Anspruch auf Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung; Verfahrensgegenstand bei endgültiger Gewährung einer
Verletztenrente im Berufungsverfahren; Kein Anspruch auf Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Nachteile für den Beruf
der Buchhändlerin
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vom Hundert (v. H.) aus dem
von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall am 02.11.2010.
Die am 05.02.1954 geborene Klägerin absolvierte nach der Mittleren Reife eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und war
seit 1994 im Buchhandel bei der Firma T. (vormals M.) versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt seit 2005 als Filialleiterin
in K.. Die Tätigkeit beinhaltete auch Büroarbeiten und erfolgte im Wechsel gehend, stehend, sitzend (Reha-Bericht Klinik F.,
Bl. 50-2 R Verwaltungsvorgang - VV). Das Arbeitsverhältnis wurde nach dem Arbeitsunfall im Jahr 2012 mit Auflösungsvertrag
beendet.
Am 02.11.2010 gegen 18.30 Uhr verdrehte die Klägerin das rechte Kniegelenk, als sie einen umkippenden Drehständer mit Kalendern
auffangen wollte (Bl. 20-2, 72-1, 231 R VV), der auf das rechte Bein stürzte. Sie erlitt eine Tibiakopffraktur und einen Kreuzbandausriss.
Sie wurde sofort ins O.-Klinikum K. eingeliefert und am nächsten Tag in die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie B. verlegt,
wo sie bis zum 30.11.2010 stationär behandelt wurde. Die Tibiakopffraktur wurde mit Plattenosteosynthese und Spongiosatransplantation
operativ versorgt, der knöcherne Kreuzbandausriss transossär fixiert. Die MdE wurde von den behandelnden Ärzten auf 20 v.
H. geschätzt (Bl. 72-1 VV). Anschließend war sie in stationärer Rehabilitation in der Klinik F. H.. Im Entlassungsbericht
vom 05.01.2011 (Bl. 50 VV) wurden neben der unfallchirurgischen Diagnose die Diagnosen Osteoporose, Bandscheibenvorfall (BSV),
Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion, gegenwärtig mittelschwerer Ausprägung, Tod eines Familienangehörigen,
Akzentuierung von selbstüberfordernden Persönlichkeitszügen, zurückliegender Zustand nach (Z. n.) chronischer Erschöpfung
(Burn out) gestellt. Der Arbeitsunfall habe sich zu einem Zeitpunkt ereignet, als die Klägerin sich seit vielen Monaten in
einem Zustand akuter Erschöpfung befunden habe. Während der Reha sei ihr Bruder gestorben. Es seien verstärkt Ängste vor einem
ungünstigen Heilungsverlauf aufgetreten. Sie beschreibe, mehrfach durch Unfälle (beim Skifahren sowie mehrere Verkehrsunfälle)
traumatisiert worden zu sein. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Arztbrief vom 08.03.2011 (Bl. 82
VV) die Diagnosen einer inkompletten Peronäusparese rechts und einer unklaren Schwäche des rechten Oberschenkels und befundete
eine leichte Fuß-/ Zehenheberschwäche rechts und Angabe von Parästhesien am rechten Fußrücken, aber ohne Sensibilitätsstörungen
und bei regelrechtem neurographischem Befund, insbesondere des Nervus (N.) peronäus. Daher sei entweder von einer nur geringen
Läsion oder einer weitgehenden Remission der Peronäusschädigung auszugehen. Die Schwäche des rechten Oberschenkels sei unklar,
da keine neurologischen Auffälligkeiten und keine Auffälligkeiten im Elektroneuromyogramm (EMG) der rechten Oberschenkelmuskulatur
bestünden. Am ehesten sei von einer schonhaltungsbedingten Schwäche auszugehen. Am 20.04.2011 wurde in der Berufsgenossenschaftlichen
Unfallklinik L. eine Heilverfahrens(HV)kontrolle durchgeführt. Dort wurde ein persistierendes Bewegungs- und Belastungsdefizit
festgestellt. Die Stehdauer sei 15 bis 30 Minuten, die Gehstrecke 500 m mit Pausen. Die Kniegelenksbeweglichkeit liege bei
0-10-100°, Kreuz- und Seitenbänder seien, soweit überprüfbar, stabil. Es bestehe eine leichte Schwäche der Oberschenkelmuskulatur,
sicherlich eine Seitendifferenz; keine Fußheber- oder -senkerschwäche. Eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß könne zumindest
vorübergehend verbleiben (Bl. 117-1 VV). Im April 2011 führte sie eine erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) durch. Am
20.01.2012 wurde in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie B. eine diagnostische Arthroskopie mit Teilsynovialektomie
und Bridenresektion durchgeführt und das Osteosynthesematerial vollständig entfernt (Behandlungsbericht vom 24.01.2012, Bl.
27 SG-Akte). Im Abschlussbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. vom 03.08.2011 wird die Extension/Flexion des rechten
Kniegelenks mit 0-10-110° ohne Instabilität angegeben (Bl. 231-1 VV).
