Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 2108
Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität
Multifaktorielle Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS
Aufgabe aller gefährdenden Tätigkeiten
Tatbestand
Streitig ist, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nummer 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zu §
1 der
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) vorliegt und ob er infolgedessen einen Anspruch auf Gewährung einer Rente hat.
Der im Jahr 1964 geborene Kläger war nach einer Ausbildung als Kfz-Elektriker von 1982 bis 1988 in Polen und nach Übersiedlung
in die Bundesrepublik von 1990 bis März 2006 im Bergbau als Hauer beschäftigt, hier überwiegend auf dem Bergwerk Q in C. Nach
Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung ab dem 13.03.2006 begann er im November 2009 eine Tätigkeit im Wachdienst.
Im Mai 2006 zeigte der Ltd. Oberarzt Dr. Q vom Klinikum C C nach Durchführung einer lumbalen Bandscheibenvorfalloperation
im Segment L5/S1 vom 19.04.2006 bei der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer BK 2108 an. Die Beklagte zog hierauf
medizinische Unterlagen bei, darunter einen Entlassungsbericht der Fachklinik im KC x, wo der Kläger im August/September 2004
wegen eines chronisch rezidivierenden pseudoradikulären Lumbalsyndroms beidseits behandelt worden war, Befunde des St.-B-Hospitals
I und des Klinikums C C, des Sozialmedizinischen Dienstes der Knappschaft sowie der Fachärztin für Orthopädie Dr. von I. Außerdem
holte die Beklagte Auskünfte zu den Vorerkrankungen des Klägers bei der Knappschaft sowie Auskünfte bei der Arbeitgeberin
das Klägers über dessen berufliche Tätigkeit ein. Der Kläger übersandte zudem die ihm vorliegenden Röntgenaufnahmen.
Intern teilte der technische Sachbearbeiter I am 10.8.2006 mit, Anhaltspunkte für eine ausreichende Belastung lägen vor. Die
Beklagte ließ den Kläger hierauf vom Facharzt für Arbeits- und Umweltmedizin Dr. X untersuchen, der mitteilte, das Schwergewicht
der Wirbelsäulenveränderungen liege nicht im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS), sondern belastungsfern im Bereich der Halswirbelsäule
(HWS). Nachhaltige Verschleißerscheinungen bestünden isoliert im untersten Bereich der LWS im Segment L5/S1. Anlagebedingt
bestehe ein Morbus Scheuermann. Nach Ausprägung, Lokalisation und Verteilungsmuster der degenerativen Wirbelsäulenveränderung
seien die LWS-Schäden auf körpereigene Verschleißerkrankungen zurückzuführen, eine BK 2108 liege nicht vor (19.09.2006).
Nach Beteiligung der Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen lehnte die Beklagte die Anerkennung einer
BK 2108 sowie die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 20.10.2006 ab. Hiergegen legte der Kläger am 08.11.2006 Widerspruch
ein. Die ständigen Rückenschmerzen könnten ihre Ursache nur in der schweren Tätigkeit als Bergarbeiter unter Tage haben; diese
Arbeit sei wegen der Beschwerden heute gar nicht mehr möglich. Von einer schicksalhaften Erkrankung könne nicht die Rede sein.
Die Beklagte holte zunächst einen weiteren Befundbericht der Orthopädin Dr. von I sowie einen Reha-Entlassungsbericht der
Klinik L über einen dortigen stationären Aufenthalt des Klägers im August 2006 ein. Der technische Sachbearbeiter I erstellte
unter Berücksichtigung weiterer Auskünfte der Arbeitgeberin, der DRV Knappschaft-Bahn-See, sowie nach einem persönlichen Gespräch
mit Kläger eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition, in der er für den Zeitraum von September 1979 bis April 2005 eine
Gesamtbelastungsdosis von 27,2 MNh errechnete (12.07.2007).
Sodann ließ die Beklagte den Kläger durch den Chirurgen/Unfallchirurgen Dr. Q untersuchen, der in seinem Gutachten vom 05.10.2007
mitteilte, es bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108. Es liege eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung
der LWS mit Schmerzsymptomatik, Druck- und Klopfschmerz über der LWS sowie Hyposensibilität im Bereich L4/5 und L5/S1 im linken
Bein vor; dies korreliere eindeutig mit dem operierten Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1. Zusätzlich zeigten radiologische
Befunde eine Osteochondrose im Segment L5/S1 mit Spondylarthrose L4/5 und L5/S1, welche über das Maß der degenerativen Veränderungen
der übrigen BWS und LWS hinausgehe. Als weitere bedeutsame Veränderung zeige sich eine HWS-Osteochondrose in den Segmenten
C3/4, C4/5 und C5/6 mit Spondyl- und Uncarthrose in diesen Bereichen. Diese machten klinisch aber nur geringe Beschwerden
und seien gegenüber den Veränderungen der LWS zu vernachlässigen. Letztere gingen über das normale Maß der altersbedingten
Verschleißerscheinungen eindeutig hinaus. Die berufliche Einwirkungen unter Berücksichtigung konkurrierender Ursachen seien
als wesentliche Ursache dieser Erkrankung anzusehen und hätten zum Unterlassen der Tätigkeit geführt. Die Erwerbsfähigkeit
des Klägers werde um 10 v. H. gemindert; diese Einschätzung gelte vom Tag der Untersuchung (27.08.2007) an.
Zu diesem Gutachten holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. X ein, der in seinen Ausführungen vom
11.03.2008 der Einschätzung von Dr. nicht folgen konnte. Die als nicht nur leichtgradig zu bezeichnenden Schäden an der HWS
würden diejenigen im Bereich der LWS überragen. Es fehle insoweit eine plausible Erklärung dafür, warum die Veränderungen
der LWS berufsbedingt seien, die der HWS hingegen nicht. Eine Bescheiderteilung sei auf Grundlage dieses Gutachtens nicht
sinnvoll. Hierzu äußerte sich Dr. Q in einer ergänzenden Stellungnahme vom 22.08.2008, in der er darauf hinwies, dass die
Veränderungen der HWS im Vergleich zur LWS als gering anzusehen seien. Die Einschätzung, das Schwergewicht der Wirbelsäulenveränderung
liege im Bereich der HWS, sei daher nicht nachvollziehbar. Im Bereich der LWS liege auch eindeutig der Schwerpunkt der Beschwerdesymptomatik.
