Krankenversicherung
Erstattung von Kosten für eine Kopforthese
Nichterbringung einer unaufschiebbaren Leistung
Selbstbeschaffung der Leistung
Durchbrechung des Sachleistungsprinzips
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für eine Kopforthese.
Eine Kopforthese ist ein leichter Helm, der nach einem Schädelabdruck oder einem 3D-Schädelscan individuell angefertigt und
in der Regel mehrere Monate lang für 23 Stunden täglich vom Säugling getragen wird. In dieser Zeit wird sie dem Kopfwachstum
entsprechend mehrfach angepasst.
Bei der am 5.5.2012 geborenen, bei der beklagten Krankenkasse versicherten Klägerin bestand von Geburt an eine Schädelasymmetrie
(Plagiocephalus) mit einer Differenz der Schädeldiagonalen von 2,3 cm und eine Gesichtsskoliose. Dieser Zustand besserte sich
durch krankengymnastische und osteopathische Behandlungen nicht. Am 24.1.2013 beantragten die Eltern der Klägerin die Kostenübernahme
für eine Kopforthesentherapie unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung bei der Beklagten. Noch vor einer Bescheiderteilung
erhielten die Eltern der Klägerin am 6.2.2013 die Rechnung für eine Kopforthese nach Maß (Sonderbau) inklusive 3D-Vermessung,
CAD-Modellierung und Versand von dem ausführenden Leistungserbringer C. in Höhe von 1819 Euro, die sie am 11.3.2013 beglichen.
Ihr Antrag auf Kostenübernahme blieb nach Einholung sozialmedizinischer Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(MDK) vom 20.2.2013 und vom 6.8.2013 erfolglos (Bescheid vom 12.3.2013; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2013), weil es sich
bei der Kopforthesentherapie um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) handele, die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
(GBA) gemäß §
135 Abs
1 SGB V positiv bewertet werden müsse, bevor sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden könne. Eine
solche Bewertung liege nicht vor.
Das Klageverfahren (Gerichtsbescheid vom 24.4.2015) und das Berufungsverfahren (Urteil vom 26.5.2016) sind ebenfalls erfolglos
geblieben. Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Ablehnung der Kostenübernahme sei rechtmäßig erfolgt, da die Klägerin
keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Kopforthese habe. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung seien weder
nach §
13 Abs
3 S 1 Alt 1 noch nach Alt 2
SGB V erfüllt. Zu Recht habe das SG entschieden, dass der sog Beschaffungsweg bereits nicht eingehalten worden sei. Die Helmtherapie sei bei der Klägerin schon
durchgeführt und bezahlt worden (am 11.3.2013), bevor die Entscheidung der Beklagten am 12.3.2013 ergangen sei. Eine Kausalität
zwischen der Leistungsablehnung der Beklagten und den entstandenen Kosten bestehe deshalb nicht. Auch habe keine unaufschiebbare
Leistung vorgelegen, die eine vorherige Bescheidung durch die Beklagte entbehrlich gemacht habe. Überdies stelle die Kopforthesentherapie
eine NUB dar. Mangels positiver Empfehlung des GBA komme eine Kostenübernahme nicht in Betracht. Dies gelte auch, wenn wie
hier ein Hilfsmittel zur Krankenbehandlung eingesetzt werde. Ein Ausnahmefall, der keiner Empfehlung des GBA bedürfe, liege
nicht vor. Weder habe eine lebensbedrohliche Situation vorgelegen, noch ein sog Systemversagen. Denn die Voraussetzungen für
ein Systemversagen, dass der GBA das für NUB vorgesehene Anerkennungsverfahren trotz Anhaltspunkten für die therapeutische
Zweckmäßigkeit der Methode aus willkürlichen oder sachfremden Erwägungen nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt habe bzw
dass eine Aktualisierung der Richtlinie unterblieben sei, seien nicht gegeben. Die vom GBA erlassenen Richtlinien seien wie
untergesetzliches Regelwerk verbindlich und durch die Rechtsprechung überprüfbar. Eine Ausnahme zur Bindungswirkung der Richtlinien
des GBA sei nicht ersichtlich.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts (§
13 Abs
3 S 1, §
135 SGB V) und ist der Ansicht, dass die Versorgung mit einer Kopforthese keine NUB iS von §
135 SGB V sei. Auch sei der Beschaffungsweg eingehalten worden, weil es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt habe. Sie (die
Klägerin) sei in zeitlicher Bedrängnis gewesen, weil die krankengymnastischen bzw osteopathischen Behandlungen selbst nach
sieben Monaten keinen Erfolg gezeigt hätten. Sie habe unter einer extrem schwerwiegenden Asymmetrie des Kopfes gelitten und
die Kopforthesenbehandlung sei spätestens im sechsten Lebensmonat geboten gewesen. Das zeitliche Moment sei im Verhältnis
zur Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu bewerten. Im Zeitpunkt des Beginns der Behandlungsmethode mit der Kopforthese
(23.1.2013) sei sie (die Klägerin) bereits über acht Monate alt gewesen. Ein weiteres Zuwarten hätte eine erfolgversprechende
Anwendung der Versorgung mittels Kopforthese ausgeschlossen. Die Kopforthesenbehandlung sei objektiv über alle Erwartungen
hinaus erfolgreich verlaufen. Sämtliche funktionalen und begleitend auch optische Asymmetrien seien zurückgebildet worden.
Auf die Richtlinien des GBA komme es nicht an, wenn bei der selbstbeschafften Leistung die Grundsätze der Zweckmäßigkeit,
Wirtschaftlichkeit, Qualität und Wirksamkeit eingehalten worden seien. Dies sei der Fall, da die Selbstbeschaffung der Kopforthese
insbesondere wegen des erheblichen Ausmaßes der Asymmetrie zu einer massiven Kostenersparnis bei der Krankenkasse geführt
habe. Anschlussbehandlungen seien entbehrlich geworden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Mai 2016 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück
vom 24. April 2015 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23. Mai 2013 zu verurteilen, ihr 1819 Euro zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe zu erstatten.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen,
und schließt sich den Ausführungen der Vorinstanzen an.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet; sie hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 1819 Euro,
die sie für die Versorgung mittels einer Kopforthese aufgewandt hat, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung
nicht vorliegen.