Am 08.08.2011 wurde Arbeitsfähigkeit bescheinigt. Dr. S. erstattete im Auftrag der Beklagten nach ambulanter Untersuchung
der Klägerin am 23.09.2011 das Erste Rentengutachten vom 05.10.2011. Der Gutachter fand im Stand gerade Beinachsen, keine
trophischen Störungen der Haut, die Fußpulse tastbar, regelrechte Sensibilität. Am rechten Tibiakopf sei eine 19 cm lange,
reizlos verheilte Narbe, die Muskelkonturen seien bis auf eine auffällige Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur rechts
weitgehend symmetrisch, es bestehe ein leichtes Unterschenkelödem rechts. Am Kniegelenk befinde sich kein Gelenkerguss, kein
Meniskuszeichen, die Beweglichkeit sei rechts 0-5-120° gegenüber links 0-0-140°. Die oberen Sprunggelenke und Hüftgelenke
seien frei und seitengleich. Am rechten Kniegelenk bestehe eine deutliche laterale Instabilität und leichte hintere Schublade.
Die Hocke sei nicht ausführbar, der Einbeinstand rechts unsicher, Zehen- und Hackengang seien problemlos ausführbar, beim
Gehen falle ein leichtes Hinken auf. Die Umfangsmaße zeigten eine deutliche Verschmächtigung im Oberschenkel rechts gegenüber
links, ansonsten keine wesentlichen Unterschiede. Die Klägerin beklage eine inkomplette Streckung des rechten Kniegelenks,
sie könne nicht länger stehen und nicht länger gehen, nach ca. 1 km träten Schmerzen auf, sie könne nicht hinknien. Sie habe
ein "Holzgefühl" im rechten Knie und müsse leicht humpeln. Es bestehe Schwellneigung.
Der Gutachter nannte als wesentliche Unfallfolgen die beschriebenen belastungsabhängigen Beschwerden, endgradige Bewegungseinschränkung,
vor allem Streckhemmung des rechten Kniegelenks, Instabilität des rechten Kniegelenks, deutliche Belastungsminderung. Er schätzte
die MdE ab 07.08.2011 bis 22.09.2011 und bis auf weiteres auf 20 v. H.
Vor dem Unfall bestand bei der Klägerin ein dorsomedianer und rechts dorsoparamedianer Bandscheiben(BS)-Prolaps im Segment
L 3/L 4, der Kontakt zu den Nervenwurzeln L 4 beidseits aufwies, wobei von einer möglichen Wurzelirritation L 4 rechts mehr
als links ausgegangen wurde. Aufgrund einer breitbasigen BS-Protrusion im Segment L 4/L 5 und einer leichten Pelottierung
des Duralsacks im Abgangsbereich der L 5-Wurzeln wurde eine Wurzelirritation nicht ausgeschlossen. Dr. S. diagnostizierte
am 11.05.2009 ein lumbales Wurzelreizsyndrom L 5/S 1 rechts und ein psychovegetatives Syndrom bei seit Jahren rezidivierenden
Lumbalgien, eine Lumboischialgie rechts seit gut einem Jahr mit häufig quälenden Symptomen, ausgeprägten vegetativen Stigmata
und einer "Hypotonie" (gemeint ist wohl: Hypothrophie) des Musculus (M.) extensor digitorum brevis rechts, leicht auch der
rechten Wade und leicht abgeschwächtem Achillessehnenreflex rechts. Der Arztbrief der neurochirurgischen Gemeinschaftspraxis
Dres. B./H. vom 13.05.2009 nimmt auf intermittierende Rückenschmerzen und Schmerzen im rechten Oberschenkel Bezug. Diese Erkenntnisse
ergeben sich aus Befundunterlagen und Befunderhebungen des von der Klägerin als Sachverständiger im Berufungsverfahren ausgewählten
Facharztes Prof. Dr. Dr. D. als vormals behandelndem Arzt (Gutachten Prof. Dr. D., Bl. 83 Senatsakte).
Mit Bescheid vom 25.10.2011 gewährte die Beklagte Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v. H. ab 08.08.2011.
Als Unfallfolgen wurden eine Minderung der Belastbarkeit, Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks
nach operativ versorgtem Bruch des Schienbeinkopfes mit knöchernem Ausriss des hinteren Kreuzbandes und noch einliegendem
Metall festgestellt. Der Widerspruch, begründet mit einem außergewöhnlichen Schmerzsyndrom, nachgewiesen durch die dokumentierte
Muskelverschmächtigung, die intermittierend vorhandene Peronäusparese rechts und die muskulär nicht kompensierte Lockerung
des Kniebandapparates, die eine MdE von 30 v. H. rechtfertigten, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 zurückgewiesen.
Grundlage der Entscheidung sei das fachärztliche Gutachten des Dr. S.. Gutachten und Behandlungsverlauf ergäben kein außergewöhnliches
Schmerzsyndrom. Die üblicherweise als Begleitsymptom der Verletzung vorhandenen Schmerzen seien in den Richtwerten der Rentenliteratur
zur MdE-Bewertung bereits mit eingeschlossen. Eine schmerzbedingte Erhöhung der MdE komme nur in Betracht, wenn aufgrund einer
besonderen Schmerzhaftigkeit funktionelle Einschränkungen nachgewiesen seien. Bei der HV-Kontrolle in der Berufsgenossenschaftlichen
Unfallklinik L. sei kein Hinweis auf Fußheber- oder Fußsenkerschwäche und kein Anhalt für eine wesentliche Schwäche der Oberschenkelmuskulatur
rechts gefunden worden.
