Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme der Kosten einer stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen
Behandlung in einer Privatklinik.
Die am 00.00.1982 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin (seit dem 01.04.2016) gesetzlich krankenversichert.
Sie ist alleinstehend und lebt in einer Wohnung in R von Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Sie leidet unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mit Dissoziationen, Ängsten, depressiver Symptomatik
und kompensatorischem Zwangsverhalten (konkret: Horten) und hat einen anerkannten Grad der Behinderung von 70.
Seit 2016 ist die Antragstellerin aus 13 ganz überwiegend psychiatrisch bedingten stationären Aufenthalten in verschiedenen
örtlichen Krankenhäuserin sowie auch aus einer Rehabilitationsmaßnahme jeweils auf Veranlassung des Krankenhauses vorzeitig
entlassen worden.
Die Aufhebung ihrer Betreuung wurde zuletzt durch Beschluss des Landgerichts Münster vom 25.09.2019 (Aktenzeichen: O 5 T 590/17) rechtskräftig wegen "Unbetreubarkeit" bestätigt.
Am 04.10.2019 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten für eine stationäre Behandlung in der H-Klinik
in R (im Folgenden: H). Ihrem Antrag war ein die Behandlung befürwortendes Schreiben der Psychologischen Psychotherapeutin
T von der LWL-Klinik R vom selben Datum beigefügt: Der Versichertenakte der Antragstellerin ließe sich bereits entnehmen,
dass es sich um einen hochkomplexen Fall handele. Die derzeit behandelnde LWL-Klinik selbst biete leider nur kriseninterventorische
Behandlung an. Der Leitende Direktor und Chefarzt der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie habe zudem verfügt, dass aufgrund
des Verhaltens der Antragstellerin auch keine Behandlung etwa auf der Depressionsstation stattfinden solle. Ferner lehne der
Chefarzt der Abteilung für Spezielle Psychotherapie, die eigentlich für komplexe Traumafolgestörungen zuständig wäre, eine
Behandlung in seiner Abteilung seit 2015 rundweg ab, sie sei zu krank dafür. In Anbetracht der vor Ort bestehenden psychosozialen
Probleme einschließlich einer von langjährigem Horten unbenutzbar gewordenen Wohnung erscheine eine wohnortnahe stationäre
Betreuung jedoch dringend indiziert. Hierzu habe die Antragstellerin ein Vorgespräch mit der H geführt, die ihr ein uneingeschränktes
Behandlungsangebot unterbreitet habe. Die Antragstellerin sei wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten der Behandlung
auch nur zum Teil aufzubringen.
Auf Anforderung der Antragsgegnerin übersandte die Antragstellerin ferner die Verordnung des sie seit Juli 2019 behandelnden
Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Z, vom 24.10.2019. In seinem flankierenden Befundbericht bescheinigt der Facharzt
der Antragstellerin eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41G), eine depressive
Störung in gegenwärtig leichtgradiger Ausprägung (ICD-10: F33.OG), eine Hoarding Disorder (ICD10: F42.8G), sowie das Bestehen
des V.a. eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD10: F60.3V). Die derzeitige Medikation bestehe aus einer NDRI-Medikation
mit Bupropin (300 mg/Tag). Auf dem Boden der genannten Diagnosen sei es anamnestisch zu zahlreichen stationären Behandlungen
gekommen, teils kriseninterventorisch aufgrund Suizidalität, teils psychotherapeutisch. Versuche, die Antragstellerin in ambulant
psychiatrische Pflege oder ambulant betreutes Wohnen einzubinden, seien sämtlich gescheitert. Aktuell sei die Antragstellerin
mit ihrer Lebenssituation völlig überfordert, weitestgehend unselbständig und habe einen ausgeprägten Leidensdruck entwickelt.
Er unterstütze die stationäre Behandlung in der namhaften und etablierten H sehr und erhoffe sich in diesem Rahmen auch eine
erneute Abklärung der psychosomatischen Komplikationen und eine adäquate nicht-medikamentöse Behandlung. Insgesamt solle die
Behandlung einen verbesserten Krankheitszugang ermöglichen, verbesserte Copingmechanismen etablieren und die Ambivalenz der
Antragstellerin im Hinblick auf ambulante Hilfsmaßnahmen herabsetzen.
In einem weiteren Befund der LWL-Klinik R vom 23.10.2019 bestätigte auch die Chefärztin, Dr. U, dass sowohl seitens ihrer
Klinik als auch seitens der zuständigen Abteilungen des Universitätsklinikums R eine Behandlung - ohne Behandlungsversuch
- aufgrund der Schwere der Erkrankung abgelehnt werde, so dass in R kein Vertragskrankenhaus aufnahmebereit sei. Eine Behandlung
vor Ort in der vertrauten Umgebung sei indes angezeigt, um Verhaltenstherapie und Therapie der mittlerweile vorliegenden Essstörung
(BMI: 33,2) effektiv zu gestalten und eine annehmbare Tagesstruktur zu erarbeiten. Davon abgesehen ließen es die Ängste der
Antragstellerin derzeit nicht zu, R für länger als ein paar Tage zu verlassen, woran bereits frühere Behandlungen gescheitert
seien. Die H sei optimal geeignet, die Rehabilitationsfähigkeit der Antragstellerin und damit ihre Genesung in die Wege zu
leiten.
