SGB-XII-Leistungen
Kindergeldzahlung als Einkommen
Auswirkung einer Weiterleitung von Kindergeld
Grundsätzliche Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes
Buch (SGB XII).
Die Klägerin ist am 00.00.1959 in Afghanistan geboren. Sie reiste Anfang der 1980er Jahre mit ihrem Ehemann und der ältesten
Tochter N (geb. 00.00.1976) nach Deutschland ein. Dort bekamen die Eheleute weitere vier Kinder: L (geb. 00.00.1983), X (geb.
00.00.1986), N (geb. 00.00.1992), E (geb. 00.00.1995) und I (geb. 00.00.1999).
Die Klägerin lebt seit April 2001 von ihrem Ehemann dauerhaft getrennt. Seit Juli 2013 verfügt sie über einen GdB von 60 ohne
Merkzeichen. Sie erhält durch Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 04.06.2014 rückwirkend ab dem 01.08.2013
eine dauerhafte Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von zunächst 495,59 Euro (ab 01.10.2014 555,22 Euro) monatlich.
Für die seit dem 01.01.2014 angemietete und mit den Töchtern N, E und I zusammen bewohnte Wohnung mit 91 m2 Wohnfläche fällt
eine monatliche Gesamtmiete i.H.v. 850,00 Euro an.
Bis zum 30.09.2014 stand die Klägerin im (aufstockenden) Leistungsbezug beim Jobcenter C. Dieses berücksichtigte seit dem
jeweiligen Studienbeginn das Kindergeld der Töchter N und E nicht mehr, sondern behandelte nur die Klägerin und die Tochter
I als Bedarfsgemeinschaft und berücksichtigte als deren Bedarf die Hälfte der Wohnungsmiete.
Die Töchter N und E erhielten zunächst jeweils monatlich Bafög-Leistungen in Höhe von 422,00 Euro. Der Bezug von N endete
im März 2015, seitdem erzielt sie Einkommen aus einem sogenannten Minijob. E hat zusätzlich seit April 2015 einen Minijob.
Die Töchter N und E erhalten seit November 2014 zudem Wohngeld.
Die Klägerin erhielt für die Tochter N bis November 2017 Kindergeld, für die Töchter E und I dauert der Bezug an. Im Oktober
bzw. November 2014 richtete sie einen Dauerauftrag zur Weiterleitung des Kindergeldes an ihre Töchter N und E ein. Diese überweisen
seitdem den auf sie jeweils entfallenden Mietanteil i.H.v. 212,50 Euro direkt an den Vermieter.
Im September 2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII, den die Beklagte durch Bescheid vom 10.12.2014 ablehnte. Ihr stehe als Einkommen neben der Rente auch das Kindergeld für
die volljährigen Kinder zu. Dieses sei als Einkommen des Kindergeldberechtigten bei ihr und nicht bei den Töchtern zu berücksichtigen,
sofern die Auszahlung durch die Familienkasse nicht unmittelbar an die Kinder erfolge.
Das Jobcenter setzte daraufhin die Leistungsgewährung über den 01.10.2014 hinaus fort und meldete bei der Beklagten einen
Erstattungsanspruch an.
Die Anträge der Töchter E und N auf Abzweigung des Kindergeldes lehnte die Familienkasse durch Bescheide vom 21.01.2014 ab.
Da diese im Haushalt der kindergeldberechtigten Klägerin lebten und durch die Haushaltsaufnahme Unterhalt in ausreichender
Höhe gewährt werde, lägen die Voraussetzungen nach §
74 Abs.
1 Einkommenssteuergesetz (
EStG) nicht vor. Hiergegen legte die Tochter N Einspruch ein, den die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 27.11.2014
als unbegründet zurückwies. Sodann stellte die Tochter N beim Finanzgericht L einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine
beabsichtigte Klage (Az. 12 K 00/14). Dieses wies sie durch Richterbrief vom 11.03.2015 darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH)
eine Abzweigung nicht mehr in Betracht komme, wenn das Kindergeld bereits an den Kindergeldberechtigten ausgezahlt worden
sei. Denn in diesen Fällen sei der Anspruch erloschen. Gleichwohl gewährte das Finanzgericht - unter Annahme einer möglichen
Fortsetzungsfeststellungsklage - am 17.04.2015 Prozesskostenhilfe und wies zugleich darauf hin, dass binnen zwei Wochen eine
Klage zu erheben und ein Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen sei. Am 09.07.2015 teilte das Finanzgericht mit, dass der
Hinweis unbeachtet geblieben und die angefochtene Einspruchsentscheidung in Bestandskraft erwachsen sei. Somit sei das Verfahren
