Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) ab dem 14. September 2011 streitig.
Der 1982 geborene Kläger schloss die Schule mit dem Abschlusszeugnis der 7. Klasse ab. Danach absolvierte er ein Berufsvorbereitungsjahr.
Die anschließende, im Oktober 1999 begonnene Ausbildung zum Maler und Lackierer brach er im März 2002 ab. Den Grundwehrdienst
ab April 2002 beendete der Kläger vorzeitig im Dezember 2002 als dienstunfähig. Er erhielt von Januar 2003 bis Dezember 2004
Arbeitslosengeld. Seit Januar 2005 bezieht er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 14. September 2011 die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Er sei seit
Ende 2009 wegen Depressionen, Angststörungen und schweren Schlafstörungen erwerbsgemindert.
Die Beklagte zog das Gutachten nach Aktenlage von der Ärztin der Agentur für Arbeit Magdeburg Dr. W. vom 11. März 2011 bei.
Diese bescheinigte dem Kläger unter Berücksichtigung seiner psychischen Minderbelastbarkeit ein vollschichtiges Leistungsvermögen.
Dem Gutachten war das auf Veranlassung der Agentur für Arbeit M. von der Nervenärztin Dr. G. erstattete neurologisch-psychiatrische
Gutachten vom 26. Februar 2011 beigefügt. Der Kläger sei in gutem körperlichen Zustand. Der neurologische Befund sei in allen
Teilen regelrecht. Es bestehe eine Drogenerkrankung, wobei der Kläger glaubhaft seit 2 Jahren abstinent sei. Dieser müsse
lernen, seinen Tag zu strukturieren. Er sei in der Lage, z.B. als Malerhelfer zu arbeiten. Maßnahmen zur Eingliederung in
den Arbeitsprozess seien notwendig. Ferner lag Dr. W. das psychologische Gutachten der Dipl.-Psych. K1 vom 30. April 2010
vor. Danach sei die psychische Belastbarkeit des Klägers deutlich eingeschränkt. Für einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten sei
keine Erwerbsfähigkeit gegeben.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2012 den Rentenantrag
ab. Beim Kläger bestehe ein Leistungsvermögen im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich für schwere Arbeiten mit weiteren
Funktionseinschränkungen.
Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 8. Mai 2012 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt. Aufgrund psychischer
Erkrankungen bestehe kein Leistungsvermögen von 3 oder mehr Stunden täglich.
Das Sozialgericht hat das nach Aktenlage für die Agentur für Arbeit M. erstattete Gutachten der Fachärztin für Arbeitsmedizin
Dr. B1 vom 1. August 2012 beigezogen. Danach bestehe wegen einer behandlungsbedürftigen Suchterkrankung eine Leistungsfähigkeit
von täglich weniger als 3 Stunden für voraussichtlich bis zu 6 Monaten. Eine Langzeitentwöhnung sei notwendig. Dem Gutachten
war ein weiteres Gutachten von Dr. G. vom 12. Juli 2012 beigefügt. Als Diagnosen wurden eine Alkohol-, eine Drogensucht (mit
der Angabe einer Abstinenz von 3 Jahren) und eine emotionale Instabilität angeführt. Der Kläger habe sich wenig bereit gezeigt,
seine Situation zu ändern - „oder tat jedenfalls so“. Seine intellektuellen Fähigkeiten seien gut und rechtfertigten keinesfalls
einen 7-Klassenabschluss. Eine erneute Suchttherapie sei dringend erforderlich.
Der Kläger hat Teil B des Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. K2 vom 2. Mai 2013, erstattet für die Agentur für
Arbeit M., vorgelegt. Danach liege beim Kläger eine chronifizierte psychische Erkrankung mit Störung des Sozialverhaltens
vor. Hinweise auf einen derzeit bestehenden leistungsrelevanten Substanzmissbrauch hätten sich nicht ergeben. Es bestehe ein
vollschichtiges Leistungsvermögen für schwere Arbeiten ohne höhere psychomentale Anforderungen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. hat unter dem 30. August 2013 den
Verdacht auf eine depressive Episode benannt. Ansonsten habe der Kläger keine weiteren Beschwerden beklagt. Es seien auch
keine weiteren Störungen objektivierbar gewesen. Eine Diagnostik habe der Kläger nicht gewünscht. Sie habe ihn mehrfach genötigt,
einen Facharzt aufzusuchen. Dies sei wahrscheinlich nie geschehen, sie habe jedenfalls keine Befunde. Die Psychologische Psychotherapeutin
Dipl.-Psych. T. hat unter dem 4. September 2013 als Diagnosen eine leichte depressive Episode und den Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung
(bei hohem Intelligenzniveau) benannt. Der Kläger lehne sämtliche Maßnahmen (Wiedereingliederung bzw. berufliche Rehabilitation,
psychische Mitbehandlung, stationäre Therapie und/oder psychosomatische Rehakur) ab.