Für die von Dr. X festgestellte anlagebedingte Erkrankung Morbus Scheuermann gebe es keine Hinweise, er halte daher an seiner
Einschätzung fest. Der hierzu erneut von der Beklagten beratungsärztlich hinzugezogene Dr. X äußerte hierzu am 08.02.2009,
er verbleibe vollumfänglich bei dem Ergebnis seiner bisherigen Einschätzung.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009 zurück. Insgesamt spreche mehr gegen als für ein
belastungsbedingtes Krankheitsbild. Die degenerativen Veränderungen beträfen auch die HWS, bei beruflicher Verursachung sei
aber eine besondere Betroffenheit der LWS zu erwarten. Die Veränderung der LWS seien auch nicht belastungskonform, denn es
sei ein altersentsprechender Befund mit Ausnahme des Segmentes L5/S1 dokumentiert. Damit handele es sich um einen Schaden
in einem Bereich, der auch ohne besondere Belastung der LWS am häufigsten betroffen sei. Weitere Indizien für die berufliche
Tätigkeit als Ursache lägen nicht vor. Schließlich seien auch beruflich bedingte Schäden an der mittleren und oberen LWS zu
erwarten gewesen.
Hiergegen hat der Kläger am 28.04.2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben und zur Begründung vorgetragen, Dr. Q habe das Vorliegen einer Berufskrankheit eindeutig festgestellt.
Die Ausführungen von Dr. X, auf die die Beklagte die angefochtenen Bescheide stütze, seien nicht überzeugend; dieser gebe
keine nähere Begründung seiner Auffassung.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, ihm aus Anlass einer Berufskrankheit 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges
Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren
oder sein können), ab 29.07.2009 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. nach Maßgabe
der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat insbesondere auf die Gründe der angefochtenen Bescheide sowie auf die eingeholten Stellungnahmen von Dr. X Bezug genommen.
Das SG hat ein orthopädisches Gutachten von Dr. T (St.-Marien-Hospital C) eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten
vom 11.08.2009 unter Einbeziehung der Ergebnisse eines radiologischen Zusatzgutachtens von Dr. L (31.07.2009) ausgeführt,
dass eine für das Alter untypische Bandscheibendegeneration ausschließlich im Segment L5/S1 vorliege. Wenngleich der Kläger
selbst angebe, dass seine Beschwerden 1992 bzw. 1994 ihren Anfang genommen hätten, sei ein sicherer Nachweis, dass die Beschwerden
von der Bandscheibe stammten, erst 2006 geführt. Zu diesem Zeitpunkt sei er mit 42 Jahren in einem Alter gewesen, in dem Bandscheibenvorfälle
auch in der Allgemeinbevölkerung keine Ausnahme seien. Im Bereich der übrigen LWS und im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS)
fänden sich keine altersuntypischen Höhenminderungen der Bandscheiben. Die Aufnahmen zeigten in den Segmenten L2/L3 und L3/L4
initiale Spondylosen. Im Bereich der HWS zeige sich an mehreren Segmenten eine Spondylose. Auch lägen hier - im Sinne der
Konsensempfehlungen - leichte bis mäßige Chondrosen vor. Die Schäden im Bereich der HWS seien damit vergleichbar ausgeprägt
wie im Bereich der LWS. Bei ausreichender Exposition, fehlenden konkurrierenden Ursachen sowie einem seit 2006 bestehenden
Zwang zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit liege insgesamt eine Konstellation B1 der Konsensempfehlungen und damit eine BK
2108 vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) werde seit der Untersuchung am 29.07.2009 auf 20 v. H. geschätzt, zuvor
habe sie bei 10 v. H. gelegen.
Der von der Beklagten hierzu befragte Dr. X teilte in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2009 mit, es liege
nativradiologisch eine ganz klare Bevorzugung der degenerativen Veränderungen unter Bandscheibenbeteiligung im Bereich der
HWS vor. Die LWS lasse lediglich im Segment L5/S1 einen altersüberschreitenden Degenerationsprozess erkennen. Es sei auch
eher unwahrscheinlich, dass im Bereich der LWS eine Begleitspondylose vorliege, da sowohl kernspintomographisch als auch nativradiologisch
die übrigen Segmente der LWS keine Hinweise auf eine wesentliche Mitbeteiligung am Degenerationsprozess und auch keine Initialveränderungen
infolge einer mechanischen beruflichen Belastung aufwiesen. Bei deutlich größerem Ausmaß des Degenerationsprozesses der HWS
und ausgebliebener altersüberschreitender Degeneration und Mitbeteiligung der drei unteren LWS-Segmente könne eine Anerkennung
als Berufskrankheit nicht ernsthaft diskutiert werden.
In seiner hierzu vom SG eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2010 hat Dr. T an seiner vorigen Auffassung festgehalten. Das Bestehen von
degenerativen Veränderungen an der HWS lasse bereits nicht zwingend darauf schließen, dass ebenfalls bestehende Veränderungen
an der LWS nicht beruflich bedingt seien. Hieran ließen auch neuere Forschungsergebnisse zweifeln, wonach das Risiko einer
bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS unter entsprechender Exposition auch dann erhöht sei, wenn gleichzeitig mittel- oder
schwergradige Bandscheibenschäden der HWS oder LWS vorlägen. Bei beruflicher Belastung durch das Heben schwerer Lasten sei
ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Bandscheibenschadens an der HWS aus biomechanischer Sicht plausibel, da die
Arme am Schultergürtel ansetzten. Zudem bestehe nach den Kriterien der Konsensempfehlungen keine schwere Chondrose der HWS,
so dass eine starke Bevorzugung der degenerativen Schäden im Bereich der HWS nicht vorliege. Erkrankungen der HWS seien bis
auf 1997 und 1998 auch nie behandelt worden, so dass eine Erkrankung der HWS nicht vorliege. Im Bereich der LWS sei nach den
Kriterien der Konsensempfehlungen von einer Begleitspondylose auszugehen. Insgesamt bestünden Zweifel hinsichtlich der Urteilsfähigkeit
von Dr. X hinsichtlich der Röntgenaufnahmen, denn der von ihm beschriebene Morbus Scheuermann sei nie festgestellt oder nachgewiesen
worden; auch habe dieser sich nicht an den Konsensempfehlungen orientiert. Er bleibe daher dabei, dass eine BK 2108 vorliege.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 24.02.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger aus Anlass einer
BK 2108 ab dem 29.07.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Im Rahmen einer einzelfallbezogenen
Betrachtungsweise sei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit
und der Erkrankung des Klägers festzustellen. Die Ausführungen von Dr. X seien nicht überzeugend. Soweit dieser die Diagnose
eines Morbus Scheuermann gestellt habe, scheine es sich ausschließlich um eine Verdachtsdiagnose zu handeln. Auch die Behauptung,
die Veränderungen der HWS überschritten die der LWS, sei nicht belegt. Sein Vorwurf, der gerichtlich bestellte Sachverständige
halte sich nicht an die Konsensempfehlungen, gehe ohne diesbezügliche konkrete Tatsachenbenennung ins Leere. Hingegen habe
Dr. T die Prüfungskriterien aufgeführt, an denen das Vorliegen einer Berufskrankheit zu messen sei. So habe er festgestellt,
dass bei Erstmanifestation der LWS-Erkrankung im Jahr 2006 der zeitliche Verlauf nicht gegen eine berufliche Verursachung
spreche. Zudem habe er unter Bezugnahme auf die Konsensempfehlungen anhand seiner Messergebnisse festgestellt, dass im Segment
L5/S1 eine für das Alter untypische Bandscheibendegeneration bestehe, wohingegen keine der Bandscheiben der HWS um mehr als
die Hälfte gegenüber der gesunden Bandscheibe C2/C3 in der Höhe gemindert sei. Dies spreche für eine berufliche Verursachung.