Am 13.02.2012 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Sie führe aus Angst vor Nebenwirkungen
trotz Schmerzen keine Schmerztherapie durch. Eine Behandlung wegen der Unfallfolgen finde nicht statt, da sie als austherapiert
gelte. Die im Lager der Beklagten stehenden Orthopäden in der B.-Klinik seien nicht kompetent gewesen, die vom unabhängigen
Neurologen Dr. S. festgestellte Peronäusparese zu widerlegen und hätten die Muskeldifferenz bewusst "klein geredet". Es bestehe
auch der Sonderfall der besonderen beruflichen Betroffenheit. Die Klägerin sei zeitlebens Buchhändlerin gewesen, habe also
eine überwiegend stehende Tätigkeit ausgeübt und sei nicht auf andere Tätigkeiten verweisbar. Dies sei MdEerhöhend zu berücksichtigen.
Dr. S. hat auf Anfrage des SG als sachverständiger Zeuge mit Schreiben vom 02.04.2012 mitgeteilt, dass die Behandlung bei ihm am 24.02.2012 beendet gewesen
sei und er keine Befunde bezüglich einer Peronäusparese erhoben habe. Auch bei der zusätzlichen Berücksichtigung einer inkompletten
Peronäusparese ergäbe sich keine höhere MdE als 20 v.H. Der von ihm überreichte Bericht über die Arthroskopie und die Entfernung
des Osteosynthesematerials vom 24.01.2012 gab präoperativ eine Streckhemmung von 10° an und schätzte die verbleibende MdE
auf 10 v. H.
Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 24.08.2012 abgewiesen. Eine MdE von 30 v. H. werde nach
der unfallversicherungsrechtlichen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl.,
S. 654) vorgeschlagen bei z. B. einer Versteifung des Kniegelenks in günstiger Stellung und Bewegungseinschränkung von 0-30-90°.
Ein derartiger Befund lasse sich nicht nachweisen. Dr. S. habe in seinem Gutachten, das dem Bescheid zugrunde liege, eine
auffällige Verschmächtigung der Oberschenkel und Instabilität der Kniegelenksmuskulatur beschrieben. Diese sei somit von der
Beklagten berücksichtigt worden. Eine fehlende muskuläre Kompensation der Lockerung des Bandapparats und/oder Gangunsicherheit
sei weder in der BG Unfallklinik L. noch im Gutachten Dr. S. dokumentiert. Schwierigkeiten beim Gehen würden von der Klägerin
auf Schmerzen zurückgeführt, nicht auf eine Instabilität. Unter Berücksichtigung der klägerischen Ausführung zu Schmerzen
sei die erfolgte Feststellung der MdE von 20 v. H. grenzwertig niedrig, die Voraussetzungen einer MdE von 30 v. H. lägen aber
nicht vor. Eine Abweichung von 5 v. H. nach einer Schätzung der Beklagten sei ausgeschlossen, es sei denn die abweichende
Schätzung des erkennenden Gerichts ergebe sich daraus, dass die Beklagte unvollständige oder unrichtige Befunde zugrunde gelegt
habe, die Schätzung auf unsachlichen Erwägungen beruhe, gefestigten allgemeinen Erfahrungssätzen widerspreche oder sonstige
erkennbar falsche Rechtsüberlegungen der Schätzung zugrunde lägen. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die Voraussetzungen
für eine Höherbewertung nach §
56 Abs.
2 SGB VII lägen ebenfalls nicht vor. Dafür müsse unter Wahrung des Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung
von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen. Auch wenn der Verletzte
infolge seines Arbeitsunfalls seinen Beruf nicht mehr ausüben könne, führe dies nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der MdE.
Die Verletzung dürfe nicht so sein, dass sie sich nicht spezifisch auf die Fähigkeit auf dem gesamten Gebiet des Arbeitslebens
auswirke. Vorliegend wirke sich die Beeinträchtigung der Geh- und Stehfähigkeit auf die Tätigkeit der Klägerin als Buchhändlerin
und Filialleiterin einer Buchhandlung aus. Eine spezifische Beeinträchtigung dieser Tätigkeit sei jedoch nicht ersichtlich.
Es liege vielmehr eine allgemeine Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, vergleichbar einem sonstigen Versicherten,
dessen berufliche Tätigkeit mit einer überwiegend stehenden Tätigkeit verbunden sei, vor. Eine besondere berufliche Betroffenheit
sei daher nicht zu bejahen.
Gegen den am 30.08.2012 an ihre Bevollmächtigten zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19.09.2012 Berufung beim
Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen.
Mit Beschluss vom 23.01.2013 ist das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die Begutachtung der Klägerin im Rahmen des Verwaltungsverfahrens
für die Rente auf unbestimmte Zeit angeordnet worden.