Der von der H überlassene Kostenvoranschlag (vom 24.10.2019) umfasste eine 8wöchige Behandlung zu einem Preis von insgesamt
EUR 22.960,00.
Mit Bescheid vom 29.10.2019 teilte die Antragsgegnerin mit, sie werde sich in Höhe von EUR 5.923,68 (28 Tage x satzungsmäßiger
Zuschuss zur Behandlung in Privatklinik von EUR 211,56 pro Tag) an den Kosten einer Behandlung in der H beteiligen. Dabei
handele es sich um die fiktiven Kosten, die für eine vergleichbare Behandlung der Erkrankungen "rezidivierende depressive
Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen" in einem Vertragskrankenhaus angefallen wären. Die weiteren
Kosten in Höhe von EUR 17.036,32 müsse die Antragstellerin selbst aufbringen, da keine Gründe vorlägen, die eine stationäre
Behandlung in der Privatklinik rechtfertigten.
Hiergegen legte die Antragstellerin (mit Schreiben vom 14.11.2019) Widerspruch ein. Zur Begründung berief sie sich auf die
ergänzende Stellungnahme des Arztes Z vom 05.12.2019. Dieser betonte erneut, dass das Krankheitsbild derzeit eine stationäre
Behandlung dringend erfordere. Die Patientin sei mit vielen Aspekten des sozialen Lebens völlig überfordert und isoliert.
Dieser Zustand werde durch die vielfach erfahrene Ablehnung der Kliniken und ambulanten Hilfssysteme erheblich verstärkt,
zumal sie nur über einen unzureichenden Zugang zu Krankheitssymptomen und Bewältigungsstrategien verfüge. Er bitte daher erneut
darum, die Kosten der Behandlung in der von ihm präferierten H zu übernehmen. Alternativ bitte er um Aufzeigen realistischer
Behandlungsalternativen in Vertragskrankenhäusern, um die dringend erforderliche Therapie nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
In seinem Gutachten nach Aktenlage vom 16.12.2019 gelangte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe
(MDK) zu dem Ergebnis, dass die medizinische Notwendigkeit der Inanspruchnahme einer außervertraglichen Krankenhausbehandlung
aus den vorgelegten Unterlagen medizinisch nicht plausibel abgeleitet werden könne. Es stünden im vertraglichen Bereich gleich
drei geeignete Behandlungsalternativen zur Verfügung: So könne die Antragstellerin im N Krankenhaus in R, in der Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums R oder aber im S-Hospital in A adäquat behandelt werden. Auch die
LWL-Klinik sei nach ihrem Versorgungsauftrag zur Behandlung verpflichtet. Alternativ könne die Antragstellerin über den Sozialpsychiatrischen
Dienst des Wohnortes ein Hilfeplanverfahren anstrengen.
Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin (mit Schreiben vom 27.12.2019) mit, dass sie nach den Feststellungen des MDK
bei ihrer Einschätzung verbleibe und auf die bestehenden Alternativen im vertraglichen Bereich verweise.
Die Antragstellerin reagierte hierauf mit einer weiteren Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin C vom 17.01.2020,
in der diese darauf hinwies, dass Dr. O vom N Krankenhaus in R auf ihre telefonische Nachfrage mitgeteilt habe, dass die Antragstellerin
dort nicht behandelt werden könne; diese Erfahrung habe sie auch bereits im Frühjahr 2017 gemacht, als die Antragstellerin
einer Verlegung von der allgemeinpsychiatrischen Station des E Krankenhauses bedurft hätte. Bei einem Vorgespräch mit der
Fachabteilung des Universitätsklinikums in R 2018 sei die Gesprächssituation mit der Psychologin völlig eskaliert; eine Behandlung
dort sei mehrfach in allen in Betracht kommenden Abteilungen abgelehnt worden. Eine Behandlung im Rahmen der Allgemeinpsychiatrie
werde im Krisenfall bei akuter Dekompensation weiterhin von den regelversorgenden Klinken angeboten mit dem Nachteil rascher
Entlassung bei nachlassender Depressivität. Dies führe jedoch zu keiner nachhaltigen Besserung des Krankheitsbildes. Im Gegenteil,
es zementiere sich dadurch die Erfahrung, dass im Hilfesystem kein echtes Interesse an einer Besserung bestehe, da zurückkehrende
Kraft und beginnendes Vertrauen stets mit Beziehungsabbruch beantwortet werde, ohne dass ein adäquates ambulantes Setting
zur Verfügung stehe. Sie habe bereits darauf hingewiesen, dass außerhalb von R gelegene Kliniken ungeeignet seien, die im
Vordergrund stehende Horter-Problematik konfrontativ zu bearbeiten. Die Antragstellerin fühle sich an ihre Wohnung und die
darin gesammelten Gegenstände gebunden, so dass sie eine auswärtige Therapie aus Angst nicht antreten könne. Sie wolle noch
einmal darauf hinweisen, dass die Beziehungsgestaltung der Antragstellerin von ihrer strukturellen dissoziativen Störung geprägt
sei und regelhaft auch bei Therapeuten und Ärzten massive Abwehr hervorrufe. Eine derart ausgeprägte Problematik könne nur
in spezialisierten Einrichtungen wirksam behandelt werden. Ergänzend weise sie darauf hin, dass der aktuelle Tagessatz etwa
der LWL-Klinik (mit einer Rate von EUR 295 bis 300) deutlich über dem Zuschuss der Antragsgegnerin liege.