Dr. X teile hingegen keine Messwerte mit, so dass der Vorwurf, Dr. T habe die Konsensempfehlungen außer Acht gelassen, nicht
von der Kammer geprüft werden könne. Bezüglich des Verteilungsmusters der degenerativen Veränderungen, das Dr. X ohne valide
Begründung für untypisch gehalten habe, habe Dr. T an der HWS im Gegensatz zur LWS keine ausgeprägten Chondrosen feststellen
können. Der zutreffenden Einschätzung von Dr. T sei auch hinsichtlich der Einschätzung der MdE zu folgen.
Gegen das ihr am 22.03.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.04.2010 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt,
das SG sei bei seiner Rechtsfindung den Feststellungen des von Amts wegen beauftragten Sachverständigen gefolgt, ohne dem Vorbringen
von Dr. X entscheidungserhebliche Bedeutung beizumessen. Sie sieht sich durch die im Berufungsverfahren von Dr. T und Dr.
W eingeholten Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht vorlägen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.02.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Auffassung von Dr. T könne er angesichts des Gutachtens von Dr. T nicht
nachvollziehen, denn dieser habe unter Bezugnahme auf die Konsensempfehlungen eindeutig festgestellt, dass der Verschleiß
der HWS nicht alters-, sondern berufsbedingt sei. Dr. T habe möglicherweise falsche Grundlagen für seine Feststellungen gewählt.
An seiner Auffassung ändere auch das weitere Gutachten von Dr. W nichts, der immerhin festgestellt habe, es handele sich um
einen Grenzfall. Bei Abwägung aller zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen sei ihm - dem Kläger - Recht zu geben.
Das Gericht hat medizinische Unterlagen von Dr. von I (10.08.2010), des St. N-Hospitals (18.08.2010) und dem Klinikum C C
(17.08.2010) sowie anschließend von Amts wegen ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. T eingeholt. Dieser hat in seinem
Gutachten vom 21.01.2011 festgestellt, dass bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliege,
die jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Exposition verursacht worden sei. Im Rahmen
der vorzunehmenden Gesamtabwägung aller Umstände spreche die langjährige Expositionszeit vor dem Ausbruch der Erkrankung für
einen Kausalzusammenhang. Gegen einen Kausalzusammenhang spreche aber, dass die Erkrankung an der LWS auf das Segment L5/S1
beschränkt sei und sich in den übrigen Segmenten der oberen LWS keine oder nur allenfalls geringfügige Veränderungen finden
ließen. Es handele sich daher um eine auf den Lendenkreuzbeinübergang beschränkte Degeneration, womit das Verteilungsmuster
eines nicht exponierten Menschen vorliege. Ebenfalls gegen einen Kausalzusammenhang spreche, dass sich bei einem Vergleich
der Wirbelsäulen-Regionen im Bereich der HWS eine völlig identische altersvorauseilende Umformung mit spondylotischer und
osteochondrotischer Sekundärreaktion zeige. Somit handele es sich um ein diffuses Verschleißbild ohne Akzentuierung der LWS.
Insgesamt spreche mehr gegen als für einen Kausalzusammenhang, es liege eine Konstellation B3 der Konsensempfehlungen vor.
Eine Konstellation B2 sei bei unauffälligem Bandscheibensignal der Bandscheibe L3/L4 definitiv nicht gegeben.
Das Gericht hat zu diesem Gutachten eine ergänzende Stellungnahme von Dr. T eingeholt, der am 11.05.2011 mitgeteilt hat, im
Bereich der HWS sei die Höhenminderung im Segment C6/C7 nach den Konsensempfehlungen nicht als ausgeprägt zu bezeichnen, Dr.
T habe insoweit wohl irrtümlich die für die LWS anzuwendenden Kriterien angewandt. Die spondylotischen Anpassungsvorgänge
seien in der HWS nicht sehr deutlich erkennbar und daher womöglich übersehen worden. Dem Gutachten von Dr. T könne er daher
nicht folgen.
Hierzu hat Dr. T eine ergänzende Stellungnahme abgegeben (28.06.2011). Es bestehe medizinisch kein Zweifel daran, dass eine
signifikante Höhenminderung, die auf zwei Röntgenuntersuchungen der HWS festgestellt werde, bei einem zum Untersuchungszeitpunkt
unter 50jährigen Mann altersuntypisch sei. Die röntgenologische Nachbegutachtung einer Vielzahl von Röntgenaufnahmen und Schnittbilduntersuchungen
zeige keine altersabweichenden Spondylosen der LWS im Sinne der Konsensempfehlungen. Bei einer Einzelfallbeurteilung spreche
mehr gegen als für den ursächlichen Zusammenhang. Seiner Auffassung nach liege die Konstellation B3 vor.
Dr. T hat in einer erneuten Stellungnahme vom 28.09.2011 darauf verwiesen, dass bei keiner Bandscheibe an der HWS eine Höhenminderungen
von mehr als der Hälfte einer gesunden Bandscheibe vorliege, damit auch keine ausgeprägte Chondrose an der HWS. Wann eine
degenerative Veränderung der HWS altersuntypisch sei, sei schwer zu definieren; festzustellen sei aber, dass der Kläger auch
beruflichen Belastungen der HWS ausgesetzt gewesen sei, die eine gewisse Mitreaktion erwarten ließen. Andererseits seien degenerative
Veränderungen auch bei nicht belasteten Personen ab dem 40. Lebensjahr häufig, so dass der Befund beim Kläger insgesamt alterstypisch
sei. Die Veränderungen im Bereich der unteren LWS seien hingegen altersuntypisch, hier würden seitliche Spondylophyten an
den Wirbelkörperkanten von LWK 2 bis 4 beschrieben.