12 K 00/14 erledigt.
Durch Bescheid vom 02.09.2015 lehnte die Familienkasse einen weiteren Abzweigungsantrag der Tochter N ab und wies den hiergegen
gerichteten Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 07.10.2015 als unbegründet zurück. Den Widerspruch der Tochter E wies
die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 03.11.2015 als unbegründet zurück. Die hiergegen zum Finanzgericht L erhobene
Klage nahm sie am 13.06.2017 zurück (Az. 12 K 00/15). Die Tochter E stellte zudem einen weiteren Antrag auf Abzweigung, den die Familienkasse durch Bescheid vom 22.12.2014 ablehnte.
Mit dem gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2014 eingelegten Widerspruch vom 05.01.2015 machte die Klägerin geltend,
dass sie das Kindergeld für N und E per Dauerauftrag weiterleite und es sich daher um Einkommen der Töchter handele.
Durch Widerspruchsbescheid vom 07.07.2015, zugestellt am 14.07.2015, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Bedarf eines Studenten betrage 670,00 Euro pro Monat. Den volljährigen Töchtern stünden monatlich 422,00 Euro Bafög-Leistungen
und 146,00 Euro Wohngeld zur Verfügung. Vom Kindergeld benötigten sie daher nur 102,00 Euro für ihren Bedarf. Die Klägerin
selbst könne jeweils 82,00 Euro vom Kindergeld einbehalten und hiermit ihren Bedarf decken.
Am 14.08.2015 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Köln erhoben.
Die Anrechnung von Kindergeld bei ihr als Einkommen scheide aus, da sie dieses an die volljährigen Töchter weiterleite. Daher
würden auch die Voraussetzungen einer Abzweigung nach §
74 EStG vorliegen. Die Berechnung der Beklagten sei rechtswidrig. Ihr Einkommen liege unterhalb des Selbstbehaltes der Düsseldorfer
Tabelle. Sie sei ihren Töchtern daher nicht unterhaltspflichtig. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat sie
angegeben, dass sie den Haushalt auch für die Töchter führe, die Wäsche wasche und koche sowie im Wesentlichen die Haushaltsmittel
bezahle. Falls sie aber kein Geld habe, dann verlange sie von N und E gelegentlich Geld zum Einkaufen. Die Töchter zahlten
für ihren eigenen Bedarf, zum Beispiel ihre Bücher, die Fahrtkosten, Kleidung und Kosmetik.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.12.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2015 zu verurteilen,
ihr ab Oktober 2014 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Begründung ihres Bescheides und Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Im Übrigen gehe sie mit der Familienkasse
davon aus, dass durch die Haushaltsaufnahme ausreichender Unterhalt gewährt würde. Dem Gesamtbedarf der Klägerin von 650,42
Euro im Jahre 2014 habe Kindergeld in Höhe von 368,00 Euro und Erwerbsminderungsrente von 555,22 Euro gegenüberstanden. Dementsprechend
errechne sich ein übersteigendes Einkommen von 272,80 Euro. Es sei nicht von Bedeutung, dass eine Unterhaltsverpflichtung
der Klägerin nach zivilrechtlichen Grundsätzen nicht bestehe. Die Klägerin sei in der Lage, mit dem ihr zur Verfügung stehenden
Einkommen ihren Bedarf zu decken.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 13.04.2016 als unbegründet abgewiesen:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Zwar gehöre sie als dauerhaft voll erwerbsgeminderte Person grundsätzlich zum berechtigten Personenkreis des § 41 Abs. 1 SGB XII. Jedoch könne sie ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen sicherstellen. Der Klägerin stehe nicht nur ihre
eigene Rente zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung, sondern auch das Kindergeld für ihre erwachsenen Töchter
N und E. Nach der Zuordnungsregelung des § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sei das Kindergeld nur bei minderjährigen Kindern dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen. Bei volljährigen Kindern
sei es hingegen sozialhilferechtlich grundsätzlich eine Einnahme dessen, an den es ausgezahlt werde, entweder des Leistungs-
oder des Abzweigungsberechtigen. Der in der Rechtsprechung angenommene Ausnahmefall, dass auch beim volljährigen Kind das
Kindergeld ohne vorliegende Abzweigung bei diesem zu berücksichtigen sei, betreffe den Fall, dass das erwachsene volljährige
Kind außerhalb des Haushaltes lebe und das Kindergeld jeweils zeitnah an das Kind weitergeleitet werde. Dieser Fall sei hier
nicht einschlägig, denn die Töchter N und E lebten im Haushalt der Klägerin.
