Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII
Verfahrensmangel
Umgehung von Zulässigkeitsanforderungen
Unzutreffende Sachentscheidung
Gründe:
I
Im Streit sind (höhere) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der Kläger erhält neben seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung seit März 2007 Grundsicherungsleistungen vom Beklagten.
Dieser rechnete eine Gutschrift aus einer Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2007, die der Vermieter mit der Monatsmiete
vom August 2008 verrechnet hatte, auf die Leistungen für August 2008 bedarfsmindernd an (Bescheid vom 8.8.2008). Den Antrag
des Klägers auf ernährungsbedingten Mehrbedarf lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 17.9.2008); die gegen beide Bescheide
gerichteten Widersprüche wies er zurück (Widerspruchsbescheid vom 2.3.2009). Ab 1.9.2009 lehnte der Beklagte die Gewährung
von Grundsicherungsleistungen vollständig ab (Bescheide vom 16.10.2009, 28.10.2009 und 11.3.2010; Widerspruchsbescheid vom
1.4.2010).
Die Klage vor dem Sozialgericht München (SG) war insoweit erfolgreich, als dieses die Bescheide vom 16.10.2009, 28.10.2009 und 11.3.2010 wegen mangelnder Bestimmtheit
aufhob, die Klage im Übrigen allerdings abwies (Gerichtsbescheid vom 18.9.2012); das Bayerische Landessozialgericht (LSG)
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 24.9.2014). Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe weder
für August 2008 Anspruch auf höhere Leistungen noch ein Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf zu. Zu Recht habe das
SG zudem die Klage auf Grundsicherungsleistungen ab 1.3.2010 als unzulässig abgewiesen. Es sei bislang keine Verwaltungsentscheidung
des Beklagten ergangen, weil der Kläger keinen Leistungsantrag gestellt habe.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er rügt hinsichtlich der Entscheidung über den ernährungsbedingten Mehrbedarf
eine Divergenz zu Entscheidungen des Bundessozialgerichts ([BSG] Urteile vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 und 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15), weil das LSG die Empfehlungen des Deutschen Vereins als antizipierte Sachverständigengutachten
behandelt habe, was den Entscheidungen des BSG widerspreche. Darin liege zudem ein Verfahrensfehler (Verstoß gegen die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts
wegen); es sei erkennbar gewesen, dass er eine Begutachtung "gewünscht" habe, auch wenn er - als juristischer Laie - keinen
ausdrücklichen Beweisantrag gestellt habe.
Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung. Es stellten sich die Rechtsfragen, ob das Guthaben aus der Erstattung
für die Heizkosten als Einkommen im Sinne des Sozialhilferechts zu berücksichtigen sei und ob von Einkommen gesprochen werden
könne, wenn dem Leistungsempfänger gleichzeitig höhere Leistungen, hier als Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung, zustünden
und er das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung bereits hierfür verbraucht habe. Soweit der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen
ab 1.3.2010 im Streit stehe, habe das LSG verkannt, dass es hierfür keines ausdrücklichen Antrags bedurft hätte. Dass er Leistungen
auch für diesen Zeitraum beanspruche, habe er aber hinreichend deutlich gemacht. Das LSG habe insoweit gegen seinen Anspruch
auf rechtliches Gehör verstoßen und nicht geprüft, ob ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht komme.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Soweit der Kläger eine Divergenz zu Entscheidungen des BSG behauptet, genügt sein Vorbringen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen
tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst
- widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67).
Der Kläger formuliert aber weder einen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG noch einen solchen des BSG, geschweige denn legt er eine Abweichung dar. Soweit er zugleich einen Verfahrensfehler geltend macht, weil das LSG den Sachverhalt
nicht weiter ermittelt habe, rügt er einen Verstoß gegen §
103 SGG. Dieser kann nach §
160 Abs
2 Nr
3 2. Halbsatz
SGG aber nur als Verfahrensmangel gerügt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung
nicht gefolgt ist. Einen solchen im LSG-Verfahren gestellt bzw im Termin zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben,
behauptet der Kläger aber noch nicht einmal. Insoweit kann auch nicht eine Verletzung der §§
106,
112 SGG (Aufklärungspflicht des Vorsitzenden; Leitung und Gang der mündlichen Verhandlung) bzw ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör
(§
62 SGG; Art
103 Grundgesetz) gerügt werden, weil dies im Ergebnis zur (unzulässigen) Umgehung der Anforderungen in §
160 Abs
2 Nr
3 2. Halbsatz
SGG führen würde. Soweit die Beschwerdebegründung dahin zu verstehen ist, dass die Entscheidung des LSG inhaltlich falsch sein
soll, vermag dies die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das
Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat
eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht
zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog
Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt abstrakte Rechtsfragen formuliert hat, die nicht nur
die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelnen betreffen. Denn es fehlt jedenfalls an der ausreichenden Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit.
Der Kläger weist selbst darauf hin, dass das BSG zur Berücksichtigung von Stromkostenerstattungen im Rahmen der Sozialhilfe bereits entschieden habe. Auf diese Entscheidung
hat sich das LSG auch gestützt. Die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfragen wird aber nicht dadurch hinreichend dargelegt,
dass er lediglich behauptet, bei der Nachzahlung, die er erhalten habe, liege ein anderer bzw "atypischer" Fall vor. Inwieweit
die aufgeworfenen Fragen überhaupt klärungsfähig sein könnten, kann deshalb dahingestellt bleiben.
Auch soweit in der Sache ein Leistungsanspruch ab 1.3.2010 im Streit steht, hat der Kläger einen Verfahrensmangel nicht ausreichend
bezeichnet. Er hat insoweit zwar auf die Entscheidung des Senats vom 29.9.2009 (BSGE 104, 207 ff = SozR 4-3530 § 6 Nr 1) hingewiesen, wonach ohne erneuten Antrag Grundsicherungsleistungen von Amts wegen zu gewähren
sind. Mit der Behauptung, das LSG habe dies verkannt, ist jedoch nicht ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör gerügt worden,
weil im Ergebnis (wiederum) nur die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG geltend gemacht wird. Soweit der Kläger
in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen die Amtsermittlung rügt, gelten obige Ausführungen zum erforderlichen Beweisantrag
gleichermaßen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.