Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Versorgungsleistungen wegen zu Unrecht in der DDR erlittener Haft.
Der 1953 geborene Kläger beantragte im Juli 2007 beim Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung und legte hierzu
einen Beschluss des LG Halle/Saale vom 14. Februar 1994 vor, wonach die Verurteilung vom 24. August 1972 wegen versuchten
ungesetzlichen Grenzübertritts und die weitere Verurteilung vom 15. Juni 1977 wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts
im schweren Fall in Tateinheit mit versuchtem unberechtigten Eindringen in das Grenzgebiet der DDR für rechtsstaatswidrig
erklärt und aufgehoben wurden, zugleich aber die am 15. Juni 1977 ausgesprochene Verurteilung zu 8 Monaten Freiheitsstrafe
und die Erkennung auf staatliche Kontrollmaßnahmen wegen verbrecherischen Diebstahls zum Nachteil sozialistischen Eigentumes
bestehen gelassen wurde. Das LG Halle erkannte dem Kläger für erlittenen Freiheitsentzug vom 17. Juni 1972 bis zum 24. Januar
1973 und vom 25. März 1977 bis zum 22. März 1978 einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen zu.
Der Beklagte zog Behandlungsunterlagen des Klägers auch aus der Haftzeit bei und beauftragte den Facharzt für Neurologie und
Psychiatrie/Psychotherapie Dr. R mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach Untersuchung des Klägers am 4. August 2008 gelangte
der Sachverständige zu der Einschätzung, der Kläger leide unter einer Persönlichkeitsstörung mit dissozialer Komponente und
ängstlich-phobisch sowie rezidivierender depressiver Symptomatik, arterieller Hypertonie und einem degenerativen HWS-Syndrom
bei Spondyloarthrose C5/C6. Die Gesundheitsstörungen seien nur zu einem kleineren Teil auf die zu Unrecht erlittene Haft zurückzuführen.
Schädigungsunabhängig seien insbesondere eine frühe Persönlichkeitsstörung und spätere psychosoziale Probleme in Familie und
Beruf. Eine wesentliche richtungsweisende Verschlimmerung der bereits bestehenden Gesundheitsstörungen sei nicht zu erkennen,
könne aber auch nicht ausgeschlossen werden. Eine PTBS - wie vom Klinikum Bad B diagnostiziert - sei nicht zu erkennen. Der
GdS betrage maximal 30 v.H., wobei schädigungsbedingt maximal ein GdS von 10 v.H. sei.
Mit Bescheid vom 6. Januar 2009 stellte der Beklagte fest, dass die Gesundheitsstörung "Ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung"
durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 21 StrRehaG hervorgerufen sei, jedoch keinen GdS von wenigstens 25 bedinge und lehnte bei gleichzeitiger Zuerkennung eines Anspruchs
auf Heilbehandlung eine Rentengewährung ab. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.
Juli 2009 zurück.
Auf die am 28. Juli 2009 erhobene Klage, mit der der Kläger die Zuerkennung von Versorgungsleistungen nach einem GdS von zunächst
wenigstens 50, später jedoch wenigstens 40 begehrt hat, hat das Sozialgericht das in einem rentenrechtlichen Verfahren über
den Kläger erstellte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C vom 27. April 2010 beigezogen. Darin hat
der Sachverständige Hinweise für eine Persönlichkeitsschädigung in der Kindheit festgestellt, die er indes nicht näher hat
spezifizieren können. Beim Kläger bestehe eine chronisch rezidivierende Depression mit erhöhten Ängsten und Somatisierungstendenzen.
Das Sozialgericht hat daraufhin ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie/Neurologie Dr. K eingeholt. In dessen Gutachten
vom 30. November 2011 ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, eine PTBS sei beim Kläger nicht gegeben, es handle
sich um eine Persönlichkeitsstörung mit dissozialer und emotional-instabiler Charakteristik, eine Angsterkrankung mit phobischen
Zügen, hauptsächlich Agoraphobie sowie rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig Disthymie. Die ängstlich phobischen
und depressiven Gesundheitsstörungen seien mit Wahrscheinlichkeit durch die Haftzeit verursacht worden. Die MdE/derGdS für
das Gebiet Psychiatrie betrage 50 ab 2007 und 40 ab dem 1. Januar 2009.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. September 2012, dem Kläger zugestellt am 15. Oktober 2012, abgewiesen und
ist hierzu im Wesentlichen den Ausführungen des vom Beklagten beauftragten Sachverständigen Dr. R gefolgt.
Mit der am 7. November 2012 erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes fürPsychiatrie und Psychotherapie Dr. K. In dessen
Gutachten vom 18. August 2014 ist der Sachverständige den Einschätzungen des Dr. K weitgehend gefolgt, insbesondere zur Kausalität
der Haft, hat jedoch das Vorliegen einer PTBS angenommen. Den GdS für das psychische Leiden sieht er nach Hinzutreten der
depressiven Symptomatik bei 50. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. September 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides
vom 6. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2009 zu verpflichten, beim Kläger als Schädigungsfolge
eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung festzustellen und ihm Versorgung gemäß § 21 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 ab dem 12. Juli 2007 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten auf dem Gebiet der Psychiatrie
einzuholen, das sich mit den Differenzen der drei Sachverständigen ausführlich auseinandersetzt, hilfsweise, die Sachverständigen
Dr. R und Dr. K in einem weiteren Termin zu diesen Differenzen zu hören.