Der Kläger hat das Gutachten von Dipl.-Med. S1. für die Agentur für Arbeit Magdeburg vom 16. September 2014 vorgelegt. Wegen
einer fortbestehenden psychischen Minderbelastbarkeit bestehe ein Leistungsvermögen von täglich weniger als 3 Stunden voraussichtlich
über 6 Monate, aber nicht auf Dauer. Sie hat das psychologische Gutachten der Dipl.-Psych. S2 vom 14. April 2014 beigefügt.
Diese hat berichtet, dass keine Befunde von behandelnden Ärzten oder Therapeuten hätten hinzugezogen werden können. Der Kläger
werde den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes an die psychische Belastbarkeit, die soziale Kompetenz und das Durchhaltevermögen
derzeit nicht gewachsen sein können. Empfohlen werde erneut eine medizinische Intervention (Gesprächspsychotherapie).
Dr. L. hat in einem weiteren Befundbericht vom 21. Januar 2016 bei einer letztmaligen Behandlung am 24. April 2015 mitgeteilt,
organisch sei beim Kläger nichts festzustellen. Einschränkungen basierten lediglich auf dessen Aussage und seien nicht zu
objektivieren. Psychologische Mitbehandlungen habe der Kläger monatelang hinausgezögert. Er könne öffentliche Verkehrsmittel
benutzen, Wegstrecken zu Fuß zurücklegen und 8 Stunden stehen/sitzen.
Das Sozialgericht hat die Epikrise des Klinikums M. vom 2. Juni 2016 über die stationäre psychiatrische Behandlung des Klägers
vom 8. April bis zum 10. Mai 2016 beigezogen. Dieser habe berichtet, seit einem Jahr keine feste Nahrung zu sich nehmen zu
können. In dem Bericht ist mitgeteilt worden, die nach ausreichender Stabilisierung durchgeführten Belastungserprobungen in
der Häuslichkeit habe der Kläger gut bewältigt. Er sei in stabilisiertem psychischen und psychischen Zustand entlassen worden.
Das Sozialgericht hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. B2 das Gutachten vom 28. Mai 2017 auf der
Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 23. Februar 2017 erstatten lassen. Dieser habe angegeben, viel Rad
zu fahren zu Hause und jeden zweiten Tag Sport zu betreiben. Wegen Sturmwarnung sei er nicht mit dem Fahrrad, sondern mit
öffentlichen Verkehrsmitteln zur Begutachtung gefahren. Momentan leide er nicht unter Panik. Er habe von Februar bis Dezember
2010 und von Anfang 2013 bis Dezember 2013 eine ambulante Verhaltenstherapie absolviert. Zu einer Therapieverlängerung sei
es nicht gekommen, da die Therapie für ihn nicht gewinnbringend gewesen sei. Seit Ende Sommer 2016 erfolge eine ambulante
Verhaltenstherapie bei Dipl.-Psych. F.. Die Gutachterin hat als Diagnosen Angstphänomene, depressive Stimmungseinbrüche, soziale
Vermeidungstendenzen, Nikotinabhängigkeit und anamnestisch Politoxikomanie im Rahmen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung
mit ängstlichvermeidenden, zwanghaften und narzisstischen Störungsanteilen benannt. Der Kläger sei Arbeiten mit geistig schwierigen
Anforderungen sowie mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Übersicht und Aufmerksamkeit
gewachsen. Arbeiten mit Übernahme von Verantwortung für andere Menschen, in Wechsel-/Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck
und mit häufigem Publikumsverkehr seien zu vermeiden. Ansonsten bestünden keine Einschränkungen. Der Kläger sei in der Lage,
die zumutbaren Arbeiten mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Er könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Er sei nicht
im Besitz eines Führerscheins. Beim Kläger seien bereits eine gewisse Stabilisierung seines Befindens und Fortschritte in
der Selbstregulation erreicht worden (Drogenabstinenz, eigenständige Lebensführung, auch wieder die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel, Verbesserung der sozialen Interaktion in der Herkunftsfamilie, körperliche Aktivierung). Angezeigt wäre eine
längerfristige stationäre psychotherapeutische Behandlung. Eine derartige zumutbare Behandlung könne in absehbarer Zeit (4
bis Monate) zu einer weiteren Verbesserung führen. Eine ausreichende Motivation werde jedoch erst nach Abschluss des Rentenverfahrens
gegeben sein.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2017 abgewiesen. Der Kläger sei weder teilweise noch erwerbsgemindert.