Mit Bescheid vom 23.07.2013 (Bl. 23 Senatsakte) hat die Beklagte nach Anhörung der Klägerin die Gewährung einer Rente auf
unbestimmte Zeit abgelehnt und die Rente mit Ablauf des Monats Juli 2013 entzogen. Folge des Arbeitsunfalles sei eine Minderung
der Belastbarkeit und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks mit Streckhemmung und eine Muskelminderung des rechten
Beines. Die Entscheidung über die Unfallfolgen und die MdE stütze sich auf das Gutachten des Dr. U. vom 07.06.2013. Die Klägerin
hat Widerspruch eingelegt. Das Widerspruchsverfahren ruht bis zum Abschluss des hiesigen Verfahrens (Schriftsatz vom 25.11.2013,
Bl. 32 Senatsakte).
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. August 2012 aufzuheben, den Bescheid vom 25. Oktober 2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente nach
einer MdE von 30 v. H. vom 8. August 2011 bis 31. Juli 2013 zu gewähren, sowie den Bescheid vom 23. Juli 2013 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab 1. August 2013 nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren,
hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass bei der Klägerin Unfallfolgen vorliegen, die die begehrte Verletztenrente der Höhe
nach begründen, die Einholung eines chirurgischen Gutachtens von Amts wegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage hinsichtlich des Bescheides vom 23. Juli 2013 abzuweisen.
Am 13.08.2013 hat die Beklagte das Berufungsverfahren wiederangerufen und das zweite Rentengutachten von Facharzt für Orthopädie
Dr. U. vom 07.06.2013 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, die Klägerin klage unverändert zum Ersten Rentengutachten über eine
inkomplette Streckung des rechten Kniegelenks. Sie könne nur maximal 15 Minuten stehen. Eine wesentliche Schwellneigung bestehe
nicht mehr. Sie habe aber ein Taubheitsgefühl im Verlauf der Narbe sowie am kniegelenksnahen Unterschenkel streckseitig. Die
maximale Gehstrecke sei unverändert 1 km, danach würden sich die Schmerzen verstärken. Hinknien könne sie ebenfalls nicht.
Es bestehe ein sicheres wechselschrittiges Gangbild, die Beinachsen seien gerade, es bestehe Beckengeradstand. Die Beweglichkeit
der Hüftgelenke sei nicht eingeschränkt, die Beweglichkeit des linken Kniegelenkes sei 0-0-140° gegenüber rechts 0-5-120°.
Die Lateralbänder seien stabil, es bestehe keine Rötung, keine Schwellung, kein Erguss, reizlose Haut- und Narbenverhältnisse.
Die Narbe sei gut verschieblich, im mittleren Drittel etwas verbreitert. Es würden Missempfindungen im Bereich des oberschenkelnahen
Narbenanteils an der Außenseite angegeben. der Kapsel-Bandapparat sei stabil, keine Meniskuszeichen. Die Beweglichkeit der
oberen und unteren Sprunggelenke sei nicht eingeschränkt, die differenzierten Gangarten seien mühelos. Es bestehe unverändert
eine Verschmächtigung des Oberschenkelbereichs rechts gegenüber links. Das Röntgenbild des rechten Kniegelenks vom 07.06.2013
zeige eine achsgerecht und stufenlos konsolidierte laterale Tibiakopffraktur, eine bei Z. n. Materialentfernung erkennbare
Knochennarbe im ehemaligen Plattenlager, degenerative Veränderungen seien nicht erkennbar. Dr. U. hat als noch bestehende
Unfallfolgen die beschriebenen belastungsabhängigen Beschwerden, eine Narbe am rechten Knie/Unterschenkel außenseitig, endgradige
Bewegungseinschränkung, insbesondere Streckhemmung sowie Muskelumfangsminderung am rechte Bein gefunden. Er hat der Schätzung
der MdE im Ersten Rentengutachten von 20 v. H. zugestimmt und die MdE jetzt auf 10 v. H geschätzt.
Die Klägerin hat einen Arztbrief von Dr. S. vom 30.06.2013 (Bl. 14 Senatsakte) vorgelegt, in dem die Diagnose eines Schwächegefühls
der Beine unklarer Genese gestellt wird. Differentialdiagnostisch sollte eine Borreliose ausgeschlossen werden, da ein lumbaler
NPP bereits ausgeschlossen worden sei. Anamnestisch bestehe ein Schwächegefühl der Beine, rechts betont; Nacken-Kreuzschmerzen,
keine Inkontinenz, Taubheitsgefühl an der Unterschenkelvorderseite. Im neurologischen Befund seien die Hirnnerven ohne Befund
(o. B.), die Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft an Armen und Beinen auslösbar, kein Fußklonus, kein Babinskiphänomen,
Kraftverhältnisse o. B. bis auf Oberschenkelbeuger-/Unterschenkelstreckerschwäche rechts Kraftgrad (KG) 4, Fußheberschwäche
rechts KG 4, Koordination o. B., Gang rechts etwas hinkend, ohne Gehstütze selbständig möglich, ohne optische Kontrolle ungerichtete
Gangunsicherheit, Sensibilität o. B. bis auf Hypästhesie/Hypalgesie Außenseite rechte Knieregion (seit Verletzung), extrapyramidal
motorisches System o. B., Vegetativum o. B., hirnversorgende Gefäße ohne Strömungsgeräusch oder Druckdolenz. Der Oberschenkelumfang
rechts sei im Vergleich zu links um 2 cm vermindert. Der Lasegue sei negativ, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei in
allen Richtungen eingeschränkt. Das Tibialis-SEP zeige alters- und längenkorreliert normwertige Latenzen. Die Elektroneuromyographie
der Beinnerven zeige den N. peronäus beidseits mit regelrechten distalen motorischen Latenzen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeiten
im Normbereich. Der M. quadriceps femoris rechts und M. tibialis anterior rechts sei ohne Spontanaktivität, im M. quadriceps
femoris rechts bestehe gelegentlich AM und gering vermehrte Polyphasie, im M. tibialis anterior rechts deutlich vermehrte
Polyphasie, jeweils neurogene Umbauten. Die Fußheberschwäche rechts und die Sensibilitätsstörung an der Knieaußenseite rechts
könnten mit der bekannten Verletzung in Zusammenhang gebracht werden. Die übrigen neurologischen Auffälligkeiten am rechten
Bein seien jedoch unklar. Klinisch bestünden keine Hinweise für einen spinalen oder cerebralen Prozess.