Das Gericht hat sodann ein weiteres Gutachten von Dr. W eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.04.2012 ausgeführt,
in den altersuntypischen Veränderungen im Segment L5/S1 liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor, deren zeitlicher
Verlauf auch als belastungskonform anzusehen sei. Dies wie auch die Zunahme der Beschwerden von kopf- nach fußwärts spreche
für einen beruflichen Zusammenhang. Dagegen spreche allerdings, dass sich auch an der unteren HWS altersuntypische Veränderungen
fänden. Nach seinen Messungen lägen die Veränderungen im Bereich der HWS im Grenzbereich dessen, was nach den Konsensempfehlungen
als ausgeprägte Chondrose zu bezeichnen sei. Vom morphologischen Aspekt seien die Veränderungen im Segment C6/C7 denen im
Segment L5/S1 vom Schweregrad her vergleichbar. Darüber hinaus beschränkten sich die die Altersnorm übersteigenden Befunde
auf das Segment L5/S1, was ein auch in unbelasteten Bevölkerungsschichten häufig anzutreffendes Schadensbild darstelle. Besondere
berufliche Belastungen, die zusätzlich für die Bedeutung der beruflichen Ursachen sprächen, seien nicht erkennbar. Insbesondere
liege eine Begleitspondylose in den anderen Segmenten der LWS nicht vor, es zeige sich nur eine eben beginnende Entrundung
der seitlichen Wirbelkörperkanten in den Segmenten L2/L3 und L3/L4 im Sinne einer erstgradigen Spondylose, ebenfalls keine
"black-disc"-Veränderungen. Insgesamt lasse sich daher kein Überwiegen der Argumente feststellen, die für eine Wesentlichkeit
der beruflichen Belastung sprächen; eine BK 2108 liege nicht vor.
In einer vom Gericht angeforderten Stellungnahme vom 24.08.2012 hat der technische Sachbearbeiter des Geschäftsbereichs Prävention
der Beklagten I mitgeteilt, der Kläger erreiche nach den dortigen Berechnungen nach 9,9 Jahren beruflicher Tätigkeit eine
Gesamtbelastungsdosis von 11,1 MNh nach den MDD-Richtwerten, nach den neuen Orientierungswerten in Höhe von 14,3 MNh. Für
das zweite Zusatzkriterium sei aber weiter von einer Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh auszugehen, da das Urteil des BSG vom 30.10.2007 nicht für die Konsensempfehlung maßgeblich sei. Hinsichtlich des dritten Zusatzkriteriums habe der Kläger
im dritten Beschäftigungsabschnitt zwar eine Druckkraft von größer/gleich 6 kN erreicht, allerdings nur Belastungsspitzen
von maximal 0,64 kNh. Beide Zusatzkriterien der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen seien somit nicht erfüllt.
Zu diesen Ausführungen hat Dr. W am 03.12.2012 auf Bitte des Gerichts ergänzend Stellung genommen und mitgeteilt, die Zusatzkriterien
der intensiven Belastung und des besonderen Gefährdungspotentials sollten Grenzfälle klären, in denen das morphologische Schadensbild
noch nicht für einen beruflichen Zusammenhang spreche, möglicherweise aber doch eine wesentliche Teilursache vorliege. Nur
bei Zugrundelegung der neuen Orientierungswerte wäre entsprechend der Berechnung der Beklagten der "neue" Orientierungswert
von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren überschritten gewesen. Das Kriterium der besonderen Belastungsspitzen werde hingegen
nicht erreicht. Da es sich bei der Konstellation B2/B4 aber um einen Grenzfall handele, müsse die eindeutige Erfüllung des
Zusatzkriteriums erwartet werden, um genügend Trennschärfe gegenüber wesentlichen außerberuflichen Ursachen zu behalten. Diese
Trennschärfe sei hier aber nicht gegeben.
Auf Antrag der Beteiligten in einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.01.2014 ist das Verfahren bis zum Abschluss des
beim BSG anhängigen Revisionsverfahrens B 2 U 6/13 R zum Ruhen gebracht worden.
Nach Wiederaufnahme auf Antrag der Beteiligten im Oktober 2015 ist eine erneute ergänzende Stellungnahme des Dr. W vom 29.03.2016
eingeholt worden. Dieser hat ausgeführt, dass sich die herrschende medizinische Lehrmeinung weder zur Bedeutung der Begleitspondylose
noch zur Beurteilung des Zusammenhangs bei gleichzeitigen Schäden an der HWS seit Erstattung seines Gutachtens geändert habe.
Die Bedeutung der Begleitspondylose werde ebenso wie diejenige gleichzeitiger Veränderungen an der HWS konträr diskutiert.
Eine wissenschaftliche Meinung iS einer herrschenden Meinung dazu, ob eine Belastung von 12,5 MNh innerhalb von weniger als
10 Jahren als besonders gefährdend und damit als intensive Belastung im Sinne des zweiten Spiegelstrichs der Konstellation
B2 angesehen werden könne, sei im Hinblick auf die auch hierüber kontrovers geführten Diskussionen nicht zu erkennen. Kontrovers
diskutiert werde auch weiterhin, ob ein sich auf das Segment L5/S1 beschränkendes Schadensbild wesentlichteilursächlich beruflich
entstanden sein könne.
Mit Schreiben vom 19.04.2016 hat der Kläger um eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten. Die Beklagte hat dem
mit Schreiben vom 24.05.2016 zugestimmt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten
verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat diese zu Unrecht zur Anerkennung einer BK 2108 verurteilt.
Entgegen dessen Auffassung ist die Klage nicht begründet und daher abzuweisen. Der angefochtene Bescheid vom 20.10.2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 (§
95 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§
54 Abs.
2 S. 1
SGG). Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung einer BK 2108 und Gewährung von Rente besteht nicht.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist §
9 Abs.
1 S. 1
SGB VII i.V.m. Nr.
2108 der Anlage 1 zur
BKV. BKen sind gem. §
9 Abs.
1 SGB VII nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet
(Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur
BKV vom 31.10.1997 (
BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die
zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet. Die Anerkennung einer BK 2108 setzt demnach voraus, dass der Versicherte
auf Grund von Verrichtungen bei einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung
gearbeitet hat und hierdurch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden ist und noch besteht.
In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren
LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie und kommen
ebenso in Berufsgruppen vor, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, wie
in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Verrichtungen (sachlicher Zusammenhang), diesen
Verrichtungen und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) und den Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende
Kausalität) erforderlich. Allein aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen
Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen
der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - [...] Rn. 18; vgl. auch Merkblatt zu der BK 2108, BArbBl. 2006, S. 30 ff.). Schließlich muss der Versicherte gezwungen
gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben und die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Folge des Zwangs auch
tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - [...] Rn. 23; Urt. v. 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - [...] Rn. 16 f.). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende
Kausalität), ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung der BK, sondern lediglich für einen etwaigen, auf dieser
BK beruhenden Leistungsanspruch (vgl. hierzu BSG Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - [...] Rn. 12).
