sich bereits aus dem Gebot effektiven Rechtschutzes
(Art.
19 Abs.
4 GG). Würde man die Leistungsgewährung erst ab dem Tag der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung
wieder aufnehmen, so wäre es letztlich vom Zufall abhängig, ab wann tatsächlich ein Leistungsanspruch wieder entstünde. Denn
die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kann der Leistungsempfänger nicht selbst beeinflussen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht angesichts des Wortlauts des §
1a Abs.
7 AsylbLG. Denn zwar ist in Satz 1 vorgesehen, dass die Leistungseinschränkung auch dann schon gelten soll, wenn die Abschiebungsanordnung
noch nicht unanfechtbar ist. Dem lässt sich allerdings nur entnehmen, dass die zuständige Behörde die Leistungseinschränkung
bereits vor Eintritt der Bestandskraft anordnen kann. Wird aber nachträglich die aufschiebende Wirkung einer Klage angeordnet,
die auf den Erlasszeitpunkt der Abschiebungsanordnung zurückwirkt, so muss auch eine entsprechende Nachzahlung der bislang
gekürzten Leistungen erfolgen. Dass der Gesetzgeber Anderes gewollt hat, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen (vgl.
BT-Drs. 19/10047, S. 52) und wäre verfassungsrechtlich auch nicht zu rechtfertigen.
(2) Besteht danach ein Anordnungsanspruch, ist auch ein Anordnungsgrund zu bejahen. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem
Umstand, dass das soziokulturelle Existenzminimum im genannten Zeitraum nicht gewährleistet war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung über die Kosten ergeht nach Ermessen (Schmidt in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 12. Auflage 2017, §
193 Rn. 12 und 13d). Dabei berücksichtigt das Gericht auch das Ergebnis des Rechtsstreits (a.a.O., Rn. 12). In der Regel entspricht
es der Billigkeit, dass derjenige die Kosten trägt, der im Verfahren unterlegen ist (a.a.O., Rn. 12a).
Insofern entspricht es sachgerechtem Ermessen, der Antragsgegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge
aufzugeben. Die Antragsgegnerin ist im Verfahren unterlegen. Dass dies erst mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom
06.02.2020 gesichert war, ändert daran nichts. Denn der Antragsteller musste schon zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
(Art.
19 Abs.
4 GG) die Möglichkeit haben, bereits vor der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner vor dem Verwaltungsgericht gegen den
Bescheid des BAMF geführten Klage gegen die - an die Regelungen des Bescheides des BAMF anknüpfende - Leistungseinschränkung
Rechtsschutz zu suchen.
3. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).