Durch Widerspruchsbescheid vom 24.06.2020 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurück.
Da die H zwar kein zugelassenes Krankenhaus sei, jedoch alle Voraussetzungen des §
107 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) erfülle, habe sie bereits nach § 27d ihrer Satzung von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Kosten für stationäre Leistungen in einem nicht zugelassenen Krankenhaus
für die Dauer der medizinischen Notwendigkeit bis zur Höhe der - von der Diagnose abhängigen - vergleichbaren Tagessätze in
einem Vertragskrankenhaus zu übernehmen. Eine weitergehende Kostenübernahme komme nicht in Betracht, da kein Notfall vorliege
und vertragliche Alternativen zur Verfügung stünden.
Mit ihrer hiergegen am 17.07.2020 vor dem Sozialgericht Münster erhobenen (und dort unter dem Aktenzeichen S 9 KR 558/20 geführten) Klage hat die Antragstellerin ihr Anliegen weiter verfolgt.
Zugleich hat sie am 16.10.2020 nunmehr anwaltlich vertreten einen Antrag auf Kostenübernahme im Wege der Einstweiligen Anordnung
gestellt. Sie begehre die Leistung im Wege der Einzelfallentscheidung, da ein weiteres Zuwarten für sie eine schwere Notlage
bedeute. Sie sei auf die Behandlung in Wohnortnähe krankheitsbedingt angewiesen.
Sie hat beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für eine stationäre Behandlung in der
H gemäß Kostenvoranschlag vollständig zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Aufgrund der Diagnosen PTBS bzw. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sei sie bereit, den Tagessatz
in Höhe von EUR 232,43 zu bemessen, so dass sie das Vergleichsangebot unterbreite, bei einer Verweildauer von 28 Tagen EUR
6.508,04 zu übernehmen. Eine weitere Kostenübernahme lehne sie aus den bekannten Gründen ab.
Die (zum damaligen Zeitpunkt unvertretene) Antragstellerin entgegnete (mit Schriftsatz vom 08.12.2020), dass sie den Vergleichsvorschlag
nicht verstehe. Der danach von ihr zu leistende Eigenanteil sei immer noch so hoch, dass sie ihn nicht aufbringen könne. Nach
den Aussagen ihrer Ärzte sei sie aber so krank, dass die Antragsgegnerin die Kosten ganz übernehmen müsse.
Das Sozialgericht Münster hat am 09.12.2020 einen Erörterungstermin durchgeführt und der Antragsgegnerin u.a. aufgegeben,
bis zum 14.12.2020 geeignete, aufnahmebereite bzw. zu einem Erstgespräch bereite Vertragskrankenhäuser zu benennen. Soweit
die Antragsgegnerin darauf verweise, dass das Universitätsklinikum nach telefonischen Angaben zu einem Erstgespräch "frühestens
Mitte Januar 2021" bereits sei, sei dies nicht akzeptabel. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin hat eine Leistungsübersicht der Antragstellerin zu den Akten gereicht.
Das Sozialgericht hat ferner einen Befundbericht bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Z, eingeholt. Dieser
hat (mit Schreiben vom 15.12.2020) bekundet, dass er die Antragstellerin zuletzt im Januar 2020 behandelt habe, so dass er
zu ihrer aktuellen stationären Behandlungsbedürftigkeit keine Aussage treffen könne. Eine Behandlung in der H sei auch zum
damaligen Zeitpunkt insoweit nicht zwingend erforderlich gewesen, als grundsätzlich auch eine geeignete Versorgungsklinik
in Betracht gekommen wäre.
Durch Beschluss vom 18.12.2020 hat das Sozialgericht Münster die Antragsgegnerin im Rahmen einstweiliger Anordnung verpflichtet,
der Antragstellerin die begehrte Behandlung in der H vorläufig (unter Rückzahlungsvorbehalt entsprechend dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens)
gemäß Kostenvoranschlag vom 26.09.2019 zu gewähren. Nach summarischer Prüfung stehe der Antragstellerin der geltend gemachte
Anspruch auf Behandlung in der einzigen aufnahmebereiten Klinik aufgrund eines Systemversagens zu. Die Antragsgegnerin habe
nunmehr seit 14 Monaten keine aufnahmebereite Vertragsklinik benannt. Es sei durch die Ausführungen der Ärzte und Therapeuten
der LWL-Klinik R glaubhaft gemacht, dass die in Betracht kommenden Vertragskliniken in R die Behandlung ablehnten. Ein weiteres
Zuwarten sei der Antragstellerin, die die Kosten selbst nicht aufbringen könne, bei unstreitigem stationärem Behandlungsbedarf
in einer der Schwere des Krankheitsbildes gerecht werdenden Spezialklinik nicht zumutbar.
Die Antragsgegnerin hat gegen den (ihr am 22.12.2020 zugestellten) Beschluss mit Schriftsatz vom 13.01.2021 Beschwerde eingelegt.
Es liege bereits kein Anordnungsanspruch vor. Der MDK habe bereits in seinem Gutachten vom 16.12.2019 alternative Vertragskrankenhäuser
benannt, so dass von einem Systemversagen keine Rede sein könne. Gegen eine Eile spreche bereits der zeitliche Ablauf des
Verfahrens, da die Antragstellerin ersichtlich nach wie vor ohne die begehrte Leistung auskomme. Auch befürchte sie, "auf
den Kosten sitzen zu bleiben", da die Antragstellerin offensichtlich nicht in der Lage sei, diese zurückzuerstatten.