In beweisrechtlicher Hinsicht müssen die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit"
im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Hingegen genügt für die nach der
Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings
die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - [...] Rn. 12; Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R - [...] Rn. 15; Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - [...] Rn. 20). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung
des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit
ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen
Zusammenhang spricht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.09.2012 - B 3 KR 10/12 R - [...] Rn. 47 mwN; Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - [...] Rn. 20 mwN; Beschl. v. 08.08.2001 - B 9 V 23/01 R - [...] Rn. 4 mwN).
Vorliegend war der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit als Hauer Versicherter iSv §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII. Bei den im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit angefallenen Hebe- und Tragevorgängen handelt es sich
um schädigende Einwirkungen, in einem Ausmaß, das die Bedingungen der BK 2108 erfüllt (dazu unter 1.). Bei dem Kläger liegen
auch bandscheibenbedingte Erkrankungen iSd BK vor (dazu unter 2.). Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Exposition und
den Erkrankungen ist jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich (dazu unter 3.).
1.) Die im Text der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten" sowie
"langjährige" Tätigkeiten "in extremer Rumpfbeugehaltung" stellen nur ungenau umschriebene Einwirkungen dar und sind auslegungsbedürftig
(vgl. BSG Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - [...] Rn. 17 auch zur diesbezüglichen Verfassungsmäßigkeit). Als geeignete Grundlage zur Konkretisierung der sog. "arbeitstechnischen
Voraussetzungen" der BK ist das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) heranzuziehen, das zur Überzeugung des Senats jedenfalls
derzeit (noch) den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand über die Verursachung von bandscheibenbedingten
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) durch äußere Einwirkungen wiedergibt (vgl. auch BSG, Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - [...] Rn. 17 -, BSG Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - [...] Rn. 25, 28 und B 2 U 14/08 R - [...] Rn. 25; Urt. v. 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - [...] Rn. 22; Urt. v. 19.08.2003, B 2 U 1/02 R [...] Rn. 15; Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - [...] Rn. 19). Nach dem MDD ist Richtwert für die Gesamtbelastungsdosis im Sinne der BK 2108 im Sinne eines Orientierungswertes
bei Männern ein Wert von 25 x 106 Nh. Den für ihn geltenden Richtwert erreicht der Kläger. Der Senat folgt hier den im Verfahren
erstellten Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten. Nach den durchgeführten Ermittlungen war der Kläger bei seiner
versicherten Beschäftigung iSv §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII von September 1979 bis April 2005 Hebe- und Tragebelastungen in Höhe einer Gesamtbelastungsdosis von 27,2 MNh ausgesetzt.
Die berufliche Tätigkeit des Klägers entspricht daher auch einer "langjährig" belastenden Berufstätigkeit im Sinne der Definition
des Merkblatts zur BK 2108. So sah das Merkblatt in seiner ursprünglichen Fassung vom 18.12.1992 (BArbBl. 3/93, S. 50, unter
IV) als Anhaltspunkt für eine langjährige Tätigkeit ca. 10 Berufsjahre als untere Grenze der Belastung an. Dies ist auch in
der jetzigen Fassung der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.09.2006 (BArbBl. 10/2006, S.
30, unter IV) trotz erheblicher Überarbeitung unter anderem mit Bezugnahme auf die Berechnung nach kumulativen Dosismodellen
unverändert beibehalten worden. Wenngleich die Merkblätter nicht in erster Linie als juristische Arbeitshilfe, sondern als
Hilfsmittel für die ärztliche Untersuchung gedacht waren und entsprechend weder rechtlich verbindlich sind noch den neuesten
medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergeben (vgl. BSG Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - [...] Rn. 20), beziehen sie doch Eckpunkte mit ein, die als Motive für den seinerzeitigen Verordnungsgeber wegweisend waren
(vgl. BR-Drs. 773/92; BSG Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - [...] Rn. 20). Sie beruhen darüber hinaus auf konkreten epidemiologischen Studien bei Bauarbeitern und Pflegepersonal,
nach denen in der Regel nach mehr als zehnjähriger Expositionsdauer ein Anstieg in der Häufigkeit von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen
zu verzeichnen war (vgl. Merkblatt a.a.O.). Diese Voraussetzungen hat der Kläger mit einer belastenden Gesamtarbeitszeit von
über 22 Jahren erfüllt. Auch an der Regelmäßigkeit der belastenden Einwirkungen (vgl. hierzu BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 6/13 R - [...] Rn. 27) hat der Senat keine Zweifel.
2.) Bei dem Kläger ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung iSd BK 2108 nachgewiesen.
Im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der BK 2108 bedarf es weiterer Kriterien für die Beurteilung bandscheibenbedingter
Erkrankungen der LWS und deren beruflicher Verursachung. Die dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden
Beurteilungskriterien hierzu sind in den sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung niedergelegt (vgl.
Bolm-Audorff ua, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma
und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff.). Die Konsensempfehlungen stellen den aktuellen Stand
der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche
Belastungen dar (vgl. dazu z. B. erkennender Senat Urt. v. 24.10.2014 - L 4 U 398/14 - [...] Rn. 39; LSG Bayern Urt. v. 22.05.2014 - L 18 U 384/10 - [...] Rn. 32 mwN; LSG Hessen Urt. v. 07.04.2014 - L 9 U 121/11 - [...] Rn. 34; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 20.03.2014 - L 3 U 105/10 - [...] Rn. 59; LSG Mecklenburg-Vorpommern Urt. v. 19.03.2014 - L 5 U 45/09 - [...] Rn. 49; Urt. v. 29.01.2014 - L 5 U 3/08 - [...] Rn. 99; LSG Sachsen Urt. v. 29.01.2014 - L 6 U 111/11 - [...] Rn. 52; LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 18.12.2013 - L 6 U 20/07 - [...] Rn. 46; LSG Baden-Württemberg Urt. v. 17.10.2013 - L 10 U 1478/09 - [...] Rn. 38; LSG NRW Urt. v. 13.09.2011 - L 15 U 132/09 - [...] Rn. 22; vgl. zur Anwendung der Konsensempfehlungen auch BSG Urt. v. 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - [...] Rn. 15; Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - [...] Rn. 12, 14). Wenngleich es sich bei diesen nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten
handelt und sie damit nicht unmittelbar verbindlich sind, dienen die Konsensempfehlungen dennoch dazu, die Beurteilung im
Einzelfall zu erleichtern (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R [...] Rn. 23). Ein neuerer, von den Konsensempfehlungen abweichender Stand der wissenschaftlichen Diskussion, d. h. eine
neuere wissenschaftlich geprägte Mehrheitsmeinung (vgl. BSG Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - [...] Rn. 16), zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS ist weder von den hier im Verfahren gehörten Sachverständigen
benannt worden noch dem Senat aus anderen Verfahren bekannt. Der Senat geht daher davon aus, dass die Konsensempfehlungen
nach wie vor zur Beurteilung von Bandscheibenschäden und deren beruflicher Verursachung anzuwenden sind.
