Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II
Berücksichtigung von Einkommen aus Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
Zulässigkeit der Absetzung von Schulgeld in tatsächlicher Höhe
Gründe:
Die am 15. Mai 2019 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Mai 2019
ist statthaft und zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, den Antragstellern
vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Einkommens in Höhe von lediglich 54,- Euro monatlich zu gewähren.
Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Eilantrag auch für die Antragsteller zu 2. und 3. wirksam und zulässig erhoben wurde.
Es liegt eine Einverständniserklärung des Vaters der Antragsteller zu 2. und 3. vom 26. April 2019 vor. Diese benennt zwar
nicht das gerichtliche Aktenzeichen; aus dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schreiben der Antragstellerin zum Verfahren vom
gleichen Tag sowie der Nennung des Sozialgerichts als Adressat in der Einverständniserklärung selbst ergibt sich hinreichend
deutlich, dass sich die Erklärung auf das hiesige Verfahren bezieht. Weitere Verfahren der Antragsteller vor dem Sozialgericht
waren nicht anhängig.
In der Sache hat das Sozialgericht eine zutreffende Einkommensberechnung vorgenommen. Die Antragstellerin zu 1. bezieht Einkommen
aus Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von 764,- Euro monatlich. Dieses ist als Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen, von der Berücksichtigung ausgenommen ist allerdings der Kinderbetreuungszuschlag in Höhe von 260,- Euro
(§ 11a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 14b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BAföG).
Wie das Sozialgericht, so ist auch der Senat - entgegen der Beschwerde - der Auffassung, dass von dem verbleibenden Einkommen
(504,- Euro) weiter das Schulgeld in Höhe von 450,- Euro monatlich nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 5 SGB II abzusetzen ist. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II bestimmt, dass vom Einkommen die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen sind. Nach
§ 11b Abs. 2 Satz 5 SGB II sind von Leistungen nach dem BAföG für die Absetzbeträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II mindestens 100,- Euro abzusetzen. Der Wortlaut der Vorschrift lässt also die Absetzung höherer Beträge zu. In der Gesetzesbegründung
heißt es hierzu: "Höhere Beträge sind auf Nachweis absetzbar" (BT-Drs. 18/8041 S. 36 zu Doppelbuchstabe dd).
Der Absetzung des Schulgelds in tatsächlicher Höhe steht zunächst nicht das vom Antragsgegner zitierte Urteil des Bundessozialgerichts
vom 17. März 2009 (B 14 AS 63/07 R) entgegen. Wie bereits das Sozialgericht dargelegt hat, erging dieses Urteil zur alten, bis zum 31. Juli 2016 geltenden
Rechtslage. Das vom Antragsgegner zitierte Erfordernis einer objektiven Zweckbindung hat das Bundessozialgericht dort im Zusammenhang
mit der Regelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 lit a SGB II a.F. zur Anrechnungsausnahme von zweckbestimmten Einnahmen aufgestellt (dort Rn. 28). Es hat sodann dargelegt, dass gerade
weil ein Teil der BAföG-Leistungen bereits als zweckbestimmte Einnahme von der Anrechnung ausgeschlossen sei, eine weitergehende Absetzung von Ausbildungskosten
als notwendige Ausgabe ausscheide: "Es können dabei solche Ausgaben nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II nicht als mit der Erzielung des Einkommens notwendige Ausgaben abgesetzt werden, die der Art nach bereits bei der Ermittlung
des Einkommens wegen einer besonderen Zweckbestimmung berücksichtigt worden sind" und weiter: "Soweit also ein Teil der Ausbildungsförderung
nach dem BAföG als zweckgebundene Einnahme bei der Einkommensermittlung privilegiert ist, scheidet die weitergehende Absetzung von Ausbildungskosten
als notwendige Ausgabe bezogen auf die geförderte Ausbildung von vornherein aus". Dieser "Soweit"-Schluss kann nach der seit
dem 1. August 2016 geltenden Rechtslage nicht mehr gezogen werden. Denn seitdem ist der ausbildungsbezogene Anteil der BAföG-Leistungen nicht mehr schon aufgrund seiner objektiven Zweckbestimmung als zweckbestimmte Leistung von der Einkommensanrechnung
ausgenommen, § 11a Abs. 3 SGB II. Damit entfällt aber auch die "Soweit"-Verknüpfung, die das Bundessozialgericht vorgenommen hat.