Sie beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 18.12.2020 aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses. Das Sozialgericht Münster sei zu Recht von einem
Systemversagen ausgegangen, da es sich bei der H um die einzig aufnahmebereite ortsnahe Klinik handele. Die Dringlichkeit
der Behandlung werde von der Psychologischen Psychotherapeutin T ausdrücklich bestätigt. Die Befürchtung der Antragsgegnerin,
die Kosten am Ende nicht erstattet zu bekommen, zeuge von wenig Empathie gegenüber der Versicherten, lasse jedoch nicht den
Anordnungsgrund entfallen, da Empfänger von Grundsicherungsleistungen ansonsten nie Erfolgsaussichten in Verfahren des Einstweiligen
Rechtsschutzes hätten.
Durch Beschluss vom 27.01.2021 (Aktenzeichen: L 5 SF 6/21 ER) hat der Senat auf Antrag der Antragsgegnerin die Vollstreckung aus dem angegriffenen Beschluss bis zur Erledigung des
Rechtsstreits in der Beschwerdeinstanz gem. §
199 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin hat auf die entsprechende Auflage des Senates (mit Schriftsatz vom 22.01.2021) vorgetragen, dass die Antragstellerin
am 03.02.2021 bei der S-Hospital A GmbH vorsprechen könne, wo die Wartezeit für eine Aufnahme sodann 8-12 Wochen betrage;
an der Uniklinik R könne die Antragstellerin ebenfalls am 03.03.2021 vorsprechen, hier betrage die Wartezeit für die Aufnahme
ca. 4-12 Wochen; im N Krankenhaus in R könne in der ersten Februarwoche ebenfalls ein Vorgespräch stattfinden mit einer Wartezeit
für die Aufnahme von 4-6 Monaten; in der M Klinik in B könne die Antragstellerin kurzfristig innerhalb von 2 Wochen coronabedingt
telefonisch vorsprechen und auf eine Warteliste aufgenommen werden (Wartezeit ca. 6-8 Wochen). Darüber hinaus bestehe die
Möglichkeit, dass die Antragstellerin sich einen Termin über die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung vermitteln
lasse.
Hierauf hat die Antragstellerin erwidert, dass die Termine ohne Angabe von Ansprechpartnern vereinbart worden seien und zudem
bei Einrichtungen außerhalb von R oder solchen, die bereits im Vorfeld bekundet hätten, sie nicht zielführend behandeln zu
können.
Der Senat hat den Arzt Z ergänzend befragt. Dieser hat mit Schreiben vom 02.02.2021 berichtet, dass eine ambulante Betreuung
mit stationären Aufnahmen bei Krisen möglich gewesen sei, sich die Antragstellerin jedoch in den kurzen kriseninterventorischen
stationären Aufnahmen nicht zurecht gefunden habe. Sie habe Therapie- und Symptomstabilität vermissen lassen. Die Antragstellerin
habe immer wieder unter Phasen erheblicher Symptomexazerbation gelitten. Er könne daher nicht bestätigen, dass es ihr zumutbar
gewesen sei, über 14 Monate auf eine stationäre Behandlung zu warten.
Die Antragsgegnerin hat sich aufgrund dieser Stellungnahme in ihrer Einschätzung bestätigt gesehen, dass Behandlungsalternativen
bestanden hätten, da der Arzt Z eine ambulante Behandlung für ausreichend halte. Die Antragstellerin möge bei den von ihr
benannten Alternativen vorstellig werden.
Die Antragstellerin hat (mit Schriftsatz vom 08.02.2021) darauf hingewiesen, dass die heutigen ersichtlich nur aus der Erinnerung
getätigten Ausführungen des (sie seit längerem nicht mehr behandelnden Arztes) nicht konsistent seien mit denen, die seiner
eigenen Verordnung zu Grunde gelegen hätten. Die LWL-Ärzte hätten zudem nachvollziehbar beschrieben, dass das ambulante Hilfssystem
bei ihr gescheitert sei. Vertragskrankenhäuser seien zu ihrer Aufnahme nicht bereit. Sie verweise etwa auf das Ablehnungsschreiben
des Chefarztes der LWL-Klinik in R vom 18.05.2017 oder des Leiters des dortigen ärztlichen Dienstes vom 19.07.2018 und die
Ablehnungsmail des N Krankenhauses in W vom 19.07.2018. Die große Station erfordere ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit an
das stationäre Setting, insbesondere die zahlreichen Mitpatienten. Die N in R hätten sie nur in einer angegliederten Einrichtung
("EOS") aufnehmen können, bei der es sich ebenfalls nicht um ein Vertragskrankenhaus handele. Ihre von Dr. U (LWL-Klinik R)
befürwortete medizinische Rehabilitation beim FSP sei am 09.04.2020 vorzeitig beendet worden. Sie habe dort den Facharzt für
Psychiatrie - Dr. L - kennengelernt, der einen erneuten (noch offenen) Antrag beim Betreuungsgericht in R gestellt, sie aber
nicht weiter behandelt habe. Auch ihr Hausarzt, Dr. G, habe sich seither vergeblich bemüht, einen Psychiater für sie zu finden.
