Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Rentenwechsels in § 34 Abs. 4 SGB VI
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Umwandlung der ihm gewährten Altersrente nach Altersteilzeitarbeit in eine Altersrente für besonders
langjährig Versicherte nach der am 1.7.2014 in Kraft getretenen Regelung des §
236b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI).
Der 1951 geborene Kläger war bis Ende 2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Die aufgrund einer Teilzeitvereinbarung mit
seinem letzten Arbeitgeber vereinbarte Freistellungsphase endete am 31.12.2012.
Im Oktober 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit (§
237 SGB VI).
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 31.1.2013 eine Altersrente nach Altersteilzeitarbeit ab dem 1.1.2013.
Der laufende Zahlbetrag belief sich zunächst auf monatlich netto 1.085,74 EUR. Dabei berücksichtigte sie wegen der vorzeitigen
Inanspruchnahme der Rente einen verminderten Zugangsfaktor. Dieser betrug für die 47-monatige frühere Inanspruchnahme des
Anspruchs auf Rente 0,141 (Anlage 6 des Bescheides). Der auf Gewährung eines höheren Auszahlungsbetrages gerichtete Widerspruch
des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2013 zurückgewiesen. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden. Der
Kläger bezog in der Folgezeit laufend die ihm bewilligte Altersrente mit vermindertem Zugangsfaktor.
Mit einem bei der Beklagten am 21.7.2014 eingegangenen Schreiben vom 15.7.2014 stellte der Kläger einen Antrag auf Wechsel
in die abschlagsfreie Rente mit 63 für besonders langjährig Versicherte.
Mit Bescheid vom 7.8.2014 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil der Kläger bereits eine Altersrente nach Altersteilzeitarbeit
beziehe. Nach geltendem Recht (§
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI) sei ein Wechsel in eine andere Altersrentenart ausgeschlossen.
Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.9.2014 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger am 24.10.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Speyer erhoben und die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für langjährig Versicherte begehrt.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4.3.2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch
auf eine abschlagfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte habe. Zwar erfülle der Kläger die Voraussetzungen
der Altersrente für besonders langjährig Versicherte auf Grundlage der zum 1.7.2014 in Kraft getretenen Vorschrift des §
38 SGB VI i.V.m. §
236b Abs.
1 SGB VI. Ausgeschlossen sei der tatsächliche Rentenbezug der Altersrente für besonders langjährig Versicherte allerdings wegen der
Ausschlussregelung des §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI. Diese Vorschrift bestimme, dass nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters und für Zeiten des Bezugs einer solchen
Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen sei. Dieser Ausschlussgrund treffe auf den Kläger zu. Ihm
sei durch bestandskräftigen Bescheid eine Altersrente nach Altersteilzeit ab dem 1.1.2013 bewilligt worden. Der Wechsel in
eine andere Rente wegen Alters sei ihm demnach verwehrt. Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts sprächen keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen die Anwendung des §
34 Abs.
4 SGB VI. Insbesondere sei eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nicht gegeben.
Gegen den dem Kläger am 7.3.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 25.3.2015 Berufung eingelegt.
Der Kläger trägt vor, er habe das umlagefinanzierte Rentensystem ebenso getragen wie andere und sehe keinen sachlichen Grund,
nicht die abschlagsfreie Rente auch für sich zu erhalten. Die Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Rentnern halte er
für eine ungerechtfertigte Diskriminierung. Er sehe sich durch die Ablehnung in seinem Grundrecht aus Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) verletzt. Im Vergleich zu anderen teilzeitbeschäftigten älteren Arbeitnehmern werde er ungleich behandelt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 4.3.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7.8.2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30.9.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm an Stelle der gewährten Altersrente nach
Altersteilzeit ab Antragstellung eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu gewähren,
hilfsweise
das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung des SG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten und die Verwaltungsakten der Beklagten
Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 7.8.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2014, mit
dem die Beklagte die Umwandlung der dem Kläger ab 1.1.2013 mit bestandskräftigem Bescheid vom 31.1.2013 bewilligten Altersrente
nach Altersteilzeitarbeit i.S.d. §
237 SGB VI ab Antragstellung in eine abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte i.S. des §
236b SGB VI abgelehnt hat. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gemäß §