Soweit das LSG NRW auch im Fall des gemeinsamen Haushaltes annehme, dass eine Ausnahme in Betracht komme, wenn das Kindergeld
an die Kinder weitergeleitet werde und die Voraussetzungen der Abzweigung gegeben seien, so sei dieser Auffassung zumindest
in dem hier vorliegenden Fall nicht zu folgen. Möglicherweise sei eine Ausnahme anzunehmen, wenn tatsächlich innerhalb einer
Wohnung getrennt gewirtschaftet werde und ein Parallelfall zum Leben außerhalb des Haushalts vorliege. Dies scheide jedoch
im Fall des gemeinsamen Wirtschaftens - wie hier - aus. Die Klägerin führe den Haushalt für alle darin lebenden Töchter, koche
und wasche und trage die allgemeinen Kosten des Haushaltes einschließlich der Stromkosten allein. Nur gelegentlich bitte sie
ihre Töchter N und E um Geld zum Einkaufen. Dies belege aber auch, dass sie nur formal das Kindergeld an diese weiterleite
und je nach Bedarf auch wieder daraus Mittel zurückfordere. Eine klare Trennlinie lasse sich in dieser Konstellation nicht
ziehen. Mit der Haushaltsführung übernehme die Klägerin auch Unterhaltsleistungen für ihre erwachsenen Töchter. Dies sei unabhängig
davon, dass sie aufgrund des geringen Einkommens nicht dazu verpflichtet sei.
In diesen Fällen der Haushaltsaufnahme lehne die finanzgerichtliche Rechtsprechung die Abzweigung des Kindergeldes generell
ab. Es werde angenommen, dass durch die Aufnahme in den gemeinsamen Haushalt Unterhalt mindestens in der Höhe des Kindergeldes
geleistet werde. Diese Vermutung gelte nach einer ausdrücklichen Entscheidung des BFH (Beschluss vom 26.02.2015 - III B 124/14 -) sogar dann, wenn die Eltern Grundsicherungsempfänger seien. Die Eltern blieben nach dieser Entscheidung auch bei Erhalt
von Grundsicherungsleistungen dem Grunde nach zum Unterhalt des Kindes verpflichtet. Das BSG wiederum prüfe in Fällen, in denen die Kinder im Haushalt der Eltern lebten, nicht, ob das Kindergeld weitergeleitet werde
und die Voraussetzungen der Abzweigung nach §
74 EStG vorlägen. So habe das BSG in einer Entscheidung vom 17.07.2014 - B 14 AS 54/13 R - das Kindergeld bei einem erwachsenen, im Haushalt lebenden Kind der Mutter zugerechnet. Hierzu habe es dargelegt, dass
es rechtlich unerheblich sei, dass die Mutter das Kindergeld tatsächlich an die Tochter weitergegeben habe. Da das Kindergeld
der kindergeldberechtigten Mutter zuzurechnen sei, handele es sich bei dessen Weitergabe durch die Mutter an die Klägerin
schlicht um die Verwendung des der Mutter normativ zugeordneten und bei ihr zu berücksichtigenden Kindergeldeinkommens, das
keine neue Einkommenszuordnung begründe. Das Gericht schließe sich dieser Rechtsprechung an. Es könne nicht zutreffend sein,
dass der Kindergeldberechtigte durch die teilweise oder vollständige Weitergabe des Kindergeldes eine andere normative Zuordnung
mit der Folge erreichen könnte, die eigene Bedürftigkeit nach Belieben zu begründen oder zu erhöhen.
Die Klägerin habe in allen Monaten seit Oktober 2014 durch Rente und Kindergeld über ausreichende Mittel zur Bestreitung ihres
Lebensunterhaltes und zur Übernahme ihres eigenen Mietanteils in Höhe von 212,50 Euro verfügt. Sie habe sogar Teile des Kindergeldes
an ihre Töchter zur Sicherstellung von deren eigenem Bedarf weiterleiten können, ohne ihr eigenes Existenzminimum zu gefährden.
