Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für Hörgeräte über den Festbetrag hinaus.
Er ist 1932 geboren und leidet an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Nachdem die ursprüngliche Hörgeräteversorgung
zum Ausgleich seiner Behinderung nicht mehr ausreichend und älter als fünf Jahre war, beantragte er am 5. Dezember 2013 unter
Vorlage einer entsprechenden Verordnung seines behandelnden HNO-Arztes Dr. Kund eines Kostenvoranschlages der Hörgeräteakustikerin
H die Übernahme der Kosten für Hörgeräte Typ P rechts und links zum Preis von insgesamt 2.838,61 €. Dem Antrag waren ein Anpassbericht
der Akustikerin und Aufzeichnungen des Klägers über seine mehrwöchigen Selbstproben zuzahlungsfreier und nicht zuzahlungsfreier
Hörgeräte beigefügt.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 17. Dezember 2013 beschied die Beklagte den Kläger, die Kosten für die beiden
Hörgeräte in Höhe von 1.942,49 € zu übernehmen. Für diesen Betrag sei der Akustiker verpflichtet, dem Kläger ein geeignetes
Hörgerät entsprechend seiner Schwerhörigkeit eigenanteilsfrei anzubieten, mit dem ihm ein angemessener Ausgleich seiner Hörbehinderung
im Rahmen der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ermöglicht werde. Werde ein höherwertiges Gerät gewählt, könne sich die
Beklagte an den Mehrkosten nicht beteiligen.
Am 9. Januar 2014 stellte die Hörgeräteakustikerin H dem Kläger für die Versorgung mit den Hörgeräten ausgehend von dem Gesamtpreis
einen Betrag in Höhe von 896,12 € in Rechnung, von welchen der Kläger abzüglich eines eingeräumten Skontos in Höhe von 26,88
€ letztlich 869,24 € zu tragen hatte.
Er legte gegen die Ablehnung einer vollständigen Kostenübernahme Widerspruch ein und machte geltend, auf die von ihm ausgewählten
und getesteten Hörgeräte angewiesen zu sein. Nur die Hörgeräte P und P hätten eine ausreichende Störschallreduzierung und
Rückkopplungsunterdrückung aufgewiesen. Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin/Brandenburg
e. V. (MDK) kam im sozialmedizinischen Gutachten vom 24. Januar 2014 zu dem Ergebnis, dass in der Zusammenschau der dokumentierten
Messreihe nicht belegt werde, dass die Hörstörung alleine mit dem gewählten Gerät und damit zwingend außerhalb des Festbetrages
versorgbar sei.
Die Beklagte wies daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2014 den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Ausführungen
des MDK zurück. Eine subjektive Empfindung könne bei der Beurteilung vergleichbare Ergebnisse im Behinderungsausgleich nicht
berücksichtigt werden. Der MDK habe zwei Gerätetypen (P sowie S), welche eigenanteilsfrei seien, als geeignet angesehen. Soweit
der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 2009 (B 3 KR 20/08 R) verwiesen habe, sei darauf hinzuweisen, dass auch nach diesem Urteil die Leistungsverpflichtung nicht dazu führen könne,
den Versicherten jede gewünschte, für sie optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen.
Dagegen hat der Kläger am 2. April 2017 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.
Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes und eine Stellungnahme der Hörgeräteakustikerin eingeholt. Es hat mit
Gerichtsbescheid vom 24. September 2015 die Klage abgewiesen:
Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten der Hörgeräte zu. Die Spitzenverbände der Krankenkassen hätten
entschieden, dass Hörgeräte zu den Hilfsmitteln gehörten, für die Festbeträge festzusetzen seien. Die Ersatzkassen hätten
mit der Bundesinnung der Hörgeräte-Akustiker vertragliche Höchstpreise / Pauschalen vereinbart. Entsprechend dieser vertraglichen
Vereinbarung sei hier die beidseitige Versorgung mit Hörgeräten in Höhe von 1.942,49 € vergütet worden. Ein weitergehender
Anspruch stehe dem Kläger nicht zu, da nicht ersichtlich sei, dass der Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung durch
eigenanteilsfreie Geräte nicht gewährleistet sei. Der Behauptung des Klägers stünden der Befundbericht und die Anpassungsberichte
sowie die Angaben der Hörgeräteakustikerin entgegen. Alle Geräte besäßen zudem eine störschallunterdrückende Softwareauslegung
und ein Rückkopplungsmanagement. Das BSG habe in dem angeführten Urteil den Anspruch auf eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen durch das Wirtschaftlichkeitsgebot
des §
12 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) begrenzt. Der hier einschlägige §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V verpflichte nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stehen.
Gegen diese ihm am 1. Oktober 2015 zugegangene Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 19. Oktober 2015. Das
Sozialgericht habe sich nicht auf die Aussagen des Leistungserbringers und die allgemein gehaltenen Aussagen des behandelnden
HNO-Arztes berufen dürfen. Das Hörvermögen des Klägers habe sich verschlechtert.
Im Erörterungstermin am 8. Mai 2017 hat der Kläger erklärt, es sei ihm nur mit dem streitgegenständlichen Hörgerät möglich
gewesen, unverzerrt zu verstehen und Störgeräusche auszublenden.
Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. September 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides
vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2014 zu verurteilen, ihm die über den Festbetrag
hinausgehenden Kosten der Hörgeräte in Höhe von 869,24 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihre bisherigen Schriftsätze. Eine volle Übernahme der Kosten unter Außerachtlassung der bestehenden vertraglichen
Möglichkeiten verstieße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des §
12 SGB V.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, §§
155 Abs.
3,
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Die beiden Beteiligten haben sich mit dieser Vorgehensweise im Erörterungstermin am 8. Mai 2017 einverstanden erklärt.
Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage nach §
54 Abs.
1, Abs.
4 SGG zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig. Die Beklagte hat dem Kläger
die von ihm für die Hörgeräte geleistete Zuzahlung zu erstatten.
Rechtsgrundlage des Kostenerstattungsanspruches ist §
13 Abs.
3 Satz 1, Alt. 2
SGB V. Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung
Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender primärer Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die
selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung
zu erbringen haben. Der Anspruch ist umgekehrt gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruches
rechtswidrig abgelehnt hat und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn insoweit auch ein Ursachenzusammenhang
zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbstbeschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung
eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R). Hier hat die Beklagte ihre Leistungspflicht zu Unrecht auf den Festbetrag begrenzt und die vollständige Erfüllung des gegebenen
Leistungsanspruches rechtswidrig abgelehnt. Der Kläger hat sich die Leistung selbst beschafft und hierbei die Grenzen des
Notwendigen gewahrt.
Rechtsgrundlage des Leistungsanspruches ist hier §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln,
die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen
oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
oder nach §
34 Abs.
4 SGB V aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Hörgeräte sind keine Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens und nicht nach §
34 Abs.
4 SGB V aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Sie dienen weder der Krankenbehandlung noch der Vorbeugung
einer Behinderung. Sie sind zu leisten, soweit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§
12 Abs.
1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind (BSG, Urteil vom 12 Dezember 2009, a. a. O. sowie Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - Rdnr. 29). Bei einem Hörgerät geht es um einen sogenannten unmittelbaren Behinderungsausgleich: Das Gerät soll die ausgefallene
oder beeinträchtigte Körperfunktion selbst ausgleichen (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, Rdnr. 31). Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich
von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleiches geleitet. Es gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleiches
des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschrittes. Es kann
auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiter entwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, der erreichte Versorgungsstandort sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne
des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist. Beim Hören ist vielmehr geschuldet, dass hörbehinderte Menschen
im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen eröffnet wird
und ihnen die dazu erforderlichen Geräte zur Verfügung gestellt werden (BSG, a. a. O.).
Der Anspruch ist allerdings auf das Maß beschränkt, wie dies die Beklagte und das SG dargestellt haben.
Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwendige Versorgung allerdings
dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren
Alternative hat (Hessisches LSG, Urteil vom 24. Juli 2014 - L 8 KR 352/11 - juris Rdnr. 46 mit Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009).
Der Kläger hier leidet unstreitig an einer beidseitigen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Obwohl er im Erörterungstermin
die beiden hier indirekt streitgegenständlichen Hörgeräte trug und die Hörsituation einfach war (geschlossener Raum, kein
Durcheinandersprechen) war er nur teilweise in der Lage, einer direkten Ansprache in normaler Lautstärke zu folgen. Die Richtigkeit
seiner Angabe, nur mit den streitgegenständlichen Hörgeräten verzerrungsfrei und ohne Rückkopplung gehört zu haben, erscheint
dem Gericht glaubhaft und glaubwürdig. Sie ist einleuchtend und überzeugend.
Die nur theoretischen Ausführungen bzw. Einschätzungen des MDKs und auch des Behandlers stehen diese Einschätzungen nicht
entgegen. Hören bzw. das Hörempfinden ist eine subjektive Angelegenheit und betrifft nicht nur die Möglichkeit, Sprachinformationen
aufnehmen zu können.
Soweit die Beklagte der Auffassung ist, es könne davon ausgegangen werden, dass, falls es erforderlich sei, auch vom Leistungserbringer
im Rahmen der eigenanteilsfreien Hörhilfenversorgung Hörhilfen ausgewählt würden, die über Zusatztechniken verfügen, die es
auch im Störgeräusch ermöglichen, Sprache ausreichend zu verstehen, kann dem nicht gefolgt werden.
Zwar erfüllt eine Krankenkasse aus Gründen der Wirtschaftlichkeit die Sachleistungsverpflichtung "Versorgung mit Hörhilfen"
regelmäßig auf der Grundlage einer Festbetragsregelung (§
36 SGB V) mit dem Festbetrag (§
12 Abs.
2 SGB V), also unter Zuzahlungspflicht des Versicherten hinsichtlich des den Festbetrag übersteigenden Teils des Kaufpreises.
Dies ist grundsätzlich verfassungsgemäß, gilt jedoch in dieser Form nur, wenn eine sachgerechte Versorgung des Versicherten
zu den festgesetzten Festbeträgen möglich ist. Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenzt die Leistungspflicht
der Krankenkasse nämlich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht
(BSG, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R juris-Rdnr. 39 mit Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BSG).
Ein solcher Fall liegt hier, wie ausgeführt, zur Überzeugung des Gerichts vor.
Dass möglicherweise andere Hörgeräte - unter Umständen je nach Einstellung durch den Akustiker - ein ähnliches Ergebnis erzielt
hätten, vermag die Notwendigkeit der konkreten Beschaffung nicht aufzuheben. Eine entsprechende Beratung und Begutachtung
des Klägers ist nicht erfolgt (vgl. zur Kritik an der Vorgehensweise der Krankenkassen und Rehabilitationsträger: LSG Hessen,
a. a. O. juris-Rdnr. 48ff).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.