Orthopäde Dr. L. hat am 21.10.2013 (Bl. 20 Senatsakte) erstmals die Diagnose einer aktivierten Gonarthrose gestellt. Die Kniegelenkskontur
sei rechts leicht verstrichen, es bestehe eine leichte Kapselschwellung rechts, die Beweglichkeit rechts sei 0-5-120°, über
dem rechten medialen Gelenkspalt bestehe ein Druckschmerz, die Quadrizepsmuskulatur sei beidseits atrophisch.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. D. mit der Erstattung eines
neurologischen Gutachtens nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beauftragt worden. In seinem Gutachten vom 24.04.2014 (Bl. 70 Senatsakte) hat er leichte Muskelverspannungen der Schulter-Nackenmuskulatur
mit Druckschmerzangabe festgestellt. Bei der Prüfung der groben Kraft sei es im Bereich des rechten Beines zu einer leichten
Wechselinnervation gekommen, letztlich sei aber in allen Muskelgruppen die volle Kraft erreicht worden. An der Narbe sei eine
Herabsetzung des Schmerzempfindens und des Berührungsempfindens um etwa 60 % angegeben worden, Reflexdifferenzen bestünden
nicht, die Bauchhaut-Reflexe seien nicht sicher erhältlich gewesen. Bei der Koordinationsprüfung bestehe eine leichte Streckhemmung
im rechten Kniegelenk. Zehenspitzenstand, -gang und einbeiniger Zehenspitzenstand seien möglich, ebenso Fersengang und -stand.
Es bestünden Zeichen einer vegetativen Übererregbarkeit wie kühle Füße und leicht livide Verfärbung. Der psychische Befund
sei unauffällig. Weder klinisch noch elektrophysiologisch bestünden Hinweise auf eine Schädigung des N. peronäus, wie sie
von Dr. S. beschrieben worden seien. Die klinische Untersuchung ergebe keine Lähmung im Bereich der Beine, insbesondere der
Fuß- und Zehenheber rechts. Auch die proximalen Muskelgruppen seien bei allerdings leichter Wechselinnervation beidseits vollkräftig
innerviert. Auffallend sei allein eine leichte Verschmächtigung des rechten Oberschenkels und rechten Unterschenkels, mit
Wahrscheinlichkeit Folge der unfallbedingten Inaktivität.
Bei der Klägerin bestehe eine langjährige Anamnese mit Lumboischialgien und Wurzelreizungen der Spinalwurzeln L 4 und L 5
rechts, die nach dem Bericht des Neurochirurgen vom Mai 2009 zu Schmerzen im Oberschenkel geführt hätten, da die Fuß- und
Zehenheber motorisch überwiegend von der Spinalwurzel L 5 versorgt würden. Die von Dr. S. beschriebene leichte Lähmung im
Bereich der rechten Oberschenkelmuskulatur ohne belangvolle elektromyographische Veränderungen und bei unauffälliger Nervenleitgeschwindigkeit
des N. peronäus und N. tibialis sei vermutlich durch eine schmerzbedingte leichte Minderinnervation zu erklären. Die von Dr.
S. im M. tibialis anterior festgestellten erheblich vermehrten polyphasisch aufgesplitterten Willkürpotenziale und neurogenen
Umbauten sprächen für eine länger zurückliegende neurogene Schädigung, so dass dieser Befund Folge der seit Jahren bestehenden
rezidivierenden Lumboischialgien im Bereich des rechten Beines sein dürfte und nicht Folge des Unfalls am 02.11.2010, da dann
Hinweise für eine akute neurogene Schädigung vorliegen müssten im Sinne einer Spontanaktivität mit positiven Wellen und Fibrillationen.