Er hält weiterhin an der Ansicht des von ihm beauftragten Facharztes fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet, denn die Ablehnung der begehrten Feststellung und Versorgung ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung als Schädigungsfolge
und Gewährung von Versorgungsleistungen nach einer MdE von 50 v.H. bzw. einem GdS von 50 aus § 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 StrRehaG i.V.m. § 9 BVG. Danach erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen
der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes, wobei zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges
genügt.
Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass beim Kläger eine andauernde Persönlichkeitsveränderung
nach Extrembelastung vorliegt. Der Senat folgt insoweit der Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. Kr und sieht keinen
Anlass für die vom Beklagten beantragte Beweiserhebung durch Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens. Auch war weder
die Anhörung des außergerichtlich im Auftrag des Beklagten tätig gewordenen Facharztes Dr. R noch des in erster Instanz bestellten
Sachverständigen Dr. K geboten. Das Fragerecht nach §
116 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bezieht sich weder auf Verwaltungs- oder Privatgutachten, noch auf Gutachten, die in einer anderen Instanz erstattet worden
sind.
Der Sachverständige Dr. Kr hat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, aus welchen Gründen die von Vorgutachtern gestellte
Diagnose einer Persönlichkeitsstörung bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörung nicht den hierfür maßgeblichen Kriterien nach
ICD-10 entspricht. Überzeugend ist insoweit insbesondere der Hinweis darauf, dass sich der Kläger durch Inhaftierung als Reaktion
auf seine frühe Delinquenz hat beeindrucken lassen, also kein Andauern abnormer Verhaltensmuster festzustellen war. Zutreffend
ist diesbezüglich der Einwand gegenüber dem Vorgutachter Dr. K, dass die wiederholte Inhaftierung als Jugendlicher gerade
nicht auf einer erneuten Straffälligkeit nach der ersten Haftentlassung beruhte, sondern auf dem erst späteren Bekanntwerden
weiterer, bereits vor der ersten Inhaftierung begangener Straftaten.
Der Senat hält weiter es weiter für wahrscheinlich, dass die zu Unrecht erlittene Haft wesentliche Ursache für die Gesundheitsstörung
war. Wenn auch auf der Grundlage unterschiedlicher Annahmen über das festzustellende Krankheitsbild sind sich insoweit die
gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K und Dr. Kr darin einig, dass andere Ursachen als die unrechtmäßige Inhaftierung
ernsthaft nicht in Betracht zu ziehen und insbesondere die beiden während der Haft unternommenen Suizidversuche des Klägers
ein wesentlicher Indikator dafür seien, dass die psychische Gestörtheit in engem ursächlichen Zusammenhang mit der Haftsituation
stehe. Der Sachverständige Dr. K legt insoweit eingängig dar, dass die sonstigen persönlichkeitsprägenden Konfliktsituationen
im Leben des Klägers, namentlich im familiären Bereich im Sinne einer Schlüssel-Schloss-Konstellation die Grundlage dafür
gebildet haben, dass der Kläger für das Erleiden der mit der ungerechtfertigten Haftsituation verbundenen Drangsalierungen
sensibilisiert war. Der Sachverständige Dr. Kr fasst es prägnant zusammen, wenn er formuliert: "Nicht die biographischen Krisen
und mögliche krankhafte Persönlichkeitsanteile lösen die Problematik aus, sondern die biographischen Probleme sind als Folge
der Erkrankung zu sehen." Besonderes Gewicht für die Überzeugungsbildung des Senats hat insoweit die gesteigerte Sachkunde
und langjährige Erfahrung des Dr. Kr bei der Beurteilung der Folgen von Haftsituationen in psychischer Hinsicht aus der Tätigkeit
als Leiter eines Krankenhauses des Maßregelvollzugs.
Schließlich bedingt die erlittene Schädigung beim Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum auch eine MdE von 50 v.H. bzw. einen
GdS von 50. Hinsichtlich der Schwere der beim Kläger festzustellenden Gesundheitsstörung im psychischen Bereich sind sich
die gerichtlich bestellten Sachverständigen für die Zeit bis zum Inkrafttreten der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) einig und bemessen ihn in der genannten Höhe. Soweit der Sachverständige Dr. K den Schweregrad abweichend von Dr. Kr ab
dem 1. Januar 2009 mit einem GdS von lediglich 40 bemisst, folgt dem der Senat nicht, denn es ist keine Änderung der Situation
des Klägers eingetreten. Auch liegt keine Veränderung in den Maßstäben der bis zum 31. Dezember 2008 anwendbaren AHP (hier
Ziffer 26.3: schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit MdE-Grad 50-70) und den seither anwendbaren
Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (hier B 3.7: schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten
mit einer GdS-Spanne 50-70) vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Gründe gem. §
160 Abs.
2 SGG für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.