Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108
Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität
Anforderungen an den Beweismaßstab
Theorie der wesentlichen Bedingung
Hinreichende Wahrscheinlichkeit
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die
zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich waren oder sein können) bzw. Nr. 2110 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch
langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können) der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV).
Der 1950 geborene Kläger absolvierte ab 1965 eine Ausbildung zum Fräser und war zunächst mit Unterbrechung durch den Wehrdienst
in diesem Beruf tätig. Seit 1976 war er als Berufskraftfahrer bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Er beantragte am
11. Dezember 2008 die Anerkennung einer BK 2108 bzw. 2110 und legte seine beruflichen Tätigkeiten seit dem 1. September 1965
dar. In einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 4. August 2009 ermittelte der Technischer Aufsichtsdienst (TAD)
der Beklagten hinsichtlich der BK 2108 nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) eine Gesamtbelastung in Höhe von 44,5
MNh. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. K. verneinte in einer Stellungnahme vom 8. Juni 2010 das Vorliegen der medizinischen
Voraussetzungen für eine BK 2108 und 2110. Nach den Konsensempfehlungen liege eine Konstellation B 10 vor. Der Gewerbearzt
Dipl.-Med. S. empfahl in seiner Stellungnahme vom 9. August 2010 keine Anerkennung der Berufskrankheiten, weil das gleichzeitige
Vorkommen von Beschwerden sowohl im Bereich der LWS als auch der HWS und das Auftreten der Beschwerden in zeitlicher Nähe
zueinander für eine schicksalhafte Erkrankung spreche. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2010 sowohl
die Anerkennung einer BK 2108 als auch einer BK 2110 ab. Es spreche mehr für das Vorliegen anlagebedingter Ursachen der Wirbelsäulenerkrankungen.
Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren hat der Kläger beim Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht
hat ein Sachverständigengutachten von Dr. W. eingeholt. In ihrem Gutachten vom 21. Januar 2014 bejaht die Sachverständige
das Vorliegen einer Konstellation B 9 nach den Konsensempfehlungen zur Beurteilung bandscheibenbedingter Berufserkrankungen.
Gegebenenfalls komme auch eine Zuordnung zur Konstellation B 10 in Betracht. Als konkurrierende Ursache für die Wirbelsäulenbeschwerden
des Klägers wurde eine bestehende asymmetrische lumbosakrale Übergangsstörung benannt. Weitere anatomische Besonderheiten
der Wirbelsäule wurden erörtert. Nach den vorliegenden Befunden sah die Sachverständige keinen wahrscheinlichen Zusammenhang
zwischen den lumbalen Bandscheibenveränderungen und einer BK 2108/2110. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. Juli 2014
unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Dr. W. die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Das Gutachten von Dr. W. sei nicht objektiv und gehe auf die tatsächlichen
Ursachen seiner Erkrankung nicht ein. Sie begründe ihre Ausführungen zur Kausalität der Erkrankung nicht näher.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. Juli 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 8. September 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 aufzuheben und das Vorliegen einer BK 2108 und BK 2110 festzustellen, hilfsweise,
ein weiteres Gutachten nach §
109 SGG durch Dr. B. einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.
Der Senat hat im Berufungsverfahren ein orthopädisches Zusammenhangsgutachten von Dr. K. eingeholt. Dieser gelangt in seinem
Gutachten vom 19. Mai 2015 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine verschleißbedingte Bandscheibenerkrankung im Bereich der
Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, eine idiopathische Skoliose im Thorakolumbalbereich der Wirbelsäule und eine lumbosakrale
Übergangsstörung vorliege. Bildtechnisch sei das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Verschleißerkrankung der Segmente L4/5
und L 5/S1 nachgewiesen. Auch die mittlere und untere Halswirbelsäule zeige erhebliche verschleißbedingte Veränderungen. Die
erforderliche klinische Symptomatik für eine bandscheibenbedingte Erkrankung habe nicht nachgewiesen werden können. Insbesondere
habe sich ein provozierbarer Segmentschmerz nicht nachweisen lassen. Als konkurrierende Ursachen ließen sich eine links konvexe
Thorakalskoliose mit lumbaler Gegenkrümmung sowie eine Übergangsstörung im Segment L5/S1 finden. Dies spreche für eine schicksalhafte
Ursächlichkeit der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. Ebenso sei das erforderliche Schadensbild für eine BK 2110 nicht
zu sichern. Angesichts der geforderten jahrelangen und immer wiederkehrenden Schwingungen der gesamten Lendenwirbelsäule sei
es mit einem belastungskonformen Schadensbild nicht zu vereinbaren, wenn die Belastung nur in einem oder zwei Bewegungssegmenten
Spuren hinterließe. Auch hier bestünden zudem konkurrierende Ursachen in Form einer skoliotischen Fehlform der Wirbelsäule
wie einer lumbosakralen Übergangsstörung.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ein Gutachten des Facharztes für Neurochirurgie Dr. B. vom 30. Januar 2017 eingeholt. Danach finden sich beim Kläger im
Bereich der LWS und HWS ausgeprägte degenerative Veränderungen multisegmental. Hinsichtlich des Krankheitsverlaufes sei bemerkenswert,
dass der Kläger nur wenig wegen akuter Dorsalgien oder lumbo-pseudoradikulärer Beschwerden die Arbeit habe niederlegen müssen.