Er sei noch in der Lage, vollschichtig zumutbare Arbeiten unter Berücksichtigung der von der Sachverständigen B2 aufgeführten
qualitativen Einschränkungen regelmäßig an 5 Tagen in der Woche ohne Abweichung vom betriebsüblichen Ablauf zu verrichten.
Gegen das ihm am 25. Oktober 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. November 2017 Berufung beim Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt eingelegt. Er meide stringent öffentliche Verkehrsmittel sowie soziale Kontakte und lebe sozial zurückgezogen.
Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei der Begutachtung durch Dipl.-Psych. B2 sei den witterungsbedingten Verhältnissen
geschuldet gewesen. Er nehme keine privaten Aktivitäten mehr wahr. Seit 2017 befinde er sich nicht mehr in ärztlicher Behandlung
und habe auch an keiner psychotherapeutischen Behandlung teilgenommen. Es gehöre zu seinem Beschwerdebild, sich auf bestimmte
Therapieformen nicht einlassen zu können. Er habe 2016 seine Medikamente zur Beibehaltung des natürlichen Chemiehaushalts
seines Körpers abgesetzt. Ohne Medikamente fühle er sich besser.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Oktober 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm ab 14. September 2011 Rente
wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für zutreffend.
Der Senat hat Befundberichte von Dr. L. vom 3. Juli 2018 und von dem Diplom-Psychologen F1 vom 2. Juli 2018 eingeholt. Dr.
L. hat in dem Behandlungszeitraum bis zum 18. September 2017 auf unregelmäßige Konsultationen des Klägers verwiesen. Ihr lägen
keine Befunde vor. Der Kläger sei dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zuzuführen. Es bestünden erhebliche psychische Funktionseinschränkungen.
Dipl.-Psych. F1 hat eine Behandlung des Klägers ab 5. Juli 2016 bis zur vorzeitigen Beendigung am 6. April 2017 nach wiederholten
Absagen durch diesen mitgeteilt. Als Diagnosen hat er eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, eine depressive Entwicklung
und eine spezifisch isolierte Phobie angegeben. Die psychotherapeutischen Interventionen hätten zu keiner signifikanten Veränderung
des Störungsbildes geführt.
Der Senat hat den Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. F2 das Gutachten vom 18. August 2020 auf der Grundlage
einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 23. Juli 2020 erstatten lassen. Dieser habe angegeben, wenn er nach draußen gehe,
z.B. mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahre, würde es häufiger zu Panikattacken kommen. Sein Tag-Nacht-Rhythmus sei gestört.