Versicherte erhalten die Leistungen der Krankenkassen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§
2 Abs
1 S 1, Abs
2 SGB V). Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das
SGB V oder das
SGB IX vorsieht (§
13 Abs
1 SGB V). Ein solcher Ausnahmefall, der zur Erstattung der für die Herstellung sowie Anpassung der Kopforthese aufgewandten Kosten
führen könnte, ist nicht gegeben (dazu im Folgenden unter 1. bis 3.).
1. Eine Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 S 2
SGB V iVm §
15 SGB IX scheidet aus, weil es sich bei der Kopforthese nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt (vgl hierzu
allgemein ausführlich BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Zudem liegen die Voraussetzungen einer Kostenerstattung nach §
15 Abs
1 S 3 iVm S 2
SGB IX bereits deshalb nicht vor, weil dies eine Fristsetzung seitens des Leistungsberechtigten erfordert, mit der Erklärung, dass
er sich nach Ablauf der Frist die Leistung selbst beschaffe. Eine solche qualifizierte Fristsetzung fehlt hier.
2. Auf den durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Art 2 Nr 1 Patientenrechtegesetz [PatRVerbG]
vom 20.2.2013, BGBl I 277) neu eingefügten §
13 Abs
3a SGB V kann der Erstattungsanspruch ebenfalls nicht gestützt werden. Die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 26.2.2013 erlassen. Unerheblich
ist, ob die Vorschrift überhaupt auf Sachleistungsanträge anwendbar ist, die bereits vor dem 26.2.2013 gestellt wurden, über
die die Krankenkasse aber am 26.2.2013 noch nicht entschieden hatte. Selbst wenn die Wirksamkeit der Vorschrift auch den bereits
am 24.1.2013 bei der Beklagten gestellten Sachleistungsantrag zur Versorgung der Klägerin mit einer Kopforthese erfassen sollte,
kann die Klägerin Kostenerstattung nicht nach dieser Vorschrift beanspruchen. Eine Kostenerstattungspflicht kommt nach §
13 Abs
3a S 6 und 7
SGB V nur in Betracht, wenn die Krankenkasse die in §
13 Abs
3a S 1
SGB V genannten Fristen nicht einhält. Nach §
13 Abs
3a S 1
SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen in Fällen, in denen - wie hier - eine gutachtliche Stellungnahme des
MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Diese Frist hat die Beklagte mit der Bescheiderteilung
am 12.3.2013 eingehalten. Denn die in §
13 Abs
3a SGB V genannten Fristen können jedenfalls frühestens mit dem Wirksamwerden der Vorschrift am 26.2.2013 zu laufen beginnen.
3. Wie das LSG darüber hinaus zutreffend entschieden hat, lagen die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs auch
nach beiden Alternativen des §
13 Abs
3 S 1
SGB V (in der bis heute unveränderten Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung [Gesundheitsstrukturgesetz] vom 21.12.1992, BGBl I 2266) nicht vor.
a) Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder
sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind,
diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift ersetzt
den primär auf die Sach- oder Dienstleistung gerichteten Anspruch, wenn das Sachleistungssystem versagt und sich die Versicherten
die Leistungen selbst beschaffen (vgl zB BSGE 73, 271, 276 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 9, 15; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 106). Das Unvermögen der Krankenkasse, die Leistung rechtzeitig zu erbringen, sowie die rechtswidrige Verweigerung
der Sachleistung berechtigen den Versicherten, sich die Leistung in Durchbrechung des Sachleistungsprinzips selbst zu beschaffen.
Deshalb besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich nach beiden Tatbeständen des §
13 Abs
3 S 1
SGB V nur dann, wenn die Voraussetzungen des primären Sachleistungsanspruchs vorliegen (stRspr, vgl zB BSGE 70, 24, 26 = SozR 3-2500 § 12 Nr 2 S 1, 3; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 12 mwN; BSG SozR 4-2500 § 116b Nr 1 RdNr 10 mwN). Daran fehlt es im zu entscheidenden Fall.
b) Die Klägerin hatte zu dem Zeitpunkt, als sie sich die Kopforthese selbst beschaffte (zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt
für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einem Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 S 1 Alt 2
SGB V allgemein näher vgl zB BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 29 RdNr 14 und Nr 32 RdNr 10; BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 13), keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Kopforthese. Der Schädelasymmetrie kann in der
bei der Klägerin vorliegenden Ausprägung zwar nicht von vornherein jeder Krankheitswert bzw die Behandlungsbedürftigkeit im
Rahmen der nach §
11 SGB V vorgesehenen verschiedenen Leistungsarten abgesprochen werden (hierzu sogleich c), die Kopforthese gehört aber nicht zum
Leistungskatalog der GKV (hierzu d), und die Klägerin konnte die Kopforthese auch unter dem Gesichtspunkt eines anzunehmenden
Systemversagens nicht beanspruchen (hierzu e). Deshalb kann es sich in ihrem Fall weder um eine unaufschiebbare Leistung iS
des §
13 Abs
3 S 1 Alt 1
SGB V noch um eine zu Unrecht abgelehnte Leistung iS des §
13 Abs
3 S 1 Alt 2
SGB V handeln. Wenn der Versicherte sich nämlich eine Leistung beschafft, die unter jedem Gesichtspunkt vom Leistungskatalog der
GKV ausgeschlossen ist, hat die Krankenkasse die Kosten dafür nicht nach §
13 Abs
3 SGB V zu erstatten; denn solche Leistungen können schon mangels Notwendigkeit weder dringlich gewesen noch zu Unrecht abgelehnt
worden sein. Selbst wenn der Krankheitszustand einer dringenden Behandlung bedarf, stehen - abgesehen von Notfällen - grundsätzlich
nur die vom Leistungskatalog umfassten sowie die unter den Voraussetzungen eines Systemversagens zu gewährenden Leistungen
zur Verfügung.