Die behandelnden Ärzte hätten sich zu dem nie veranlasst gesehen die bildgebende Diagnostik durch Schichtbildverfahren wie
CT oder MRT zu ergänzen. Der klinische Untersuchungsbefund unter Einbeziehung der bildgebenden Diagnostik spreche für ein
schicksalhaftes degeneratives Wirbelsäulenleiden im HWS wie im LWS Bereich. Dafür sprächen die lokalisatorischen Schwerpunkte
der Verschleißerscheinung in den unteren Segmenten der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte. Ein Zusammenhang mit der geltend
gemachten BK 2108 oder 2110 bestehe nicht.
Der Kläger hält das Gutachten von Dr. B. für unzureichend. Wahrscheinlich sei das Gutachten vor dem Hintergrund der Androhung
eines Ordnungsgeldes oberflächlich zusammengestellt worden. Die zeitliche Einordnung des Krankheitsverlaufs durch den Sachverständigen
sei unzutreffend. Das Gutachten sei erst mehr als ein halbes Jahr nach der Untersuchung des Klägers am 25. Juli 2016 am 30.
Januar 2017 abgesetzt worden. Ein eigenes MRT oder CT sei nicht erstellt worden. In einer Besprechung am 25. Juli 2016 habe
der Sachverständige hingegen geäußert, dass es nicht verständlich sei, warum in der Vergangenheit derartige Aufnahmen vom
Kläger nicht angefertigt worden seien. Ohne entsprechende bildgebende Verfahren durch CT und MRT sei heute überhaupt keine
Beurteilung mehr möglich, ob eine Berufskrankheit vorliege. Es sei daher ein neues Gutachten unter Anfertigung eines CT und
MRT durch Dr. B. in Nürnberg einzuholen. Hilfsweise sei Dr. B. zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.
Der Berichterstatter hat den Sachverständigen Dr. B. im Erörterungstermin am 17. Oktober 2017 ergänzend zu seinem Gutachten
gehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift verwiesen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass nach den Konsensempfehlungen nur ein asymmetrisch entwickelter Übergangswirbel der Annahme
einer BK 2108 entgegenstehe. Der Übergangswirbel bei ihm sei normal und symmetrisch entwickelt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§
124 Abs.
2,
155 Abs.
3,
4 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG)) erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des im Erörterungstermin vom 17. Oktober 2017 erklärten Einverständnisses der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter durch Urteil entscheiden (§§
124 Abs.
2,
155 Abs.
3,
4 SGG).
Die zulässige Berufung des Klägers (§§
143,
151 SGG) hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gotha hat die Klage zu Recht abgewiesen und einen Anspruch des Klägers auf Feststellung
einer BK 2108 und BK 2110 abgelehnt.
Der Bescheid vom 8. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten (§
54 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach Nr. 2108
bzw. 2110 der Anlage 1 zur
BKV.
Nach §
9 Abs.
1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet
und die ein Versicherter bei einer in den §§
2,
3 und
6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet. Nach §
1 der
BKV sind Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (sogenanntes Listenprinzip). In der Anlage 1 zur
BKV vom 31.10.1997 (
BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die
zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet.
Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher
Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität)
und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung
ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.
Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises
- also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu
beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit
(BSG, Urteil vom 04. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R - Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen,
die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - Juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von
der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann
der entsprechende Anspruch entfällt.
Ausgehend hiervon war der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen grundsätzlich auch ihrer Art nach gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK
2108 ausgesetzt. Diese Einwirkungen sind nach Überzeugung des Senats jedoch nicht als wesentliche Ursache der unstreitig bei
dem Kläger bestehenden Erkrankung der Lendenwirbelsäule wahrscheinlich zu machen.