Zu berücksichtigen sei auch, dass nach dem Arztbrief von Dr. S. vom 11.05.2009 bereits damals eine leichte Hypotrophie der
rechten Wade bestanden habe. Neurologische Folge des Arbeitsunfalls vom 02.11.2010 seien lediglich Gefühlsstörungen beidseits
der an der Tibiavorderkante im proximalen Abschnitt längs verlaufenden Narbe. Hinweise für Schädigungen des N. peronäus ergäben
sich nicht, Lähmungen ließen sich weder in der proximalen Muskulatur noch in den distalen Muskelgruppen des rechten Beines
nachweisen. Die angegebenen Gefühlsstörungen hätten nicht mit Wahrscheinlichkeit funktionelle Auswirkungen und führten nicht
zu einer MdE. Die Abweichung zu der Befundung durch Dr. S. ergebe sich offensichtlich daraus, dass diesem die Vorbefunde hinsichtlich
der Lumbalgien und Lumboischialgie in L 5 aus 2009 nicht bekannt gewesen seien. Die Schmerzen und die leichte Streckhemmung
im rechten Knie seien unfallchirurgisch zu beurteilen. Eine Beeinträchtigung der groben Kraft im rechten Bein lasse sich allerdings
nicht feststellen. Muskelminderung im rechten Bein, Minderung der Belastbarkeit und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks
seien im angegriffenen Bescheid berücksichtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakten (L 6 U 3971/12, L 6 U 3485/13), die SG-Akte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143 und
144 SGG statthafte und nach §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 25.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 zu Recht abgewiesen.
Der Bescheid vom 25.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat für die Zeit vom 08.08.2011 bis 31.07.2013 keinen Anspruch auf eine Verletztenrente
nach einer höheren MdE als 20 v.H.
Streitgegenstand ist außerdem der Bescheid vom 23.07.2013, mit dem die Beklagte die als vorläufige Entschädigung gewährte
Rente nach einer MdE von 20 v. H. mit Ablauf des Monats Juli 2013 entzogen und die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt hat.
Dieser Bescheid ist nach §
96 SGG i. V. m. §
153 Abs.
1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. auch LSG, Urteil vom 20.10.2011 - L 10 U 4346/08; in [...]). Nach §
96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klagerhebung dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsverfahrens
ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. §
96 SGG gilt nach §
153 Abs.
1 SGG auch im Berufungsverfahren. Eine Änderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch die Neuregelung
ersetzt wird; eine Ersetzung, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Komm., 11. Aufl., Rn. 4 zu §
96 m. w. N.).
Regelungsinhalt des Bescheides vom 25.10.2011 ist die vorläufige Rentengewährung gemäß §
62 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall, weil der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden
kann. Die Dauer der Gewährung ist bis zum Erlass des Bescheides über die Dauerrente gemäß §
62 Abs.
2 Satz 2
SGB VII befristet. Prüfungsgegenstand ist mithin die vorläufige Rentengewährung vom 08.08.2011 bis 31.07.2013. Regelungsgegenstand
des Bescheides vom 23.07.2013 ist die Entziehung der Verletztenrente für die Zukunft und die Ablehnung der Gewährung einer
Dauerrente, so dass der Bescheid vom 25.10.2011 für die Zeit ab 01.08.2013 aufgehoben und durch den Bescheid vom 23.07.2013
ersetzt wird.
Wird ein Bescheid - wie hier - nach §§
96,
153 SGG zum Gegenstand eines Verfahrens in zweiter Instanz, ist hierüber auf Klage zu entscheiden (BSGE 18, 231, 234). Die Klage war abzuweisen, denn auch dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente für den Zeitraum vom 08.08.2011 bis 31.07.2013. Eine höhere
MdE als die von der Beklagten zugrunde gelegten 20 v. H. hat die Beweisaufnahme im gesamten Verfahren nicht ergeben.
Rechtsgrundlage des - zulässigen - klägerischen Begehrens auf höhere Verletztenrente ist
SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet,
bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente geleistet, der dem Grad
der MdE entspricht (§
56 Abs.
3 SGB VII).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem
Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern
vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche
Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche
Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem
soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen
beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher
und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens
und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt
werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung
im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen
der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Wie vom BSG in ständiger Rechtsprechung vertreten, kann es sich bei der Bewertung der MdE grundsätzlich nur um eine Schätzung handeln,
bei welcher der Grad der unfallbedingten MdE nicht völlig genau, sondern nur annäherungsweise feststellbar ist. Denn anders
als etwa bei dem ebenfalls zu den Grundlagen der Rentenberechnung gehörenden Jahresarbeitsverdienst lässt sich der Prozentsatz
der unfallbedingten MdE in aller Regel nicht mathematisch exakt festlegen, sondern nur annähernd bestimmen. Wie ihrem Wesen
nach jede Schätzung ist mithin auch der Bewertung der MdE eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich. Hieraus hat die Rechtsprechung
abgeleitet, dass jede innerhalb der Toleranzspanne liegende Schätzung gleichermaßen rechtmäßig ist, soweit dabei bestimmte
Grenzen nicht überschritten werden. Als äußerste Grenzen der Spanne hat schon das frühere Reichsversicherungsamt Abweichungen
um fünf Prozentpunkte nach oben oder nach unten angesehen. Das BSG ist dem gefolgt und hat dabei auf gesetzliche Regelungen verwiesen, nach denen eine MdE von 10 v.H. die untere Grenze dessen
ist, was medizinisch und wirtschaftlich messbar sei. Dies bedeutet, dass eine Schätzung der MdE durch den Versicherungsträger
so lange als rechtmäßig anzusehen ist, als eine spätere Schätzung durch das Gericht bzw. den von ihm gehörten ärztlichen Sachverständigen
nicht um mehr als fünf Prozentpunkte von der behördlichen Einschätzung abweicht. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung,
dass im Verwaltungsverfahren die Schätzungsgrundlagen richtig ermittelt worden sind, ferner alle für die Schätzung wesentlichen
Umstände hinreichend gewürdigt sind, insbesondere die für die Schätzung relevanten Befunde vollständig und richtig erhoben
sind und unverändert vorliegen, und die Schätzung selbst nicht auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (BSG, Urteile vom 17.12.1975, 2 RU 35/75 in SozR 2200 § 581 Nr. 5 und 07.12.1976, 8 RU 14/76 in SozR 2200 § 581 Nr. 9).