2014 habe dem Bedarf aus Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 (391,00 Euro) und 12 v.H. Mehrbedarf für Alleinerziehende nach
§ 30 Abs. 3 SGB XII (46,92 Euro) und eigenem Mietanteil in Höhe von 212,50 Euro - insgesamt 650,42 Euro - ein Einkommen von insgesamt 923,22
Euro gegenübergestanden (555,22 Euro Rente und 368,00 Euro Kindergeld). Für 2015 habe der Bedarf insgesamt 659,38 Euro (399,00
Euro, 47,88 Euro und 212,50 Euro) bei einem Renteneinkommen von 564,98 Euro (ab Juli 2015) und Kindergeld in Höhe von 376,00
Euro, insgesamt 940,98 Euro betragen. Anfang 2016 betrage der Bedarf insgesamt 664,98 Euro (404,00 Euro, 48,48 Euro und 212,50
Euro) bei einem Einkommen von insgesamt 944,98 Euro (564,98 Euro Rente und 380,00 Euro Kindergeld). Die Klägerin habe bei
einem übersteigenden Einkommen von ca. 280,00 Euro monatlich sogar Teile des Kindergeldes an die Töchter N und E zur Zahlung
des das Wohngeld übersteigenden Mietkostenanteils weiterleiten können.
Gegen das ihr am 28.04.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.05.2016 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht eingelegt.
Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Schlussfolgerungen des Sozialgerichtes seien unzutreffend.
Dass sie ihre Töchter um Geld zum Einkaufen bitte, belege gerade, dass sie nicht in der Lage sei, für die allgemeinen Lebenshaltungskosten
ohne deren Beteiligung aufzukommen. Auch erfolge die Weiterleitung des Kindergeldes nicht nur pro forma, da die Töchter die
ihnen monatlich zur Verfügung stehenden Geldbeträge zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten ausgeben müssten. Die in der
Rechtsprechung des BFH thematisierte grundsätzliche Unterhaltsverpflichtung sei nicht problematisch, sondern die tatsächliche
Leistungsfähigkeit. Bei der Annahme, dass durch Aufnahme in den gemeinsamen Haushalt Unterhalt zumindest i.H. des Kindergeldes
geleistet werde, handele es sich zudem lediglich um eine Vermutung, nicht um eine gesetzliche Fiktion. Auch der BFH habe dementsprechend
darauf hingewiesen, dass in der Haushaltsaufnahme eines Kindes durch den Kindergeldberechtigten jedenfalls dann keine Leistungsgewährung
gesehen werden könne, wenn durch den Grundsicherungsträger auch an die Kinder selbst Leistungen für Unterkunft und Verpflegung
erbracht würden. Somit bleibe es dabei, dass nach der Rechtsprechung des 20.Senats des LSG NRW zu prüfen sei, ob die Voraussetzungen
für eine Abzweigung nach §
74 EStG vorlägen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.04.2016 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 10.12.2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2015 zu verurteilen, der Klägerin ab Oktober 2014 Leistungen nach dem
4. Kapitel des SGB XII ohne Anrechnung der Kindergeldzahlungen für ihre Töchter N und E zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und beruft sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen sowie die angefochtene Entscheidung.
Das durch Beschluss des Senates vom 02.02.2017 beigeladene JobCenter hat keinen Antrag gestellt und in der Sache keine Erklärung
abgegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten,
der Beigeladenen und der Familienkasse Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
I. Die zulässige, insbesondere statthafte und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Köln vom 13.04.2016 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß §§
151,
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft.
II. Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die zulässige (kombinierte) Anfechtungs-
und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4, §
56 SGG) zu Recht als unbegründet abgewiesen.
Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 10.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2015,
mit dem die Beklagte Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII für die Zeit ab Oktober 2014 (zukunftsoffen) abgelehnt hat. Das Klagebegehren erfasst somit die Zeit bis zur letzten mündlichen
Verhandlung vor dem Senat.
Der Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Die Zuständigkeit der Beklagten als örtliche Trägerin der Grundsicherung im
Alter und für Erwerbsgeminderte bestimmt sich nach §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 SGB XII. Eine vorrangige Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach landesrechtlichen Bestimmungen (§ 97 Abs. 1 und Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 2 der bis zum 30.06.2016 geltenden Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen) ist nicht gegeben. Zuständiger örtlicher Träger der Sozialhilfe ist hier die beklagte kreisfreie
Stadt gemäß § 1 Abs. 1 Ausführungsgesetz zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten folgt aus § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII.
Gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 SGB XII ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung u. a. Personen zu leisten, die voll erwerbsgemindert sind, sofern sie
ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen
bestreiten können. Die Klägerin ist dauerhaft voll erwerbsgemindert (§ 41 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB XII). Die Klägerin hat ab Oktober 2014 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII, da sie seit Oktober 2014 ihren Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen bestreiten konnte.
Die Berechnungen der Beklagten im Bescheid und Widerspruchsbescheid sind zutreffend. Der Regelbedarf nach Stufe 1 in Höhe
von 391,00 Euro (Werte jeweils bei Antragstellung) ergibt sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII. Zudem war bei der Klägerin bis zum 19.07.2017 ein Mehrbedarf von 46,92 Euro für Alleinerziehende nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII zu berücksichtigen. Danach beträgt der Mehrbedarf 12 vom Hundert des Regelbedarfs nach Stufe 1 für jedes minderjährige Kind,
im Fall der Klägerin für die Tochter I. Die Beklagte geht auch insoweit zu Recht und im Übrigen von der Klägerin auch nicht
beanstandet von nach § 35 SGB XII zu berücksichtigenden anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 212,50 Euro aus. Auf diesen Gesamtbedarf in
Höhe von 650,62 Euro ist das Einkommen der Klägerin anzurechnen. Hierzu zählt unstreitig die Erwerbsminderungsrente i.H.v.
555,22 Euro. Überdies ist - wie von der Beklagten und dem Sozialgericht zutreffend angenommen - das Kindergeld für die Kinder
N und E der Klägerin als Einkommen zuzuordnen. Damit überstieg bereits im Jahr 2014 das Gesamteinkommen der Klägerin in Höhe
von 923,22 EUR ihren Bedarf bei weitem.
Zum Einkommen gehören gemäß § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB XII, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit,
bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des
notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34 SGB XII, benötigt wird (§ 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII).
Aus § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII ergibt sich demnach, dass das Kindergeld sozialhilferechtlich grundsätzlich als Einkommen des Kindergeldberechtigten anzusehen
ist. Dies entspricht der Regelung in §
62 EStG, nach der ein Anspruch auf Kindergeld nicht dem jeweiligen Kind zusteht, sondern einem Anspruchsberechtigten - in der Regel
einem Elternteil - für berücksichtigungsfähige Kinder. § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII sieht demgegenüber lediglich eine Ausnahme für minderjährige Kinder vor, die ihren Lebensunterhalt ansonsten nicht decken
können. Nach der gesetzlichen Regelung bleibt es in allen anderen Fällen bei der grundsätzlichen Zuordnung des Kindergeldes
als Einkommen des Kindergeldberechtigten. Denn § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII ist mit dem Ziel eingeführt worden, die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen (vgl. BT-Drs. 15/1514,
S. 65, zum damaligen § 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Da minderjährige Kinder typischerweise in einem gemeinsamen Haushalt mit den Eltern wirtschaften, ist die Regelung gerade
auf die besondere Bedarfslage minderjähriger Kinder zugeschnitten, denen gegenüber die Eltern nach §
1603 Abs.
2 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) uneingeschränkt unterhaltsverpflichtet sind. Das Kindergeld soll insoweit die ausgefallene Unterhaltsleistung der Eltern
ersetzen und den sozialhilferechtlichen Bedarf des Kindes decken helfen. Eine Zuordnung des Kindergeldes für volljährige Kinder
als deren Einkommen ist weder vom Wortlaut noch von Sinn und Zweck der Regelung umfasst. Sie ist deshalb auf Volljährige nicht
entsprechend anwendbar (BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 9b SO 5/06 R -, juris Rn. 19 ff.).
Das an ein Elternteil als Kindergeldberechtigten ausgezahlte Kindergeld ist nach der Rechtsprechung des BSG ferner dann als Einkommen eines volljährigen, außerhalb des Haushaltes lebenden Kindes zu berücksichtigen, soweit es ihm
zeitnah (innerhalb eines Monats nach Auszahlung bzw. Überweisung des Kindergeldes) zugewendet wird und ohne die Weiterleitung
des Kindergeldes die Voraussetzungen des §
74 EStG für eine Abzweigung des Kindergeldes vorliegen würden (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 23/06 R -, juris Rn. 14). Dies verändert indes nicht die grundsätzliche Zuordnung des
Kindergeldes als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils. Wem die Kindergeldzahlung als Einkommen zuzurechnen ist,
ist allerdings von der Frage zu unterscheiden, welche Auswirkungen eine Weiterleitung hat (BSG, a.a.O, Rn. 23). Wird Kindergeld nachweislich weitergeleitet, stellt es kein bereites Mittel des Elternteils mehr dar (vgl.