Auf die vom Berufungsgericht zusätzlich verneinte Einhaltung des Beschaffungsweges kommt es daher nicht an. Allerdings haben
die Eltern der Klägerin den Auftrag zur Anfertigung der Kopforthese erteilt und diese auch schon bezahlt, bevor die Beklagte
erstmalig über den Leistungsantrag entschieden hatte. Das Kausalitätserfordernis nach §
13 Abs
3 S 1 Alt 2
SGB V, das ein Abwarten der Entscheidung der Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung erfordert, stellt jedoch nicht nur eine Formalie
dar (vgl hierzu ausführlich bereits BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - Juris RdNr
10). §
13 Abs
3 S 1 Alt 2
SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung
nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch
absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Stellt die Krankenkasse
demgegenüber fest, dass keine Versorgungslücke besteht, hat sie den Versicherten über die Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen
der Sachleistung umfassend zu beraten. Bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs wird
die auf dem Sachleistungsgrundsatz beruhende und insbesondere dem Schutz der Versicherten dienende Sicherung von Qualität,
Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen vereitelt.
c) Die GKV erbringt ihre Leistungen in den nach §
11 SGB V vorgesehenen Leistungsarten, dh ua zur Behandlung einer Krankheit (§
11 Abs
1 Nr
4 iVm §§
27 bis
52 SGB V) und zur Verhütung von Krankheiten und von deren Verschlimmerung (§
11 Abs
1 Nr
2 iVm §§
20 bis
24b SGB V). Die bei der Klägerin zur Zeit der Selbstbeschaffung der Kopforthese vorliegende Schädelasymmetrie mit Gesichtsskoliose
war so ausgeprägt, dass der Senat weder das Vorliegen einer Krankheit iS des §
27 Abs
1 SGB V ausschließt noch eine für Leistungen zur medizinischen Vorsorge hinreichende Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung
der Klägerin iS des §
23 Abs
1 Nr
2 SGB V. Das folgt aus dem medizinischen Erkenntnisstand, wie er sich beanstandungsfrei aus einschlägigen, allgemein zugänglichen
fachmedizinischen Quellen derzeit ergibt, auf die auch das LSG und die Beteiligten zum Teil bereits hingewiesen haben.
So werden in einer Stellungnahme von mit dem Gebiet der Kinderheilkunde befassten medizinischen Fachgesellschaften, nämlich
der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie
und Jugendmedizin zu dynamischen Kopforthesen ("Helmtherapie", Autoren: Rosenbaum, Borusiak, Schweitzer, Berweck, Sprinz,
Straßburg, Klepper, 2012, S 2 f, abrufbar unter: www.neuropaediatrie.com/info_fuer_aerzte/stellungnahmen.html, recherchiert
im April/Mai 2017) mehrere einschlägige Studien zur Thematik aufgeführt. In dieser Stellungnahme wird aufbauend auf andere
Fachveröffentlichungen ausgeführt, dass bei den betroffenen Kindern zur Vermessung der Schädelasymmetrie zwei Diagonalen auf
den knöchernen Schädel projiziert werden, die durch den Kreuzungspunkt von Längs- und Querdurchmesser des Schädels gehen und
jeweils um 30 Grad vom Längsdurchmesser des Schädels abweichen. Wird nun die Längendifferenz dieser beiden Diagonalen durch
die größere Diagonalenlänge dividiert, ergibt sich ein Wert, der bis zu 3 mm bzw 3,5 mm noch als Normwert angesehen und bei
bis einschließlich 12 mm als milde/moderate Form der Asymmetrie eingestuft wird; erst wenn der Wert 12 mm übersteigt, wird
von einer moderaten bis schweren Form der Asymmetrie ausgegangen.
Diese als fachmedizinisch hochrangig einzustufende konsentierte Einschätzung korrespondiert mit der Bewertung von anderen
Fachautoren (Funke ua in Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 440 f, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de, recherchiert
im April/Mai 2017), nach der noch Werte bis 10 mm dem Normbereich zugerechnet werden (so auch Frey, Analyse der subjektiven
Beurteilung der Kopforthesentherapie bei Lagerungsplagiocephalus durch Eltern behandelter Kinder in der craniofacialen Sprechstunde
des Universitätsklinikums Würzburg, Dissertation, 2014, S 12); erst ab Werten von 15 mm und mehr werde eine Schiefheit des
Schädels erreicht, bei der eine Helmtherapie indiziert sein könne.
Bei der Klägerin wurde vor der Kopforthesenbehandlung eine Differenz der Schädeldiagonalen von 23 mm gemessen und zusätzlich
eine Gesichtsskoliose angegeben. Insgesamt handelte es sich dabei nach den Messwerten und auf der Grundlage der derzeit allgemein
zur Verfügung stehenden medizinischen Erkenntnisse jedenfalls um eine schwere Form der Deformität des Schädels, der nicht
von vornherein jeder Krankheitswert und jede Behandlungsbedürftigkeit abgesprochen werden kann.
d) Kopforthesen gehören allerdings selbst zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht zum Leistungskatalog der GKV und
schließen damit im Regelfall einen Klageerfolg aus.
Der Anspruch auf Versorgung mit einer Kopforthese richtet sich grundsätzlich nach §
33 Abs
1 S 1
SGB V in der zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung geltenden Fassung, dh hier in der in 2013 geltenden Fassung des Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen
und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden
Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind.
Der auf die Überlassung von beweglichen Gegenständen gerichtete Anspruch umfasst grundsätzlich sowohl die Kopforthese selbst,
als auch notwendige Anpassungen und Änderungen (vgl §
33 Abs
1 S 4
SGB V). Deshalb wären grundsätzlich auch über die Materialkosten hinausgehende (nichtärztliche) Kosten für einen Schädelscan bzw
einen Gipsabdruck vom Schädel, für Anprobe und Korrekturen, einschließlich der Passformüberprüfung und Endkontrolle, die im
Zusammenhang mit der Herstellung und Überprüfung der Wirkung des Hilfsmittels stehen, von einem Anspruch nach §
33 Abs
1 SGB V umfasst.
Allerdings lagen die Anspruchsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung nicht vor. Eine Krankenkasse hat Hilfsmittel,
die im Rahmen einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt werden, nämlich regelmäßig
erst nach einer positiven Bewertung durch den GBA zu gewähren. Mit anderen Worten: Solange der GBA zur Behandlung einer Schädelasymmetrie
im Säuglingsalter mittels Kopforthese keine positive Empfehlung abgegeben hat, kann nur bei Vorliegen eines Ausnahmefalls
ein Anspruch auf Versorgung mit einer Kopforthese bestehen. Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf die Sicherung von Nutzen und
Wirtschaftlichkeit von bis dahin noch nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) aufgeführten
Behandlungsmethoden und ärztlichen Leistungen das Prüfungsverfahren beim GBA vorgeschaltet. Das gilt auch für Behandlungsmethoden,
deren diagnostische bzw therapeutische Wirkungsweise, Anwendungsgebiete, mögliche Risiken und/oder Wirtschaftlichkeitsaspekte
im Vergleich zu bereits anerkannten Methoden eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 13). So verhält es sich - wie im Folgenden näher auszuführen ist - auch hier.