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das SG zutreffend entschieden, dass aus Rechtsgründen keine gegenüber der Beklagten höhere MdE-Bewertung vorzunehmen ist. Dabei
hat das SG zutreffend dargelegt, dass nach den allgemeinen Erfahrungssätzen keine höhere Gesamt-MdE anzunehmen ist.
Bei der Klägerin bestand ab dem 08.08.2011 zunächst eine Minderung der Belastbarkeit, Instabilität und Bewegungseinschränkung
des rechten Kniegelenks nach operativ versorgtem Bruch des Schienbeinkopfes mit knöchernem Ausriss des hinteren Kreuzbandes,
bis zur operativen Entfernung des Osteosynthesematerials am 20.01.2012 mit einliegendem Metall. Diese Gesundheitsstörungen
sind von der Beklagten im Bescheid vom 25.10.2011 als Unfallfolgen anerkannt worden. Aus ihnen folgte eine MdE von 20 v. H.
Hierbei stützt sich der Senat auf das im Wege des Urkundsbeweises zu verwertende Erste Rentengutachten des Dr. S. vom 05.10.2011,
das dem Bescheid vom 25.10.2011 zugrunde lag. Dieser hat Bewegungsmaße für das rechte Kniegelenk von 0-5-120° erhoben und
eine deutliche laterale Instabilität des rechten Kniegelenks mit hinterer Schublade festgestellt. Der Einbeinstand rechts
war unsicher ausführbar, Zehen- und Hackenstand problemlos möglich, beim Gehen bestand ein leichtes Hinken. Darüber hinaus
ergibt sich aus dem von der Klägerin im SG-Verfahren vorgelegten OP-Bericht vom 24.01.2012 als präoperative Diagnose eine Streckhemmung von 10 Grad.
Die von Dr. S. getroffene Bewertung der Unfallfolgen mit einer MdE von 20 v.H. entspricht der unfallversicherungsrechtlichen
Literatur und ist für den Senat überzeugend. Die Bewegungseinschränkung eines Kniegelenks von 0-0-120° wird danach mit einer
MdE von 10 v. H., von 0-10-90° mit 20 v. H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 654 f). Bei der Klägerin lag
die Streckhemmung zwischen 5° und 10°, die Beugung lag im Bereich der MdE von 10 v. H., sodass die Bewegungseinschränkung
allein eine MdE von 20 v. H. auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass für die meisten Betroffenen eine Streckbehinderung
von 5° - 10° einschneidender ist als eine Beugehemmung von 30° bis 40°, weil für die meisten Arbeiten eine Beugefähigkeit
von 80° genügt, der Ausschluss der vollen Streckung die Nutzung des muskelentspannten Beines als Standbein verhindert und
zu vorzeitiger Arthrose führen kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O:, S. 653), nicht tragen würde. Darüber hinaus bestand
allerdings eine deutliche Instabilität. Diese erreichte jedoch nicht das Ausmaß eines Wackelknies, das bei fehlender muskulärer
Kompensierung mit einer MdE von 20 v. H. zu bewerten wäre. Das ergibt sich daraus, dass der Klägerin das Gehen, wenn auch
leicht hinkend, und sogar die erschwerten Gangproben möglich waren. Die angegebene Limitierung der Gehstrecke beruhte nicht
auf funktionellen Einschränkungen, sondern auf den geklagten Schmerzen. Bei einer Gesamtbetrachtung hält der Senat daher die
MdE von 20 v. H. für die Zeit bis zum 31.07.2013 für angemessen und allenfalls eine MdE von 25 v.H. für noch vertretbar, was
jedoch die Rechtmäßigkeit der MdE-Bewertung der Beklagten aus o. g. Gründen nicht berührt.