Ausgehend von den auf der Grundlage der Angaben des Klägers und seiner Arbeitgeber erfolgten Berechnungen des TAD erfüllt
dieser die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2108. Hiernach unterlag er einer beruflichen Hebe-
und Tragebelastung, die der TAD ausweislich seines Berichtes vom 4. August 2009 im Ausmaß von 44,5 Meganewtonstunden (MNh)
ermittelt hat. Der TAD der Beklagten hat sich zur Kodifizierung der Hebe- und Tragebelastung des Klägers des sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodells
(MDD-Modell) bedient. Nach der Rechtsprechung (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R - Juris) ist dieses Modell eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit unbestimmten Rechtsbegriffen
umschriebenen Einwirkungen. Die so ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind
nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder Vorschläge zu verstehen. Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis
den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 44,5 MNh erheblich überschritten wurde. Es kommt daher im zu entscheidenden Fall nicht
darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf. hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreicht, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko
auszugehen. Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann allerdings angesichts der multifaktoriellen Entstehung
von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108
geschlossen werden. Vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG, Urteil vom 25. April 2015 - B 2 U 10/14 R - Juris).
In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden, insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule, in
allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Da diese Bandscheibenerkrankungen in Berufsgruppen, die
während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, ebenso vorkommen wie in solchen, die
schwere körperliche Arbeit geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen die hinreichende
Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhangs nicht begründen (vgl. Merkblatt zur BK 2108, Bekanntmachung des
BMAS, BArbBl. 10/2006, S.30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK 2108
war die medizinische Wissenschaft gehalten, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen
eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung bei
den bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule durch die auf Anregung vom Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften eingerichtete interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Bolm-Audorff u.a., Medizinische Beurteilungskriterien
für bandscheibenbedingte Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Konsensempfehlung zur Zusammenhangsbegutachtung, Trauma-
und Berufskrankheit, Heft 3/2005, S. 216). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung
gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die hinzugezogenen Sachverständigen
und die Gerichte diese Konsensempfehlungen zugrunde legen. Diese Konsensempfehlungen stellen nach wie vor den aktuellen Stand
der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch körperliche berufliche
Belastungen dar.
Unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung ist nach den Konsensempfehlungen,
Unterpunkt 1.3, der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens, d.h. einer Höhenminderung der Bandscheibe beziehungsweise
eines Bandscheibenvorfalls. Zwingend hinzutreten muss immer eine damit einhergehende klinische Symptomatik. Grundsätzlich
sind dabei heranzuziehen die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder sowie, wenn ein
Bandscheibenschaden sich bereits länger davor manifestiert hat, die zum Zeitpunkt der Erstmanifestation erstellten Röntgenbilder
(vergleiche Ziffer 1.2 der Konsensempfehlungen).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten
Erkrankung der Lendenwirbelsäule beim Kläger nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlung
des gesamten Verfahrens und insbesondere aus den eingeholten Gutachten. Beim Kläger liegt nach übereinstimmender Auffassung
aller Ärzte eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Insoweit führt der Sachverständige Dr. K. in seinem
Gutachten vom 19. Mai 2015 aus, dass sich im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers eine Verschmälerung der Bandscheibenfläche
L4/5 und L5/S1 im Sinne einer Diskose zeigt und im Segment L 4/5 sich zudem eine erstgradige Spondulose und eine erstgradige
Sklerose der Grund- und Deckenplatte findet. Dies gilt ebenfalls für das Segment L5/S1. Jedoch konnte die für die Annahme
einer Bandscheibenerkrankung nach den Konsensempfehlungen erforderliche klinisch segmentale Symptomatik beim Kläger nicht
nachgewiesen werden. Dr. K. führt in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 insoweit aus, dass sich ein provozierbarer Segmentschmerz
nicht nachweisen und sich auch keine typische Nervenwurzelreizung in den Segmenten L4/5 und L5/S1 feststellen ließ. Die festgestellte
klinische Symptomatik entsprach vielmehr einem diffusen sogenannten pseudoradikulären Rückenschmerz. Entscheidend gegen das
Vorliegen eines belastungskonformen Schadensbildes für die BK 2108 (dies gilt genauso für die BK 2110) spricht jedoch, dass
die verschleißbedingten Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule stärker ausgeprägt sind, als die im Bereich der Lendenwirbelsäule.
Typische bildgebende Veränderungen im Sinne einer sogenannten Begleitspondylose ließen sich röntgenologisch nicht sichern.