Kopforthesen werden zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung (§
33 Abs
1 S 1 Var 1
SGB V) eingesetzt (hierzu im Folgenden aa). Für Hilfsmittel, deren Verwendung nicht von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept
zu trennen ist, gilt die Sperrwirkung des §
135 Abs
1 S 1
SGB V mit dem grundsätzlichen Erfordernis einer positiven Empfehlung des GBA (hierzu bb). Der Behandlung mittels einer Kopforthese
liegt ein eigenständig zu bewertendes Behandlungskonzept in diesem Sinne zugrunde (hierzu cc) und dieses Behandlungskonzept
war - als die Klägerin sich die Kopforthese beschaffte - eine "neue", nicht vom GBA anerkannte Methode (hierzu dd). Dabei
bestehen gegen die Rechtssetzungsbefugnis durch den GBA keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (hierzu ee).
Die Klägerin kann die Kopforthese schließlich auch nicht zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, zum Ausgleich einer Behinderung
(§
33 Abs
1 S 1 Var 2 und 3
SGB V) oder im Rahmen von medizinischen Vorsorgeleistungen (§
23 SGB V) beanspruchen (hierzu ff).
aa) Die Kopforthese wird im Rahmen einer ärztlich verantworteten Behandlung eingesetzt und soll letztlich dazu beitragen,
den "Erfolg der Krankenbehandlung" zu sichern (§
33 Abs
1 S 1 Var 1
SGB V; vgl zu dieser Zielrichtung allgemein BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 20 mwN). Der Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung setzt voraus, dass die Verwendung des begehrten
Hilfsmittels in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch
ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer steht und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele
des §
27 Abs
1 S 1
SGB V als erforderlich anzusehen ist (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 20).
Der Einsatz der Kopforthese stand hier in diesem Sinne in einem engen Zusammenhang mit der vertragsärztlichen Behandlung,
denn die ärztliche Verordnung der Kopforthese machte auch eine weiter andauernde ärztliche Überwachung und Kontrolle der Therapie
erforderlich. Der Therapieplan bestand darin, den Kopf mittels der Orthese in die gewünschte symmetrische Form zu bringen.
Dieses Behandlungsziel dient der "Sicherung des Erfolgs" der Krankenbehandlung iS des §
33 Abs
1 S 1 Var 1
SGB V. Der Senat hat bereits in früheren Entscheidungen klargestellt, dass der Wortlaut dieser Regelung insoweit einer Erweiterung
bedarf. Der Anspruch umfasst nämlich auch solche Hilfsmittel, mit denen ein therapeutischer Erfolg erst angestrebt wird; der
Erfolg muss nicht schon vor dem Einsatz des Hilfsmittels vorliegen und mit dem Hilfsmittel nur noch gesichert werden (BSGE
93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, RdNr 11; BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 11 mwN; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17).
bb) Nach der Rechtsprechung des BSG ist dann, wenn ein Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung deren Erfolg sichern soll, seine Verwendung - anders als etwa
bei Hilfsmitteln, die dem Behinderungsausgleich dienen - nicht von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür
geltenden Anforderungen nach §
2 Abs
1 S 3, §
12 Abs
1 SGB V iVm §
135 Abs
1 SGB V zu trennen (BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 §
139 Nr
4, RdNr
18). Insoweit erfasst die Sperrwirkung des durch §
135 Abs
1 S 1
SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild
systematisch angewandten Methode (stRspr seit BSGE 82, 233, 238 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19 f für die Arzneimitteltherapie; vgl auch BSGE 86, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 63 f; für die neuartige Kombination einzeln bereits zugelassener Maßnahmen im Rahmen der
Arzneimittelversorgung: BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 15 f mwN; entsprechend für Heilmittel: BSG SozR 3-2500 § 138 Nr 2 S 26; BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 15 f). Solange eine Therapie als neue Behandlungsmethode nicht zur Versorgung in der GKV empfohlen worden ist,
sind die dabei eingesetzten Geräte grundsätzlich keine von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel und auch das Hilfsmittelverzeichnis
(HMV) kann nicht entsprechend fortentwickelt werden (zur streitigen Aufnahme eines Hilfsmittels in das HMV vgl bereits BSGE 87, 105, 110 f = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7 f; BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2, RdNr 32; siehe auch BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18 - Magnetodyn; BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 11 - CAM-Bewegungsschiene; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 28 - Continuous Glucosemonitoring System für Diabetiker, jeweils mwN). Darf eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode
mangels positiver Empfehlung des GBA nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, kann
der GKV-Spitzenverband trotz seiner Autonomie bei der Erstellung des HMV nicht verpflichtet werden, die allein zur Durchführung dieser Therapie einsetzbaren Geräte in das Verzeichnis aufzunehmen.
Denn die für Versicherte und Leistungserbringer verbindliche Entscheidung über den Versorgungsumfang obliegt nach §
92 Abs
1 S 1 und S 2 Nr
6 SGB V auch im Bereich der Hilfsmittel dem GBA, soweit er sich am allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zum
diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit orientiert. Auch §
92 Abs
7d S 1
SGB V zeigt, dass der Gesetzgeber den Vorrang der Methodenbewertung durch den GBA voraussetzt. Damit hat der Gesetzgeber die Aufgabe
der Bewertung des medizinischen Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Methoden grundsätzlich dem GBA übertragen. Der GBA
bürgt nach der Konzeption des Gesetzes für die erforderliche Verbindung von Sachkunde und interessenpluraler Zusammensetzung,
die es rechtfertigt, diesem Gremium im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit
zukommen zu lassen. Davon geht schließlich auch der GBA selbst aus, der in §
6 Abs
11 seiner auf §
92 Abs
1 S 2 Nr
6 SGB V beruhenden Hilfsmittel-Richtlinie die Verordnung eines Hilfsmittels ausgeschlossen hat, wenn es Bestandteil einer neuen,
nicht anerkannten Behandlungsmethode nach §
135 SGB V ist (vgl zum Ganzen zuletzt BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 11 - CAM-Bewegungsschiene; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 28 - Continuous Glucosemonitoring System für Diabetiker, jeweils mwN).
cc) Der Therapie mit einer Kopforthese liegt im vorbeschriebenen Sinne eine eigenständig zu bewertende Behandlungsmethode
zugrunde.
Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches
Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung
bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN; BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 20; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 32). Das theoretische Konzept, der Plan der Kopforthesentherapie liegt darin, das schnelle Wachstum eines Säuglingskopfes
im ersten Lebensjahr bei noch nicht abschließend verknöcherten Wachstumsnähten mithilfe des Helms, der nach einem Schädelabdruck
oder einem 3D-Schädelscan individuell angefertigt und vom Säugling etwa 23 Stunden täglich getragen wird, in die gewünschte
Richtung zu lenken, um eine symmetrische Kopfform zu erhalten (vgl zB Funke ua, Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 438, abrufbar
unter: www.kinder-undjugendarzt.de; Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und
der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012, S 2 ff, abrufbar ua unter: www.neuropaediatrie.com,
jeweils recherchiert im April/Mai 2017; Frey, Analyse der subjektiven Beurteilung der Kopforthesentherapie bei Lagerungsplagiocephalus
durch Eltern behandelter Kinder in der craniofacialen Sprechstunde des Universitätsklinikums Würzburg, Dissertation, 2014,
S 14 f).
Der dieser Auffassung grundsätzlich entgegengehaltenen Kritik, das eingesetzte Mittel sei als Leistung von dem theoretisch-wissenschaftlichen
Konzept zu trennen, sodass allein die Verordnung eines Hilfsmittels noch nicht dessen Einsatz im Rahmen einer neuen Methode
darstelle (so Axer, GesR 2015, 641, 643; Axer/Wiegand, KrV 2016, 85 ff), folgt der Senat nicht. Die Kritik stützt ihre Auffassung
wesentlich auf §
87 Abs
3e S 4 ff
SGB V, der eine Abgrenzung zwischen Leistung und Methode erforderlich mache. Der für die Erstellung und Fortentwicklung des EBM-Ä
zuständige Bewertungsausschuss ist nach der genannten Vorschrift aber verpflichtet, im Einvernehmen mit dem GBA hinsichtlich
einer neuen Leistung auf Verlangen Auskunft zu erteilen, ob die Aufnahme der neuen Leistung in den EBM-Ä in eigener Zuständigkeit
des Bewertungsausschusses beraten werden kann oder ob es sich dabei um eine neue Methode handelt, die nach §
135 Abs
1 S 1
SGB V zunächst einer Bewertung durch den GBA bedarf. Das Nähere regeln nach §
87 Abs
3e S 6
SGB V der Bewertungsausschuss und der GBA im gegenseitigen Einvernehmen in ihrer jeweiligen Verfahrensordnung.
Der Begriff der "Leistung" hat im Recht der GKV eine andere Funktion als der Begriff der "Methode". Nicht jeder neuen Leistung
muss auch eine neue Methode zugrunde liegen. Das ergibt sich nicht erst aus dem durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung
in der GKV (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz [GKV-VSG]) vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) eingefügten §
87 Abs
3e S 4 ff
SGB V; das BSG hat bereits im Jahr 2006 entschieden, dass der Einsatz bestimmter Vakuumstützsysteme keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode
darstellt, weil ihnen das gleiche theoretische Konzept der Ruhigstellung, Fixierung und späteren Mobilisierung zugrunde liegt,
wie herkömmlichen Behandlungen mittels Gipsverbänden, Orthesen und orthopädischen Schuhen (BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2). Andererseits können auch bereits anerkannte oder zugelassene Leistungen so kombiniert werden,
dass von einer neuen Behandlungsmethode auszugehen ist, nämlich dann, wenn das zugrunde liegende theoretisch-wissenschaftliche
Konzept gerade in der neuartigen Kombination verschiedener für sich allein jeweils anerkannter Einzelleistungen liegt (vgl
BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 26). Die im EBM-Ä bereits enthaltenen ärztlichen Einzelleistungen bilden also - ebenso wie bereits zugelassene Behandlungsmethoden
- nur einen Vergleichsmaßstab, anhand dessen zu prüfen ist, ob die in Frage stehende Maßnahme noch den bereits anerkannten
Leistungen bzw Methoden zuzurechnen ist oder sie wesentliche Änderungen oder Erweiterungen enthält (BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f mwN; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 sowie BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 21; vgl ferner Kap 2 § 2 der Verfahrensordnung des GBA idF vom 18.12.2008, BAnz Nr 84a [Beilage]
vom 10.6.2009, geändert am 20.10.2016, BAnz AT 19.1.2017 B3, BAnz AT 24.2.2017 B1, in Kraft getreten am 20.1.2017, sowie Schmidt-De
Caluwe in Becker/Kingreen,
SGB V, 5. Aufl 2017, §
135 RdNr 7).
Entscheidend ist mithin die Frage, wann eine Methode "neu" ist, weil sie sich von bereits anerkannten und zugelassenen Behandlungen
oder Untersuchungen so deutlich unterscheidet, dass eine selbstständige Bewertung durch den GBA erforderlich ist. Weil diese
Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann, hat der Gesetzgeber in §
87 Abs
3e S 4 ff
SGB V den Bewertungsausschuss verpflichtet, hierüber im Einvernehmen mit dem GBA Auskunft zu erteilen. Das spricht aber nicht dagegen,
dass auch in einer einzelnen Leistung, namentlich in der (auf bestimmten Erwägungen beruhenden "unkonventionellen") ärztlichen
Verordnung eines Hilfsmittels, bereits die Anwendung einer neuen Methode liegen kann.
dd) Die Kopforthesentherapie war im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung und Anwendung der Kopforthese bei der Klägerin eine "neue"
Behandlungsmethode, denn sie war weder als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten noch bereits vom GBA anerkannt
worden (sie ist dies auch bis heute nicht). Sie weist vielmehr im Vergleich zu bereits anerkannten und zugelassenen vertragsärztlichen
Leistungen so deutliche Unterschiede auf, dass eine selbstständige Bewertung durch den GBA erforderlich ist.
Um zu beurteilen, welche Änderungen oder Erweiterungen in diesem Sinne "wesentlich" sind, bedarf es einer Orientierung am
Schutzzweck des §
135 Abs
1 SGB V. Nach §
135 Abs
1 SGB V hat der GBA "Empfehlungen abzugeben ... über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen
Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen
erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2.
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung,
um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung."
Danach dient die Notwendigkeit einer solchen Empfehlung, bevor eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zu Lasten
der GKV erbracht werden darf, der Sicherung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen. Neue medizinische Verfahren
dürfen zum Schutz der Patienten nicht ohne hinreichende Prüfung ihres diagnostischen bzw therapeutischen Nutzens und etwaiger
gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden, und im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot
darf die Leistungspflicht der GKV nicht auf unwirksame oder unwirtschaftliche Untersuchungs- und Behandlungsverfahren ausgedehnt
werden (so schon BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f; vgl auch BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 11).