In der Woche würde er nur 2- bis 3mal 12 bis 13 Stunden schlafen. Er vermeide soziale Kontakte und gehe einmal wöchentlich
zum Einkaufen nach draußen. Der Gutachter hat als Diagnosen eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotionalinstabilen
und dissozialen Anteilen, eine Angststörung in Form einer Agoraphobie mit Panikstörung, eine ausgeprägte Schlafstörung mit
aufgehobenem Schlaf-Nacht-Rhythmus (muss heißen: Tag-Nacht-Rhythmus) sowie eine Alkohol- und Drogenabhängigkeit, derzeit abstinent,
benannt. Die Beschwerden seien im Hinblick auf die objektiven Untersuchungsbefunde glaubhaft. Im psychopathologischen Befund
seien die affektive Anteilslosigkeit sowie das Vermeidungsverhalten deutlich feststellbar gewesen. Der Kläger sei Arbeiten
mit schwierigen und mittelschwierigen geistigen Anforderungen sowie mit mehr als durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit
und Aufmerksamkeit nicht gewachsen. Er könne noch zumutbare Arbeiten für täglich 6 Stunden und mehr verrichten, z.B. im Rahmen
von Auslieferungsdiensten oder Archivtätigkeiten. Seine Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Kläger könne im Prinzip
öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Wegen der Gefahr vermehrter Panikattacken sei eine therapeutische Begleitung notwendig
bzw. sollte die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erst nach erfolgreich durchgeführter Psychotherapie verlangt werden. Er
beurteile die Leistungsfähigkeit nicht anders als die bisher gutachterlich tätig gewordenen Sachverständigen. Eine Verbesserung
der Leistungsfähigkeit sei durch eine ambulante und stationäre Psychotherapie möglich. Eine psychologische Testuntersuchung
wäre wünschenswert.
Auf Nachfrage des Senats hat Prof. Dr. F. unter dem 21. September 2020 mitgeteilt, die aufgrund der Corona-Pandemiesituation
nicht durch durchgeführte psychologischen Testuntersuchung sei entbehrlich. Weder wesentliche kognitive Leistungsdefizite
seien vorhanden noch lege der klinische Kontext eine Erwerbsunfähigkeit nahe.
In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 23. November 2020 hat der Gutachter angegeben, die Panikstörungen zwar nicht
objektivieren zu können. Die diesbezüglichen Angaben des Klägers seien jedoch glaubhaft. Mit Schreiben vom 13. Januar 2021
hat der Gutachter ergänzend mitgeteilt, nach einer Therapie von ca. 6 Monaten könne der Kläger öffentliche Verkehrsmittel
benutzen.
Im Erörterungstermin am 15. März 2021 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige, nach §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen,
die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
Der Senat konnte durch Beschluss über die Berufung des Klägers entscheiden und diese zurückweisen, weil sie nach der Beurteilung
aller beteiligten Richter unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Zudem sind die Beteiligten vorher
gehört worden (§
153 Abs.
4 Satz 1
SGG).
Die gemäß §
143 SGG statthafte und auch in der Form und Frist des §
151 SGG eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil
der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 14. September 2011
hat. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG).
Nach §
43 Abs.
1, Abs.
2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung,
wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit
erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens
drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens
sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach §
43 Abs.
3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Abweichend vom Wortlaut des §
43 Abs.
2 SGB VI haben aber auch Versicherte, die teilweise erwerbsgemindert sind, Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) führt die teilweise Erwerbsminderung bei praktischer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes für Tätigkeiten in einem
täglichen zeitlichen Rahmen von drei bis unter sechs Stunden zu einer vollen Erwerbsminderung auf Zeit (Bundessozialgerichts
[BSG], Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R [22]).
Wegen der "Simulationsnähe" von Erkrankungen mit psychischem Einschlag wird in der Rechtsprechung des BSG bei der Feststellung der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale ein strenger Maßstab gefordert. Für das tatsächliche Vorliegen
von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
trifft den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 5 RJ 48/03 R, juris).
1.
Nach den medizinischen Ermittlungen kann der Kläger seit dem 14. September 2011 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dabei geht der Senat von folgendem Leistungsbild aus: Der
Kläger kann noch körperlich schwere Arbeiten 6 Stunden und mehr täglich verrichten. Er ist Arbeiten mit geistig einfachen
Anforderungen sowie mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Übersicht und Aufmerksamkeit
gewachsen. Arbeiten mit Übernahme von Verantwortung für andere Menschen, in Wechsel-/Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck
und mit häufigem Publikumsverkehr sind zu vermeiden.
Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren,
insbesondere aus den Gutachten von Dipl.-Med. B2 vom 28. Mai 2017 und von Prof. Dr. F2 vom 18. August 2020. Deren Leistungseinschätzungen
werden in den Gutachten von Dr. W. vom 11. März 2011 und von Dr. K2 vom 2. Mai 2013 sowie in den Befundberichten von Dr. L.
vom 30. August 2013 und 21. Januar 2016 bestätigt.
