Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Voraussetzungen der Rüge einer unzureichenden Sachaufklärung
Unbeachtet gebliebener Beweisantrag
Voraussichtliches Ergebniss der unterbliebenen Beweisaufnahme
Gründe:
I
Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der beklagte Rentenversicherungsträger
lehnte eine Leistungsbewilligung ab. Auch vor dem SG und dem LSG ist der Kläger mit seinem Begehren erfolglos geblieben (Urteile vom 9.5.2012 und 14.3.2018). Das Berufungsgericht
hat die Revision nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das BSG und rügt Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt (Verstoß gegen §§
103,
106 SGG). Es hätte sich gedrängt fühlen müssen, auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet weiter zu ermitteln, insbesondere
weitere Sachverständigengutachten einzuholen und/oder die Sachverständigen, die Gutachten erstattet haben, näher zu befragen.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den Darlegungserfordernissen des §
160a Abs
2 S 3
SGG. Der Kläger hat den geltend gemachten Verfahrensmangel des LSG nicht hinreichend bezeichnet.
Ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81, 82; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52
SGG). Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der
Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Dabei ist die Rechtsauffassung
des LSG zugrunde zu legen. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet,
wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht
allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend
gemachten Verfahrensmangel beruht.
Der Kläger hat zwar geltend gemacht, das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet
weitere Ermittlungen vorzunehmen. Damit genügt der Kläger jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung einer unzureichenden
Sachaufklärung durch das LSG.
Eine solche Rüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren
Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen
als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses
der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft
unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von
seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB
BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - Juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger hat in der Beschwerdeschrift bereits keinen Beweisantrag benannt, mit dem er das LSG aufgefordert haben könnte,
die benannten Ermittlungsschritte zu unternehmen. Dies ist jedoch zwingend erforderlich, soll die Rüge der unterlassenen Sachaufklärung
durchgreifen. Denn nur ein solcher Beweisantrag hat für das LSG eine Warnfunktion. Nur durch einen solchen kann das Gericht
darauf hingewiesen werden, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Kommt diese Warnfunktion
nicht unmissverständlich zum Ausdruck, handelt es sich demgegenüber lediglich um eine für das Durchgreifen eines Verfahrensfehlers
der Amtsermittlung nicht ausreichende Beweisanregung (vgl dazu nur BSG Beschluss vom 19.12.2017 - B 3 P 26/17 B - Juris RdNr 8; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 18a, 18b).
Soweit der Kläger ferner vorbringt, das LSG hätte den Sachverständigen des neurologischen Fachgebiets zu Unstimmigkeiten in
seinen Ausführungen befragen müssen - er sei schlussendlich von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers für leichte
Arbeiten ausgegangen, habe zuvor jedoch aufgrund fehlender Belastungsgewöhnung mehrmonatige Ausfallzeiten des Klägers prognostiziert
-, genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen für einen zur Revisionszulassung führenden
Verfahrensmangel. Im Hinblick auf die darin liegende Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) durch die unterlassene Befragung gelten die obigen Ausführungen ebenso.
Auch eine Behinderung der Wahrnehmung des Fragerechts nach §
116 S 2, §
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO als Verfahrensmangel im Sinne der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) wird durch die Rüge der unterlassenen Vernehmung des Sachverständigen in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt.
Der Kläger bringt bereits nicht vor, das LSG habe ihm das rechtliche Gehör abgeschnitten, sondern lastet dem LSG lediglich
an, sich nicht von Amts wegen zu weiteren Fragen an den neurologischen Sachverständigen gedrängt gefühlt zu haben und begründet
dies mit den Widersprüchen in dem Sachverständigengutachten des Neurologen. Insoweit mangelt es bereits an einer hinreichenden
Bezeichnung eines den Kläger betreffenden Gehörsverstoßes iS des §
160a Abs
2 S 3 letzter Halbsatz
SGG. Der Anspruch auf Wahrung des rechtlichen Gehörs stellt als Verfahrensgrundrecht eine justizielle Ausprägung der Würde der
Person dar, die insoweit fordert, dass über ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt wird; der Einzelne soll
nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu
Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (stRspr; vgl BVerfG Beschluss vom 9.3.1983 -
2 BvR 315/83 - BVerfGE 63, 332 [337] - Juris RdNr 22; s auch BVerfG Kammerbeschluss vom 14.1.1991 - 1 BvR 41/88 - NJW 1991, 2078 - Juris RdNr 3; s auch BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 13 R 279/16 B - Juris RdNr 10). Hieraus folgt, dass derjenige, der sich auf eine Gehörsverletzung beruft, darlegen muss, dass er selbst
von dieser betroffen ist; ihm also die Äußerungsmöglichkeit versagt worden ist.
Unabhängig davon erfordert die Ausübung des Fragerechts stets eine hinreichend konkrete Bezeichnung der noch erläuterungsbedürftigen
Punkte (BSG Beschluss vom 15.5.2017 - B 9 SB 85/16 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 24.4.2008 - B 9 SB 58/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 5; BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 439/13 B - Juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 13 R 170/10 B - Juris RdNr 11, jeweils mwN). Zudem ist ein Antrag auf ergänzende Befragung des Sachverständigen rechtzeitig zu stellen,
damit das Gericht bis zur anberaumten mündlichen Verhandlung noch genügend Zeit hat, dem Sachverständigen den Fragenkatalog
zur schriftlichen Stellungnahme - ggf unter Fristsetzung - zu übersenden oder ihn zur mündlichen Erläuterung zum Termin nachzuladen.
Auch an Darlegungen hierzu fehlt es. Der Kläger hat nicht einmal vorgebracht, das LSG schriftsätzlich auf den in der Beschwerdebegründung
formulierten Widerspruch im Gutachten des Neurologen hingewiesen zu haben. Er legt lediglich dar, schriftsätzlich am 16.8.2016
beanstandet zu haben, dass der neurologische Sachverständige ein orthopädisches Sachverständigengutachten nicht für erforderlich
halte und am 2.12.2016 darauf hingewiesen zu haben, dass Aufklärungsbedarf insoweit bestehe. Dass er Fragen im Hinblick auf
den in der Beschwerdebegründung herausgearbeiteten Widerspruch in dem Sachverständigengutachten des Neurologen formuliert
und diese dem Gericht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt habe, führt er nicht aus.
Im Kern richten sich die benannten Angriffe des Klägers gegen die vermeintliche inhaltliche Unrichtigkeit des LSG-Urteils,
worauf die Beschwerde nicht zulässig gestützt werden kann. Ebenso wenig kann die Beschwerde auf die vom Kläger letztlich geltend
gemachte fehlerhafte Beweiswürdigung (Verletzung von §
128 Abs
1 S 1
SGG) des LSG gestützt werden. Dies wird durch §
160 Abs
2 Nr
3 Teils 2
SGG ausdrücklich ausgeschlossen (BSG Beschluss vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß §
160 Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.