In dieses Normgefüge hat der Gesetzgeber mit dem GKV-VSG vom 16.7.2015 mit Wirkung zum 16.7.2015 (BGBl I 1211) §
137h SGB V für die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse eingefügt und damit
den von der Rechtsprechung entwickelten Begriff der Untersuchungs- und Behandlungsmethode als zugrunde liegendes theoretisch-wissenschaftliches
Konzept aufgegriffen (§
137h Abs
1 S 3
SGB V); das Konzept ist nach §
137h Abs
2 S 2
SGB V dann "neu", wenn sich sein Wirkprinzip oder sein Anwendungsgebiet von anderen, in der stationären Versorgung bereits eingeführten
systematischen Herangehensweisen wesentlich unterscheidet.
Die insoweit gesetzlich vorgegebenen Kriterien zur Beurteilung der "Neuheit" einer ärztlichen Behandlungsmethode mit besonderen
Medizinprodukten greift der Senat auch für Hilfsmittel auf, die zwar nicht zu Medizinprodukten hoher Risikoklasse gehören,
deren Einsatz aber ebenfalls untrennbar mit einer ärztlichen Behandlung verbunden ist. Eine wesentliche Änderung oder Erweiterung
erfahren bereits im EBM-Ä enthaltene ärztliche Leistungen oder zu Lasten der GKV abrechnungsfähige Methoden mithin insbesondere
dann, wenn sich der diagnostische bzw therapeutische Nutzen aus einer bisher nicht erprobten Wirkungsweise der Methode ergeben
soll bzw sich ihr Wirkprinzip oder ihr Anwendungsgebiet von anderen, in der vertragsärztlichen Versorgung bereits eingeführten
systematischen Herangehensweisen wesentlich unterscheidet, oder wenn mit der Methode aus anderen Gründen gesundheitliche Risiken
verbunden sein können, denen bisher nicht nachgegangen wurde. Eine neue Wirkungsweise und bisher nicht erforschte Risiken
können sich auch aus der Komplexität der Methode oder ihres technischen Ablaufs ergeben (vgl auch BSGE 81, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f; BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 20; BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 33).
Der Senat stellt insoweit klar, dass das Methodenbewertungsverfahren des GBA letztlich auch die Bewertung wesentlicher Unterschiede
im Hinblick auf Wirkprinzipien, Anwendungsgebiete und bisher nicht erforschte Risiken umfasst. Dies wird auch an der Regelung
des §
87 Abs
3e S 4 ff
SGB V deutlich, nach der der Bewertungsausschuss im Einvernehmen mit dem GBA eine Auskunft darüber zu erteilen hat, ob eine neue
Leistung auf einem bereits anerkannten Konzept beruht oder ob es sich um eine neue, noch durch den GBA nach §
135 Abs
1 S 1
SGB V zu bewertende Methode handelt.
In dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Senats zur CAM-Bewegungsschiene vom 8.7.2015 zugrunde lag, gab es zwar eine schriftliche
Äußerung der Verwaltung des GBA dahin, dass es keiner Methodenprüfung durch ihn bedürfe, aber keinen formellen GBA-Beschluss
(BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, RdNr 24). Nur das jeweils zuständige Beschlussgremium des GBA kann aber letztlich eine Bewertung
über wesentliche Unterschiede von Wirkprinzipien, Anwendungsgebieten und Risiken vornehmen. Die Gerichte haben - solange das
zuständige Beschlussgremium des GBA zu einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode noch keine Bewertung abgegeben hat - zu
prüfen, ob die Methode im Vergleich zu bereits anerkannten Methoden oder zugelassenen vertragsärztlichen Leistungen so deutliche
Unterschiede aufweist, dass eine selbstständige Bewertung durch den GBA erforderlich ist; der GBA kann dann später dennoch
aufgrund seines Sachverstandes dazu kommen, dass die Unterschiede zu bereits anerkannten oder zugelassenen Verfahren letztlich
im Hinblick auf Wirkprinzipien, Anwendungsgebiete, Risiken, Nutzen und Wirtschaftlichkeit nicht wesentlich sind.
Die dem Einsatz einer Kopforthese zugrunde liegende Methode ist ausgehend davon als solche als bisher nicht anerkannt anzusehen,
und es zeigen sich zudem deutliche Unterschiede zu bereits anerkannten Verfahren. Die Wirkprinzipien von Orthesen sind zwar
in anderen Anwendungsgebieten anerkannt und bezüglich des Stütz- und Bewegungsapparates auch im EBM-Ä abgebildet. So beinhaltet
die nach der Präambel der für Vertragsärzte geltenden orthopädischen Gebührenordnungspositionen (18.1 EBM-Ä) ausschließlich
von Fachärzten für Orthopädie und Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie abrechenbare Nr 18310 EBM-Ä eine Zusatzpauschale
für Behandlungen und ggf Diagnostik des Stütz- und Bewegungsapparates (angeboren, traumatisch, posttraumatisch, perioperativ)
und/oder von (einer) entzündlichen Erkrankung(en) des Stütz- und Bewegungsapparates und/oder von (einer) Skelettanomalie(n)
bei Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern und Kindern. Der fakultative Leistungsinhalt ist ua die Anlage/oder Wiederanlage
einer Orthese. Nahezu wortgleich ist die Nr 07310 EBM-Ä, die nur von Fachärzten für Chirurgie, Fachärzten für Kinderchirurgie
und Fachärzten für Plastische und Ästhetische Chirurgie abgerechnet werden darf. Diese Zusatzpauschalen beziehen sich allerdings
nur auf Krankheitsbilder des Stütz- und Bewegungsapparates. Dazu gehört der Kopf mithin nicht.
Das Anwendungsgebiet einer Kopforthese unterscheidet sich von den bereits eingeführten Anwendungsgebieten von Orthesen deutlich.
Das Gleiche gilt erst recht für - offensichtlich nicht einschlägige - gelegentlich gleichwohl für die Abrechnung von Kopforthesen
entsprechend herangezogene Abrechnungsziffern für kieferorthopädische Behandlungen aus dem privatzahnärztlichen Bereich (zB
GOZ 5170, 5340, 6070).