34 Abs.
4 SGB VI ist nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine
1. Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Erziehungsrente oder 3. andere Rente wegen Alters ausgeschlossen. Die für
den vorliegend streitigen Wechsel von der Altersrente nach Altersteilzeit in eine Altersrente nach Altersteilzeit für besonders
langjährig Versicherte maßgebliche Vorschrift des §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI sieht folglich vor, dass ein Altersrentner dauerhaft Bezieher dieser Altersrente bleiben soll. §
34 Abs.
4 SGB VI schließt als Ausschlusstatbestand die Möglichkeit des Wechsels in eine andere Altersrentenart nach bindender Bewilligung
oder für Zeiten des Bezugs der Altersrente ausdrücklich aus (Freudenberg in jurisPK-
SGB VI, §
34 Rdnr. 23, 81ff m.w.N, Jassat/Kreikebohm in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, §
34 SGB VI Rdnr. 23) und zwar auch dann, wenn sich bei einem Wechsel von einer Altersrente, ggf. mit erheblichen Rentenabschlägen wegen
vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente, in eine andere ein günstigerer Zugangsfaktor ergeben würde (Freudenberg, a.a.O.). Mit
der Regelung wird sichergestellt, dass der Versicherte, der sich für eine vorzeitige Altersrente entschieden und zumindest
vom Vollzeitarbeitsmarkt abgewandt hat, dauerhaft Bezieher dieser Leistung bleibt. §
34 Abs.
4 SGB VI soll Dispositionen zu Lasten der Versichertengemeinschaft ausschließen. Die Versicherten werden folglich an ihrer Disposition
festgehalten und haben deren Folgen, nämlich die Reduzierung des Zugangsfaktors wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der
Altersrente, zu tragen. Gegen die Regelung des §
34 Abs.
4 SGB VI bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BSG, Urteil vom 26.7.2007 - B 13 R 44/06 R). Daher ist die vom Kläger begehrte Umwandlung der Altersrente nach Altersteilzeitarbeit ab Antragstellung in eine abschlagfreie
Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI ausgeschlossen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI liegen vor. Die Beklagte hat dem Kläger durch bestandskräftigen Bescheid vom 31.1.2013 zum 1.1.2013 eine Altersrente nach
Altersteilzeit bewilligt. Dieser hat die Altersrente seit diesem Tag auch tatsächlich bezogen und bezieht sie auch weiterhin.
Die begehrte Umwandlung stellt einen Wechsel i.S. des §
34 Abs.
4 SGB VI dar, weil die Anspruchsvoraussetzungen für die gewünschte abschlagfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte
erst nach der Bewilligung und während des Bezugs dieser Altersrente eingetreten sind. Dass die Absenkung des Zugangsfaktors
bei vorgezogenen Altersrenten, die längere Rentenlaufzeiten infolge eines vorgezogenen Rentenbeginns ausgleichen und die Kostenneutralität
vorgezogener Rentenleistungen sicherstellen soll, verfassungsgemäß ist und zur Sicherung der Finanzierung des Systems der
gesetzlichen Rentenversicherung und damit zur Erhaltung dessen Funktionsfähigkeit gerechtfertigt ist hat das Bundesverfassungsgericht
bereits entschieden (BVerfG, Beschluss vom 7.2.2011 - 1 BvR 642/09 m.w.N.). Rentenabschläge an sich sind nach Auffassung des BVerfG zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art.
14 GG. Der Versicherte, der sich in Kenntnis des konkreten Abschlags wegen des vorzeitigen Rentenbezugs, d.h. also sehenden Auges
für eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente entschieden und die damit verbundenen Vorteile in Anspruch genommen
hat, hatte für diesen Zuwachs an individueller Freiheit im Alter mit einer dauerhaften Rentenkürzung für den früheren Renteneintritt
zu rechnen.
Durch die zum 1.7.2014 in Kraft getretene Vorschrift des §
236b SGB VI ergibt sich keine andere Beurteilung. Nach Absatz
1 der Vorschrift haben Versicherte, die vor dem 1.1.1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig
Versicherte, wenn sie 1. das 63. Lebensjahr vollendet und 2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben. Der Gesetzgeber die
Regelung des §
236b SGB VI am 1.7.2014 in Kraft gesetzt und es bei der Vorschrift des §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI belassen, so dass für die Bestandsrentner ein Wechsel in die abschlagfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte
i.S. des §
236b SGB VI ausgeschlossen ist (Gürtner in KassKomm, §
236b SGB VI Rdnr. 3).