Eine bandscheibenbedingte Erkrankung i.S.d. BK 2108 setzt nach den Konsensempfehlungen den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen
Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder einem Bandscheibenvorfall einerseits und einer korrelierenden
klinischen Symptomatik andererseits voraus (vgl. Konsensempfehlungen 1.3/ 1.4 - S. 215 f. sowie zur Berechnung der Bandscheibenhöhen
Anhang 3 - S. 224 ff.). Vorliegend ist beim Kläger nach den aktenkundigen ärztlichen Befunden und deren Bewertung in plausibler
zeitlicher Korrelation zur Exposition eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenprolapses und
Rezidivprolapses L5/S1 mit nachfolgender Bandscheibenausräumung gesichert. Auch ein hiermit übereinstimmendes klinisches Beschwerdebild
mit rezidivierenden Lumbalgien und Lumboischialgien sowie Sensibilitätsstörungen im linken Bein hat vorgelegen.
3.) Die bandscheibenbedingte Erkrankung ist - unter Berücksichtigung der vorgenannten Konsensempfehlungen und des Beweisergebnisses
im Verfahren - jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich durch die schädigenden Einwirkungen der ausgeübten
Berufstätigkeit verursacht worden. Welche konkrete Konstellation der Konsensempfehlungen einschlägig ist, wird hierbei unter
Beachtung der Anknüpfungstatsachen in eigener Beurteilungskompetenz des Gerichtes durch dieses bestimmt (vgl. erkennender
Senat Urt. v. 24.10.2014 - L 4 U 398/14 - [...] Rn. 43). Anwendbar ist im Fall des Klägers zur Überzeugung des Senats die Konstellation B6 der Konsensempfehlungen.
Aber auch dann, wenn man deren besondere Voraussetzungen einer gleichwertigen HWS-Schädigung nicht für gegeben erachten würde,
würde es - bei dann anwendbarer Konstellation B3 bzw. B4 - an einem Ursachenzusammenhang mangeln.
Die mit dem Buchstaben B beginnenden Konstellationen kommen dann zur Anwendung, wenn bei ausreichender Exposition die gesicherte
bandscheibenbedingte Erkrankung in den Segmenten L5/S1 und/oder L4/L5 lokalisiert und in Form einer Chondrose Grad II oder
höher bzw. eines Bandscheibenvorfalls ausgeprägt ist. Wie bereits ausgeführt haben die im Verfahren gehörten Ärzte bei dem
Kläger übereinstimmend einen Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 bejaht.
Keine Anwendung finden im konkreten Fall die Konstellation B9 und B 10, da hier vorausgesetzte konkurrierende Ursachen bei
dem Kläger von keinem Sachverständigen festgestellt worden sind. Soweit allein Dr. X im Verwaltungsverfahren einen Morbus
Scheuermann angeführt hat, ist diese Diagnose nicht gesichert worden.
Auch die Konstellationen B1 und B8 scheiden aus, da diese eine i.S.d. Konsensempfehlungen relevante Begleitspondylose voraussetzen,
die zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gesichert ist. Eine Begleitspondylose ist allein
von Dr. T angenommen, schon von ihm selbst jedoch als "nicht sehr deutlich zu erkennen" bzw. als "initial" bezeichnet worden.
Hingegen haben sämtliche übrigen Sachverständigen eine Begleitspondylose verneint. So hat Dr. T keine Degeneration an den
anderen Abschnitten der oberen LWS erkennen können; es lägen allenfalls geringfügige Veränderungen vor. Die von Dr. T beschriebenen
Veränderungen seien den Aufnahmen nicht zu entnehmen. Auch Dr. W hat nach Auswertung der Bildaufnahmen eine Begleitspondylose
verneint. Es handele sich um eine eben beginnende Entrundung der seitlichen Wirbelkörperkanten in L2/L3 und L3/L4 im Sinne
einer erstgradigen Spondylose, vgl. Übersicht 4 auf S. 214 der Konsensempfehlungen für die Spondylose. Auch Dr. Q hat eine
Begleitspondylose der oberen LWS-Segmente nicht befundet.
Maßgebliche Konstellation aus dem verbleibenden Spektrum der Konstellationen B2 bis B7 ist die Konstellation B6, wenn ein
Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule (HWS) vorliegt, der gleich stark ausgeprägt ist, wie an der LWS.
Eine derartige (mindestens) gleich starke Ausprägung sieht der Senat nach dem Ergebnis der Ermittlungen als bewiesen an. So
haben sämtliche Sachverständigen übereinstimmend bedeutsame Veränderungen im Bereich auch der HWS beschrieben. Im Vergleich
der Veränderungen von HWS und LWS haben der Sachverständige Dr. X die HWS als stärker betroffen angesehen, Dr. T und Dr. W
als gleich. Auch Dr. T hat zunächst von einer gleichen Betroffenheit gesprochen. Soweit er in seiner späteren ergänzenden
Stellungnahme von einem - schon veränderten aber - alterstypischen Befund ausgegangen ist, vermochte der Senat der Änderung
der Auffassung schon deshalb nicht zu folgen, weil dieser Änderung nachvollziehbare Argumente fehlten. Der Sachverständige
hat hier (lediglich) die Einordnung der chondrotischen Veränderungen im Segment C6/C7 unter die Übersicht 2 (S. 214) der Konsensempfehlungen
problematisiert, die sich wegen ihrer Grenzwertigkeit wohl - so auch Dr. W - als schwierig darstellt. Diese Einordnung - des
HWS-Schadens - allein genügt jedoch nicht zur Beurteilung des Vergleichs zwischen HWS und LWS wie er in den Konstellationen
B4, B 5 und B 6 als Kriterium genannt ist. Der von Dr. T zuletzt gegebenen Erläuterung, dass bei der beruflichen Exposition
des Klägers eine Mitreaktion der HWS zu erwarten sei, kommt im Hinblick auf den Vergleich der Stärke der Veränderungen zwischen
HWS und LWS keine Relevanz zu. Einen entsprechenden medizinischen Erfahrungssatz über eine Mitreaktion der HWS haben im Übrigen
auch Dr. T und Dr. W verneint. Dass der Kläger einschlägigen beruflichen Belastungen im Sinne der BK 2109 ausgesetzt war,
ist nicht ersichtlich.