Das vorliegend deutlich abweichende Anwendungsgebiet macht eine selbstständige Bewertung der streitigen Versorgung durch den
GBA erforderlich. Denn mit dem Einsatz der Kopforthese sind im Vergleich zu anderen Orthesen einige spezielle Risiken denkbar,
wie zB mögliche Auswirkungen auf die Wirbelsäule durch das Gewicht des Helms, nicht abschließend untersuchte Auswirkungen
auf die Temperaturregulation des Säuglings oder mögliche Druckstellen, die durch die mangelnde Passgenauigkeit oder das Verrutschen
des Helms entstehen können (vgl zB Funke ua, Kinder- und Jugendarzt 2010, 437, 438, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de,
recherchiert im April/Mai 2017). Hinsichtlich des medizinischen Nutzens stellt sich die Frage, ob und ggf ab welchem Ausmaß
eine Schädelasymmetrie funktionelle Beeinträchtigungen hervorrufen oder mit einer dauerhaft entstellenden Wirkung verbunden
sein kann, denen die Helmtherapie entgegenwirken soll. Auffällige Kopfasymmetrien können auf anderen strukturellen und/oder
funktionellen Störungen (zB Beeinträchtigungen der Nackenmuskulatur) beruhen. Diesbezüglich ist aber das Ursachen- und Wirkungsgefüge
nicht abschließend geklärt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Einsatz einer Kopforthese sogar kontraproduktiv ist, weil
die Ursachen der Schädelasymmetrie unbehandelt bleiben und lediglich die sichtbar gewordene Folge einer rein kosmetischen
Korrektur zugeführt wird. Jedenfalls fehlen kontrollierte randomisierte Studien zum Nachweis der Wirksamkeit von Kopforthesen,
während die Wirksamkeit physiotherapeutischer Interventionen ohne die Anwendung von Kopforthesen hinreichend belegt ist. Schließlich
gibt es Qualitätsvorgaben oder Qualitätsstandards weder für eine valide Diagnostik von Schädelasymmetrien noch für die technische
Ausgestaltung, Anfertigung und Anpassung der Kopforthese noch für die begleitende ärztliche Behandlung, Kontrolle oder den
Abschluss der Behandlung, was die dargestellten Gefahren erhöhen und zu weiteren unerwünschten Nebenwirkungen führen kann
(vgl Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für
Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012, aaO, abrufbar ua unter: www.neuropaediatrie.com; Gutachten der Sozialmedizinischen
Expertengruppe - SEG 5 "Hilfsmittel und Medizinprodukte" der MDK-Gemeinschaft zum Thema Kopforthesen - Molding helmets vom
29.10.2010; sowie das aus diesem Anlass gefertigte Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands, laufende Nr: RS 2011/342 vom 13.7.2011,
S 6 ff; insoweit ebenfalls kritisch Deutsches Ärzteblatt vom 6.5.2014, abrufbar unter: www.aerzteblatt.de/nachrichten/58560;
Funke ua, Kinder- und Jugendarzt 2010, 437 sowie Biedermann, Kinder- und Jugendarzt 2010, 723, jeweils abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de,
Dokumente jeweils recherchiert im April/Mai 2017).
Vor diesem Hintergrund haben weder die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften noch andere
wissenschaftliche Fachgesellschaften aus Deutschland positive, evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen zum Einsatz von Kopforthesen
bei Schädelasymmetrien abgegeben, obwohl Kopforthesen inzwischen seit über 30 Jahren bekannt sind und ihr Einsatz zunehmend
populär geworden ist. Auch der aus Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen
bestehende Bewertungsausschuss (§
87 Abs
3 S 1
SGB V) hat die vertragsärztliche Behandlung mittels Kopforthese - trotz zunehmender Diskussionen um diese Leistung - nicht in eigener
Zuständigkeit in den EBM-Ä aufgenommen oder sie klarstellend einer bereits bewerteten Leistung zugeordnet. Vielmehr geht auch
der Krankenkassen-Spitzenverband davon aus, dass es diesbezüglich zunächst einer Bewertung durch den GBA bedarf (vgl Rundschreiben
des GKV-Spitzenverbands, RS 2011/342 vom 13.7.2011 aus Anlass eines im Jahre 2010 aktualisierten Gutachtens der Sozialmedizinischen
Expertengruppe - SEG 5 "Hilfsmittel und Medizinprodukte" zum Thema Kopforthesen - Molding helmets).
ee) An der Verfassungsmäßigkeit der - für den Leistungsanspruch verbindlichen (vgl §
91 Abs
6 SGB V), ihn vorliegend einschränkenden - Rechtsetzung durch den GBA hat der Senat auch unter Berücksichtigung der hierzu zuletzt
ergangenen Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 - BVerfGE 140, 229) bezogen auf die Richtlinie nach §
135 Abs
1 S 1, §
92 Abs
1 S 2 Nr
5 SGB V keine Zweifel und hält mit ergänzenden Erwägungen an der bisherigen Rechtsprechung fest (bereits die og Entscheidung des
BVerfG berücksichtigend [1. Senat] BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 42 ff; bezogen auf die Richtlinien über häusliche Krankenpflege BSG [3. Senat] SozR 4-2500 §
132a Nr 9 RdNr 21; zu §
137 SGB V vgl BSG [1. Senat] SozR 4-2500 § 137 Nr 7 RdNr 28).
Das BVerfG hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass die demokratische Legitimation des GBA zum Erlass einer verbindlichen
Richtlinie fehlen kann, wenn diese zB mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken
konnten. Maßgeblich ist danach insbesondere, inwieweit der GBA für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet
wird (BVerfGE, aaO, RdNr 22).
§
135 Abs
1, §
92 Abs
1 S 2 Nr
5 iVm Abs
7d SGB V enthalten diese geforderte hinreichend bestimmte und konkrete Anleitung des GBA zum Erlass von Richtlinien zur Einführung
neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Zudem sieht §
92 Abs
7d SGB V vor, dass vor der Entscheidung über die Richtlinien nach den §§
135,
137c und
137e SGB V den jeweils einschlägigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist; bei Methoden,
deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts beruht, ist auch den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen
Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Medizinproduktehersteller und den jeweils betroffenen Medizinprodukteherstellern
Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dadurch wird deren Belangen angemessen Rechnung getragen.