BSG, a.a.O., juris Rn. 14). Dabei hat das BSG ausdrücklich offengelassen, ob dies auch für volljährige Kinder zu gelten hat, die innerhalb des Haushalts des Kindergeldberechtigten
leben (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 23; auch in dem ein behindertes volljähriges Kind betreffenden Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R -, juris
Rn. 23, bedurfte es keiner Entscheidung).
Der 20.Senat des LSG NRW hat in seinem Urteil vom 26.04.2009 zum Az. L 20 SO 99/07 (juris Rn. 29) die Ausnahme-Rechtsprechung
des BSG auf die Situation im Haushalt lebender volljähriger Kinder übertragen, da kein Grund ersichtlich sei, für die beiden Personengruppen
unterschiedliche Maßstäbe anzulegen.
Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsauffassung nicht. Sie verkennt den signifikanten Unterschied zwischen der Lage volljähriger
Kinder mit eigener Wohnung im Vergleich zu derjenigen solcher, die innerhalb der elterlichen Wohnung leben. Dieser ergibt
sich aus dem Umstand, dass Letztere nach allgemeiner Lebenserfahrung in der Regel gemeinsam mit den Eltern wirtschaften. Es
ist daher in den meisten Fällen keine derart scharfe Abgrenzung bereiter und nicht bereiter Mittel möglich, wie sie im Fall
volljähriger Kinder mit eigenem Haushalt vorgenommen werden kann. Demgegenüber steht das an auswärtig wohnende Kinder weitergeleitete
Kindergeld für den Lebensunterhalt des Kindergeldberechtigten und der mit ihm gemeinsam wirtschaftenden Familienmitglieder
eindeutig nicht mehr zur Verfügung. Wirtschaften Kindergeldberechtigte und ihre Kinder jedoch - wie hier - in einem gemeinsamen
Haushalt "aus einem Topf", wird das ausgezahlte Kindergeld in der Regel auch für den Lebensunterhalt des Kindergeldberechtigten
mitverwendet.
Von daher ist es nicht gerechtfertigt, die grundsätzliche gesetzgeberische Wertung, dass Kindergeld nur im Fall der eigenen
Bedürftigkeit eines minderjährigen Kindes nicht als Einkommen des Kindergeldberechtigten berücksichtigt werden soll, zu konterkarieren.
Die Möglichkeit, dass ein Antragsteller durch Weiterleitung seine eigene Bedürftigkeit herbeiführen kann, muss auf absolute
Ausnahmen beschränkt sein.
Ob eine Übertragung der Grundsätze aus der oben zitierten, die außerhalb des Haushaltes lebenden volljährigen Kinder betreffenden
Rechtsprechung des BSG in Betracht kommt, wenn das volljährige Kind innerhalb der Wohnung des Kindergeldberechtigten einen eigenen Haushalt führt,
mit der Folge, dass das Kindergeld auch in diesen Fällen dem Kindergeldberechtigten nach Weiterleitung nicht mehr als bereites
Mittel zur Verfügung steht, kann hier dahinstehen. Dabei dürfte es sich um Grenzbereiche handeln, die sich der Nachvollziehbarkeit
entziehen. Die Klägerin hat hier zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass ihre Töchter N und E einen eigenen Haushalt führten.
Ihr Vortrag und ihre Angaben im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht am 13.04.2016 belegen vielmehr, dass ein gemeinsamer
Haushalt bestand und besteht.
Seit Antragstellung haben sich lediglich geringfügige Anpassungen der Regelbedarfsstufen, sowie Anpassungen der Renten- und
Kindergeldzahlungen ergeben. Unter deren Berücksichtigung ergibt sich auch für die Folgezeit kein Anspruch der Klägerin auf
Grundsicherungsleistungen.
III. Außergerichtliche Kosten sind auch in diesem Rechtszug nicht zu erstatten (§
193 SGG).
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nr.
1,
2 SGG) bestehen nicht.