Insgesamt hat sich die Rechtslage hinsichtlich der Berücksichtigung von Ausbildungsförderungsleistungen als Einkommen durch
das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016
zum 1. August 2016 grundlegend geändert. Mit den Änderungen wurden einerseits Auszubildende weitgehend zum ergänzenden Bezug
von Arbeitslosengeld II berechtigt, andererseits auch die Berücksichtigung des Einkommens der Auszubildenden neu geregelt
(vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drs. 18/8041, S. 33, zu Doppelbuchstabe bb). Die bisherige unterschiedliche Behandlung
der einzelnen Gruppen von Auszubildenden je nach Art ihres Einkommens sollte vereinheitlicht werden. Auszubildende, die Leistungen
der Ausbildungsförderung erhalten, sollten den Auszubildenden, denen eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, gleichgestellt
werden. In der Begründung zur parallel erfolgten Änderung des § 1 Abs. 1 Nr. 10 Alg II-VO (durch die Siebte Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) heißt es: "Leistungen der Ausbildungsförderung werden künftig hinsichtlich der möglichen Absetzbeträge analog den Einnahmen
aus einer Ausbildungsvergütung behandelt" (S. 6 zu Doppelbuchstabe bb). Die Begründung zum Entwurf der Änderung des § 11a
Abs. 3 (BT-Drs. 18/8041, a.a.O.) nimmt zwar zur Erläuterung der Angleichung weitgehend auf die Absetzung von Fahrkosten Bezug.
Im Gesetzestext selbst findet sich eine solche Beschränkung jedoch nicht, dort werden allgemein die Absetzungsmöglichkeiten
nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II für anwendbar erklärt. Der Gesetzgeber hat damit die Absetzungsmöglichkeiten gerade nicht auf bestimmte mit der Ausbildung
verbundene Kostenarten beschränkt. Hätte er eine solche Beschränkung gewollt, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich zu
regeln. Ein Vorbild hierfür fand sich in § 1 Abs. 1 Nr. 10 Alg II-VO in der bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung, der bestimmte,
dass nicht als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II zu berücksichtigen seien "Leistungen der Ausbildungsförderung, soweit sie für Fahrkosten zur Ausbildung oder für Ausbildungsmaterial
verwendet werden" und der damit zugleich klarstellen wollte, "dass Schulgeld, welches an privaten Schulen zu entrichten sein
kann, nicht von der Ausbildungsförderung in Abzug gebracht werden kann" (vgl. die Begründung zum Entwurf der am 1. Januar
2008 in Kraft getretenen neuen Alg II-VO, S. 13). Auch aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung der §§ 11a, 11b SGB II ergibt sich keine Einschränkung der Absetzbarkeit auf bestimmte Kosten, vielmehr heißt es dort: "Von den so erfassten Einnahmen
[Anm. des Senats: u.a. Leistungen nach dem BAföG] sind künftig für alle Fallgestaltungen die Absetzbeträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 SGB II abzuziehen" (BT-Drs. 18/8041, S. 3, zu Doppelbuchstabe bb).
Lässt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien daher erkennen, dass Leistungen der Ausbildungsförderung hinsichtlich der Absetzungsmöglichkeiten
entsprechend den Einnahmen aus Ausbildungsvergütung behandelt werden sollen und ist nach dem Wortlaut des § 11b Abs. 2 Satz 5 SGB II ("mindestens") die Absetzung nicht auf den Grundfreibetrag beschränkt, so lässt sich ein Ausschluss des Schulgeldes von der
Absetzbarkeit nicht im Wege der Auslegung begründen. Dem lässt sich schließlich auch nicht entgegenhalten, dass sich Schulgeld
deshalb nicht als mit der Erzielung des BAföG verbundene notwendige Ausgabe einordnen lasse, weil die Ausbildung nicht absolviert werde, um BAföG-Leistungen zu erhalten, sondern vielmehr umgekehrt BAföG-Leistungen (bei Bedürftigkeit) gewährt würden, um die Ausbildung zu ermöglichen. Dieses Argument, das genauso in Bezug auf
sämtliche andere Ausbildungskosten, insbesondere auch die Fahrkosten zur Schule, anwendbar wäre, lässt sich jedenfalls seit
der Neufassung der §§ 11a und 11b SGB II zum 1. August 2016 nicht mehr aufrechterhalten. Dem steht die vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Absicht, Leistungen
der Ausbildungsförderung hinsichtlich der Absetzungsmöglichkeiten wie Einnahmen aus Ausbildungsvergütung zu behandeln, zu
lesende Neufassung des § 11b Abs. 2 Satz 5 SGB II entgegen, der die Geltendmachung von Absetzbeträgen u.a. für notwendige Ausgaben nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II ausdrücklich vorsieht.
Die Ausgabe für das Schulgeld war hier auch konkret notwendig im Sinne des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II. Die Antragstellerin konnte zunächst nicht darauf verwiesen werden, die Ausbildung zur Kosmetikerin als betriebliche statt
als schulische Ausbildung zu absolvieren. Sie hat nachvollziehbar und plausibel vorgetragen, dass eine betriebliche Ausbildung
für sie als alleinerziehende Mutter zweier Kinder im Alter von derzeit sechs und vier Jahren praktisch nicht durchführbar
und die schulische Ausbildung für diese spezielle Lebenssituation sehr viel besser geeignet ist. Ferner scheidet entgegen
des Vortrags des Antragsgegners auch ein Verweis auf eine staatliche, kostenfreie Berufsfachschule auf. Nach den Recherchen
des Senats gibt es eine solche in Hamburg nicht und auch der Antragsgegner vermochte auf Nachfrage keine zu benennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).