ff) Die Klägerin kann die Kopforthese schließlich auch nicht auf der Grundlage des §
33 Abs
1 S 1 Var 2
SGB V zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, nach §
33 Abs
1 S 1 Var 3
SGB V zum Ausgleich einer Behinderung oder im Rahmen von medizinischen Vorsorgeleistungen (§
23 SGB V) beanspruchen.
Ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung
möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive Wirkungen in Bezug auf Spätfolgen oder Folgeerkrankungen des
Plagiocephalus mit sich bringt und deshalb zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könnte (vgl zu
diesen Erfordernissen allgemein BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 46). Zudem ist nicht geklärt, ob und ggf welche konkreten Behinderungen durch einen lediglich mit den anerkannten
Behandlungsmethoden der Lagerungs- und der Physiotherapie behandelten Plagiocephalus eintreten können, und auch ein im Vergleich
zu den anerkannten Behandlungen höherer Nutzen der Kopforthese ist - wie oben ausgeführt - nicht belegt. Zu einer von dem
nicht anerkannten therapeutischen Nutzen unabhängigen Funktion der Kopforthese zum Ausgleich einer Behinderung ist im Übrigen
auch von den Beteiligten weder etwas vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Die Voraussetzungen für Hilfsmittel zur Sicherung eines Behandlungserfolgs gelten auch für Hilfsmittel, die im Rahmen einer
medizinischen Vorsorgeleistung nach §
23 SGB V verordnet werden. Zwar gewährt §
23 SGB V bereits dann einen Anspruch auf Vorsorgeleistungen, wenn sich beim Versicherten noch keine Krankheit manifestiert hat, womit
über die vertragsärztlichen Leistungen hinaus ein breiteres Leistungsspektrum insbesondere mit ganzheitlichen Leistungsangeboten
und Komplexleistungen eröffnet wird; allerdings gelten für Hilfsmittel, die Versicherten für den Einsatz außerhalb von Vorsorgeeinrichtungen
ärztlich verordnet werden, die Voraussetzungen des §
33 SGB V auch, wenn die Verordnung als Vorsorgeleistung erfolgt (§
23 Abs
3 SGB V).
e) Es liegt schließlich auch kein Ausnahmefall vor, in dem eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung
des GBA zur Versorgung in der GKV zuzulassen ist.
Eine solche Ausnahme regelt mit Wirkung vom 1.1.2012 §
2 Abs
1a SGB V, wonach Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur
Verfügung steht, auch eine von §
2 Abs
1 S 3
SGB V abweichende Leistung (und damit eine Leistung, deren Qualität und Wirksamkeit entsprechend dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse noch nicht feststeht) beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung
des BVerfG im Beschluss vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) aufgegriffen und gesetzlich fixiert (vgl zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 ff mwN). Ferner ist eine Ausnahme für sog Seltenheitsfälle anerkannt, die sich einer systematischen Erforschung
entziehen (vgl etwa BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 mwN; BSGE 100, 104 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 30; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19 f mwN). Gleiches gilt schließlich für den Fall des sog Systemversagens, dh dann, wenn der
GBA dem in §
135 Abs
1 SGB V vorausgesetzten Auftrag nicht gerecht geworden ist, selbst für eine Aktualisierung der Richtlinien Sorge zu tragen (vgl BSGE
97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 ff; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 44). Derartige Ausnahmefälle liegen hier nicht vor.
aa) Bei einem nicht synostotisch verursachten Plagiocephalus ist regelmäßig weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche
noch eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung iS des §
2 Abs
1a SGB V gegeben. Folgen einer solchen Krankheit drohen - ausgehend von den zitierten fachmedizinischen Veröffentlichungen - im Übrigen
auch dann nicht, wenn der Plagiocephalus (lediglich) mit den herkömmlichen Mitteln der Lagerungs- und Physiotherapie behandelt
wird. Vielmehr beeinträchtigt die Schädelasymmetrie das Wohlbefinden eines Säuglings in der Regel nicht (so zB Biedermann,
Kinder- und Jugendarzt 2010, 723, abrufbar unter: www.kinder-undjugendarzt.de, recherchiert im April/Mai 2017). Selbst bei
ausgeprägten Befunden boten die im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung vorliegenden, bereits zitierten Studien keine Anhaltspunkte
dafür, dass ein unbehandelter Plagiocephalus für schwerwiegende Erkrankungen ursächlich werden könnte.
bb) Die Annahme eines Seltenheitsfalles scheidet ebenfalls aus. Schädelasymmetrien treten bei Säuglingen nicht derart selten
auf, dass sie sich einer systematischen Erforschung entziehen, sondern kommen sogar relativ häufig vor. Sie bilden sich zudem
regelmäßig unter der herkömmlichen Lagerungstherapie und/oder Krankengymnastik weitgehend - und ohne bleibende Folgen - zurück
(vgl Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für
Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012, S 6, abrufbar ua unter: www.neuropaediatrie.com, recherchiert im April/Mai 2017).
cc) Darüber hinaus lag auch kein Systemversagen vor, auf das die Klägerin einen Erstattungsanspruch für die Kosten der Kopforthese
stützen könnte (vgl zum ausnahmsweise leistungsauslösenden Systemversagen wegen nicht rechtzeitigen Tätigwerdens des GBA allgemein
zB: BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 ff; BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 23; E. Hauck, NZS 2007, 461, 464; Plagemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl 2016, §
2 RdNr 56; Roters in Kasseler Komm, §
135 SGB V, RdNr 11, Bearbeitungsstand 09/2016).
Für die Beurteilung des Vorliegens eines Systemversagens ist ebenfalls auf den Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung
abzustellen, denn es geht um die Erstattung der durch die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten. Die Eltern der Klägerin ließen
die Kopforthese im Januar/Februar 2013 anfertigen. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse
und keine gesicherte Datenbasis, nach denen sich die Überprüfung der Methode durch den GBA oder eine Verfahrenseinleitung
durch die insoweit antragsberechtigten Institutionen hätte aufdrängen müssen. Solche Erkenntnisse können insbesondere nicht
der bereits oben zitierten Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen
Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin aus dem Jahr 2012 entnommen werden. Da darin (erst) die weitere wissenschaftlich
fundierte Aufarbeitung des Themas empfohlen wird, gehen die Autoren gerade umgekehrt selbst davon aus, dass zunächst noch
weitere Daten zu erheben und methodisch gesicherte Forschungen zu betreiben sind. Es gibt keinen Grundsatz, nach dem alle
innovativen Leistungen zeitnah vom GBA zu bewerten sind; ein solches Erfordernis ergibt sich erst dann, wenn nach der vorhandenen
Studienlage hinreichende Aussicht auf eine positive Bewertung besteht (vgl zum Ganzen zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 27 ff; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 mwN).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.