Die klinischen Symptome sprechen gegen einen segmentalen Bezug einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Mitkonkurrierende Ursachen
sind im Falle des Klägers sowohl eine Skoliose mit lumbaler Gegenkrümmung als auch eine asymmetrische lumbosakrale Übergangsstörung
im Segment L5/S1. Derartige konkurrierende Ursachenfaktoren schließen nach den Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung
die Anerkennung einer BK 2108 aus (vgl. Grosser in Grosser und andere, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule BK 2108", 1. Auflage Frankfurt 2014 S. 94). Diese Einschätzung steht mit dem Gutachten von Dr. W. vom 21.
Januar 2014 im Einklang. Auch diese stellte in ihrem Gutachten erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule
fest. Im Bereich der Lendenwirbelsäule beschreibt sie einen asymmetrischen lumbosakralen Übergangswirbel. Dies steht auch
im Einklang mit den Ausführungen des Beratungsarztes Dr. K. vom 8. Juni 2010, der das gleichzeitige Vorkommen von Beschwerden
sowohl im Bereich der Lendenwirbelsäule als auch der Halswirbelsäule als Zeichen für ein schicksalhaftes degeneratives Erkrankungsgeschehen
ansieht.
Auch der auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Neurochirurg Dr. B. bewertet in seinem Gutachten vom 30. Januar 2017 das
Wirbelsäulenleiden des Klägers im HWS- wie im LWS-Bereich als schicksalhaft degenerativ. Zur Begründung verweist er auf die
lokalisatorischen Schwerpunkte der Verschleißerscheinungen in den unteren Segmenten der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte.
Dr. B. beschreibt Fehlhaltungen im lumbosakralen Übergangsbereich. Auch eine rechts konvexe skoliotische Verformung in den
unteren Segmenten im LWS-Bereich wird beschrieben.
Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme vom 23. März 2017 das Gutachten von Dr. B. für unverwertbar bzw. unzureichend hält,
vermag er mit seinen Angriffen nicht durchzudringen. Die Untersuchung des Klägers erfolgte zwar bereits am 25. Juli 2016 und
die schriftliche Abfassung des Gutachtens erst am 30. Januar 2017 und damit 6 Monate später. Dies führt jedoch nicht zur Unverwertbarkeit
des Gutachtens. Am 25. Juli 2016 wurde ein aktueller neuroorthopädischer Befund erhoben. Dieser Befund konnte unproblematisch
notiert werden und stand damit bei der Abfassung des Gutachtens zur Verfügung. Im Gegensatz zu einem psychiatrischen Gutachten
steht die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nicht im Vordergrund. Kernaufgabe des neurochirurgischen Sachverständigen
ist es, die vorhandenen insbesondere bildgebenden Befunde entsprechend den Konsensempfehlungen auszuwerten.
Auch die inhaltlichen Angriffe gegen das Gutachten von Dr. B. überzeugen nicht. Die zeitliche Einordnung des Krankheitsverlaufes
ist zutreffend erfolgt. Soweit Dr. B. von Rückenbeschwerden zwischen dem 35. bis 40. Lebensjahr in seinem Gutachten berichtet,
ist dies bereits deshalb zutreffend, da sich entsprechende Hinweise in den Akten befinden. Die Sachverständige Dr. W. in ihrem
Gutachten vom 21. Januar 2014 führt aus, dass der Kläger ihr gegenüber von Wirbelsäulenbeschwerden mit Schmerzen im Nacken
und Kreuz etwa ab dem Jahre 1990 berichtet habe. Diese Beschwerden hätten im Laufe der Zeit zugenommen und er habe orthopädische
Behandlungen in Anspruch genommen. Aktenkundig ist der Bericht der Orthopädin Frau Dr. L. aus dem Jahre 2001 (Blatt 111 des
Verwaltungsvorgangs). Da bereits aufgrund der festgestellten konkurrierenden Ursachenfaktoren nach den Konsensempfehlungen
die Anerkennung einer BK 2108 ausgeschlossen ist, kommt es nach Auffassung des Senats allerdings nicht darauf an, inwieweit
ein mögliches, sehr frühzeitiges Auftreten einer bandscheibenbedingten Erkrankung für eine schicksalhafte Ursächlichkeit spricht.