Ihre letzte Vorstellung bei der Universitätsklinik R sei am 29.01.2021 erfolgt und habe keine Behandlungsmöglichkeit für sie
ergeben. Nach alledem sei die Behandlung in der H die derzeit die einzig zu realisierende.
Ergänzend hat die Antragstellerin einen Bericht des Dr. D (Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie) zu den Akten
gereicht. Dieser führt (mit Schreiben vom 02.02.2021) aus, die Antragstellerin in der Zeit vom 13.02.2013 bis zum 27.02.2019
in der LWL-Ambulanz im Rahmen von über 240 therapeutischen Kontakten behandelt zu haben (vgl. ergänzende Behandlungsberichte).
Sie leide an einer PTBS mit andauernder Persönlichkeitsstörung und dissoziativer Störung, vorwiegend Zwangshandlungen (zwanghaftes
Horten), einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychisches Faktoren, sowie einer "double depression" im Sinne
einer Dysthymia plus rezidivierender depressiver Störung (gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome). Über die
aktuelle Behandlungsbedürftigkeit könne er sich nicht äußern, allerdings sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen,
dass die damals bestehende Problematik sich nur wenig geändert habe und nach ihrem Schweregrad und ihrer Komplexität eine
stationäre Psychotherapie erfordere. Die Antragstellerin könne ohne psychische Dekompensation keine Gegenstände aus ihrer
Wohnung entsorgen. Zum Zeitpunkt seiner Behandlung sei die Wohnung derart vollgestellt gewesen, dass weder die sanitären Einrichtungen
noch eine Schlafstelle zugänglich gewesen seien. Diverse stationäre Behandlungen hätten allenfalls kriseninterventorisch eine
vorübergehende Restabilisierung erwirken, aber keine grundlegende Verbesserung erzielen können. Hierzu bedürfe es eines spezialisierteren
und intensiveren Behandlungsansatzes als ihn die Vertragshäuser der Krankenkasse leisten könnten. Angebote außerhalb von R
(z.B. F in Dresden; Traumazentrum der U in J) seien bereits angedacht, aber infolge der massiven Ängste nicht realisierbar
gewesen. Auf medikamentöse Behandlung spreche das Krankheitsbild in keiner nennenswerten Weise an. Die H sei u.a. auf die
Behandlung von Zwangserkrankungen und Traumafolgestörungen spezialisiert und biete als solche ein deutlich intensiveres therapeutisches
Setting an.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und die
Gerichtsakte, sowie die Akten des beigezogenen Hauptsacheverfahrens des Sozialgerichts Münster (Aktenzeichen: S 9 KR 558/20) einschließlich der dortigen beigezogenen Akten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 18.12.2020 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht Münster hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 18.12.2020 zu Recht verpflichtet, die Kosten für die stationäre
Behandlung der Antragstellerin in der privaten H gemäß Kostenvoranschlag vom 26.09.2019 vorläufig zu übernehmen.
Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen
eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen
Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (i.S.v. überwiegend wahrscheinlich; vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03) macht (§
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung <ZPO>). Wenn die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden
muss, nicht vorhanden, so dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen ist. Ist die Klage offensichtlich zulässig
und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang ist eine umfassende Interessenabwägung
erforderlich (vgl. zum Ganzen: Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Aufl. 2020,
SGG, §
86b Rn. 27a ff.). Daher stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden auf Grund
ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung
des begehrten Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung
der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1999, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14.05.1996, 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, 216; sowie Kammerbeschluss vom 25.02.2009, 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674, 675).
Diese Anforderungen sind erfüllt. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch (hierzu unter 1)) als auch einen
Anordnungsgrund (hierzu unter 2)) glaubhaft gemacht.
1. Der angefochtene Bescheid ist nach den anzulegenden summarischen Maßstäben - jedenfalls zum derzeitigen Zeitpunkt - rechtswidrig.
Die auf Freistellung von den Kosten der noch durchzuführenden stationären Behandlung in der Privatklinik H gerichtete kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
Sozialgerichtsgesetz <SGG>) hat - vorbehaltlich anderweitiger Ermittlungsergebnisse im Hauptsacheverfahren - mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussicht
auf Erfolg. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung, hier durch
den Senat. (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 02.09.2014 - B 1 KR 3/13 R -, juris, Rn. 28; Keller in: Meyer-Ladewig/ u.a., a.a.O., § 54 Rn. 34).
Die Antragstellerin hat einen Freistellungsanspruch jedenfalls nach §
13 Abs.
3 S. 1 Fall 2
SGB V glaubhaft gemacht. Danach hat die Krankenkasse in dem Fall, dass sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, dem Versicherten
die hierdurch für die selbstbeschaffte Leistung entstehenden Kosten zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die höchstrichterliche
Rechtsprechung erstreckt den Anwendungsbereich dieser Regelung dabei ausdrücklich über den Fall der (nachträglichen) Kostenerstattung
hinaus auch auf Fälle der Kostenfreistellung (stRspr, vgl. z.B. BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 29, Rn. 10) für außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung beschaffte Leistungen,
soweit ein zugelassener behandlungsbereiter Leistungserbringer in einer für den Versicherten zumutbaren Zeit oder Entfernung
nicht rechtzeitig oder gar nicht zur Verfügung steht (vgl. BSG, Urteil vom 18. 01.1996 - 1 RK 22/95, Rn. 22; Urteil vom 09.06.1998 - B 1 KR 18/96 R, Rn. 14; Urteil vom 02.09. 2014 - B 1 KR 11/13 R , Rn. 16; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.10.2017 - L 9 KR 299/16, Rn. 28; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.11.2016 - L 4 KR 4432/14, Rn. 32, jeweils juris). Ein solches Systemversagen kommt insbesondere auch dann in Betracht, wenn der Versicherte aufgrund
unzureichender Beratung oder Aufklärung durch die Krankenkasse (§§
13,
14 SGB I) gezwungen ist, sich die Leistung selbst zu beschaffen (BSG, Urteil vom 10.02.1993 - 1 RK 31/92, juris Rn. 15 m.w.N.).