Die - im Grunde anwendbare - Konstellation B6 setzt nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut und der Systematik der Konsensempfehlungen
weiter voraus, dass die Voraussetzungen der Konstellation B2 vorliegen. Diese wiederum erfordert das Vorliegen eines von drei
aufgelisteten "Zusatzkriterien":
&61485; Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5
"black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten &61485; Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen
des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren &61485; Besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen;
Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4,5 kN, Männer ab
6 kN).
Im Fall des Klägers liegt keines dieser Zusatzkriterien vor. Weder sind von den Sachverständigen "black discs" an mindestens
zwei angrenzenden Segmenten beschrieben worden (erstes Zusatzkriterium) noch ergeben sich unter Berücksichtigung der Berechnungen
der Präventionsabteilung der Beklagten, die der Senat zugrunde legt und denen der Kläger nicht widersprochen hat, bei Belastungsspitzen
von 0,64 kNh hohe Belastungsspitzen im Sinne des dritten Zusatzkriteriums der Konstellation B2.
Zur Überzeugung des Senats fehlt es auch an einer besonders intensiven Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums. Nach
der vom Senat zugrundegelegten Berechnung des Präventionsdienstes hat die Gesamtbelastungsdosis des Klägers in 9,9 Jahren
einen Wert von 14,3 MNh erreicht, also deutlich weniger als der Richtwert des MDD für Männer von 25 MNh.
Das zweite Zusatzkriterium der Konstellation B2 kann auch nicht dahingehend "ausgelegt" werden, dass eine besonders intensive
Belastung auch schon bei Überschreiten des "halbierten" Richtwerts des MDD angenommen werden könne (ebenso LSG Bayern Urt.
v. 22.05.2014 - L 18 U 384/10 - [...] Rn. 40; Urt. vom 31.01.2013 - L 17 U 244/06 - [...] Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 19.01.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - [...] Rn. 56; aA st. Rspr des LSG Sachsen Urt. v. 29.01.2014 - L 6 U 111/11 - [...] Rn. 81 mwN).
Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R [...] Rn. 25; hierauf beruhend Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R [...] Rn. 31; Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R [...] Rn. 30) den Richtwert halbiert hat, bezog sich dies nicht auf die Beurteilung der Konstellation B2, sondern (lediglich)
auf die Frage, welche Gesamtbelastungsdosis als Kriterium herangezogen werden könne, um eine BK 2108 allein auf der Grundlage
der arbeitstechnischen Voraussetzungen und unter Verzicht auf eine einzelfallbezogene medizinische Überprüfung ausschließen
zu können.
Die vorgenommene Halbierung lässt sich auch nicht auf die in der Konstellation B2 aufgeführten Voraussetzungen übertragen
bzw. erstrecken.
Der Grund für die Halbierung der im MDD vorgeschlagenen Richtwerte der Gesamtbelastungsdosis bestand darin, die unmittelbare
Ablehnung der BK 2108 mangels ausreichender Exposition einem "Sicherheitsabschlag" zu unterwerfen. Bei dem Zusatzkriterium
für die Konstellation B2 handelt es sich jedoch nicht wie bei der Voraussetzung ausreichender Exposition um ein Ausschlusskriterium,
sondern um eines von mehreren Elementen zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs. Da ihm keine Ausschlussfunktion zukommt,
ist das Ansetzen von Sicherheitsabschlägen hier nicht sachgerecht (ebenso LSG Bayern Urt. v. 22.05.2014 - L 18 U 384/10 - [...] Rn. 40).
Zu beachten ist auch, dass die Konsensempfehlungen in ihren Einzelformulierungen zwar nicht unter (strikter) Anwendung der
Regeln der juristischen Methodenlehre auszulegen sind (vgl. hierzu BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - [...] Rn. 23). Da sie aber als Hilfestellung bei der Beurteilung der Kausalitätsfragen dienen (BSG a.a.O.), muss die bei etwaigen Unklarheiten notwendige Interpretation der Konsensempfehlungen ihrerseits den allgemeinen
Beweisregeln der gesetzlichen Unfallversicherung folgen. Hierzu zählt, dass die Frage, ob ein versichertes Ereignis (hier
Hebe- und Tragevorgänge iSd BK 2108) als ursächlich für einen Bandscheibenschaden angesehen werden kann, - im Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung - aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens
über Kausalbeziehungen (gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten) zu beantworten ist (vgl. hierzu BSG Urt. v. 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R - [...] Rn. 25; Urt. v. 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - [...] Rn. 36; Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - [...] Rn. 55).
Ein herrschender medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrungsstand darüber, dass eine Belastung bei Männern bereits bei einer
Gesamtdosis unter 25 MNh, insbesondere schon bei dem (vom BSG) halbierten Wert von 12,5 MNh, ursächlich zu einem monosegmentalen Schaden im Sinne der Konstellation B2 führt, besteht zu
der auf die Beweisermittlung gegründeten Überzeugung des Senats derzeit nicht. Der in den Konsensempfehlungen niedergelegte
Konsens zur Konstellation B2 konnte sich naturgemäß nur auf die damals im MDD vorausgesetzte Dosis von 25 MNh beziehen (vgl.
auch LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 19.01.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - [...] Rn. 56). Seither hat sich nach den beweisrechtlichen Ermittlungen im Verfahren keine abweichende herrschende
Meinung zum Ansatz einer niedrigeren Belastungsdosis bei der Konstellation B2 gebildet. Zwar sind - wie Dr. W dies in seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 29.03.2016 dargelegt hat - einzelne Autoren der Konsensempfehlungen zwischenzeitlich in Auswertung
der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) der Überzeugung, dass eine Belastungsdosis von 12,5 MNh als Bezugswert einer besonders
intensiven Belastung "wissenschaftlich vertretbar" sei (Seidler, Bolm-Audorff, Arbeitsmedizinische Überlegungen zur Bedeutung
der Deutschen Wirbelsäulenstudie und ihrer Folgestudien für die Begutachtungspraxis bandscheibenbedingter Erkrankungen, in:
Grosser et al., Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" (BK 2108), Frankfurt 2014). Hingegen
sehen andere Autoren in den Ergebnissen der DWS und der Nachfolgestudien keine Rechtfertigung für die Annahme neuer medizinischer
Kriterien für die Zusammenhangsbeurteilung (Grosser, Meyer-Clement, Schröter, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie,
Med Sach 111 3/2015). Die DWS und ihre Nachauswertung stünden nicht in Einklang mit der bisherigen epidemiologischen Gesamtevidenz
und seien biologisch wenig plausibel. Auch das BSG hat einen neuen durch die DWS II gewonnenen Erkenntnisstand verneint und die Kritik hieran als erkennbare Einzelmeinungen
angesehen (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - [...] Rn. 21). Ebenso hat der Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales beschlossen, nicht
in Beratungen einzutreten, sondern sieht - wie auch der vom Gericht gehörte Sachverständige Dr. W - noch weiteren Forschungsbedarf
(vgl. Rundschreiben des DGUV vom 17.12.2014 - 0494/2014 ).