Soweit der Kläger bemängelt, dass der Sachverständige Dr. B. kein CT oder MRT angeordnet hat und er die Bewertung der alten
Röntgenaufnahmen der HWS und der LWS als unzureichend ansieht, ist zu beachten, dass nach den bereits zitierten Konsensempfehlungen
und zwar hier deren Ziffer 1.2 im Rahmen der Begutachtung grundsätzlich heranzuziehen sind die der Aufgabe der gefährdenden
Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder sowie, wenn ein Bandscheibenschaden sich bereits längere Zeit davor manifestiert
hat, die zum Zeitpunkt der Erstmanifestation erstellten Röntgenbilder. Dies ist hier erfolgt. Hinsichtlich der Halswirbelsäule
wurde zudem am 2. März 2009 eine MRT Aufnahme angefertigt, welche von allen Sachverständigen ausgewertet worden ist. Insofern
ist es nicht zutreffend, dass ohne entsprechende bildgebende Verfahren wie CT und MRT zum jetzigen Zeitpunkt keine Beurteilung
möglich ist, ob eine BK 2108 vorliegt. Da der Kläger bereits im Jahre 2009 seine gefährdende Tätigkeit aufgegeben hat, kommt
neuen Aufnahmen nur noch eine eingeschränkte Aussagefähigkeit zu. In seiner ergänzenden Anhörung vor dem Berichterstatter
am 17. Oktober 2017 hat Dr. B. dazu ausdrücklich ausgeführt, dass aus aktuellen Aufnahmen hinsichtlich der Berufsbedingtheit
der Erkrankung keine weiteren Rückschlüsse zu erwarten sind.
Die ergänzende Anhörung vor dem Berichterstatter am 17. Oktober 2017 hat bestätigt, dass die beim Kläger vorhandene lumbosakrale
Übergangsstörung der Anerkennung einer BK 2108 und 2110 entgegensteht. Dr. B. hat in dieser Anhörung das Vorhandensein eines
zusätzlichen sechsten Lendenwirbels beim Kläger erläutert. Dies führt zu einer verstärkten Abnutzung der Bandscheibe. Denn
nach den Ausführungen von Dr. B. ist das Segment dieses Lendenwirbels von minderwertiger Substanz, degeneriert deshalb schneller
und verursacht eine statische Fehlfunktion und Fehlbelastung der darüber liegenden Lendenwirbel. Soweit der Kläger in seinem
Schriftsatz vom 22. Februar 2018 darauf hinweist, dass nach den Konsensempfehlungen nur ein asymmetrischer Übergangswirbel
als Konkurrenzursache anzusehen sei, ist dies zwar zutreffend. Im Fall des Klägers liegt jedoch kein normal symmetrisch entwickelter
weiterer Lendenwirbel vor. Dr. B. hat im Rahmen seiner Anhörung am 17. Oktober 2017 ausgeführt, dass im Bereich des zusätzlichen
sechsten Lendenwirbels sich eine verstärkte Abnutzung der Bandscheibe und miteinander verwachsene Gelenke (Spondylarthrose)
finden. Ein alterstypischer Zustand in diesem Bereich findet sich damit gerade nicht. Auch Dr. K. beschreibt in seinem Gutachten
vom 19. Mai 2015 (ebenso wie Dr. W. in ihrem Gutachten vom 21. Januar 2014) das Vorliegen eines asymmetrischen lumbosakralen
Übergangswirbels.
Hinsichtlich der BK 2110 fehlt es ebenfalls an einem belastungskonformen Schadensbild. Erneut ist auf die von den Sachverständigen
festgestellte konkurrierende Ursache zu verweisen. Hinzu kommt, dass die der BK 2110 zu Grunde liegenden Schwingungsbelastungen
alle Bewegungssegmente im unteren Rumpfbereich erfassen. Angesichts der geforderten jahrelangen und immer wiederkehrenden
Schwingungen der gesamten Lendenwirbelsäule ist es nach den Ausführungen von Dr. K. in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 mit
einem belastungskonformen Schadensbild nicht vereinbar, wenn die Belastungen nur an einem oder zwei Bewegungssegmenten Spuren
hinterlassen. Zu erwarten sind vielmehr Texturstörungen an so gut wie sämtlichen LWS-Bandscheiben. Typische Zeichen einer
Diskose finden sich im Fall des Klägers jedoch nach allen Sachverständigen nur in den Lendenwirbelsäulensegmenten L4/5 und
L5/S1.
Der Antrag ein weiteres Gutachten nach §
109 SGG von Dr. B. in Nürnberg einzuholen ist abzulehnen. Das Antragsrecht ist insoweit durch Einholung eines Gutachtens nach §
109 SGG durch Dr. B. verbraucht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.