Der Senat verkennt nicht, dass durch eine zu extensive Einbeziehung nicht zugelassener Leistungserbringer in die Versorgung
der Versicherten der GKV die Gefahr besteht, dass die gesetzlichen Regelungen über die Bedarfsplanung und die Zulassungsbeschränkungen
bei bestehender Überversorgung unterlaufen werden. Diese Regelungen dienen (auch mit Blick auf das Phänomen der angebotsinduzierten
Nachfrage) der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit des Systems der GKV und damit einem Gemeinwohlbelang von hoher
Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.04.2001 - 1 BvR 1282/99, Rn. 5 ff.; BSG, Urteil vom 04.05.2016 - B 6 KA 24/15 R, Rn. 31, jeweils juris m.w.N.). Die vorgenannten Erwägungen sprechen dafür, ein Systemversagen insbesondere in dem hier betroffenen
Bereich der allgemeinen medizinischen Grundversorgung nur unter restriktiven Voraussetzungen anzuerkennen. Andererseits liegen
jedoch die Gründe dafür, warum es z. B. nur sehr schwer möglich ist, einen zeitnahen Termin für eine stationäre psychotherapeutische
Behandlung zu bekommen (z. B. "faktische" Unterversorgung, unzureichende Koordinierung der Vergabe freier Kapazitäten, [teilweise]
Nichterfüllung des Versorgungsauftrages durch Leistungserbringer), weitgehend außerhalb des Einflussbereichs der Versicherten
selbst, sondern im Verantwortungsbereich der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung, denen gemeinsam mit den Leistungserbringern
die Sicherstellung der vertragsärztlichen bzw. psychotherapeutischen Versorgung obliegt (§
72 Abs.
1 Satz 1, §
75 Abs.
1 Satz 1
SGB V).
Die Voraussetzungen einer Versorgungslücke sind daher im vorliegenden Fall aufgrund der zahlreiche Besonderheiten auch unter
der gebotenen zurückhaltenden Auslegung dieser Ausnahmerechtsprechung - wie das Sozialgericht zutreffend gefolgert hat - glaubhaft
gemacht.
Die H erfüllt zwar unstreitig die Voraussetzungen des §
107 SGB V, ist jedoch ebenso unstreitig nicht nach §
108 SGB V zugelassen, so dass die Antragstellerin ihren Anspruch nicht über §§
39,
27 SGB V geltend machen kann. Ein Notfall im Sinne des §
76 Abs.
1 Satz 2
SGB V, der überdies einen Kostenerstattungsanspruch bzw. einen Freistellungsanspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V ausschließen würde (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 23.08.2018 - L 1 KR 95/17, Rn. 25, juris; s.a. Kingreen in: Becker/Kingreen,
SGB V, 7. Aufl. 2020, §
13 Rn. 24), liegt ebenfalls nicht vor. Dieser würde voraussetzen, dass die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich
ist, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines geeigneten Therapeuten und dessen Behandlung - sei es durch dessen
Aufsuchen oder Herbeirufen - fehlt (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 9/05 R, Rn. 18; Urteil vom 23. 06. 2015 - B 1 KR 20/14 R, Rn. 13, je juris). Das ist bei einer psychotherapeutischen Langzeittherapie von vornherein nicht denkbar (vgl. auch Stellpflug/Wipperfürth,
ZGMR 2017, 225, 227) und wird von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht.
Der Senat hält es in der vorliegenden krankheitsbedingten Ausnahmefallgestaltung auch für überwiegend wahrscheinlich, dass
ein behandlungsbereites Vertragskrankenhaus für die Antragstellerin in zumutbarer Zeit und Entfernung nicht zur Verfügung
steht. Denn die Antragstellerin hat u.a. Ablehnungsschreiben der Universitätsklinik R und der LWL Klinik in R zu den Akten
gereicht, die nachhaltig verdeutlichen, dass dort eine weitere Therapie faktisch abgelehnt wird. 13 Krankenhausaufenthalte
in Kliniken des Umfeldes belegen, dass die regelmäßig dort allein geleistete kriseninterventorische Stabilisierung nicht in
der Lage ist, das hochkomplexe Beschwerdebild der Antragstellerin nachhaltig zu bessern. Die behandelnden Psychiater und Psychotherapeuten
der Antragstellerin haben überdies glaubhaft dargelegt, dass das Setting der vertraglichen Großstation mit dem Persönlichkeits-
und Krankheitsbild der Antragstellerin nicht kompatibel sei und ihre Behandlung dort daher weder ihrer eigenen Genesung noch
der ihrer Mitpatienten zuträglich ist.
