Kollektiver Zulassungsverzicht von Vertragszahnärzten; Ausschluss der Behandlung von GKV-Versicherten; Ausnahme in Notfällen
Gründe:
I
Der 1993 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse über seine Mutter familienversicherte Kläger hat in den Vorinstanzen keinen
Erfolg mit seinem Begehren gehabt, zugesichert zu bekommen, dass er sich zu Lasten der Beklagten bei der Kieferorthopädin
Dr. L., Hildesheim, behandeln lassen dürfe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche
Urteil zurückgewiesen, dazu teilweise auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen und ergänzende Ausführungen gemacht: Dr. L.
gehöre aufgrund der von ihr zum 1.7.2004 zurückgegebenen Zulassung nicht mehr zum Kreis der zur vertragszahnärztlichen Versorgung
zugelassenen Leistungserbringer. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 27.6.2007
- B 6 KA 37/06 R, BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 §
95b Nr
1) folge ein Behandlungsanspruch des Klägers auch nicht aus §
95b Abs
3 SGB V. Die Regelung begründe nur einen Anspruch des Zahnarztes gegen die Krankenkasse, nicht aber einen Anspruch des Versicherten
auf Behandlung bei nicht zugelassenen Zahnärzten. Anhaltspunkte für einen Systemmangel oder einen Notfall bestünden nicht;
dem Kläger seien im Bescheid vom 20.6.2005 Namen und Adressen von fünf zugelassenen, für ihn zumutbar in Betracht kommenden
Behandlern benannt worden (Beschluss vom 10.2.2009).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss und beruft sich auf die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG.
Wer sich auf diesen Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen,
inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall
hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 §
240 Nr 33 S 151 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Zwar formuliert der Kläger darin die Rechtsfragen, (1.) "ob in Folge dessen, dass ein Vertragsarzt im Falle eines kollektiven
Zulassungsverzichts über den Verzichtszeitpunkt hinaus dem Vertragsarztsystem so lange verhaftet bleibt, bis die Sicherstellung
wieder bewirkt ist", sowie (2.) "ob von einem gesetzlich versicherten Kind verlangt werden kann, dass dieses längere Wegstrecken
über Land in Kauf nimmt, um dort kieferorthopädisch behandelt zu werden". Er legt jedoch nicht hinreichend dar, dass Frage
1. einer (weiteren) höchstrichterlichen Klärung durch das BSG bedarf, und dass es auf die Beantwortung der Frage 2. für den
Ausgang des angestrebten Revisionsverfahrens ankommen wird.
Die Klärungsbedürftigkeit einer Frage fehlt zB, wenn ihre zutreffende Beantwortung nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften
bzw der dazu vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel (mehr) unterliegt, sie also "geklärt"
ist (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). Unter diesem Blickwinkel
würdigt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend, dass der 6. Senat des BSG zur ersten Frage bereits in mehreren Urteilen
vom 27.6.2007 entschieden hat (zB BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 § 95b Nr 1), dass (ehemalige) Vertragszahnärzte, die in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten
Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet haben, grundsätzlich nicht mehr zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung
berechtigt sind, auch wenn ihr Vertragszahnarztsitz noch nicht wieder besetzt ist. Dabei hat das BSG ausdrücklich die gegenteilige
Rechtsauffassung des LSG Niedersachsen-Bremen verworfen, auf die sich die Beschwerdebegründung ua stützt (BSG, ebenda, jeweils
RdNr 25, 30 ff). Eine Ausnahme hat das BSG nur für Notfallbehandlungen gemacht, wobei dann ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes
gegen die Krankenkasse an die Stelle des Kostenerstattungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse nach §
13 Abs
3 SGB V trete (BSG, ebenda, jeweils RdNr
26 ff). Vor diesem Hintergrund aber ist die aufgeworfene Rechtsfrage dahin geklärt, dass ein an einem kollektivem Zulassungsverzicht
beteiligter Vertragszahnarzt über den Verzichtszeitpunkt hinaus nicht dem Vertragszahnarztsystem verhaftet bleibt. Wie sich
aus §
2 Abs
1 Satz 3 und §
76 Abs
1 Satz 1 und
2 SGB V ergibt, dürfen Versicherte derartige nicht bzw nicht mehr im Vertragszahnarztsystem verhaftete - damit nicht mehr als Leistungserbringer
zugelassene - Zahnärzte indessen nur in Notfällen in Anspruch nehmen. Ein fortbestehendes Bedürfnis nach Klärung der aufgeworfenen
Frage in einem erneuten Revisionsverfahren wäre nur unter besonderen Umständen anzuerkennen. Dazu müsste jedoch dargelegt
werden, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig geblieben oder erneut klärungsbedürftig geworden ist, zB weil der vorliegenden
Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wurde, weil neue Entwicklungen in der Rechtsprechung eingetreten sind
oder weil Rechtsänderungen Anlass zu einer Neuinterpretation geben (vgl zum Ganzen zB Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
160 RdNr 8b und c, §
160a RdNr 14g mwN). Das geschieht hier nicht; der pauschale Hinweis auf "die einschlägigen Kommentierungen zu §
95b SGB V", die die Rechtsauffassung des Klägers stützten, reicht dafür angesichts der bereits vorliegenden BSG-Rechtsprechung nicht
aus.
In Bezug auf Frage 2. fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits. Denn das
LSG hat - teilweise durch seine Bezugnahme auf die Ausführungen im SG-Urteil - Anhaltspunkte für einen Systemmangel oder einen Notfall verneint, weil dem Kläger bereits im Bescheid vom 20.6.2005
Namen und Adressen von fünf zugelassenen, für ihn in Betracht kommenden Behandlern (davon vier in Hildesheim, dem Sitz der
Kieferorthopädin Dr. L.) benannt worden seien. Angesichts dieser vom LSG herangezogenen Umstände des Einzelfalls ist nicht
ersichtlich, dass sich im angestrebten Revisionsverfahren die aufgeworfene generelle Frage stellen kann, ob von einem familienversicherten
Kind verlangt werden kann, "längere Wegstrecken über Land" zur Inanspruchnahme von Behandlungsmaßnahmen in Kauf zu nehmen.
Die Prämissen tatsächlicher Art, die die Beschwerdebegründung zur Auslastung noch in Betracht kommender kieferorthopädischer
Praxen enthält, decken sich im Übrigen nicht mit den für den Senat maßgeblichen Feststellungen des LSG. Da die LSG-Feststellungen
nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden, wäre der Senat im Rahmen einer revisionsrechtlichen Prüfung an die vom LSG festgestellten
tatsächlichen Verhältnisse zur Zumutbarkeit rechtzeitig aufgezeigter Behandlungsalternativen gebunden (vgl §
163 SGG), ohne dass es insoweit noch auf Erwägungen genereller Art ankäme.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.