Weitere Unfallfolgen, insbesondere auf neurologischpsychiatrischem Fachgebiet, liegen nicht vor. Eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung im Sinne der von der Klägerin als MdEerhöhend angegebenen "außergewöhnlichen Schmerzen" ist nicht diagnostiziert
worden. Dafür spricht auch, dass die Klägerin keine Schmerztherapie durchführt. Eine inkomplette Peronäusparese lag zur Überzeugung
des Senats zu keinem Zeitpunkt vor. Dies ergibt sich bereits aus dem Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Klinik L. über
die HV-Kontrolle vom 20.04.2011 und wird bestätigt durch die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. D. im Berufungsverfahren. Entgegen
dem Vorbringen der Klägerin hatte Dr. S. keinen eindeutigen Befund einer Peronäusparese erhoben, da EMG und Nervenleitgeschwindigkeit
auch bei ihm unauffällig waren. Der Senat geht in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Dr. D. davon aus, dass die Befundung einer
leichten Peronäusparese durch Dr. S. auf Unkenntnis der Arztbriefe der Neurochirurgen Dres. B./H. und des Neurologen Dr. S.
aus dem Jahr 2009 beruhte, die eine kernspintomographisch gesicherte Lumboischialgie in L 5 und eine leichte Hypothrophie
der rechten Wade bereits vor dem Unfall beschrieben haben. Die auch von Dr. S. im M. tibialis anterior festgestellten erheblich
vermehrten polyphasisch aufgesplitterten Willkürpotenziale und neurogenen Umbauten sprechen für eine länger zurückliegende
neurogene Schädigung und sind nicht auf das Unfallereignis vom 02.11.2010 zurückzuführen, sondern Folge der seit Jahren bestehenden
Lumboischialgien. Als Folge des Unfalls vom 02.11.2010 müssten nämlich akute neurogene Schädigungen und Spontanaktivität vorliegen,
deren Fehlen Dr. S. ebenfalls festgestellt hat.
Ab 01.08.2013 besteht keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß mehr. Die Beklagte hat im Bescheid vom 23.07.2013 zutreffend
die vorläufige Rente mit Ablauf des Juli 2013 entzogen und die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt. Gemäß §
62 Abs.
2 Satz 2
SGB VII kann bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung der Vomhundertsatz der MdE abweichend
von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, unabhängig davon, ob sich die Verhältnisse geändert haben.
Bei der Klägerin ist die Streckhemmung des rechten Kniegelenks auf 5° zurückgegangen, die Lateralbänder sind nunmehr stabil.
Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des Gutachtens des Dr. U. vom 07.06.2013 fest. Eine Streckhemmung von 5° bei
(gleichgebliebener) Beugefähigkeit von 120° rechtfertigt nur noch eine MdE von 10 v. H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O.
S. 654). Weitere, insbesondere neurologische Unfallfolgen, bestehen nicht. Soweit Dr. S. in seinem Arztbrief vom 30.06.2013
konstatiert, eine Fußheberschwäche rechts und Sensibilitätsstörungen rechts könnten mit der bekannten Verletzung in Zusammenhang
gebracht werden, begründet dies nicht die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit, sondern nur eine bloße Möglichkeit.
Dagegen spricht allerdings die Angabe der regelrechten neurologischen Verhältnisse, insbesondere der regelrechten distalen
motorischen Latenzen des N. peronäus und der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit im Normbereich, und die Unkenntnis der
Vorbefunde aus dem Jahr 2009, die zur Beurteilung der neurologischen Gegebenheiten erforderlich sind. An der angegebenen Differentialdiagnose
einer Borreliose ist erkennbar, dass Dr. S. keine schlüssige Erklärung für die vorgefundenen widersprüchlichen Befunde gefunden
hat.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Nachteile. Gemäß §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VII werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die Versicherte dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen
erworbene besondere Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang
nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen
werden. Die Voraussetzungen liegen nur bei Versicherten vor, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich
ausüben. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist ihre letzte Tätigkeit als Filialleiterin im Buchhandel keine rein stehende
Tätigkeit gewesen. Nach ihren Angaben während der Sozialberatung in der Klinik F. am 30.12.2010 war sie auch für Büroarbeiten
zuständig und arbeitete im Wechsel gehend, stehend, sitzend. Der Beruf der Buchhändlerin ist kein sehr spezifischer, die vorhandene
Minderung der Belastbarkeit des rechten Kniegelenkes, die zu Einschränkungen in der Dauer des Stehens und Gehens führt, behindert
nicht nur in diesem, sondern in jedem anderen Beruf, der mit längerem Stehen und Gehen verbunden ist.
Der auf die Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens von Amts wegen gerichtete Hilfsantrag war abzulehnen. Das Zweite
Rentengutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. U. vom 07.06.2013 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin,
das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, war ausreichend, um die klärungsbedürftigen Fragen zu beantworten
(vgl. dazu Leitherer in: Meyer-Ladewig,
SGG, Komm., 1. Aufl., Rn. 11e zu §
103 SGG m.w.N). Das Gutachten ist überzeugend und von Sachkunde getragen. Es weist keine schweren Mängel auf (vgl. Leitherer a.a.O.
Rn. 11b, 11c zu §
103 SGG). Die Klägerin hat auch keine Einwände gegen das Gutachten erhoben. Die von Dr. U. festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen
stimmen im Übrigen mit den von Prof. Dr. Dr. D., der auf ihren Antrag nach §
109 SGG beauftragt worden ist, befundeten, überein. Der Senat sah sich daher zur Einholung eines weiteren Gutachtens nicht gedrängt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, §
160 Abs.
2 SGG.