Darüber hinaus belegen die Aussagen der Behandler, dass der Antragstellerin eine Behandlung in Kliniken außerhalb von R sowohl
im Sinne der effektiven Therapie des wohnungsgebundenen Hortens als auch nach den konkreten Erfahrungswerten der Vergangenheit
aufgrund derzeit unüberwindbarer Ängste nicht zumutbar ist. Mit diesem wesentlichen Bestandteil der Erkrankung der Antragstellerin
setzt sich die Antragsgegnerin nicht auseinander.
Dagegen bietet die mitten in R gelegene auf Essstörungen, Depressionen, Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen spezialisierte
H mit 50 Therapieplätzen eine intensivierte multimodale psychiatrisch-psychotherapeutische Therapie und ist als einzige wohnortnahe
Klinik mit stationärem Angebot noch nicht "verbraucht".
Soweit die Antragsgegnerin nunmehr in der Beschwerdeinstanz neben zahlreichen Behandlungsvorschlägen außerhalb von R (u.a.
B) auf eine telefonisch abgeklärte Möglichkeit zu einer (weiteren) Vorsprache der Antragstellerin im Universitätsklinikum
R verweist, hält der Senat es aufgrund der in den Ablehnungsschreiben zum Teil sehr deutlich geäußerten Vorbehalte gegenüber
der Antragstellerin für mehr als zweifelhaft, dass eine Behandlung tatsächlich im Anschluss an das gegenüber der Krankenkasse
angebotene Vorgespräch zu standen käme bzw. nach der Einschätzung der behandelnden Ärzte erfolgreich durchgeführt werden könnte.
Letztlich kann der Senat es jedoch dahin stehen lassen, ob ein zugelassener behandlungsbereiter Leistungserbringer in einer
für die Antragstellerin zumutbaren Zeit und Entfernung tatsächlich zur Verfügung steht.
Denn ein Systemversagen ergibt sich vorliegend jedenfalls daraus, dass die Antragsgegnerin ihrer Aufklärungs- und Beratungspflicht
gemäß §§
13,
14 SGB I und ihrer Verpflichtung gemäß §
17 Abs.
1 Nr.
1 SGB I, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen zügig erhält, nicht ausreichend nachgekommen und es der Antragstellerin deshalb nicht gelungen ist, mit den ihr zumutbaren Anstrengungen
einen Therapieplatz bei einem zugelassenen behandlungsbereiten Leistungserbringer zu erlangen. Im Hinblick auf die sich aus
§ 21 Abs. 2 SGB X ergebenden Mitwirkungspflichten ist der Versicherte grundsätzlich auch gehalten, an der Suche nach einem Therapieplatz bei
einem zugelassenen Therapeuten aktiv mitzuwirken. Kommt der Versicherte dem nicht ausreichend nach und/oder ist er erkennbar
von vornherein bereits auf einen bestimmten (nicht zugelassenen) Leistungserbringer festgelegt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 09.09. 2015 - B 1 KR 14/14 R, Rn. 9; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.09.2015 - L 9 KR 343/14, Rn. 32, jeweils juris), und lässt sich deshalb nicht hinreichend feststellen, ob zumutbare Behandlungsalternativen im Rahmen
der vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Versorgung zur Verfügung stehen, scheidet die Annahme eines Systemversagens
aus bzw. geht die diesbezügliche Beweislast zu Lasten des Versicherten. Dasselbe gilt allerdings umgekehrt für die Krankenkasse,
wenn sie und die Kassenärztliche Vereinigung den Versicherten nicht aktiv bei der Suche nach einem Therapieplatz unterstützen.
Kommt die Kassenärztliche Vereinigung ihrem Sicherstellungauftrag gemäß §
75 Abs.
1 und Abs.
1a Satz 1
SGB V und die Krankenkasse ihrer Sachleistungsverantwortung nach §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB V i.V.m. §
17 Abs.
1 Nrn. 1 und 2
SGB I insofern nicht ausreichend nach, kann sich die Krankenkasse nachträglich nicht darauf berufen, es hätten zugelassene Leistungserbringer
zur Verfügung gestanden (vgl. zur Hörgeräteversorgung, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.07.2017 - L 9 KR 60/17 B ER, Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 15.11.2013 - L 4 KR 85/12, Rn. 33; und 21.06.2016 - L 11 KR 2013/15, Rn. 44, jeweils juris).
Diese Voraussetzungen sind zum derzeitigen Zeitpunkt glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin benötigte zum Zeitpunkt der Antragstellung - unstreitig - eine stationäre psychiatrische und psychotherapeutische
Behandlung. Die Antragsgegnerin hat ihr demgegenüber von der Antragstellung bis zur Entscheidung des Senates keine geeignete
und aufnahmebereite Klinik benannt.
Der Behandlungsverlauf mit 13 stationären Behandlungsabbrüchen in Vertragskrankenhäusern und einer spezialisierten Rehaeinrichtung,
ambulanten Resozialisierungsversuchen und wechselnden psychiatrischen Behandlern wie auch Betreuern zeigt, dass die Behandlungsmöglichkeiten
des ambulanten wie kriseninterventorischen stationären vertragsärztlichen Systems ebenso umfassend wie erfolglos ausgeschöpft
worden sind.