Der Senat hat gegen diese Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken, so dass eine Vorlage nach Art.
100 Abs.
1 GG iVm. § 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nicht geboten ist.
Es obliegt dem Gesetzgeber, zu entscheiden, ob ein Rechtsgebiet der Novellierung bedarf und ab wann eine Neuregelung in Kraft
treten soll, insbesondere, in welchem Umfang und ab wann Verbesserungen gewähren werden sollen. Der Gesetzgeber hat einen
weiten Gestaltungsspielraum, der es ihm erlaubt, die zum 1.7.2014 gewährte Vergünstigung nicht auf Bestandsrentner auszudehnen
und daher auch keine Ausnahme von der für alle Altersrentner geltenden Regelung des §
34 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI vorzusehen. §
34 Abs.
4 SGB VI hat in erster Linie den Zweck, die Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren und damit
die Funktionsfähigkeit des Systems als solches zu gewährleisten. Entschließt sich ein Versicherter, Versicherungsrente zum
denkbar frühesten Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, der gesetzlich möglich ist, hat er auf Grund der damit zumindest statistisch
zu erwartenden längeren Rentenlaufzeit auch erhebliche Rentenabschläge in Kauf zu nehmen. Die Rentenlaufzeit verkürzt sich
nicht durch den bloßen Wechsel in eine andere Rentenart wegen Alters. Im Hinblick auf die Sicherstellung der Finanzierbarkeit
und der Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung durfte der Gesetzgeber darauf verzichten, die bereits
abgeschlossenen Rentenvorgänge der Bestandsrentner aufzugreifen und diese in die ohnehin nur zeitlich begrenzte Privilegierung
einzubeziehen. Weshalb es geboten gewesen sein sollte, den Kläger gegenüber anderen Altersrentnern oder aber den anderen in
§ 34 Abs. 4 Nrn. 1 und 2 genannten Rentnern, denen die Umwandlung ebenfalls verwehrt ist, zu begünstigen, ist nicht überzeugend
vorgetragen worden. Eine Ungleichbehandlung i.S. des Art.
3 Abs.
1 GG zwischen Versicherten, die ab 1.7.2014 erstmals eine abschlagfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte beziehen
und Bestandsrentnern, die die Anspruchsvoraussetzungen des §
236b SGB VI aufgrund einer früheren Bewilligung oder des Bezugs einer der in §
34 Abs. 4 genannten Rente, liegt nicht vor. Der Gesetzgeber ist zwar an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Ungleichbehandlungen
innerhalb einer vergleichbaren Personengruppe sind auch nur durch vernünftige, sachliche Gründe zu rechtfertigen. Allerdings
handelt es sich vorliegend wegen des Rentenbezugs einer der beiden Gruppen nicht um eine vergleichbare Gruppe von Normadressaten.
Abgesehen davon steht es dem Gesetzgeber frei, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzufügen (BVerfG, Urteil
vom 7. 7.1992 - 1 BvL 51/86 m.w.N.). Zwar müssen Stichtage im Hinblick auf den zu regelnden Gegenstand sachbezogen sein. Die mit dem Stichtag einhergehende
Differenzierung bzw. Typisierung muss auch in Einklang mit dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Regelungsprinzip stehen. Erklärtes
Ziel der gesetzlichen Regelung der abschlagfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist es gewesen, diejenigen
zu bedenken, die ihr Arbeitsleben bereits früh begonnen und in 45 Beitragsjahren die Rentenversicherung maßgeblich gestützt
hätten. Die angestrebte Begünstigung kommt allerdings wegen des Unterscheidungsmerkmals des Stichtags 1.7.2014 nicht den Bestandsrentnern
zu, wobei die hierfür angeführte angespannte Finanzlage sowie der Hinweis auf die zeitliche Befristung der Sonderregelung
des §
236b SGB VI den Begünstigungsausschluss durchaus rechtfertigen und als sachlicher Grund für diese typische Stichtagsregelung zu sehen
sind (ebenso bereits LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.5.2015 - L 7 R 5354/14 und SG Dortmund, Urteil vom 12.6.2015 - S 61 R 108/15).
Daher war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG) liegen nicht vor.