Die Leistungsfähigkeit des Klägers wird ausschließlich durch psychiatrische Erkrankungen beeinträchtigt. Bei ihm bestehen
eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotionalinstabilen und dissozialen Anteilen, eine Angststörung in Form einer
Agoraphobie mit Panikstörung, eine ausgeprägte Schlafstörung mit aufgehobenem Tag-Nacht-Rhythmus und eine Alkohol- und Drogenabhängigkeit,
derzeit abstinent. Daraus resultieren ausschließlich qualitative, aber keine quantitativen Leistungseinschränkungen.
Im Gegensatz zu Dipl.-Med. B2 hat Prof. Dr. F2 im Rahmen der Begutachtung keine depressive Symptomatik feststellen können.
Er hat aufgezeigt, dass es durch die Persönlichkeitsstörung zu Problemen in der Affektregulation und in der zwischenmenschlichen
Interaktion komme. Durch die Instabilität und Impulsivität des Klägers sei der Aufbau eines vertrauensvollen Kontaktes mit
anderen Menschen schwierig. Dipl.-Med. B. hat mittelgradig ausgeprägte Störungen bezüglich der Fähigkeit zur Anpassung an
Regeln und Routinen, bezüglich Gruppenfähigkeit, Kritikvermögen und Kommunikationsfähigkeit sowie Anpassungs- und Unterordnungsfähigkeit
mit einem mittel- bis schwergradigen Einfluss auf Aktivität und Partizipation aufgezeigt. Beide Gutachter haben soziale Vermeidungstendenzen
beschrieben. Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr sind deshalb ausgeschlossen.
Dipl.-Psych. B2 hat bei der Begutachtung am 23. Februar 2017 zwar keine Defizite in der Gedächtnisleistung des Klägers aufzeigen
können. Konzentration und Aufmerksamkeit sind über den gesamten Untersuchungszeitraum gut erhalten gewesen. Wegen der von
Prof. Dr. F2 als glaubhaft erachteten, durch die Schlafstörungen hervorgerufenen Aufmerksamkeitsprobleme ist der Kläger Arbeiten
mit mehr als durchschnittlichen Anforderungen an mnestische Fähigkeiten und mit mehr als geistig einfachen Anforderungen trotz
der guten intellektuellen Fähigkeiten nicht mehr gewachsen.
Weitere Einschränkungen sind nicht aufgezeigt worden. Gründe, die einem mindestens 6stündigen täglichen Leistungsvermögen
des Klägers entgegenstehen, sind für den Senat nicht ersichtlich.
Die Tatsache, dass sich der Kläger seit 2017 weder in ärztlicher Behandlung befindet noch an psychotherapeutischen Maßnahmen
teilnimmt und darüber hinaus seit 2016 keine Medikamente mehr nimmt, spricht nicht für einen erheblichen Leidensdruck. Die
Auffassung des Klägers, dieses Verhalten sei Ausdruck seiner Erkrankung, entbehrt jeglicher Grundlage. Vielmehr halten die
ihn behandelnden Ärzte und die Gutachter weitere Maßnahmen zur Besserung seines Gesundheitszustandes und Wiedereingliederung
auf dem Arbeitsmarkt für zumutbar und erfolgversprechend. Die Ablehnung der empfohlenen ärztlichen Interventionen in Form
von ambulanten oder stationären Psychotherapien und medikamentösen Therapien sowie Maßnahmen zur beruflichen Teilhabe durch
den Kläger erfolgt jedenfalls aus ärztlicher Sicht ohne berechtigten Grund.
Sowohl die Hausärztin des Klägers Dr. L. als auch Dipl.-Psych. T. sowie die Gutachter Dipl.-Med. S1 und Dipl.-Psych. S2 haben
das Vorliegen von objektiven Befunden verneint. Dr. L. hat mehrfach darauf hingewiesen, dass beim Kläger keine Störungen zu
objektivieren gewesen sind. Die Einschränkungen beruhten ausschließlich auf dessen Angaben.