Einer strengen Anwendung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 im Sinne der ursprünglich zugrunde gelegten Annahmen der
dortigen Autoren stehen auch bisherige Entscheidungen des BSG in dieser Frage nicht entgegen. So hat das BSG im Urteil vom 23.04.2015 (B 2 U 10/14 R - [...] Rn. 25 f.) lediglich ausgeführt, dass vom LSG Sachsen, ein halbierten Wert "in revisionsrechtlicher nicht zu beanstandender
Weise" zugrundegelegt worden sei. Auf dieses Urteil wird wiederum im Urteil vom selben Tag unter dem Aktenzeichen B 2 U 6/13 R - [...] Rn. 24 mit dem Zusatz verwiesen, dass der Senat im Ergebnis die dahingehende Interpretation der Konsensempfehlungen
durch das LSG nicht als offensichtlich falsch angesehen habe. Eine eigenständige Entscheidung des BSG zugunsten einer Halbierung auch bei der Konstellation B2 ist diesen Urteilen nicht zu entnehmen.
Zu berücksichtigen ist nach Auffassung des Senats bei der Anwendung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 letztlich, dass
diese Konstellation nach dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand einen Grenzfall gegenüber den in der Bevölkerung zahlreich
auch ohne Wirbelsäulenbelastung auftretenden entsprechenden Schäden darstellt. Die Bejahung des Kausalzusammenhangs ist daher
Dr. W folgend nur dann möglich, wenn die allgemeinen Kriterien der Zusammenhangsbeurteilung klar vorliegen. Nur in diesem
Fall kann eine ausreichende Trennschärfe gegenüber den nicht wesentlich beruflich verursachten Schäden erzielt werden (vgl.
auch LSG Bayern Urt. vom 31.01.2013 - L 17 U 244/06 - [...] Rn. 29). Die Zugrundelegung anderer Kriterien als denjenigen, die bei der Beurteilung durch die Konsensgruppe 2005
vorgelegen haben, erfordert durchgreifende wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Neubewertung stützen. An diesen fehlt es
wie oben dargelegt.
Der Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des Klägers und seiner bandscheibenbedingten Erkrankung ist darüber
hinaus selbst dann nicht anzunehmen, wenn die Voraussetzungen der Konstellation B2 und somit sämtliche Voraussetzungen der
wie ausgeführt anwendbaren Konstellation B6 vorliegen würden. Für diese Konstellation haben die Autoren der Konsensempfehlungen
keinen Konsens erzielen können. Auch hierzu hat sich die herrschende medizinisch-wissenschaftliche Auffassung bisher nicht
geändert, wie sich aus der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme des Dr. W vom 29.03.2016 ergibt.
Liegt eine Konstellation vor, für die unter den Autoren der Konsensempfehlungen kein Konsens erzielt werden konnte, bedarf
es einer individuellen Beurteilung und Würdigung des Einzelfalls (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 6/13 R - [...] Rn. 26).
In der hier entsprechend vorzunehmenden Gesamtschau ist eine berufliche Verursachung im konkreten Fall des Klägers nicht ausreichend
wahrscheinlich.
Maßgeblich ist dabei zum einen, dass sich die bei dem Kläger vorliegenden degenerativen Veränderungen auf das Segment L5/S1
und somit auf genau das Segment beschränken, das auch bei nicht exponierten Personen das am häufigsten betroffene ist. Unterscheidet
sich aber das morphologische Schadensbild - wie hier - kaum von dem Schadensbild, das im Alter des Versicherten häufig auch
ohne berufliche Belastungen anzutreffen ist, bestehen - ohne weitere besondere Umstände - medizinisch-wissenschaftliche Bedenken,
einen Ursachenzusammenhang anzunehmen. Bei einer beruflichen Belastung wäre auch eine Beteiligung anderer Abschnitte zu erwarten,
eben - nach derzeitiger medizinischer Auffassung - etwa eine relevante Begleitspondylose oder auch "black discs". Zum anderen
finden sich - wie dargelegt - auch in der HWS degenerative Veränderungen. Dies spricht jedenfalls für eine Neigung der Wirbelsäule
zur Degeneration auch ohne berufliche Belastung. Zwar ist der Schluss von einer anlagebedingten HWS-Erkrankung auf eine dann
ebenfalls anlagebedingte LWS-Erkrankung und damit der Ausschluss einer beruflichen Verursachung nicht zwingend; es handelt
sich aber um ein deutliches negatives Indiz im Rahmen der Gesamtabwägung. Die Annahme, dass bei schwerem Heben und Tragen
im Sinne der BK 2108 auch HWS-Schädigungen entstehen, ist medizinisch-wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Relevante
Faktoren, die umgekehrt zugunsten des Klägers eine berufliche Verursachung (über die Exposition hinaus) aussagekräftig belegen
könnten, finden sich hingegen nicht.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine wesentliche Verursachung des bei dem Kläger bestehenden Bandscheibenschadens
an der LWS durch die berufliche Exposition auch dann nicht als hinreichend wahrscheinlich anzusehen ist, wenn man die Betroffenheit
von HWS und LWS mit Dr. T nicht als gleichwertig ansehen würde. Sofern man die Schädigung an der HWS als schwächer ausgeprägt
als an der LWS ansieht, wäre die Konstellation B4 der Konsensempfehlungen anwendbar, die jedoch ihrerseits (wie die Konstellation
B6) das Vorliegen der Voraussetzungen der Konstellation B2 voraussetzt. An diesen mangelt es wie bereits dargelegt. Bezöge
man die Schädigungen der HWS gar nicht in die Abwägung ein, wäre die Konstellation B3 anwendbar, für die - bei der dargelegten
fehlenden Erfüllung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 - ein Konsens fehlte. Die dann durchzuführende Einzelfallbetrachtung
kann - wie ebenfalls dargelegt - einen Kausalzusammenhang im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung gleichfalls
nicht begründen.
Kommt die Anerkennung der BK 2108 nicht in Betracht, liegen auch die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Rentenzahlung
gem. §
56 SGB VII nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG) nicht als gegeben angesehen.