Ein (nicht pathologisch bedingter) Mitwirkungsverstoß der Antragstellerin lässt sich dabei nicht festmachen; die vorzeitigen
Entlassungen erfolgten (wenngleich krankheitsbedingt nicht ohne ihren Verursachungsbeitrag) gegen ihren Willen bei ärztlich
bestätigter hoher Therapiebereitschaft, was sich letztlich sogar in ihrem Bestreben zeigt, die eigene Betreuung wieder einzurichten.
Vor diesem Hintergrund kann auch keine Rede davon sein, dass die Antragstellerin von vornherein auf die H fixiert gewesen
wäre. Vielmehr verhält es sich umgekehrt so, dass die H mittlerweile mit hoher Wahrscheinlichkeit die einzige unverbrauchte
Therapiemöglichkeit innerhalb von R mit Aussicht auf einen nachhaltigeren Behandlungserfolg im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe
und anschließenden Therapiefähigkeit im ambulanten Setting ist.
Demgegenüber hat die Antragsgegnerin es bislang entgegen ihrem Sicherstellungsauftrag und ihrer Sachleistungsverantwortung
im Vorverfahren wie auch fortgesetzt im gerichtlichen Verfahren verabsäumt, sich mit der fachärztlich mehrfach dokumentierten
offenkundig krankheitsbedingten ortsgebundenen Therapienotwendigkeit und der daraus resultierenden Verdichtung der Therapiemöglichkeiten
zu Gunsten der H auseinanderzusetzen. Die von ihr benannten Vertragskliniken liegen entweder außerhalb von R oder haben die
Versorgung der Antragstellerin bereits (mehrfach) abgelehnt. Darüber hinaus hat der Arzt Z nachvollziehbar ausgeführt, warum
die von Seiten der Vertragskrankenhäuser regelmäßig allein angebotene Krisenintervention per se unzureichend ist. An die von
der Kassenärztlichen Vereinigung gemäß §
75 Abs.
1a SGB V einzurichtende Terminservicestelle müssen sich Versicherte bei nicht zweifelhaftem Anspruch auf eine stationäre Richtlinienpsychotherapie
demgegenüber nicht wenden, weil diese zumindest bislang nur Termine für psychotherapeutische Erstgespräche und eine ggf. erforderliche
Akutbehandlung vermitteln, aber gerade keine stationäre Richtlinienpsychotherapie.
Auch die zumutbaren Wartezeiten sind im Falle der Antragstellerin abgelaufen. Gemeinhin werden etwa bei Vorliegen einer akuten
bzw. schwerwiegenden psychischen Erkrankung nur verhältnismäßig geringe Wartezeiten zumutbar sein, während im Normalfall für
eine Richtlinienpsychotherapie ein Zeitraum von bis zu drei Monaten noch vertretbar erscheint (grundlegend: BSG, Urteil vom 21.05.1997, 6 RKa 15/97 n.v.; a. A. Stellpflug/Wipperfürth, ZGMR 2017, 225, 227, die die Grenze unter Hinweis auf § 34 Abs. 1 Satz 4 PT-RL für den
"Normalfall" wohl bei drei Wochen ziehen). Die unstreitig an einem hochkomplexen Krankheitsbild mit rezidivierenden Phasen
akuter Dekompensation leidende Antragstellerin wartet mittlerweile seit 16 Monaten auf eine als Grundlage für jede weitere
Therapie nötige intensivierte stationäre Behandlung.
2. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da der von Grundsicherungsleistungen
lebenden Antragstellerin ein weiteres Zuwarten auf eine Therapie als Voraussetzung für einen Ausweg aus der Zwangsisolation
nicht zumutbar ist.
Zuzugeben ist der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin aufgrund ihres Behandlungsnotstandes bzw. nach ärztlich bekundetem
Versagen des vertraglichen Hilfesystems aktuell keinen fachärztlichen Behandler vorweisen kann, der eine fortdauernde dringende
stationäre Behandlungsbedürftigkeit bescheinigen kann. Jedoch stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert
nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender
Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. nur LSG
Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.03.2017 - L 7 SO 420/17 ER B, juris, Rn. 4; Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, a.a.O., §
86b Rn. 29, je m.w.N. ).
Unter Annahme eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs infolge Systemversagens sind vorliegend zugleich die Anforderungen
an den Anordnungsgrund insoweit herabzusenken, als die ärztlich belegten Aussagen zum multiplen chronifizierten Krankheitsbild
der Antragstellerin an sich und die Prognose eines langjährigen Behandlers zur Untermauerung der Dringlichkeit nach der gebotenen
summarischen Prüfung ausreichen. So hat der Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. D, der die Antragstellerin
von Februar 2013 bis zum Februar 2019 und damit über 6 Jahre in der LWL-Ambulanz behandelt hat, mit Schreiben vom 02.02.2021
glaubhaft bekundet, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die damals bestehende Problematik sich nur
wenig geändert habe und nach ihrem Schweregrad und ihrer Komplexität nach wie vor eine stationäre Psychotherapie erfordere.
Auch der Z hat im Beschwerdeverfahren angegeben, dass die Antragstellerin immer wieder unter Phasen erheblicher Symptomexazerbation
leide. Zudem verschärfen sich auch die somatischen Folgeerkrankungen z.B. in Gestalt der Essstörungen (BMI über 33) nach den
Angaben der Behandler weiter zu Lasten der Gesundheit der Antragstellerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).