Insoweit ist die Einschätzung von Dr. L. in ihrem Befundbericht vom 3. Juli 2018 nach einer letztmaligen Behandlung des Klägers
am 18. September 2017 nicht nachvollziehbar. Aus der Tatsache unregelmäßiger Konsultationen ergibt sich keine fehlende Leistungsfähigkeit
für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erhebliche psychischen Funktionseinschränkungen sind mangels objektiver Befunde nicht nachgewiesen.
Der Senat folgt deshalb auch nicht der Leistungseinschätzung von Dipl.-Psych. K1 im Gutachten vom 30. April 2010. Die Gutachterin
hatte keine Befunde erhoben, aus denen eine quantitativ geminderte Leistungsfähigkeit resultierte. Vielmehr hatte sie auf
eine Behandlungsbedürftigkeit der „psychischen Behinderung“ verwiesen. Der Umstand jedoch, dass wegen einer psychischen Erkrankung
eine ambulante Psychotherapie stattfindet, lässt auf eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, nicht jedoch auf das Nichtvorliegen
von „Erwerbsfähigkeit“ schließen.
Aus diesem Grund ist auch die Leistungseinschätzung von Dr. B1 in ihrem Gutachten vom 1. August 2012 nicht nachvollziehbar.
Abgesehen davon, dass diese das Gutachten nach Aktenlage und nicht nach eigener Befundung erstattete, impliziert die Behandlungsbedürftigkeit
der von Dr. G. im beigefügten Gutachten vom 12. Juli 2012 aufgezeigten Alkoholsucht und emotionalen Instabilität keine Erwerbsminderung.
Ebenfalls keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung gibt die abweichende Auffassung von Dipl.-Med. S1, die sich auf das Gutachten
der Dipl.-Psych. S2 vom 14. April 2014 stützte. Das von dieser aufgezeigte quantitativ geminderte Leistungsvermögen auf weniger
als 3 Stunden täglich beruht auf keinen objektiven Befunden, sondern auf den subjektiven Angaben des Klägers.
2.
Der Kläger ist auch nicht deshalb ab dem 14. September 2011 voll oder teilweise erwerbsgemindert, weil er trotz des sechsstündigen
Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könnte. Es liegen keine
schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor.
Der Kläger ist darüber hinaus nicht in seinem Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen, relevant eingeschränkt. Zur Erwerbsfähigkeit
gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von
knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel
während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann
gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße eingeschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit
ist nicht erforderlich. Ist ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß erreichbar, ist der Arbeitsmarkt ebenfalls nicht verschlossen
(vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R, juris).
Der Kläger ist in seiner Gehfähigkeit nicht eingeschränkt. Er kann mehr als 500 m viermal täglich jeweils binnen 20 Minuten
zu Fuß bewältigen. Darüber hinaus kann er auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Er hat im Erörterungstermin am 15. März 2021 eingeräumt, dass er mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahre. Zur Wahrnehmung des
Termins ist er mit der Straßenbahn von Zuhause bis zum Hauptbahnhof M. und von dort mit dem Zug bis zum Hauptbahnhof H. gefahren.
Er hat bereits am 4. März 2021 um Übersendung einer Zugfahrkarte gebeten. Er hat somit die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
im Vorfeld des Termins geplant und nicht von seiner Tagesform abhängig gemacht. Panikattacken, die den Kläger an der Fahrt
zum Erörterungstermin gehindert hätten, sind für den Senat nicht ersichtlich und auch nicht Gegenstand dessen Vortrages im
Verhandlungstermin gewesen. Zudem ist der Kläger zu der Begutachtung durch Prof. Dr. F2 am 23. Juli 2020 mit der Straßenbahn
gefahren. Diesen Umstand hat der Gutachter bei seiner Einschätzung nicht berücksichtigt. Damit ist dessen Aussage, dass der
Kläger erst nach einer Psychotherapie von ca. 6 Monaten in der Lage sein werde, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, widerlegt.
Darüber hinaus hat Dipl.-Med. B2 die Fähigkeit des Klägers, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, bejaht. Dieser hat
den Weg zu der Gutachterin mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Er hat dort selbst angegeben, die Paniksymptomatik
sei „im Moment“ nicht vorhanden und er könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Er besuche 3mal wöchentlich seine Mutter.
Nach S. fahre er mit dem Fahrrad und weiter nach W. mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.